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Gemeindehaftung bei Glatteisunfall eines Fußgängers auf Fahrbahn

OLG Hamm – Az.: 11 U 63/18 – Beschluss vom 25.07.2018

Der Senat weist nach Beratung darauf hin, dass er beabsichtigt, die Berufung der Klägerin durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs.2 S.1 ZPO zurückzuweisen.

Der Klägerin wird Gelegenheit gegeben, binnen 3 Wochen nach Zugang dieses Beschlusses zu dem Hinweis Stellung zu nehmen oder die Berufung aus Kostengründen zurückzunehmen.

Was war passiert?

Gemeindehaftung bei Glatteisunfall eines Fußgängers auf Fahrbahn
(Symbolfoto: Miriam Doerr Martin Frommherz/Shutterstock.com)

Die Klägerin begehrt von der beklagten Gemeinde Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines Unfalls, bei dem sie am 1. Februar 2017 gegen 8 Uhr morgens in der T-Straße in B auf der Straße ausgerutscht ist. Die Klägerin behauptet, bei dem Sturz eine Subluxation des Zahns 21 erlitten zu haben. Das Landgericht wies die Klage mit der Begründung ab, dass der Kläger das Vorliegen allgemeiner rutschiger Straßenverhältnisse nicht hinreichend dargelegt habe. Der Kläger legte Berufung ein, machte unvollständige und unrichtige Tatsachenfeststellungen geltend und argumentierte, das Gericht hätte Zeugen befragen müssen, um festzustellen, ob an diesem Tag eine besondere Gefahr bestand. Das Berufungsgericht wies die Berufung jedoch mit der Begründung zurück, dass die Klägerin das Bestehen einer Räum- und Streupflicht nicht nachgewiesen habe und die Beweislast bei ihr liege, um das Bestehen der Pflicht zu beweisen, was sie nicht getan habe. Die Klage wurde abgewiesen.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von der beklagten Gemeinde Schadenersatz und Schmerzensgeld wegen eines Sturzes, der sich am 01.02.2017 gegen 8.00 Uhr in B, T-Straße, im Bereich des dort gelegenen Kindergartens ereignete. Die Klägerin stellte ihr Fahrzeug vor dem Grundstück des Kindergartens ab, stieg aus und ging um das Fahrzeug herum, wobei sie noch auf der Fahrbahn aufgrund einer glatten Stelle stürzte. Die Klägerin hat vor dem Landgericht behauptet, sie habe sich bei dem Unfall insb. eine Subluxation III. Grades des Zahnes 21 zugezogen. Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, eine Verletzung der der Beklagten obliegenden Räum- und Streupflicht sei nicht feststellbar, da die Klägerin eine allgemeine Straßenglätte schon nicht substantiiert vorgetragen habe. Wegen des weiteren Sachverhalts und der Begründung wird auf den Inhalt des angefochtenen Urteils vom 16.03.2018 Bezug verwiesen.

Mit ihrer fristgerechten und begründeten Berufung rügt die Klägerin die Vollständigkeit und Richtigkeit der Tatsachenfeststellung. Sie macht geltend, es sei am Unfalltag jahreszeitlich bedingt zu einer Glatteisbildung gekommen. Nach dem Sturz habe der Zeuge U die Unfallstelle großflächig gestreut, weil er insgesamt eine Glättebildung auf der Straße festgestellt habe. Im Übrigen habe sich nach den Angaben ihres Ehemannes, des Zeugen G, auch schon am Vorabend Straßenglätte gebildet. Das Landgericht hätte die Klage nicht ohne Einvernahme der benannten Zeugen zur Frage des Bestehens einer konkreten Gefahrenlage abweisen dürfen.

Sie beantragt unter Abänderung des angefochtenen Urteils

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 1.500,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.06.2017 zu zahlen;

2. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihr sämtliche materiellen Schäden aus dem Unfallereignis vom 01.02.2017 auf der T-Straße in B zu bezahlen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat nach einstimmiger Überzeugung des Senats offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Senats. Auch eine mündliche Verhandlung, von der neue entscheidungserhebliche Erkenntnisse nicht zu erwarten sind, ist nicht geboten, § 522 Abs.2 S.1 ZPO.

Das Landgericht hat die auf Schadenersatz und Schmerzensgeld gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Der Klägerin stehen gegen die beklagte Gemeinde keine Ansprüche aus § 839 BGB, i.V.m. Art.34 GG, §§ 9, 9a, 47 Abs.1 StrWG NRW, § 1 Abs.2 StrReinG NRW aufgrund des Unfallereignisses vom 01.02.2017 zu.

