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Gerichtsverhandlung per Videokonferenz – Tonübertragung und keine Bildübertragung

OLG Saarbrücken – Az.: 4 U 48/20 – Urteil vom 15.07.2021

I. Die Berufung der Beklagten zu 1 gegen das am 29.5.2020 verkündete Urteil des Landgerichts Saarbrücken – 1 O 181/18 – wird zurückgewiesen.

II. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte zu 1.

III. Dieses Urteil und das angefochtene Urteil des Landgerichts sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte zu 1 darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115% des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 115% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe:

I.

Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines mit der Beklagten zu 1 im Jahr 2017 geschlossenen Vertrags über den Erwerb von Inhaberschuldverschreibungen aufgrund des im Jahr 2018 erklärten Widerrufs seiner Vertragserklärung.

Die Beklagte zu 1 ist eine luxemburgische Gesellschaft und Emittentin selbst aufgelegter Inhaberschuldverschreibungen. Die Beklagte zu 2 ist ebenfalls eine luxemburgische Gesellschaft mit einer Zweigniederlassung in F., die Dienstleistungen im Bereich der Kapitalanlage erbringt.

Der Kläger hatte in der Vergangenheit über die P. AG, eine schweizerische Vermögensverwaltungsgesellschaft, persönliches Barvermögen in verschiedenen Anlageformen angelegt. Die P. AG kündigte im März 2017 die Geschäftsbeziehung mit allen Privatkunden, so auch mit dem Kläger (Anlage K1, Blatt 36), wodurch ein Betrag in Höhe von 243.000 Euro frei wurde.

Mit Schreiben vom 13.6.2017 (Anlage K2, Blatt 37) wandte sich die V. d. c. GmbH in B. an den Kläger und stellte für eine Neuveranlagung des freigewordenen Vermögens die Kontaktaufnahme durch einen Betreuer im Wege eines persönlichen Gesprächs in Aussicht, wodurch

„Zugang zu einer der modernsten Anlageformen“

geschaffen werden könne,

„transparent in direktem Zugriff täglich einsehbar“,

„kurzfristig verfügbar durch tägliche Rücknahmen ohne Kosten seitens P.“

und

„niedrigste Nebenkosten durch M.“.

Untervermittlerin der V. d. c. GmbH war die F. Wirtschaftsberatungs GmbH mit Sitz in B., deren Mitarbeiter der im Laufe des Rechtsstreits verstorbene Zeuge P. war. Dieser war der Finanzberater des Klägers bei früheren Anlagegeschäften.

Der Kläger unterzeichnete am 15.5.2017 einen Konto- und Depoteröffnungsvertrag mit der Beklagten zu 2 (Anlage K3, Blatt 38). Er erhielt von der F. GmbH im Auftrag der Beklagten zu 2 eine schriftliche Anleitung zum Ausfüllen der Formulare (Anlage K 22, Blatt 159). Der Depotvertrag enthielt eine Widerrufsbelehrung für Verbraucher für den Fall des Vertragsschlusses im Wege des Fernabsatzes (Blatt 39 Rs.).

Am 3.7.2017 zeichnete der Kläger einen Kaufauftrag über 243 Inhaberschuldverschreibungen bezogen auf das Compartment P. 2017/… der Beklagten zu 1 (243 Stück P. 2017-…, …) zu einem Betrag von nominal 243.000 Euro (Anlage K 5, Blatt 42). Die genauen Umstände der Zeichnung sind zwischen den Parteien streitig, insbesondere ob dem an den Kläger übersandten Kaufauftrag die Widerrufsbelehrung (Fernabsatz) wie Anlage K 6 (Blatt 43) beigelegen hat.

Mit an den Kläger gerichteten Schreiben vom 23.8.2017 (Anlage K 7, Blatt 44) nahm die Beklagte zu 1 die Zeichnung an. Bezogen auf einen Tagespreis von 101,4430% war darin ein Gesamtbetrag von 246.506,49 Euro beziffert. Zugleich bestätigte die Beklagte zu 1 den Zahlungseingang. In dem Schreiben hieß es weiterhin: „Mit dieser Annahme beginnt die Widerrufsfrist von 14 Tagen. Zur Wahrung der Widerrufsfrist genügt die rechtzeitige Absendung des Widerrufs, wenn die Erklärung auf einem dauerhaften Datenträger (z.B. Brief, Telefax, E-Mail) erfolgt. Der Widerruf ist zu richten an die oben genannte Adresse.“.

Der Kläger zahlte den Kaufpreis in Höhe von 246.506,49 Euro. Die erworbenen Inhaberschuldverschreibungen wurden vertragsgemäß auf das bei der Beklagten zu 2 geführte Depot übertragen.

Die streitgegenständlichen Inhaberschuldverschreibungen der Beklagten zu 1 haben ausweislich des Emissionsprospekts (Anlage B 1-1, Blatt 192) sowie des Produktinformationsblatts (Anlage B 1-2 Blatt 251) eine feste Laufzeit und werden zum 31.12.2030 als Rückzahlungstermin fällig. Sie verleihen dem Inhaber das Recht, von der Beklagten zu 1 als Emittentin, handelnd für Rechnung des Compartments 2017/…, einem rechtlich unselbstständigen vertraglichen Sondervermögen der Beklagten zu 1, nach Maßgabe der Emissionsbedingungen die Zahlung eines Zinsbetrags sowie des Rückzahlungsbetrages zu verlangen. Diese Zahlungen stehen in Abhängigkeit von einer Referenzanlage. Referenzgesellschaft ist die S. … 2016/… SA, deren Alleingesellschafterin (M. S. (Suisse) GmbH) zugleich auch Alleingesellschafterin der Beklagten zu 1 ist. Zweck der Gesellschaft ist u.a. die „Beteiligung an Wertpapier- und Immobilienopportunitäten“ (Blatt 200 Rs.). Nach den Prospektangaben ist kein Handel der Inhaberschuldverschreibungen auf einem regulären Markt vorgesehen und gewährleistet.

Anfang des Jahres 2018 stellte die V. D. C. ihre Arbeit ein; sie teilte den Anlegern mit, dass die Inhaberschuldverschreibungen vom Handel ausgesetzt worden seien. Es folgten staatsanwaltschaftliche Ermittlungen gegen Verantwortliche des P.-Unternehmensverbunds aufgrund des Verdachts des Kapitalanlagebetrugs nach Art eines Schneeballsystems.

Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 5.3.2018 ließ der Kläger den Kaufauftrag gegenüber der Beklagten zu 1 und seine gegenüber der Beklagten zu 2 abgegebene Vertragserklärung zwecks Eröffnung eines Kontos widerrufen. Hilfsweise erklärte er die Kündigung des Wertpapierkaufauftrags (Anlagen K 12 und K 13, Blatt 50).

