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Fluggastrechteverordnung – Rückflug aus einem Nichtmitgliedsstaat

LG Stuttgart – Az.: 5 S 30/17 – Urteil vom 03.08.2017

1. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts Nürtingen vom 24.01.2017, Aktenzeichen 10 C 1273/16, wird zurückgewiesen.

2. Die Kläger tragen die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziff. 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Nürtingen ist ohne Sicherheitsleistung ebenfalls vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird festgesetzt auf 1.037,11 EUR.

Gründe

I.

Die Kläger begehren mit der Klage die Bezahlung von Ausgleichsansprüchen nach der Verordnung (EG) 261/2004 (im Folgenden: FluggastrechteVO) von der Beklagten im Zusammenhang mit einem Flug vom 30.08.2015 von Antalya nach Stuttgart, durchgeführt von der Beklagten. Beim Flug handelte es sich um den Rückflug im Rahmen einer bei einem Reiseveranstalter gebuchten Pauschalreise in die Türkei.

Das Amtsgericht Nürtingen hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Anwendungsbereich nach Art. 3 Abs. 1 der FluggastrechteVO sei nicht eröffnet.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Kläger im Wesentlichen mit der Begründung, Art. 3 Abs. 1 FluggastrechteVO sei bei einer Pauschalreise im Wege der ergänzenden Auslegung so auszulegen, dass Hin- und Rückreise einheitlich zu bewerten seien, die FluggastrechteVO also auch für Flüge eines Luftfahrtunternehmens, das keines der Gemeinschaft ist, mit Abflug in einem Nichtmitgliedsstaat unter die FluggastrechteVO fielen.

Auf die tatsächlichen Feststellungen des angefochtenen Urteils wird gem. § 540 Abs. 1 ZPO Bezug genommen. Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO verzichtet.

II.

Die Berufung ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt. Auch wird der nach § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Wert des Beschwerdegegenstands über 600,00 Euro erreicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist bei einer subjektiven Klagehäufung die Beschwer aller Streitgenossen, soweit es sich nicht um wirtschaftlich identische Streitgegenstände handelt, zusammenzurechnen (grundlegend BGH, NJW 1984, 972 f.). Entsprechend ist vorliegend eine Beschwer in Höhe von 1.037,11 EUR gegeben.

In der Sache hat die Berufung der Kläger jedoch keinen Erfolg.

Das angegriffene Urteil beruht weder auf einer Rechtsverletzung (§§ 513 Abs. 1, 546 ZPO) noch rechtfertigen die in der Berufungsinstanz zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung (§ § 513 Abs. 1, 529 ZPO).

1. Das angefochtene Urteil erweist sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des EuGH zur Auslegung der FluggastrechteVO als richtig. Die Kläger zeigen die Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Verordnung auf den in Rede stehenden konkreten Sachverhalt nicht auf.

a) Die tatsächlichen Voraussetzungen einer Anwendbarkeit der Verordnung gemäß Art. 3 Abs. 1 b i.V.m. Art. 2 c der FluggastrechteVO sind von den insoweit darlegungs- und beweisbelasteten Klägern nicht dargetan: Die Beklagte müsste dann nämlich ein „Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft“ darstellen und hierfür eine gültige Betriebsgenehmigung im Sinne der Verordnung über die Erteilung von Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen aufweisen. Dass eine solche gültige Betriebsgenehmigung vorliegt, machen die Kläger nicht geltend. Die Kläger stellen lediglich darauf ab, die Beklagte unterhalte in Düsseldorf eine Niederlassung. Dies genügt den Voraussetzungen des Art. 3 Abs. 1 b der FluggastrechteVO jedoch nicht.

b) Auch eine Anwendbarkeit nach Art. 3 Abs. 1 a FluggastrechteVO liegt nicht vor. Der streitgegenständliche Flug wurde unstreitig nicht von einem Flughafen in einem Mitgliedsstaat der EU angetreten, der Flug erfolgte vielmehr von Antalya nach Stuttgart.

Fluggastrechteverordnung - Rückflug aus einem Nichtmitgliedsstaat
(Symbolfoto: Von Bogac Erkan/Shutterstock.com)

