Haftung des Gebäudebesitzers für Sturmschäden durch abgestürzte Kaminbauteile
In dem vorliegenden Urteilsfall geht es um die Verantwortung von Gebäudeeigentümern für Schäden, die durch von ihrem Gebäude bei einem Sturm abgestürzte Bauteile, in diesem Fall Kaminbauteile, verursacht wurden. Ein Schlüsselproblem in diesem Fall ist die Grenze zwischen der Verantwortung des Gebäudebesitzers für die ordnungsgemäße Wartung und Sicherheit des Gebäudes und der Verantwortung für unvorhersehbare und außergewöhnliche Naturereignisse.
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Übersicht:
Die Erwartungen an den Gebäudeunterhalt
Nach der geltenden Rechtsprechung sind auch seltene und starke Stürme, einschließlich Sturmböen von Stärke 11 bis 12, in die Sicherheitserwägungen der Gebäudeunterhaltspflichtigen einzubeziehen. Dies bedeutet, dass ein Gebäudebesitzer erwartet wird, sein Gebäude so zu pflegen und zu sichern, dass es auch unter solchen extremen Wetterbedingungen standhält und keine Gefahr für die Umgebung darstellt.
Die Rolle des Schornsteinfegers
Eine wichtige Überlegung in diesem Fall betrifft die Rolle und Verantwortung des Schornsteinfegers. Laut Gesetz umfassen die Aufgaben eines Schornsteinfegers die Überprüfung, Prüfung und Begutachtung von Schornsteinen in Bezug auf ihre Feuersicherheit. Es wird jedoch klargestellt, dass die Überprüfung der Standsicherheit eines Schornsteins nicht in den Aufgabenbereich eines Schornsteinfegers fällt, sondern in die Hand eines Baubetriebes oder gegebenenfalls eines Dachdeckers gehört. Die Tatsache, dass Schornsteinfeger gelegentlich auch Kamine reparieren, ändert nichts an dieser Zuständigkeitsverteilung.
Konsequenzen für den Gebäudebesitzer
Die Tatsache, dass die Überprüfung der Standsicherheit eines Kamins nicht zum Aufgabenbereich des Schornsteinfegers gehört, hat direkte Konsequenzen für den Gebäudebesitzer. In diesem Fall bedeutet das, dass der Eigentümer eines Gebäudes dafür verantwortlich ist, die Standsicherheit des Kamins zu gewährleisten, insbesondere in Anbetracht möglicher starker Stürme. Sollte ein Teil des Kamins bei einem Sturm herunterfallen und einen Schaden verursachen, kann der Eigentümer des Gebäudes dafür haftbar gemacht werden.
Zusammenfassung und Ausblick
Insgesamt zeigt dieses Urteil, dass die Verantwortung für die Sicherheit eines Gebäudes, einschließlich aller seiner Teile wie dem Kamin, beim Eigentümer des Gebäudes liegt. Es verdeutlicht auch, dass Gebäudebesitzer in ihrer Pflicht zur Instandhaltung auch seltene und extreme Naturereignisse wie starke Stürme berücksichtigen müssen. Das bedeutet, dass Gebäudebesitzer nicht nur für die Instandhaltung ihrer Gebäude, sondern auch für die Beauftragung geeigneter Fachleute zur Überprüfung der Standsicherheit von Bauteilen wie dem Kamin verantwortlich sind.
Das vorliegende Urteil
AG Grevenbroich – Az.: 11 C 115/99 – Urteil vom 02.08.1999
Tatbestand
(aus Wohnungswirtschaft und Mietrecht WuM)
Der Kläger war Mieter einer Wohnung im Hause der Beklagten.
Am 4. 1. 1998 hatte er seinen PKW auf dem ihm zugewiesenen Parkplatz auf dem Grundstück der Beklagten abgestellt.Gegen 22.30 Uhr fielen durch Windeinwirkung zunächst Teile des Kamins, dann der ganze Kamin vom Dach des Hauses der Beklagten herunter auf das Auto des Klägers.
Mit der Klage verlangt der Kläger von der Beklagten Ersatz seines Schadens, bestehend aus dem Fahrzeugschaden gemäß Gutachten 6384,05 DM, den Sachverständigenkosten 661,25 DM und Kostenpauschale 40,- DM. Der Kläger behauptet, der Schaden sei Folge mangelnder Unterhaltung des Gebäudes durch die Beklagte gewesen.