Der Kläger hat behauptet, die streitgegenständlichen Verträge mit beiden Beklagten seien im Rahmen des Fernabsatzes, nämlich ausschließlich auf postalischem Weg, zustande gekommen. Mit dem Zeugen P. habe bis auf ein einziges der Übersendung der Unterlagen vorangegangenes Telefonat kein unmittelbarer persönlicher Kontakt stattgefunden. Dem ihm übersandten Kaufauftrag habe die Widerrufsbelehrung wie Anlage K 6 (Blatt 43) beigelegen.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, aufgrund der fehlerhaften Widerrufsbelehrung habe er die Verträge noch im Jahr 2018 wirksam widerrufen können. Aufgrund des im Fernabsatz erfolgten Vertragsschlusses stehe ihm ein gesetzliches Widerrufsrecht gemäß § 312g BGB zu. Jedenfalls aber habe die Beklagte zu 1 ihm mit Übersendung der Widerrufsbelehrung ein vertragliches Widerrufsrecht eingeräumt. Ferner stehe ihm auch ein Widerrufsrecht nach § 305 KAG zu.

Das Landgericht hat am 30.11.2018 im schriftlichen Vorverfahren durch die Vorsitzende als Einzelrichterin ein Teilversäumnisurteil gegen die Beklagte zu 1 gemäß § 331 Abs. 3 ZPO erlassen, mit dem diese verurteilt wurde, gesamtschuldnerisch haftend mit der Beklagten zu 2 aus dem Rückgewährschuldverhältnis nach Widerruf des Kaufvertrages vom 3.7./23.8.2017 an den Kläger 243.000 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.4.2018 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe der den Gegenstand dieses Kaufvertrages bildenden Inhaberschuldverschreibungen (243 Stück P. 2017-…, …). Gegen das ihrem Prozessbevollmächtigten am 10.12.2018 zugestellte Urteil hat dieser am 24.12.2018 Einspruch eingelegt.

Aufgrund der Säumnis der Beklagten zu 1 in der mündlichen Verhandlung vom 8.11.2019 erging erneut ein Teilversäumnisurteil identischen Inhalts, welches der Beklagten zu 1 am 12.11.2019 zugestellt wurde und gegen das sie am 26.11.2019 Einspruch eingelegt hat.

Gerichtsverhandlung per Videokonferenz - Tonübertragung und keine Bildübertragung
(Symbolfoto: Andrey_Popov/Shutterstock.com)

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1. das Teilversäumnisurteil vom 8.11.2019 mit folgender Maßgabe aufrechtzuerhalten: Die Beklagte zu 1 zu verurteilen, aus dem Rückgewährverhältnis des am 5.3.2018 widerrufenen Kaufvertrages zum Erwerb der Inhaberschuldverschreibungen in Höhe von 243.000 Euro mit der Beklagten zu 1 vom 3.7./23.8.2017 an den Kläger 246.506,49 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 4.4.2018 Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche auf Herausgabe der Inhaberschuldverschreibungen zu zahlen;

2. die Beklagte zu 2 zu verurteilen, aus dem Rückgewährverhältnis des am 5.3.2018 widerrufenen Kontoeröffnungs- und Depotvertrages vom 15.5.2017 an den Kläger 3.908,94 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 4.4.2018 zu zahlen;

3. die Beklagte zu 2 zu verurteilen, aus dem Rückgewährverhältnis des am 5.3.2018 widerrufenen Kontoeröffnungs- und Depotvertrages vom 15.5.2017 an den Kläger die unter der Kto.-Nr. ~5 deponierten Inhaberschuldverschreibungen an der Beklagten zu 1 im Nominalwert von 243.000 Euro an den Kläger herauszugeben; festzustellen, dass die Beklagte zu 2 mit der Annahme des Angebots auf Herausgabe bzw. Übertragung der Inhaberschuldverschreibungen an die Beklagte zu 1 seit dem 15.3.2018 in Verzug ist;

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4. die Beklagte zu 2 zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 3.509,19 Euro zu zahlen.

Die Beklagte zu 1 hat beantragt, das Teilversäumnisurteil vom 8.11.2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 2 hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1 hat gerügt, das Landgericht Saarbrücken sei weder örtlich noch international zuständig. Sie hat ferner die Auffassung vertreten, sie sei bereits nicht passivlegitimiert, da sie als reine Verbriefungsgesellschaft nach luxemburgischen Recht lediglich auf Rechnung des Compartments 2017/… Gelder der Referenzgesellschaft S. … 2016-… SA zur Verfügung gestellt habe.

Sie hat behauptet, zwischen dem Zeugen P. und dem Kläger habe ein persönliches Beratungsgespräch in den Geschäftsräumlichkeiten des Zeugen in B. stattgefunden. Zudem liege ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem nicht vor, denn sämtliche Vermittler seien gehalten gewesen, die Kunden persönlich zu besuchen.

Im Übrigen stehe dem Kläger ein Widerrufsrecht nach § 312g Abs. 1 BGB nicht zu, denn vorliegend greife die Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB, weil der Preis der Inhaberschuldverschreibungen Wertschwankungen unterliege. Dem Kläger habe auch keine Widerrufsbelehrung vorgelegen; die als Anlage K6 vorgelegte Belehrung stelle vielmehr eine teilweise Kopie einer Widerrufsbelehrung aus einem anderen Verfahren dar (Anlage B1-3, Blatt 328). Die in der Widerrufsbelehrung in Bezug genommenen Informationspflichten seien mit der Überlassung des Emissionsprospekts (Anlage B 1-1, Blatt 192) sowie des Produktinformationsblatts (Anlage B 1-2 Blatt 251) erfüllt worden.

In der vor der Vorsitzenden als Einzelrichterin durchgeführten mündlichen Verhandlung vom 15.2.2019 haben die Parteien die Anwendbarkeit deutschen Rechts vereinbart. Beide Beklagten haben außerdem ausdrücklich ihre zuvor schriftsätzlich vorgebrachte Rüge der örtlichen Unzuständigkeit des Landgerichts Saarbrücken fallen gelassen. Mit Beschluss vom 18.4.2019 hat das Landgericht festgestellt, dass die Zuständigkeit der Kammer gem. § 348 Abs. 2 Nr. 2b ZPO gegeben sei.

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin N.- B.. Mit dem am 29.5.2020 verkündeten Urteil hat es unter Abweisung der weitergehenden Klage das Teilversäumnisurteil vom 8.11.2019 gegen die Beklagte zu 1 teilweise aufgehoben und dahingehend neu gefasst, dass die Beklagte zu 1 verurteilt wird, aus dem Rückgewährverhältnis des am 5.3.2018 widerrufenen Kaufvertrages zum Erwerb der Inhaberschuldverschreibungen in Höhe von 243.000 Euro mit der Beklagten zu 1 vom 3.7./23.8.2017 an den Kläger 246.506,49 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz dem 5.4.2018 Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche auf Herausgabe der Inhaberschuldverschreibungen zu zahlen. Ferner hat es die Beklagte zu 2 verurteilt, aus dem Rückgewährverhältnis des am 5.3.2018 widerrufenen Kontoeröffnungs- und Depotvertrages vom 15.5.2017 an den Kläger 1.912,87 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 27.6.2018 zu zahlen sowie die unter der Kto.-Nr. ~5 deponierten Inhaberschuldverschreibungen der Beklagten zu 1 im Nominalwert von 243.000 Euro an den Kläger herauszugeben.

