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Bordsteinkante (laubbedeckt) – Verkehrssicherungspflichten

LG Wiesbaden

Az: 7 O 217/07

Urteil vom 16.11.2007


Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von elf Zehnteln des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Der Kläger nimmt die Beklagten wegen behaupteter schuldhafter Verkehrssicherungspflichtverletzung auf Schadensersatz in Anspruch.

Am 20.11.2006 kam der Kläger in der P Straße in W zwischen dem Kurpark und dem Staatstheater als Fußgänger zu Fall. Hierdurch erlitt er neben einer Gehirnerschütterung diverse Prellungen und offene Schürfwunden am Knie sowie am Kopf. Deswegen befand er sich in den Folgemonaten bei diversen Ärzten in Behandlung. Sturzbedingt war die Hose des Klägers zerrissen und blutbefleckt. Ebenfalls blutbefleckt war sein Schal.

Der Kläger behauptet, gestürzt sei er an einer an der fraglichen Stelle neu errichteten Verkehrsinsel, und zwar deshalb, weil deren an der dem Kurpark zugewandten Seite nur 3-4 cm hohe Kante zur fraglichen Zeit vollständig mit Laub von den umherstehenden Platanen bedeckt und für ihn, den Kläger, deshalb als Hindernis nicht zu erkennen gewesen sei. Die Beklagte zu 1) sei ihm, dem Kläger, insoweit zum Schadensersatz verpflichtet, weil sie, die Beklagte zu 1.) , es schuldhaft unterlassen habe, für einen verkehrssicheren Zustand im fraglichen Bereich zu sorgen, indem sie, die Beklagte zu 1), weder das herabgefallene Laub habe entfernen lassen noch vor der durch die Umgestaltung der Verkehrsinsel neu geschaffenen Gefahrenlage in geeigneter Weise gewarnt habe. Die Metallpolier, welche die Verkehrsinsel nunmehr deutlich als solche kennzeichnen würden, seien erst am 24.12.2006 und damit mehr als einen Monat nach dem 20.11.2006 gesetzt worden. Sturzbedingt habe er, der Kläger bis Ende Januar beziehungsweise Anfang Februar 2007 an Kopfschmerzen, Gleichgewichtsstörungen und einer starken Unsicherheit beim Gehen gelitten, wodurch er, der Kläger, keiner sportlichen Betätigung mehr habe nachgehen können. …Auch habe er, der Kläger, diverse Ärzte konsultieren müssen. Hierdurch seien Behandlungskosten erheblichen Umfangs angefallen. Da er, der Kläger, bedingt durch die Gleichgewichtsstörungen und Schwindelanfälle außerstande gewesen sei, ein Kraftfahrzeug zu führen, sei er,‘ der Kläger auf öffentliche Verkehrsmittel und die Inanspruchnahme von Taxen angewiesen gewesen. Die hierdurch entstandenen Kosten habe die Beklagte zu 1) ebenso zu ersetzen wie die Kosten der Neuanschaffung einer Hose und der Reinigung des blutbefleckten Schals. Wegen des Nichtvermögensschadens stehe ihm, dem Kläger, ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 3.000,00 EUR zu. Die vorgerichtlich angefallenen nicht anrechenbaren Rechtsanwaltsgebühren habe die Beklagte zu 1) ebenfalls zu tragen.

Der Kläger hat die ursprünglich gegen die Beklagte zu 1) und gegen die Beklagte zu 2) als deren Haftpflichtversicherer erhobene Klage in der Sitzung vom 16.11.2007 zu Protokoll des Gerichts insoweit zurückgenommen, als sich die Klage gegen die Beklagte zu 2) richtete.

Der Kläger beantragt nunmehr,

die Beklagte zu 1) zu verurteilen, an den Kläger EUR 3.039,25 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz aus EUR 2.827,47 für die Zeit vom 23.02.2007 bis 02.04.2,007 und aus EUR 3.039,25 für die Zeit ab 03.04.2007 zu zahlen;
die Beklagte zu-1) zu verurteilen, an den Kläger ein Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch EUR 3.000,00 nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 23.02.2007.

Die Beklagte zu 1) beantragt,

die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 2) beantragt,

die Kosten des Rechtsstreits nach Rücknahme der Klage dem Kläger aufzuerlegen.