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 10.07.2008, Az. C-173/07, ausdrücklich entschieden, dass Art. 3 Abs. 1 a der Fluggastrechteverordnung dahin auszulegen ist, dass er nicht auf den Fall einer Hin- und Rückreise anwendbar ist, bei der die Fluggäste, die ursprünglich auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates den Flug angetreten haben, zu diesem Flughafen ab einem Flughafen in einem Drittstaat zurückreisen. Der Umstand, dass Hin- und Rückflug gemeinsam gebucht werden, wirkt sich auf die Auslegung dieser Bestimmung nicht aus (Leitsatz der Entscheidung, zit. nach juris). Entgegen der Ansicht der Berufung ergibt sich aus der Tatsache, dass die Kläger den Flug im Rahmen einer Pauschalreise gebucht haben, nichts anderes. Zwar ist der Berufung zuzugeben, dass die Reisenden einer Pauschalreise keinen Einfluss auf die Auswahl der Fluglinie haben, sie können also – einmal die Pauschalreise gebucht – nicht (mehr) durch Auswahl eines Luftfahrtunternehmens der Gemeinschaft sicherstellen, dass die FluggastrechteVO bei Hin- und Rückflug Anwendung findet. Abgesehen davon, dass diesem Nachteil auch Vorteile – wie beispielsweise ein günstiger Flugpreis – gegenüberstehen, ist es nach der Rechtsprechung des EuGH nicht möglich, dem Luftfahrtunternehmen den Ausgleich des Nachteils aufzuerlegen. Denn nach der eindeutigen Rechtsprechung des EuGH kommt es für die Frage der Anwendbarkeit der Verordnung auf den einzelnen Luftbeförderungsvorgang an, nicht aber auf das dem Flug zugrunde liegende Vertragsverhältnis oder den Begriff der „Reise“. Der EuGH führt in diesem Zusammenhang aus, der Begriff einer „Reise“, welche normalerweise Hin- und Rückreise umfasse, knüpfe an die Person des Fluggastes an. Der Begriff der „Reise“ sei jedoch im Wortlaut des Artikel 3 Abs. 1 a der FluggastrechteVO nicht enthalten, so dass er für dessen Auslegung grundsätzlich ohne Bedeutung sei (EuGH a.a.O., Rz. 41, zit. nach juris). Es handelt sich beim Ausgleichsanspruch nach der Fluggastrechteverordnung eben letztlich gerade um keinen vertraglichen Anspruch, sondern um einen Anspruch, der allein an den Luftbeförderungsvorgang anknüpft und nur die Gesamtheit der Fluggäste eines Fluges, der von einem bestimmten Luftfahrtunternehmen auf einer bestimmten Flugroute ausgeführt wird, in den Blick nimmt (so auch BGH, Urt. vom 13.11.2012, Az. X ZR 12/12, Rz. 13, zit. nach juris). Das Erfordernis der sogenannten „bestätigten Buchung“ nach Art. 3 Abs. 2 FluggastrechteVO dient in diesem Zusammenhang alleine der Zuordnung des Ausgleichsanspruchs zum ausführenden Luftfahrtunternehmen; dass Fluggäste eine einheitliche Buchung vornehmen vermag sich auf die Eigenständigkeit der jeweiligen Flüge nicht auszuwirken (EuGH, a.a.O, Rz. 51, zit. nach juris). Nachdem der Entscheidung des EuGH also eindeutig zu entnehmen ist, dass ausschließlich auf den einzelnen Luftbeförderungsvorgang abzustellen ist und nicht auf zugrunde liegende Vertragsverhältnisse, und vorliegend im Hinblick auf Hin- und Rückflug der Kläger von einem einheitlichen Luftbeförderungsvorgang keine Rede sein kann, ist die Anwendbarkeit der FluggastrechteVO nicht begründet. Dies kann unzweifelhaft auch für den – bisher vom EuGH freilich nicht explizit entschiedenen Fall – einer einheitlichen Buchung von Hin- und Rückflug als Pauschalreise nicht anders gelten.

Insofern ist auch keine Vorlage der Rechtsfrage an den EuGH geboten. Die Auslegung der VO hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „Flug“ ist angesichts der hierzu ergangenen Entscheidungen des EuGH unzweifelhaft und klar, so dass für einen vernünftigen Zweifel keinerlei Raum bleibt (sog. „doctrine de l’acte claire“, z.B. EuGH, Urteil vom 01.10.2015, C-452/14, zit. nach juris; BVerfG, Urteil vom 04.10.2011, NJW 2012, 45 Rdnr. 51).

III.

Die Entscheidung zu den Kosten folgt aus § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10 Satz 1 und Satz 2, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EG ZPO.

Anlass, die Revision nach § 543 ZPO zuzulassen, besteht nicht. Der Grundsatz, dass die Anwendbarkeit der FluggastrechteVO für jeden Flug gesondert zu prüfen ist, ist auch bereits vom Bundesgerichtshof eindeutig entschieden (BGH, Urteil vom 28.05.2009, Az. Xa ZR 113/08 sowie Urteil vom 13.11.2012, Az. X ZR 12/12, jeweils zitiert nach juris). Soweit die Berufung sich auf gegenteilige Stimmen in der Rechtsprechung beruft, so sind die in diesem Zusammenhang angeführten Entscheidungen mit Ausnahme einer Entscheidung des LG Frankfurt vom 13.10.2006, Az. 3-2 O 51/06, bereits in der Sache nicht einschlägig. Die Entscheidung des LG Frankfurt aber datiert aus dem Jahr 2006 und ist damit vor den klarstellenden Entscheidungen des EuGH (EuGH 10.07.2008 a.a.O.) und des BGH (Urteil vom 13.12.2012, Aktenzeichen X ZR 12/12, zitiert nach juris) ergangen.

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