Der Klägerin obliegt es nach den Regeln über die Darlegungslast, die Voraussetzungen der Streupflicht und deren Versäumung darzutun und erforderlichenfalls zu beweisen (vgl. BGH NJW 2012, 2727 Tz.9; Palandt/Sprau, BGB, 77. Aufl., § 823 Rn.230). Das Landgericht hat zutreffend ausgeführt, dass die Klägerin das Bestehen einer Streupflicht am Unfalltag nicht schlüssig dargelegt hat. Auf Beweisfragen kommt es deshalb nicht an.

1.  Inhalt und Umfang der winterlichen Räum- und Streupflicht richten sich nach ständiger ober- und höchstrichterlicher Rechtsprechung nach den konkreten Umständen des Einzelfalls. Danach sind Art und Wichtigkeit des Verkehrsweges ebenso zu berücksichtigen wie seine Gefährlichkeit und die Stärke des zu erwartenden Verkehrs (BGH VersR 1991, 665; OLG Brandenburg, Urt. 02.03.2010, Az.: 2 U 6/08 Tz.24, zitiert nach juris). Allerdings gilt die den Kommunen obliegende Räum- und Streupflicht nicht uneingeschränkt, sondern steht sowohl in räumlicher als auch in zeitlicher Hinsicht unter dem Vorbehalt des Zumutbaren, so dass es namentlich auf die Leistungsfähigkeit des Sicherungspflichtigen ankommt (BGH NJW 2003, 3622 Tz.8). Ferner muss sich jeder Verkehrsteilnehmer – auch und gerade im Winter – den ihm erkennbar gegebenen Straßenverhältnissen anpassen (OLG Koblenz, Urt. v. 27.10.2010, Az.: 1 U 170/10, Tz.14, zitiert nach juris). Der Sicherungspflichtige hat aber durch Schneeräumen und Streuen mit abstumpfenden Mitteln die Gefahren, die infolge winterlicher Glätte für den Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Wegebenutzung und trotz Anwendung der im Verkehr erforderlichen Sorgfalt bestehen, im Rahmen und nach Maßgabe der genannten Grundsätze zu beseitigen (BGH VersR 1991, 665). Dabei ist seit langem anerkannt, dass im Bereich geschlossener Ortschaften die Fahrbahnen nur an verkehrswichtigen und gefährlichen Stellen bei Glätte zu bestreuen sind (BGH MDR 1998, 402, 403; BGH VersR 1991, 665; OLG Jena NZV 2001, 87; OLG Hamburg OLGR 2000, 224, 225). Derartige gefährliche Stellen lassen die Möglichkeit eines Unfalls selbst dann befürchten, wenn der Verkehrsteilnehmer die den spezifischen winterlichen Straßenverhältnissen angepasste gesteigerte Sorgfalt beachtet; das sind innerhalb von Ortschaften vor allem scharfe Kurven, Gefällstrecken, Straßenkreuzungen und -einmündungen sowie Str aßen an oder über Wasserläufen (BGHZ 40, 379 Tz.5, zitiert nach juris).

Die für die Sicherung des Fahrbahnverkehrs aufgestellten Erfordernisse (Verkehrsbedeutung und Gefährlichkeit des Fahrbahnbereiches) gelten indessen nicht für den Schutz des die Fahrbahn nutzenden Fußgängerverkehrs (OLG Hamm, Urt. v. 10.10.1995, 9 U 94/95, Tz.6, zitiert nach juris). Vielmehr hat die Rechtsprechung die Pflicht zur Sicherung des Fußgängerverkehrs dahin konkretisiert, dass außer auf Gehwegen, soweit auf ihnen nicht nur ein unbedeutender Verkehr stattfindet, auf den besonders gekennzeichneten Übergängen (§ 26 StVO: Zeichen 293 der Anl. 2 zu § 41 Abs. 1 StVO – „Zebrastreifen“) und auf sonstigen Fußgängerüberwegen gestreut werden muss, soweit diese belebt und unentbehrlich sind (BGH VersR 1991, 665; BGH, Beschl. v. 20.10.1994, Az.: III ZR 60/94, Tz.4 zitiert nach juris). Auch besteht grundsätzlich die Pflicht, in Wohngebieten außerhalb des Ortskerns an Straßeneinmündungen im Bereich von Gefällstrecken für Fußgänger wenigstens eine Möglichkeit zur gefahrlosen Überquerung der Fahrbahn zu schaffen, um ihnen etwa das Erreichen einer Bushaltestelle oder das Aufsuchen von Geschäften zu ermöglichen (BGH VersR 1991, 665; BGH VersR 1985, 568).