Der Senat nimmt gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen des Urteils Bezug.

Die Beklagte zu 1 hat hiergegen Berufung eingelegt, mit der sie ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag weiterverfolgt. Sie rügt, die letzte mündliche Verhandlung vom 11.5.2020 habe im Wege der Videokonferenz stattgefunden, ohne dass – wie in § 128 a ZPO vorausgesetzt – eine Anwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Klägers unter gleichzeitiger Übertragung von Bild und Ton gewährleistet gewesen sei. Dieser sei, wie sich auch aus dem Sitzungsprotokoll ergebe, lediglich im Wege der Tonübertragung anwesend gewesen. Ihre Verurteilung könne aufgrund dieses Verfahrensfehlers nicht auf den Inhalt der Verhandlung in diesem Termin gestützt werden.

In der Sache selbst sei das Landgericht rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass dem Kläger ein gesetzliches Widerrufsrecht aus § 312g Abs. 1 BGB zugestanden habe, dem die Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB nicht entgegenstehe.

Hierbei sei es zunächst aufgrund einer falschen Beweiswürdigung, insbesondere aufgrund einer fehlerhaften Würdigung der Aussage der Zeugin N.- B., davon ausgegangen, dass der Vertragsabschluss im Wege des Fernabsatzgeschäfts erfolgt und dass die in Rede stehende Widerrufsbelehrung dem Kaufauftrag beigefügt gewesen sei. Der Zeugin seien die weiteren Fassungen der Dokumente nicht vorgehalten worden, weil das Gericht trotz der Säumnis der Beklagten zu 1 im Termin die Beweisaufnahme durchgeführt habe. Die Annahme des Landgerichts, dass die Unterschriftsleistung auf der Kopie Anlage K6 mit einem Abtrennen und Zurückschicken der Empfangsbekenntnisse erklärt werden könne, erschließe sich nicht; dies stehe auch im Widerspruch zum klägerischen Vortrag, wonach er die komplette Erklärung an den Zeugen P. übersandt habe, ohne ein Dokument zurückzubehalten.

Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht die Voraussetzungen der Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB verneint. Es habe den Inhalt des Emissionsprospekts nur unvollständig zugrunde gelegt und fehlerhaft gewürdigt und infolgedessen angenommen, die Beklagte zu 1 bzw. deren Organe hätten einen derartigen Einfluss auf die Wertentwicklung der Referenzgesellschaft und die von dieser getätigten Investments, dass auch deren Wertentwicklung im Herrschaftsbereich der Beklagten zu 1 gelegen habe. Hierbei habe es nicht beachtet, dass an anderen Stellen des Prospekts (insbesondere auf Seite 51 unter Ziffer VI, auf Seite 55 unter Ziffer 1.6.2, auf Seite 58 unter Ziffer 1.12, auf Seite 88 unter Ziffer 5.2) weitere Angaben dazu erfolgt seien, die dem Verbraucher ermöglicht hätten, die Rückzahlung am Laufzeitende zu berechnen. Unzutreffend sei es davon ausgegangen, dass eine Anpassung der Berechnungsmethoden willkürlich und in einziger Abhängigkeit von der Alleingesellschafterin erfolgen könne.

Rechtsfehlerhaft habe das Landgericht weiterhin angenommen, dass der Gläubiger keine Möglichkeit habe, durch Beobachtung des allgemeinen Marktgeschehens erkennen zu können, wie sich der Wert seiner Inhaberschuldverschreibungen entwickele. Dies könne deshalb kein sinnvolles Kriterium darstellen, um eine Abhängigkeit der Wertentwicklung von der Beklagten zu 1 zu begründen, weil aufgrund der gewählten Breite der Anlagestrategie und Anlagemöglichkeiten der Referenzgesellschaft, insbesondere beim Einsatz von derivativen Instrumenten, also möglichen Wetten auf Entwicklungen von den verschiedensten Basiswerten, auch keine sachkundige Person hierzu in der Lage sei. Im Übrigen habe, wie unstreitig, die Referenzgesellschaft auch an Kapitalmärkten direkt investiert, zumindest bis zum 31.12.2018. Insbesondere bei diesen Investments, welche ihrerseits Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterlägen, sei eine Einflussnahme durch die Gesellschafterin oder deren Organe nicht möglich.

Weiterhin habe das Landgericht rechtsfehlerhaft angenommen, dass die Parteien in dem unterstellten Fall, dass die Voraussetzungen der Bereichsausnahme erfüllt seien, diese jedenfalls abbedungen und ein Widerrufsrecht im Sinne des § 312g Abs. 2 Satz 1 BGB vertraglich vereinbart hätten. Es sei bereits fraglich, ob § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB überhaupt durch individuelle vertragliche Vereinbarung abbedungen werden könne. Im Übrigen habe die Beklagte zu 1 keinerlei Bindungswillen hinsichtlich des Abbedingens gehabt, zumal – wovon auch das Landgericht ausgegangen sei – die Parteien keine Verhandlungen geführt hätten. Unverständlich sei zudem, wieso der Kläger, der die Bereichsausnahme nicht erkannt habe, diese gleichwohl bei Erhalt der „Widerrufsbelehrung (Fernabsatz)“ als mit der Beklagten abbedungen vereinbart haben wolle. Eine verständige und redliche Vertragspartei könne nicht davon ausgehen, dass der Vertragspartner ohne Not und unter Übernahme eines erheblichen wirtschaftlichen Risikos auf eine vom Gesetzgeber zu seinem Schutz vorgesehene Regelung verzichten wolle. Diese Auffassung werde auch vom XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs vertreten. Selbst wenn man indes von einem vertraglichen Widerrufsrecht ausgehen wollte, handele es sich um ein inhaltlich nicht näher definiertes Widerrufsrecht mit einer Frist von 14 Tagen, so dass der erst im März 2018 erklärte Widerruf verfristet gewesen sei.

