Bundesgerichtshof
Az: IX ZR 217/12
Urteil vom 06.02.2014
Tenor
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 8. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom 1. August 2012 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand
Die Klägerin war als Arbeitgeberin ihres rechtskräftig zur Zahlung von Unterhalt verurteilten Ehemannes durch Urteil des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz vom 29. Juni 2006 als Drittschuldnerin verurteilt worden, an dessen unterhaltsberechtigte Kinder aus einer früheren Ehe rückständigen Unterhalt in Höhe von 12.411,24 € zu zahlen. Das Landesarbeitsgericht hatte die Revision nicht zugelassen. Hiergegen legte der beklagte Rechtsanwalt für die Klägerin fristgerecht Beschwerde ein. Am 18. Dezember 2006 kam es zu einem Gespräch zwischen der Klägerin und dem Beklagten, dessen Inhalt streitig ist. Am 27. Dezember 2006 erfolgte die Rücknahme der Beschwerde durch den Beklagten. Mit Schreiben vom 2. April 2007 an den Beklagten erklärte die Klägerin, sie sei dessen Ratschlag, die Beschwerde aus Kostengründen zurückzuziehen, nur deshalb gefolgt, weil der Beklagte ihr versichert habe, sie solle sich um den Fristablauf nicht kümmern, weil im Zweifel immer noch eine Beschwerdemöglichkeit gegeben sei.
Mit der im August 2010 erhobenen Klage nimmt die Klägerin den Beklagten auf Schadensersatz in Höhe der Beträge in Anspruch, die sie aufgrund der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts habe aufwenden müssen. Der Beklagte habe fälschlich erklärt, die Nichtzulassungsbeschwerde sei nicht aussichtsreich. Hätte der Beklagte diese damit begründet, das Landesarbeitsgericht habe einen von ihr vorgelegten Schriftsatz gehörswidrig nicht berücksichtigt, wonach sie die Klägerin des Ausgangsprozesses schon überzahlt gehabt habe, hätte die Revision zugelassen werden müssen und hätte auch Erfolg gehabt. Soweit ihre Tochter am 21. Dezember 2006 in einem Telefonat mit dem Beklagten in die Rücknahme eingewilligt habe, sei sie zu dieser Erklärung nicht bevollmächtigt gewesen. Jedenfalls habe sie die Erklärung aufgrund unrichtiger Auskünfte des Beklagten abgegeben.
Die Klage ist in beiden Instanzen ohne Erfolg geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihren Anspruch in voller Höhe weiter.
Entscheidungsgründe
Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Es könne offen bleiben, ob dem Beklagten ein Beratungsfehler anzulasten sei, weil er sich mit Erfolg auf den Einwand der Verjährung berufen könne. Ein möglicher Regressanspruch sei bereits im Jahr 2006 mit der Rücknahme des Rechtsmittels durch anwaltlichen Schriftsatz vom 27. Dezember 2006 entstanden. Auch habe die Klägerin schon im Jahr 2006 Kenntnis von den Tatsachen gehabt, auf welche sie nunmehr ihren Anwaltshaftungsanspruch stütze. Hierzu sei die Kenntnis des Inhalts der anwaltlichen Beratung ausreichend, welche anlässlich des Telefonats mit der Tochter am 21. Dezember 2006 erfolgt sei. Anlässlich dieses Gesprächs habe ihre Tochter einer Rücknahme des Rechtsmittels zugestimmt. Die Erklärungen und das Wissen der Tochter müsse sich die Klägerin nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht zurechnen lassen. Nicht erforderlich sei, dass die Klägerin hiermit auch das Wissen erlangt habe, um aus den bekannten tatsächlichen Umständen einen Haftungsanspruch ableiten zu können. Eine Ausnahme von diesen Grundsätzen sei nur zu machen, wenn die Rechtslage unübersichtlich oder zweifelhaft sei, so dass sogar ein Rechtskundiger Schwierigkeiten habe, diese zuverlässig zu beurteilen. Ein solcher Fall liege nicht vor. Die Verjährungsfrist sei deshalb aufgrund der zurechenbaren Kenntnis des Inhalts des Gesprächs vom 21. Dezember 2006 mit Ablauf des 31. Dezember 2006 in Gang gesetzt worden. Hiernach sei Verjährung mit Ablauf des 31. Dezember 2009 und damit vor der Klageerhebung am 27. August 2010 eingetreten.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung nicht stand. Die Begründung des Berufungsgerichts trägt dessen Annahme nicht, die regelmäßige Verjährung von drei Jahren (§ 195 BGB) habe gemäß § 199 Abs. 1 BGB bereits mit Ablauf des 31. Dezember 2006 begonnen.