Die Beklagte behauptet, am Schadenstag habe ein außergewöhnlich starker Sturm geherrscht;der Schaden sei auf „höhere Gewalt“ zurückzuführen und von der Beklagten deshalb nicht zu verantworten. Sie habe den Schornstein regelmäßig, zuletzt am 20. 11. 1998, durch ihren Schornsteinfegermeister S., einen zuverlässigen Fachkundigen, überprüfen lassen.
Entscheidungsgründe
Der mit der Klage geltend gemachte Schadenersatzanspruch ist dem Grunde nach gemäß § 836 Abs. 1 BGB, 3. Alt. („Ablösung“) gerechtfertigt.
Die herabgestürzten Teile des Kamins, die den PKW des Klägers beschädigt haben, waren Teile des Gebäudes der Beklagten.Für die entstandenen Schäden am PKW des Klägers ist die Beklagte als Besitzerin des Gebäudes verantwortlich und schadenersatzpflichtig. Denn es ist nach dem unstreitigen Sachverhalt davon auszugehen, dass die Ablösung der Gebäudeteile eine Folge mangelhafter Gebäudeunterhaltung war.
Zwar trägt für die mangelhafte Unterhaltung des Gebäudes zunächst der Kläger als Geschädigter die Darlegungs- und Beweislast. Insoweit kommen ihm jedoch die Grundsätze des Anscheinsbeweises zu Hilfe. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung spricht ein Loslösen von Gebäudeteilen infolge Witterungseinwirkung für eine fehlerhaft errichtete oder mangelhaft unterhaltene bauliche Anlage (BGHZ 58, 149, 154; BGH NJW 1993, 1782, 1783 (= WM 1993, 273)). Diese Vermutung findet ihre Grenze nur an einem außergewöhnlichen Naturereignis, mit dem der Unterhaltspflichtige eines Bauwerkes nicht rechnen muss. Die Rechtsprechung geht davon aus, dass auch Stürme und Sturmböen von einer Stärke 11 bis 12, die statistisch nur selten auftreten, in Betracht kommen und in die Sicherheitserwägungen des Gebäudeunterhaltspflichtigen einzubeziehen sind (BGH NJW 1961, 1670 f. und VersR 1976, 66 f.; OLG Düsseldorf VersR 1975, 94 f.; LG Köln VersR 1969, 178 f.; LG Hamburg VersR 1970, 579; vgl. Weimar in VersR 1966, 25). Für ein so außergewöhnliches Naturereignis, welches die Beklagte in Anlehnung an verschiedene Versicherungsbedingungen (z. B. § 2 Nr. 2 f AVBR-Reisegepäck; § 2.1.1 AMB-Allgemeine Maschinenversicherungsbedingungen; § 1 Flusskasko -Versicherungspolice auf Kasko für die Schifffahrt auf Binnengewässern; vgl. ferner § 233 Abs. 2 ZPO a. F.) „höhere Gewalt“ nennt und mit dem sie nicht habe rechnen müssen, hat die Beklagte nichts dargetan.Sie hat nicht einmal versucht, die am 4. 1. 1998 tatsächlich herrschende Windstärke vorzutragen. Bauwerke müssen so sicher sein, dass sie witterungsmäßigen, atmosphärischen und tektonischen Einflüssen standhalten, die auch im Rheinland nach der Lebenserfahrung auftreten.