Die Beklagte zu 1 und Berufungsklägerin beantragt, unter teilweiser Abänderung des am 29.5.2020 verkündeten Urteils des Landgerichts Saarbrücken (1 O 181/18) das Teilversäumnisurteil vom 8.11.2019 insgesamt aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Der Kläger und Berufungsbeklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt die angefochtene Entscheidung. Obwohl der Prozessbevollmächtigte des Klägers der letzten mündlichen Verhandlung nur im Wege der Tonübertragung zugeschaltet gewesen sei, sei der Grundsatz der Mündlichkeit und der Anspruch der Beteiligten auf rechtliches Gehör gewahrt worden. Da die Prozessbevollmächtigten beider Beklagten der Durchführung der mündlichen Verhandlung unter den gegebenen Bedingungen nicht widersprochen hätten, könne sich die Beklagte zu 1 nunmehr nicht auf einen Verfahrensfehler berufen, wobei eine Beeinträchtigung ihrer Rechte ohnehin nicht erkennbar sei.

Entgegen der Behauptung der Berufungsklägerin seien die Inhaberschuldverschreibungen nicht am außerbörslichen Markt gehandelt worden, was die Beklagte zu 1 in einem Parallelverfahren selbst eingeräumt habe (Anlage BR 1, Blatt 895) und sich im Übrigen aus dem Emissionsprospekt ergebe. Damit könnten sie zwangsläufig auch keinen Schwankungen am Kapitalmarkt unterliegen. Das Landgericht habe zutreffend ausgeführt, dass der Schutzzweck der Bereichsausnahme vorliegend nicht eingreife, mit der ausgeschlossen werden solle, dass der Verbraucher risikolos auf Kosten des Unternehmers spekuliere, indem er während der Widerrufsfrist die Entwicklung des erworbenen Finanzprodukts beobachte und bei Fristablauf entweder eine bis dahin eingetretene Kurssteigerung in einen Spekulationsgewinn umsetze oder bei einer für ihn ungünstigen Entwicklung einen Verlust durch Widerruf vermeide. Inzwischen seien in mehreren Parallelverfahren Urteile zugunsten der Anleger ergangen, wobei ebenso wie vom Landgericht Saarbrücken ein gesetzliches Widerrufsrecht bejaht und die Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB verneint worden seien (Anlagen BR 3 bis 6, Blatt 933).

Die Beweiswürdigung des Landgerichts sei nicht zu beanstanden; durch die Aussage der Zeugin sei bewiesen, dass der Kläger die Widerrufsbelehrung und den Wertpapierkaufauftrag verbunden an die Beklagte zu 1 zurückgesandt habe.

Der Annahme eines vertraglich vereinbarten Widerrufsrechts stehe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht entgegen. Eine Abbedingung der Bereichsausnahme sei schon nach dem Gesetz ausdrücklich möglich. Der Verbraucher könne bei Übersendung einer Widerrufsbelehrung nur davon ausgehen, dass hinsichtlich des Fernabsatzgeschäfts ein Widerrufsrecht bestehe; alles andere wäre für den Verbraucher ein völlig überraschendes Ergebnis.

Hinsichtlich des Sachverhalts und des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Sitzungsniederschriften des Landgerichts vom 15.2. 2019 (Blatt 266), 8.11.2019 (Blatt 527) und 11.5.2020 (Blatt 742) und des Senats vom 17.6.2021 (Blatt 976) sowie auf die Beschlüsse des Landgerichts vom 11.3.2019 (Blatt 316), 18.4.2019 (Blatt 365), 16.12.2019 (Blatt 565), 21.4.2020 (Blatt 712) und das Urteil vom 29.5.2020 (Blatt 760) Bezug genommen.

II.

Der Verkündung des vorliegenden Urteils steht nicht entgegen, dass die Beklagte zu 1 mit Schriftsatz vom 3.7.2021 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens in Luxemburg über das Vermögen der Beklagten zu 1 mit Wirkung zum 21.6.2021 angezeigt hat. Gemäß Art. 18 EuInsVO gilt für die Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf einen massebezogenen anhängigen Rechtsstreit ausschließlich das Recht des Mitgliedstaates, in dem der Rechtsstreit anhängig ist (Vuia in: Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts Bd. 7, 6. Aufl. 2020, § 22 Rn. 12 m.w.N.). Damit ist § 249 Abs. 3 ZPO anwendbar, wonach durch eine nach dem Schluss der mündlichen Verhandlung eintretende Unterbrechung – wie vorliegend – die Verkündung der auf Grund dieser Verhandlung zu erlassenden Entscheidung nicht gehindert wird.

Die Berufung der Beklagten zu 1 ist nach den §§ 511, 513, 517, 519 und 520 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden und mithin zulässig. Das Rechtsmittel ist jedoch nicht begründet. Das angefochtene Urteil beruht weder gemäß §§ 513 Abs. 1, 546 ZPO auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine der Beklagten zu 1 günstigere Entscheidung. Mit Recht hat das Landgericht die Beklagte zu 1 das Teilversäumnisurteil vom 8.11.2019 hinsichtlich der Beklagten zu 1 aufrechterhalten und die Beklagte zu 1 – unter Berücksichtigung der zuletzt gestellten Klageanträge – zur Zahlung eines Betrags von insgesamt 246.506,49 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5.4.2018 Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers auf Herausgabe der streitgegenständlichen Inhaberschuldverschreibungen verurteilt.

1. Die Klage ist zulässig. Die Bejahung seiner örtlichen Zuständigkeit durch das Landgericht ist der Prüfung im Berufungsverfahren entzogen (§ 513 Abs. 2 ZPO), wogegen die internationale Zuständigkeit jederzeit von Amts wegen zu prüfen ist (BGH MDR 2003, 348). Letztere ist spätestens durch rügelose Einlassung der Beklagten zu 1 im Berufungsverfahren begründet, Art. 26 EuGVVO:

Die Beklagte zu 1 hat in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht vom 15.2.2019 ausdrücklich ihre zuvor schriftsätzlich erhobene Rüge der örtlichen Unzuständigkeit fallen gelassen und zur Hauptsache mündlich verhandelt (Blatt 267). Dass diese mündliche Verhandlung nicht vor der Kammer, sondern noch vor der Vorsitzenden Richterin der 1. Zivilkammer als Einzelrichterin durchgeführt wurde, ist insoweit unschädlich, denn die Beklagte zu 1 hat sich auch in der nachfolgenden, vor der Kammer durchgeführten Verhandlung vom 11.5.2020 (Blatt 742) rügelos zur Hauptsache eingelassen. Daher kommt es auch nicht darauf an, dass die Beklagte zu 1 in der Einspruchsschrift vom 26.11.2019 (Blatt 539) zwischenzeitlich ausgeführt hatte, nach wie vor werde die örtliche und internationale Zuständigkeit des Landgerichts gerügt (Blatt 540). Ob die sich ausweislich des Sitzungsprotokolls vom 15.2.2019 nur auf die örtliche Zuständigkeit bezogene Prozesserklärung der Beklagten zu 1 im Wege der Auslegung deshalb auch auf die zuvor – und danach – ebenfalls schriftsätzlich in Zweifel gezogene internationale Zuständigkeit des Landgerichts (Blatt 185) bezogen hat – wovon das Landgericht ausgegangen ist -, weil § 39 ZPO auf die internationale Zuständigkeit entsprechend anwendbar ist (vgl. BGHZ 101, 301), bedarf indes im Ergebnis keiner weiteren Vertiefung. Denn die Beklagte zu 1 stellt jedenfalls im Berufungsverfahren die internationale Zuständigkeit nicht mehr in Abrede.