1. Ansprüche gegen Rechtsanwälte verjähren seit dem 15. Dezember 2004 nach den allgemeinen Verjährungsvorschriften der §§ 194 ff BGB. Danach ist ein Regressanspruch nach drei Jahren (§ 195 BGB) ab dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist (§ 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB) und der Mandant von der Person des Schuldners und von den den Anspruch begründenden Umständen Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste (§ 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB), verjährt (vgl. BGH, Urteil vom 15. Dezember 2011 – IX ZR 85/10, WM 2012, 163 Rn. 14; Gehrlein, Anwalts- und Steuerberaterhaftung, 2. Aufl., S. 150).
a) Eine Kenntnis der den Anspruch begründenden Umständen im Sinne des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB liegt nicht schon dann vor, wenn dem Mandanten Umstände bekannt werden, nach denen zu seinen Lasten ein Rechtsverlust eingetreten ist. Er muss auch Kenntnis von solchen Tatsachen erlangen, aus denen sich für ihn – zumal wenn er juristischer Laie ist – ergibt, dass der Rechtsberater von dem üblichen rechtlichen Vorgehen abgewichen oder er Maßnahmen nicht eingeleitet hat, die aus rechtlicher Sicht zur Vermeidung eines Schadens erforderlich waren (BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – IX ZR 245/12, zVb in BGHZ, Umdruck S. 6; vgl. auch Gehrlein, aaO S. 153; Chab in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fischer/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 1472, 1481; Fahrendorf in Fahrendorf/Mennemeyer/Terbille, Die Haftung des Rechtsanwalts, 8. Aufl., Rn. 1108; Gräfe/Lenzen/Schmeer, Steuerberaterhaftung, 5. Aufl., Rn. 874). Allein dies wird der Rechtsberaterhaftung gerecht; nicht die anwaltliche Beratung, sondern erst der Pflichtverstoß des Rechtsberaters begründet den gegen ihn gerichteten Regressanspruch (BGH, Urteil vom 6. Februar 2014, aaO; Chab, BRAK 2010, 208, 209).
b) Die vom Berufungsgericht vertretene Ansicht, die bloße Kenntnis der anwaltlichen Beratung und der ihr zugrundeliegenden Umstände reichten zur Kenntnis der den Anspruch begründenden Umstände aus (ebenso OLG Stuttgart, WM 2010, 1330; OLG Hamm, GI aktuell 2012, 111, 116), greift demgegenüber zu kurz (vgl. auch BGH, Urteil vom 6. Februar 2014, aaO Umdruck S. 7). Die Fachkunde des Rechtsanwalts und das Vertrauen seines Auftraggebers begründen im Rahmen eines Anwaltsvertrages typischerweise eine Überlegenheit des Anwalts gegenüber seinem regelmäßig rechtsunkundigen Mandanten (Zugehör/Chab, aaO Rn. 1385). Der Mandant hat seine rechtlichen Belange dem dazu berufenen Fachmann anvertraut und kann daher dessen etwaige Fehlleistungen – eben wegen seiner Rechtsunkenntnis – nicht erkennen (BGH, Urteil vom 6. Februar 2014, aaO Umdruck S. 6; vom 12. Dezember 2002 – IX ZR 99/02, WM 2003, 928, 930). Ohne Kenntnis von Tatsachen, die aus seiner Sicht auf eine anwaltliche Pflichtverletzung deuten, hat er keine Veranlassung, die anwaltliche Leistung in Frage zu stellen.