Die Ersatzpflicht der Beklagten ist nicht nach § 836 Abs. 1 S. 2 BGB ausgeschlossen. Die Beklagte hat nicht dargetan, dass sie zum Zwecke der Abwendung der Gefahr die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beachtet habe. Die Beklagte hat zwar in ihrem letzten Schriftsatz vom 26. 7. 1999 jetzt nachprüfbar vorgetragen, dass sie den Kamin regelmäßig, zuletzt am 20. 11. 1997, durch den Schornsteinfeger habe überprüfen lassen.Eine solche Überprüfung reicht jedoch nicht aus. An die Überprüfung sind hohe Anforderungen zu stellen (BGH NJW 1993, 1782, 1783 (= WM 1993, 273)), insbesondere auch an die Qualifikation des überprüfenden Fachmannes.Soweit die Beklagte geltend macht, der Bezirksschornsteinfegermeister S. habe in ihrem Auftrag den Kamin nicht nur gereinigt und gewartet, sondern sich auch regelmäßig von dessen Standsicherheit überzeugt, ist der Schornsteinfeger für eine solche Prüfung nicht zuständig. Nach § 13 SchornsteinfegerG (Bekanntmachung der Neufassung vom 10. 8. 1998 – BGBl. I 2071, 2075) umfassen die Aufgaben des Bezirksschornsteinfegermeisters die Überprüfung, Prüfung und Begutachtung sämtlicher Schornsteine … auf ihre Feuersicherheit – Feuerstättenschau, die Brandverhütung, die Überprüfung von Schornsteinen auf dem Gebiete des Immissionsschutzes, die Überwachung von Feuerungsanlagen hinsichtlich der Anforderungen an heizungs- und raumluft-technische Anlagen; nach § 13 Abs. 2 S. 1 dürfen andere als in dem Gesetz aufgeführte Arbeiten dem Bezirksschornsteinfegermeister nur übertragen werden, soweit dies durch Rechtsvorschriften des Bundes zugelassen ist. Aus § 13 Abs. 2 S. 2 ergibt sich, dass dabei nur an Überprüfungs-, Mess- und Überwachungsarbeiten zum Zwecke der Erhaltung der Feuer-, Betriebs- und Brandsicherheit, zum Zwecke des Umweltschutzes und der rationellen Energieverwendung gedacht ist. Nicht dazu gehörende Tätigkeiten sind ihm nach § 14 Abs. 1 verboten.Die Überprüfung der Standsicherheit eines Schornsteins gehört nicht zum Aufgabenbereich des Schornsteinfegers, sondern in die Hand eines Baubetriebes, evtl. noch eines Dachdeckers. Dass Schornsteinfeger gelegentlich auch Kamine reparieren, ändert daran nichts, dass sie nicht dafür ausgebildet und nicht dafür zuständig sind, die statische Sicherheit eines Schornsteins zu beurteilen. (Das ist der Richter für das Erkennen, ob der Stuhl für einen Zeugen, der darauf Platz nehmen soll, eine Gefahr bedeutet, auch nicht). Die Tatsache, dass der Kamin der Klägerin nur ca. 6 Wochen nach der behaupteten Überprüfung durch den Schornsteinfeger einer stärkeren Windbelastung nicht stand hielt, bestätigt das nur.
Der Höhe nach ist die Klageforderung unstreitig.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
- Versicherungsrecht und Gebäudebesitzerhaftung Das vorliegende Urteil behandelt den Fall eines Schadens, der durch herabfallende Teile eines Kamins entstanden ist. Der Kläger wirft der Beklagten vor, dass der Schaden aufgrund mangelnder Gebäudeunterhaltung entstanden sei. Die Beklagte behauptet hingegen, dass ein außergewöhnlich starker Sturm der Auslöser war, was als „höhere Gewalt“ angesehen werden könnte. Höhere Gewalt wird im Versicherungsrecht als ein von außen kommendes, nicht vorhersehbares und auch durch äußerste, vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis definiert. Die Haftung des Gebäudebesitzers kann in diesem Fall eingeschränkt sein.
- Mietrecht Das Mietrecht ist hier involviert, da der Kläger Mieter der Wohnung im Hause der Beklagten war. In der Regel hat ein Mieter gegenüber dem Vermieter einen Anspruch auf Instandhaltung der Mietsache, was grundsätzlich auchdas Gebäude einschließt. Eine mögliche mangelhafte Gebäudeunterhaltung, wie sie vom Kläger behauptet wird, fällt damit in den Bereich des Mietrechts.
- Sachverhalt und Beweisführung Der Sachverhalt und die Beweisführung sind essentielle Teile des Zivilprozessrechts. In diesem Fall ist das Gericht mit unterschiedlichen Darstellungen des Sachverhalts konfrontiert: Während der Kläger behauptet, der Schaden sei aufgrund mangelnder Gebäudeunterhaltung entstanden, bestreitet die Beklagte dies und führt den Schaden auf „höhere Gewalt“ zurück. Es ist Aufgabe des Gerichts, den Sachverhalt festzustellen und auf dieser Basis eine Entscheidung zu treffen. Die Beweislastregelungen, z.B. wer in einem Prozess die Beweispflicht für bestimmte Tatsachen trägt, sind in den §§ 355 ff. ZPO geregelt.
- Dienstleistungsrecht Dies betrifft die Rolle des Schornsteinfegermeisters, der den Schornstein regelmäßig überprüft hat. Hier geht es um die Frage, inwieweit ein Dienstleister für möglicherweise mangelhafte Arbeit haftbar gemacht werden kann. In diesem speziellen Fall wird argumentiert, dass die Überprüfung der Standsicherheit eines Schornsteins nicht zum Aufgabenbereich des Schornsteinfegers gehört, sondern in die Hand eines Baubetriebes oder eines Dachdeckers fällt.