Die Beklagte zu 1) behauptet, ob der Kläger am 20.11.2006 über eine …laubbedeckte Kante der Verkehrsinsel in der P Straße zwischen dem Kurpark und dem Staatstheater gestolpert und infolgedessen gestürzt sei, sei ihr, der Beklagten zu 1) , nicht bekannt. Selbst wenn dies zuträfe, erwüchse hieraus für sie, die Beklagte zu 1) , keine Einstandspflicht aus dem Gesichtspunkt der schuldhaften Verletzung einer sie, die Beklagte zu 1), treffenden Verkehrssicherungspflicht. Zum einen handele es sich bei der Stelle‘, an welcher der Kläger gestolpert sein wolle, um keinen Gehweg, sondern um einen Fußgängerüberweg, an dessen Sicherung geringere Anforderungen zu stellen seien, als dies bei einem gewöhnlichen Gehweg der Fall sei. Zum anderen treffe nicht zu, daß ihr, der Beklagten zu 1) , im Zusammenhang mit dem klägerischerseits behaupteten Laubfall die schuldhafte Verletzung, einer Verkehrssicherungspflicht angelastet werden könne. Laubfall in dem klägerischerseits behaupteten Umfang könne es nicht gegeben haben. Noch am 11.11.2006 seien die fraglichen Platanen nahezu voll belaubt gewesen. Sie, die Beklagte zu 1), sei ihrer Verpflichtung zur Sicherung des Verkehrs im Rahmen des Gebotenen, des Möglichen und des Zumutbaren auch nachgekommen, indem sie, die Beklagte zu 1) , den fraglichen Bereich vor dem 20.11 …’2006 zuletzt am 13.10.2006 habe reinigen lassen.

Zu einer Reinigung in kürzeren Intervallen habe es keine Veranlassung gegeben. Im übrigen sei der Kläger ‚ allein auf Grund der Jahreszeit gehalten gewesen, sich darauf einzustellen, daß es zur Herbstzeit in dem Stadtgebiet, in welchem es naturgemäß auch Bäume gebe, Laubfall mit den daraus resultierenden Behinderungen und Gefahren für Fußgänger gebe. Daß er, der Kläger, sein Verhalten hierauf möglicherweise nicht ausgerichtet habe, gehe nunmehr allein zu seinen Lasten und sei nicht dazu geeignet, auch nur den objektiven Tatbestand einer ihr, der Beklagten zu 1) anzulastenden Verkehrssicherungspflichtverletzung zu tragen. Im übrigen würden die klägerischerseits behaupteten Schäden auch der Höhe nach bestritten. Insbesondere sei das geforderte Schmerzensgeld überhöht.

Wegen weiterer Einzelheiten des Partei-Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze, die zugehörigen anlagen, einschließlich der zu den Gerichtsakten gereichten Fotografien, sowie das Protokoll der öffentlichen Sitzung vom 16.11.2007 verwiesen.

Entscheidungsgründe

Soweit die ursprünglich – aus welchen Gründen auch immer -auch gegen die Beklagte zu 2) erhobene Klage vom Kläger in der Sitzung vom 16.11.2007 zu Protokoll des Gerichts zurückgenommen worden ist, hat sie als niemals anhängig geworden zu gelten (§ 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO); soweit sie sich gegen die Beklagte zu 1) richtet, ist sie zwar zulässig, indessen unbegründet.

Dem Kläger stet gegen die Beklagte zu 1) kein Anspruch auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Höhe von 3.000,00 EUR wegen einer schuldhaften Verletzung einer die Beklagte zu 1) treffenden Verkehrssicherungspflicht zu (§§ 253, 823, 839 BGB, Art. 34 GG) ; ein Anspruch auf Erstattung materieller Schäden in Höhe von 3.039,25 EUR besteht aus denselben Gründen nicht.