2.  Unter Anwendung der vorstehend ausgeführten Grundsätze ergibt sich in Bezug auf die von der Klägerin geltend gemachte Amtspflichtverletzung folgendes:

a)  Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, die T-Straße hätte schon deshalb gestreut werden müssen weil es sich um eine verkehrswichtige Straße mit der Dringlichkeitsstufe I handelt. Die für den öffentlichen Straßenraum geltenden Grundsätze sind nicht auf den Fußgängerverkehr übertragbar. Die Klägerin, die ihr Fahrzeug verlassen hat, fällt nicht in den Schutzbereich einer eventuell bestehenden Amtspflicht, die Fahrbahn für den Pkw-Verkehr zu räumen und zu streuen (OLG Hamm, Beschl. v. 30.12.2013, Az.: 11 U 72/13; OLG München, Beschl. v. 09.01.2007, Az.: 1 U 5665/06, Tz.1, zitiert nach juris; OLG München, Beschl. v. 13.06.2007, Az.: 1 U 2311/07; Möller VersR 2009, 1461).

b)  Die Klägerin hat auch nicht substantiiert vorgetragen, dass für die Beklagte zum Unfallzeitpunkt aus anderen Gründen die Amtspflicht bestand, die konkrete Unfallstelle zu streuen.

aa) Bei der Unfallstelle handelte es sich nicht um einen belebten und unentbehrlichen Fußgängerüberweg. Etwas anderes ergibt sich nicht daraus, dass die Straße sich in unmittelbarer Nähe zum Kindergarten befindet und – senatsbekannt – viele Eltern ihre Kinder mit dem PKW zu Kindergarten und Schule bringen. Daraus folgt nicht, dass die komplette Straße auch zum Schutz von Fußgängern geräumt und gestreut werden muss. PKW-Insassen müssen sich bei Aufsuchen oder Verlassen ihres Fahrzeugs vielmehr mit gesteigerter Eigensorgfalt auf der Straße bewegen.

bb) Selbst wenn man dies anders sehen wollte, hat die Klägerin zudem auch keinen Sachverhalt vorgetragen, aus dem sich ergibt, dass zur Zeit des Unfalls aufgrund der Wetter-, Straßen- oder Wegelage eine Streupflicht bestand und diese schuldhaft verletzt worden ist.

(1) Die winterliche Räum- und Streupflicht setzt eine konkrete Gefahrenlage voraus, d.h. eine Gefährdung durch Glättebildung bzw. Schneebelag. Eine Gefahrenlage kann sich – auch unabhängig von der Frage, ob eine allgemeine Glättebildung vorlag – aufgrund der herrschenden oder angekündigten Witterungsverhältnisse ergeben (vgl. OLG Hamm NZV 2005, 526). Es bestehen nach dem Klagevortrag jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass die beklagte Gemeinde am Unfalltag schon aufgrund der Witterungsverhältnisse verpflichtet war, die T-Straße zu streuen. Nach dem Vortrag der Klägerin herrschten zwar Temperaturen um den Gefrierpunkt. Dies allein begründet jedoch nicht die Gefahr von Straßenglätte. Dass es Niederschlag gab, behauptet die Klägerin nicht. Auch aus dem Umstand, dass der Zeuge G am Vorabend „Eisbildung auf der Straße“ bemerkt haben will, führt zu keiner anderen Beurteilung. Da die Klägerin diesen Vortrag in der mündlichen Verhandlung nicht konkretisieren konnte, können keine Rückschlüsse darauf gezogen, ob es sich nur um ein örtlich begrenztes Phänomen oder um eine großflächige Vereisung der Verkehrsflächen im Ortsgebiet B gehandelt hat, was die Beklagte auf jeden Fall zum Streuen von Fußgängerüberwegen hätte veranlassen müssen.

(2)  Es ist nach dem Klagevortrag auch nicht ersichtlich, dass eine Streupflicht der beklagten Gemeinde aufgrund allgemeiner Glätte bestand. Es gibt keinen Anhalt dafür, dass im Ortsgebiet B mehr als nur einzelne Glättestellen vorhanden waren.

Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, an ihrem Hausgrundstück keine Glättebildung bemerkt zu haben, obwohl es dort eine der Sonne abgewandte Stelle gebe, an der sich Glätte für gewöhnlich zuerst zeige. Es habe auch während der Fahrt von ihrem Haus zum Kindergarten keine Anzeichen für Glätte gegeben, weshalb sie beim Verlassen des Fahrzeugs von der Glätte überrascht worden sei.

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Auch aus dem Umstand, dass der Zeuge U die Sturzstelle „großflächig“ gestreut hat, kann nicht auf eine allgemeine Glättebildung im Ortsgebiet geschlossen werden, sondern allenfalls darauf, dass es in einem nicht näher bezeichnetem Bereich der T-Straße zur Glättebildung gekommen ist.

3.  Angesichts des unzureichenden Vortrags der Klägerin stellt die Entscheidung des Landgerichts, die vorbreitend geladenen Zeugen nicht zu vernehmen, keinen Verfahrensfehler dar. Eine Beweisaufnahme setzt schlüssigen und substantiierten Klagevortrag gerade voraus, sie dient nicht der Lückenfüllung und seiner Ergänzung.

Auf den Hinweisbeschluss vom 25.07.2018 wurde die Berufung zurückgenommen.

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