Dringt der Beklagte mit seiner Rüge der internationalen Unzuständigkeit nicht durch, bejaht also das Gericht die internationale Zuständigkeit und erlässt es gegen ihn eine Entscheidung, dann muss er sich schlüssig werden, ob er Rechtsmittel bzw. Rechtsbehelfe nach Maßgabe der lex fori einlegen will. Tut er dies, muss er auch in der Rechtsmittelinstanz die Rüge der internationalen Unzuständigkeit weiterverfolgen. Andernfalls liegt in dem Verzicht auf die Aufrechterhaltung des Einwandes der internationalen Unzuständigkeit eine vorbehaltlose Einlassung im Sinne von Art. 26 EuGVVO (BGH MDR 2008, 162; Geimer in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, Art. 26 EuGVVO Rn. 4). Damit ist vorliegend – mangels bestehender ausschließlicher Zuständigkeiten – die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte nach Art. 26 Abs. 1 EuGVVO begründet.

2. Das Landgericht hat auch in richtiger Besetzung, nämlich als Kammer, über den vorliegenden Rechtsstreit entschieden. In prozessualer Hinsicht leidet ein Urteil an einem wesentlichen und auch ohne Berufungsrüge von Amts wegen zu beachtenden Verfahrensmangel, wenn es nicht durch den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) ergangen ist (Senat, Urteil vom 13.2.2020 – 4 U 64/17). Während das Landgericht anfangs noch von einer Einzelrichterzuständigkeit ausgegangen ist, hat es nach vorangegangenem Hinweis an die Parteien (Blatt 343) gemäß Beschluss vom 18.4.2019 (Blatt 365) seine originäre Kammerzuständigkeit gemäß § 348 Abs. 1 Nr. 2b ZPO festgestellt, da es sich jedenfalls in Bezug auf die Beklagte zu 2, was zur Begründung der Kammerzuständigkeit ausreiche, um eine Streitigkeit aus Bank- und Finanzgeschäften handele. Selbst wenn das Landgericht zu Unrecht von einer originären Zuständigkeit der Kammer ausgegangen wäre, läge in dem Beschluss vom 18.4.2019 jedenfalls konkludent ein Übernahmebeschluss im Sinne des § 348a Abs. 2 ZPO. Ungeachtet dessen, ob die Voraussetzungen für eine Übernahme vorgelegen haben, könnte die Berufung darauf nicht gestützt werden (§ 348 Abs. 3 ZPO). Ein Verstoß gegen den Grundsatz des rechtlichen Richters käme allenfalls im Fall einer willkürlichen Übernahme durch die Kammer in Betracht (vgl. hierzu Greger in: Zöller, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 348a Rn. 12), welche vorliegend angesichts der ausführlichen und von keiner Seite angegriffenen Begründung durch das Landgericht fernliegend ist.

3. Die Rüge der Berufung, die angefochtene Entscheidung sei deshalb verfahrensfehlerhaft zustande gekommen, weil bei der letzten mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht die Voraussetzungen des § 128a ZPO nicht vorgelegen hätten, bleibt ohne Erfolg.

a. Zwar steht außer Streit und folgt im Übrigen aus dem Sitzungsprotokoll vom 11.5.2020 (Blatt 742), dass der Klägervertreter – offenbar aufgrund technischer Probleme – lediglich im Wege der Tonübertragung an der mündlichen Verhandlung teilgenommen hat und nicht, wie in § 128a ZPO vorgesehen, unter zeitgleicher Bildübertragung. Es ist anerkannt, dass bei technischen Schwierigkeiten der durchgeführten Videokonferenzverhandlung oder – vernehmung ein Verstoß gegen den Grundsatz der Mündlichkeit oder den Grundsatz der Unmittelbarkeit der Beweisaufnahme vorliegen kann. Auch kann dadurch der Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt sein (Klasen in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 2, 1. Aufl., § 128a (Stand: 7.6.2021) Rn. 12). Im vorliegenden Fall kann die Beklagte zu 1 jedoch ihr Rechtsmittel darauf nicht stützen, denn der Verfahrensfehler ist gemäß § 295 ZPO geheilt: Wie dem Sitzungsprotokoll zu entnehmen ist, wurde unmittelbar zu Beginn der Verhandlung für alle Beteiligten transparent festgestellt, dass eine Bildübertragung betreffend den aus seinen Kanzleiräumen zugeschalteten Klägervertreter nicht möglich war (Blatt 742 Rs.). Sämtliche Prozessbevollmächtigten hatten somit Kenntnis von diesem Umstand; zugleich hat keiner von ihnen Einwände gegen die Durchführung der mündlichen Verhandlung, die sich hinsichtlich des Klägervertreters somit in Art einer Telefonkonferenz dargestellt hat, erhoben. In dem Verhandeln zur Hauptsache liegt eine rügelose Einlassung bzw. ein Verzicht auf die Befolgung der Vorschrift im Sinne des § 295 Abs. 1 ZPO.

b. Der Verzicht war auch wirksam. Es ist anerkannt, dass eine Heilung bei einem Verstoß gegen den Grundsatz der Parteiöffentlichkeit (BGH LM Nr. 7) möglich ist. Auch auf den Grundsatz der Mündlichkeit können die Parteien wirksam verzichten (Seiler in: Thomas/Putzo, ZPO, 42. Aufl. 2021, § 128 Rn. 10). In der Literatur wird eine Heilung auch im vorliegenden Fall der unterbliebenen Bildübertragung für möglich gehalten mit dem Argument, dass die Parteien gemäß § 128 Abs. 2 ZPO auch vollständig auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichten können; somit müsse a maiore ad minus jedenfalls ein teilweiser Verzicht zum Beispiel auf die Bildübertragung zulässig sein (Windau, NJW 2020, 2753 Rn. 7; Müller in: Ory/Weth, juris-PK ERV Band 2, 1. Aufl., § 295 (Stand 10.5.2021) Rn. 46.1). Ob dies generell für alle Fälle gelten muss, beispielsweise auch dann, wenn unklar ist, um wen es sich bei der lediglich per Tonübertragung zugeschalteten Person handelt, kann vorliegend offenbleiben. Denn dies wird von der Berufungsklägerin weder behauptet noch ist dies ansonsten ersichtlich. Es ist auch weder erkennbar noch vorgetragen, welche prozessualen Nachteile der Berufungsklägerin, die selbst per Bild und Ton zugeschaltet war, hierdurch entstanden seien könnten.