2. Gemessen an diesen Grundsätzen durfte das Berufungsgericht mit seiner Begründung nicht davon ausgehen, die Klägerin habe Kenntnis im Sinne von § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB bereits im Jahr 2006 erlangt. Das Berufungsgericht hat für den Beginn der kenntnisabhängigen Verjährung die bloße Kenntnis des Inhalts der anwaltlichen Beratung und der ihr zugrundeliegenden tatsächlichen Umstände ausreichen lassen. Dies genügt nicht, um den Lauf der Verjährung zum Jahresende 2006 in Gang zu setzen (vgl. BGH, Urteil vom 6. Februar 2014 – IX ZR 245/12, zVb in BGHZ). Dass bereits die Tatsachenkenntnis der Klägerin einen Beratungsfehler nahe legte oder gar eine Falschberatung erkennbar machte, führt das Berufungsgericht nicht aus.
Das Urteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Anders als die Revisionserwiderung meint, fehlt es nicht an einem Sachvortrag der Klägerin zu einer anwaltlichen Pflichtverletzung.
1. Dem steht nicht entgegen, dass die Revision den gegen den Beklagten erhobenen Vorwurf nicht aufrecht erhält, dieser habe das Rechtsmittel ohne Zustimmung der Klägerin zurückgenommen. Die Revision nimmt die Feststellung des Berufungsgerichts hin, der Beklagte habe das Rechtsmittel mit Zustimmung der Klägerin zurückgenommen. Sie wendet sich auch nicht gegen die Annahme, die Klägerin müsse sich die entsprechende Erklärung ihrer Tochter anlässlich eines Telefonats vom 21. Dezember 2006 nach den Grundsätzen der Anscheins- und Duldungsvollmacht (vgl. BGH, Urteil vom 14. Mai 2002 – XI ZR 155/01, WM 2002, 1273, 1274 f; vom 10. März 2004 – IV ZR 143/03, WM 2004, 922, 924; vom 5. Juli 2012 – III ZR 116/11, WM 2012, 1482 Rn. 14 jeweils mwN) zurechnen lassen. Hierzu ist festgestellt, dass die Tochter nicht nur mit dem Beklagten telefoniert, sondern auch im Auftrag der Klägerin mit dem Beklagten Korrespondenz geführt und dies gegenüber dem Beklagten auch angekündigt hatte. Dass insoweit Anknüpfungspunkte für eine Anwendung der Grundsätze der Anscheins- und Duldungsvollmacht fehlen, behauptet die Revisionserwiderung nicht.
2. Die Revision stützt die behauptete anwaltliche Pflichtverletzung darauf, der Beklagte habe der Tochter der Klägerin die unzutreffende Auskunft erteilt, die Nichtzulassungsbeschwerde habe keine Aussicht auf Erfolg, weil der Fehler beim früheren Prozessbevollmächtigten der Klägerin und nicht bei dem Gericht liege; der Beklagte habe bei dieser Auskunft den absoluten Revisionsgrund des § 72 Abs. 2 Nr. 3 ArbGG übersehen. Auch habe er der Klägerin die unzutreffende Auskunft erteilt, die Rücknahme des eingelegten Rechtsmittels sei schon aus Kostengründen geboten, es stehe noch eine Beschwerdemöglichkeit offen. Der Einwand der Revisionserwiderung, eine Pflichtverletzung könne hierauf nicht gestützt werden, weil diese Falschberatungen nach dem klägerischen Vortrag allein im Rahmen eines zwischen dem Beklagten und der Tochter geführten Telefongesprächs am 21. Dezember 2006 erfolgt sein solle und die Klägerin zugleich bestritten habe, dass die Tochter als ihre Vertreterin gehandelt und über eine Vollmacht zur Abgabe einer Zustimmung zur Rechtsmittelrücknahme verfügt habe, greift nicht durch. Die Äußerungen des Beklagten waren für die Klägerin bestimmt. Falls die Tochter keine Vertretungsmacht der Klägerin hatte, war sie jedenfalls deren Empfangsbotin.
Die Sache ist nicht zur Endentscheidung reif. Das Berufungsgericht hat bislang offengelassen, ob die von der Klägerin geltend gemachten Pflichtverletzungen und Schäden vorliegen. Das Berufungsurteil ist deshalb aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO) und die Sache an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).