Es kann dahinstehen, ob die Kante der fraglichen Verkehrsinsel zur behaupteten Unfallzeit tatsächlich vollständig laubbedeckt und damit für den Kläger als solche überhaupt nicht oder aber zumindest nicht ohne weiteres als solche oder gar als Quelle potentieller Gefahren zu erkennen war. Entscheidend ist, daß vor dem Hintergrund des gesamten Inhalts der Verhandlungen, einschließlich der zu den Gerichtsakten gelangten Fotografien, das erkennende Gericht sich außerstande sieht, die Feststellung zu treffen, daß der Beklagten zu 1) im Zusammenhang mit dem klägerischerseits behaupteten Unfall, der sich am 20.11.2006 in der P, … Straße in W im Bereich einer zwischen dem Kurpark und dem Staatstheater belegenen Verkehrsinsel ereignet haben soll, die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht anzulasten ist. Denn selbst unter Zugrundelegung der klägerischen Schilderung der fraglichen Örtlichkeit und der klägerischen Unfallschilderung gelangt man nicht zu einer schuldhaften Verletzung einer der Beklagten zul) obliegenden Verkehrssicherungspflicht. Der Kläger läßt nämlich vortragen, über eine etwa 3-4 cm hohe und zur fraglichen Zeit vollständig laubbedeckte Kante gestolpert und dadurch zu Fall gekommen zu sein. Als Fußgänger hätte der Kläger aber zur Herbstzeit, zu welcher sich der Unfall ereignet haben soll, allein den gegen Ende der Vegetationsperiode unvermeidlichen Laubfall, der ihm schwerlich entgangen sein kann, zum Anlaß nehmen müssen, sich mit besonderer Vorsicht fortzubewegen, und zwar insbesondere dann, wenn der zu beschreitende Weg, wie von dem Kläger behauptet, vollständig laubbedeckt und damit potentielle Gefahrenstelle als solche nicht oder aber nicht ohne weiteres zu erkennen waren. Daß der Kläger seinerzeit angenommen haben mag, das Laub bedecke nichts anderes als einen planebenen Fußweg, stellt einen Irrtum dar, für dessen Folgen die Beklagte zu 1) nicht nach den Grundsätzen einer schuldhaften Verletzung einer sie, die Beklagte zu 1), treffenden Verkehrssicherungspflicht haftbar gemacht werden kann. Der Beklagten zu 1) kann insoweit schon deshalb nicht die schuldhafte Verletzung einer Verkehrssicherungspflicht angelastet werden, weil die Beklagte zu 1) im Rahmen der von ihr zu erfüllenden Verkehrssicherungspflichten nur solche Gefahrenstellen zu beseitigen hat oder zumindest vor eben solchen in geeigneter Weise zu warnen hat, die objektiv verkehrsgefährlich sind und die von einem durchschnittlich aufmerksamen Verkehrsteilnehmer nicht oder nicht ohne weiteres zu erkennen sind. Das ist hier ersichtlich nicht der Fall. Allein der Umstand, daß die fragliche Kante an der fraglichen Stelle lediglich eine Höhe von 3-4 cm aufweisen soll, stellt für sich genommen – entgegen der Einschätzung des Klägers -nichts dar, woraus auf einen verkehrswidrigen oder verkehrsgefährlichen Zustand geschlossen werden könnte. Daß Bordsteinkanten, insbesondere im Bereich von Fußgängerüberwegen, verschieden stark abgesenkt sind, gehört zu gewöhnlichen und gerichtsbekanntermaßen im ganzen Stadtgebiet anzutreffenden Erscheinungen, auf die sich ein jeder Fußgänger bei Einhaltung der einem jeden Passanten zuzumutenden und abzuverlangenden Vorsicht und Sorgfalt ohne weiteres einstellen kann. Die klägerische Behauptung, wonach die fragliche Kante seinerzeit vollständig laubbedeckt gewesen sein soll, zwingt zu keiner anderen Sicht der Dinge. Denn wäre der Kläger über eine nicht laubbedeckte und damit für ihn grundsätzlich sichtbare Kante gestolpert, so stellte dies nichts dar, wofür die Beklagte zu 1) einzustehen hätte. Daß er über eine tatsächlich oder vermeintlich vollständig laubbedeckte Kante stolperte, bedeutet, wie dargelegt, daß er, der Kläger, seinen Weg über eine laubbedeckte Fläche in der irrigen Erwartung nahm, das Laub bedecke nichts anderes als einen planen Weg. Für diesen Irrtum hat die Beklagte zu 1) ebenfalls nicht einzustehen. Denn das Vorhandensein von Laub hätte dem Kläger – wie jedem anderen Fußgänger zur Herbstzeit auch – Warnung genug sein müssen, sich mit besonderer Vorsicht fortzubewegen. Diese Verhaltensmaßregel mißachtet zu haben, geht allein zu Lasten des Klägers. Der klägerische Hinweis auf die nachträglich gesetzten Metallpoller zwingt zu keiner anderen Sicht der Dinge. Da die Metallpoller nicht etwa auf derselben Linie wie die fragliche Kante stehen, ist es ersichtlich nicht deren Zweckbestimmung, vor der fraglichen Kante als einer potentiellen Gefahrenquelle zu warnen. Schließlich beruft sich der Kläger auch vergeblich darauf, daß die Beklagte zu 1) den fraglichen Bereich nicht ordnungsgemäß gereinigt haben soll. Die Verpflichtung, einen einmal eröffneten Verkehr zu sichern, gilt anerkanntermaßen weder uneingeschränkt noch absolut. Die Sicherung eines einmal eröffneten Verkehrs muß vielmehr dem Verkehrssicherungspflichtigen möglich und zumutbar sein. Wenn die Beklagte zu 1), wie von ihr unwidersprochen behauptet, den fraglichen Bereich vor dem 20.11.2006 zuletzt am 13.10.2006 reinigen ließ, so ist dies in Ermangelung anderweitiger Anhaltspunkte als ausreichend anzusehen. Denn selbst in der Laubfall zeit wird man einem für ein ganzes Stadtgebiet zuständigen Verkehrssicherungspflichtigen nicht abverlangen können, die Stellen möglichen Laubfalls tagtäglich aufsuchen und gegebenenfalls von Laub reinigen zu lassen. Eine solche Forderung ist schon aus fiskalischen Gründen nicht realisierbar. Vielmehr muß es auch in der Laubfallzeit bei einer Reinigung in bestimmten Zeitabständen und im übrigen bei der einem jeden Verkehrsteilnehmer und auch Fußgänger zuzumutenden Vorsicht und Sorgfalt verbleiben.

Die Kostenentscheidung folgt aus den Vorschriften der §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den Vorschriften des § 709 Satz 1 und 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 6.039,25 EUR festgesetzt (§ 3 ZPO).

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