4. Der Rechtsstreit wurde infolge des Einspruchs der Beklagten zu 1 gegen das erneute (erste) Teilversäumnisurteil vom 8.11.2019 (Blatt 532) nach § 342 ZPO in die Lage vor Säumnis zurückversetzt. Das Urteil wurde dem inzwischen zustellungsbevollmächtigten Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu 1 am 12.11.2019 zugestellt (Blatt 535). Dieser hat am 26.11.2019 und somit binnen der zweiwöchigen Frist gemäß § 339 Abs. 1 Einspruch eingelegt (Blatt 183). Dieser erfüllt auch die formellen und inhaltlichen Voraussetzungen des § 340 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 ZPO. Mit Recht hat das Landgericht im Übrigen trotz der wiederholten Säumnis der Beklagten zu 1 kein zweites Versäumnisurteil im Sinne des § 345 ZPO, sondern ein erneutes erstes Versäumnisurteil im Sinne des § 331 ZPO erlassen, weil die Beklagte zu 1 in der vorangegangenen mündlichen Verhandlung vom 15.2.2019 (Blatt 266) ordnungsgemäß vertreten war.

5. Die Klage ist auch begründet. Mit Recht hat das Landgericht deutsches materielles Recht auf die Rechtsbeziehung zwischen den Parteien angewendet. Dies folgt aus der Rechtswahl im Sinne des Art. 3 der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 (Rom I-VO), deren Anwendungsbereich nach Art. 1 eröffnet ist, in der mündlichen Verhandlung vom 15.2.2019 (Blatt 267). Unschädlich ist es, dass die Erklärungen der Parteien vor der Einzelrichterin abgegeben worden sind. Denn auch im weiteren Verlauf des Rechtsstreits hat die Kammer unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie von der Anwendbarkeit deutschen Rechts ausgehe, und die Parteien haben übereinstimmend auf der Grundlage des deutschen Rechts argumentiert. Damit liegt jedenfalls eine stillschweigende Rechtswahl vor (vgl. Wendland in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beckOK Großkommentar, Art. 3 Rom-I-VO (Stand 1.2.2020) Rn. 184).

6. Die Beklagte zu 1 ist entgegen ihrer in erster Instanz noch vertretenen Auffassung (Blatt 541) auch ohne Zweifel passivlegitimiert. Unstreitig war sie Vertragspartnerin des Klägers bei dem streitgegenständlichen Wertpapier-Kaufauftrag vom 3.7.2017/23.8.2018 (Anlage K5, Blatt 42). Darin heißt es beispielsweise „Ich möchte folgende Inhaberschuldverschreibung von der P. S. S.A. erwerben. (…) Ein Vertrag über den Kauf der vorstehenden Inhaberschuldverschreibungen kommt nur zustande, wenn die P. S. S.A. mein Angebot innerhalb der oben genannten Frist annimmt.“. Damit ist die Beklagte zu 1 auch für die Ansprüche aus dem Rückgewährschuldverhältnis aufgrund Widerrufs der Vertragserklärung des Klägers passivlegitimiert. Die entsprechenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung hat die Beklagte zu 1 mit der Berufung auch nicht angegriffen. Ob Ansprüche des Klägers nach luxemburgischem Recht nur auf das Vermögen des einzelnen (unselbstständigen) Compartments 2017/… beschränkt wären, nicht aber gegenüber dem Vermögen der Beklagten zu 1 als Verbriefungszweckgesellschaft nach luxemburgischem Recht geltend gemacht werden können, wie die Beklagte zu 1 behauptet hat (Blatt 541), kann schon deshalb dahinstehen, weil die Parteien – wie bereits ausgeführt – ausdrücklich die Anwendbarkeit deutschen materiellen Rechts für den vorliegenden Rechtsstreit vereinbart haben (Blatt 267).

7. Der am 5.3.2018 erklärte Widerruf der auf den Abschluss des Kaufvertrages über Inhaberschuldverschreibungen der Beklagten zu 1 gerichteten Vertragserklärung vom 3.7.2017 war wirksam und begründete ein Rückgewährschuldverhältnis hinsichtlich der empfangenen Leistungen, womit der Kläger in der Hauptsache von der Beklagten zu 1 Rückzahlung des von ihm gezahlten Betrags von 246.506,49 Euro Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche auf Herausgabe der Inhaberschuldverschreibungen verlangen kann. Dem Kläger stand ein gesetzliches Widerrufsrecht gemäß §§ 312g Abs. 1, 355 BGB zu, da der Vertrag im Wege des Fernabsatzes zustande gekommen ist, der Ausnahmetatbestand des § 312 c Abs. 1 2. HS BGB nicht erfüllt ist und die Voraussetzungen der Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB nicht gegeben sind.

a. Die Rüge der Berufung, es habe kein Fernabsatzgeschäft vorgelegen, ist nicht begründet. Ein Fernabsatzvertrag ist ein Vertrag, bei dem der Unternehmer oder eine in seinem Namen oder Auftrag handelnde Person und der Verbraucher für die Vertragsverhandlungen und den Vertragsschluss ausschließlich Fernkommunikationsmittel verwenden, es sei denn, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt (§ 312c Abs. 1 BGB). Die Verbrauchereigenschaft des Klägers steht außer Streit. Das Landgericht hat ferner nach Beweisaufnahme durch Vernehmung der Zeugin N.- B. festgestellt, dass der Kaufvertrag unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln, hier von Briefen, jedenfalls ohne gleichzeitige körperliche Anwesenheit des Klägers und des Vermittlers Herrn P. zustande gekommen sei. Die Beweiswürdigung des Landgerichts hält den hiergegen gerichteten Angriffen der Berufung stand, denn diese zeigt keine konkreten Anhaltspunkte auf, die geeignet sind, Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen zu begründen (§ 529 Abs. 1 ZPO):

(1) Das Landgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, dass bereits eine Gesamtschau der vorgelegten Unterlagen darauf hindeute, dass persönliche Kontakte nicht stattgefunden haben, nämlich das Kündigungsschreiben der P. AG (Anlage K1, Blatt 36), das Schreiben der V. d. c. als Vermittlerin der Inhaberschuldverschreibungen der Beklagten zu 1 vom 13.6.2017 (Anlage K2, Blatt 37), der unstreitig ausschließlich schriftlich erfolgte Vertragsschluss mit der Beklagten zu 2 einschließlich deren Anleitung zum Ausfüllen des Antrags (Anlagen K3, 4, 22) sowie die schriftliche Annahme des klägerischen Kaufauftrags vom 3.7.2017 (Anlage K5) durch das Bestätigungsschreiben der Beklagten zu 1 vom 23.8.2017 (Anlage K7).

(2) Das Landgericht hat seine Feststellungen zudem maßgeblich auf die Aussage der als Zeugen vernommenen Ehefrau des Klägers (Blatt 528) gestützt, wonach der erstmalige Kontakt zwischen dem Kläger und dem – etwa 800 km entfernt wohnhaften – Zeugen P. durch den Bruder des Klägers zustande gekommen und nach einem ersten Telefonat im Jahr 2015 im Zusammenhang mit der ersten Anlage in der Schweiz alles weitere auf schriftlichem Weg erfolgt sei. Ein persönliches Treffen zwischen dem Kläger und dem Zeugen habe zu keinem Zeitpunkt stattgefunden. Die Zeugin hat die Geschehnisse nachvollziehbar, im Detail und im Einklang mit den vorgelegten schriftlichen Unterlagen geschildert; insbesondere hat sie dargelegt, dass zunächst ein Fragebogen für die Kontoeröffnung und für das Depot bei der Beklagten zu 2 übersandt worden sei sowie eine Vielzahl anderer Unterlagen, unter anderem eine Kontovollmacht für sie. Etwa im Juli 2017 seien die Unterlagen zu den Inhaberschuldverschreibungen übersandt worden, wobei die Zeugin sich konkret an den ihr vorgehaltenen Kaufauftrag (Blatt 42) und die Widerrufsbelehrung (Blatt 43) erinnerte. Das Landgericht hat ihre Aussage sowie ihr Aussageverhalten und den Umstand, dass sie als Ehefrau des Klägers ein eigenes Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat, ausführlich und widerspruchsfrei gewürdigt. Es hat insbesondere auch den entgegenstehenden Inhalt des Schreibens der V. (Anlage K2) und die Behauptung der Beklagten zu 1 berücksichtigt, dass die Vermittler von Varianten bzw. F. gehalten gewesen sein mögen, persönliche Gesprächstermine zu vereinbaren, wobei nichts dafür spreche, dass sich der Zeuge P. im Fall des Klägers daran gehalten habe. Schließlich hat es mit Recht den Umstand gewürdigt, dass die Beklagte zu 1 ausweislich der Bezeichnung ihrer Widerrufsbelehrung („Fernabsatz“) selbst den regelmäßigen Abschluss von Fernabsatzgeschäften als Möglichkeit angesehen habe. Dies ist im berufungsrechtlichen Prüfungsrahmen des § 529 Abs. 1 nicht zu beanstanden. Mit ihrer Berufung greift die Beklagte zu 1 die Feststellung des Landgerichts, dass ein persönlicher Kontakt zwischen dem Kläger und dem Zeugen P. nicht stattgefunden habe, auch nicht konkret an, sondern rügt lediglich pauschal, die Feststellungen des Landgerichts zum Vorliegen eines Fernabsatzgeschäfts überzeugten nicht (vgl. Blatt 823 unter Ziffer 2.1.3a). Damit zeigt sie indes keine Anhaltspunkte auf, die konkrete Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der landgerichtlichen Feststellungen begründeten (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

(3) Im Berufungsverfahren rügt die Beklagte zu 1 dezidiert nur die Feststellung des Landgerichts, dass dem Kaufauftrag die in Rede stehende Widerrufsbelehrung (Fernabsatz) beigefügt gewesen sei (vgl. Blatt 823 unter Ziffer 2.1.3b). Es erschließt sich dem Senat jedoch bereits nicht, welche Relevanz die Frage, ob die Widerrufsbelehrung dem Kaufvertrag beigefügt war, für die Frage des Fernabsatzgeschäfts als solche hat. Selbst bei – unterstellter – fehlender Widerrufsbelehrung wären die Voraussetzungen des § 312c BGB erfüllt. Der Berufungsbegründung lässt sich auch nicht entnehmen, was konkret die Beklagte zu 1 im Hinblick auf die Vollständigkeit und Richtigkeit der Feststellungen des Landgerichts in dieser Hinsicht rügt. Der Hinweis darauf, die Beweisaufnahme sei trotz der Säumnis der Beklagten zu 1 im Termin durchgeführt worden, geht fehl, da dies nicht verfahrensfehlerhaft war (§ 367 Abs. 1 ZPO).

Auch der – von der Berufung nicht ausdrücklich gerügte – Umstand, dass das Landgericht der Zeugin lediglich die Anlage K6 (Blatt 43) vorgelegt hat, nicht jedoch die von der Beklagten zu 1 vorgelegte Fassung der Widerrufsbelehrung wie Blatt 596, in der zusätzlich eine Unterschriftsleiste sowie ein Zusatz enthalten ist, mit dem eine Empfangsbestätigung des Kunden abgegeben werden kann, verhilft der Berufung nicht zum Erfolg. In der angefochtenen Entscheidung ist zwar ausgeführt, die Beklagte zu 1 habe erst nach der (in Abwesenheit des Prozessbevollmächtigten des Beklagten zu 1 durchgeführten) Beweisaufnahme die weitere Fassung der Widerrufsbelehrung vorgelegt. Dies trifft indes nicht zu, denn die Beklagte zu 1 hat diese Fassung tatsächlich bereits als Anlage zum Schriftsatz vom 8.3.2019 (Anlage B1-3, Blatt 328) vorgelegt. Beide Belehrungen (Blatt 328 und 596) sind hinsichtlich des gedruckten Textes identisch, lediglich hinsichtlich der unleserlich gemachten handschriftlichen Eintragungen sind Unterschiede erkennbar. Allerdings hat das Landgericht die Unterschiede in den beiden vorgelegten Fassungen der Widerrufsbelehrungen in nicht zu beanstandender Weise gewürdigt und ausgeführt, das Fehlen der Unterschriftsleiste auf der Kopie K6 könne zwanglos mit einem Abtrennen und Zurückschicken der Empfangsbekenntnisse erklärt werden, weshalb die Kammer insgesamt nicht die geringsten Zweifel daran habe, dass dem Kläger eine Widerrufsbelehrung der Art Anlage K6 oder Blatt 596 vorgelegen habe; der Unterschied zwischen beiden Fassungen sei unerheblich und begründe keine Zweifel an der Richtigkeit der Zeugenaussage N.- B.. Aus diesem Grund habe auch keine Veranlassung bestanden, den Kläger gemäß § 448 ZPO als Partei hierzu zu vernehmen, wie von der Beklagten zu 1 angeregt.

Diese Feststellungen sind im Prüfungsrahmen des § 529 Abs. 1 ZPO nicht zu beanstanden. Die Zeugin hat angegeben, sie könne sich an die Belehrung wie Anlage K6 auf jeden Fall erinnern, und ausgeführt, der Kläger habe die ihm zugesandten Unterlagen „ausgefüllt und zurückgeschickt“ (Blatt 528). Ob dies durch Rücksendung der Belehrung insgesamt oder durch Rücksendung nur der zuvor abgetrennten Unterschriftsleiste erfolgt ist, ergibt sich hieraus – entgegen dem in der Berufungsbegründung zum Ausdruck kommenden Verständnis – nicht. Im Übrigen hat die Zeugin angegeben, sie könne sich „an die beiden Blätter“, also an den Kaufauftrag und die Widerrufsbelehrung, erinnern. Damit hat sie bezeugt, dass dem Kläger überhaupt eine Widerrufsbelehrung mit dem Inhalt wie Blatt 43 übersandt wurde. Ob der Kläger anschließend die von ihm unterschriebene Widerrufsbelehrung insgesamt oder lediglich die zuvor von ihm abgetrennte Unterschriftszeile an die Beklagte zu 1 übersandt hat, stellt einen davon unabhängigen und nicht entscheidungserheblichen Umstand dar.

b. Auch der weitere Einwand der Berufung, das Landgericht hätte annehmen müssen, dass der Vertragsschluss nicht im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt sei (§ 312c Abs. 1 letzter Halbsatz BGB), sodass im Ergebnis kein Fernabsatzgeschäft vorliege, bleibt ohne Erfolg.

(1) Weder die Verbraucherrechte-RL noch das BGB definieren, was unter einem für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystem zu verstehen ist. Auch den Erwägungsgründen der Richtlinie und der Gesetzesbegründung zu § 312c (oder zu den Vorgängervorschriften in § 312b Abs. 1 aF und § 1 Abs. 1 FernAbsG) lassen sich keine eindeutigen Anhaltspunkte für die Konkretisierung des Merkmals entnehmen (Busch in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beckOK Großkommentar BGB, § 312c (Stand: 1.6.2021) Rn. 25.1). Dieses Erfordernis hat in erster Linie den Zweck, Geschäfte, die nur zufällig unter Einsatz von Fernkommunikationsmitteln geschlossen werden, aus dem Anwendungsbereich des Fernabsatzrechts auszuklammern (BT-Drs. 14/2658, 3). Die Einschränkung zielt vor allem auf Unternehmer, die ihre Leistungen grundsätzlich in einem Ladengeschäft anbieten und nur gelegentlich oder zufällig telefonische Bestellungen entgegennehmen oder eine Ware per Post versenden. Diese Unternehmer sollen nicht mit den umfangreichen rechtlichen Anforderungen des Fernabsatzrechts, insbesondere den weitreichenden Informations- und Dokumentationspflichten nach §§ 312d -312f BGB, belastet werden. Die Vorschrift formuliert insoweit einen Ausnahmetatbestand („es sei denn“), für den der Unternehmer die Beweislast trägt. Wird ein Vertrag unter ausschließlicher Verwendung der Fernkommunikationsmittel abgeschlossen, was der Verbraucher, der sich hierauf beruft, zu beweisen hat (BGH ZIP 2016, 1640), ist vom Vorliegen eines Vertriebs- und Dienstleistungssystems auszugehen und hat der Unternehmer andernfalls das Gegenteil zu beweisen (Koch in: Erman, BGB, 16. Aufl. 2020, § 312c Rn. 8 f.). Der Ausnahmetatbestand ist eng auszulegen (BGH NJW 2017, 1024; NJW 2019, 303; Busch in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beckOK Großkommentar BGB, § 312c (Stand: 1.6.2021) Rn. 25; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 312c Rn. 6). Es genügt, wenn der Unternehmer planmäßig mit dem Angebot der Bestellung per Fernkommunikationsmitteln und Lieferung der Ware bewirkt und er seinen Betrieb so organisiert, dass Verträge regelmäßig im Fernabsatz abgeschlossen und abgewickelt werden können (Busch in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reimann, beckOK BGB, § 312c (Stand: 1.6.2021) Rn. 26; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 312c Rn. 6). Für die Anwendbarkeit des Fernabsatzrechts kommt es nicht allein darauf an, wie häufig der Unternehmer Verträge im Fernabsatz schließt und ob sein Vertriebssystem tatsächlich für den Fernabsatz hinreichend gerüstet ist, sofern er gegenüber dem Verbraucher zurechenbar den Anschein erweckt hat, mit einer größeren oder zumindest nicht von vorneherein individualisierten Anzahl von Verbrauchern Verträge im Fernabsatz zu schließen (Wendehorst in: MünchKommBGB, 8. Aufl. 2019, § 312c Rn. 26).

(2) Die Voraussetzungen dieses Ausnahmetatbestands hat die Beklagte zu 1 nicht bewiesen. Unstreitig hat sie Widerrufsbelehrungen für den Fall des Fernabsatzes vorgehalten. Durch die erstinstanzlich festgestellte Beifügung der Belehrung zu einem Kaufauftrag hat sie, worauf das Landgericht mit Recht hingewiesen hat, zu erkennen gegeben, dass sie standardmäßig von der Möglichkeit eines Vertragsschlusses im Wege des Fernabsatzes und gerade nicht von einer persönlichen Beratung ausgegangen ist. Die internen Vorgaben der Vermittler sind dagegen unerheblich. Das Landgericht war deshalb auch nicht gehalten, die hierzu von der Beklagten zu 1 genannten Zeugen T. und G. (Blatt 495) zu ihrer Behauptung zu vernehmen, aus den sog. Tied-Agent-Verträgen ergäbe sich eine Pflicht der Vermittler, die Kunden im persönlichen Gespräch in den Geschäftsräumen zu beraten. Belastbare Rückschlüsse auf die Vertragsabwicklung im konkreten Fall des Klägers ließen sich hieraus ohnehin nicht ziehen.

c. Das Landgericht hat ferner rechtsfehlerfrei angenommen, dass dem Widerrufsrecht des Klägers nicht die Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB entgegensteht. Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung bleiben ohne Erfolg:

(1) Nach dieser Vorschrift besteht ein Widerrufsrecht nicht bei Verträgen zur Lieferung von Waren oder zur Erbringung von Dienstleistungen, einschließlich Finanzdienstleistungen, deren Preis von Schwankungen auf dem Finanzmarkt abhängt, auf die der Unternehmer keinen Einfluss hat und die innerhalb der Widerrufsfrist auftreten könnten, insbesondere Dienstleistungen im Zusammenhang mit Aktien, mit Anteilen an offenen Investmentvermögen im Sinne von § 1 Abs. 4 KAG und mit anderen handelbaren Wertpapieren, Devisen, Derivaten oder Geldmarktinstrumenten. Nach Sinn und Zweck der Bereichsausnahme soll das grundsätzlich von beiden Parteien zu übernehmende Risiko, dass sich ihre Einschätzung über die Preisentwicklung als fehlerhaft erweist, während der Widerrufsfrist nicht einseitig dem Unternehmer aufgebürdet werden (BGH, Urteil vom 27.11.2012 – XI ZR 439/11, MMR 2013,372, Rn. 24; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 312g Rn. 11; Wendehorst in: MünchKomm BGB, 8. Aufl. 2019, § 312g Rn. 39). Anerkanntermaßen fallen unter die Vorschrift Edelmetalle, an Börsen gehandelte Rohstoffe und andere Waren, Aktien, handelbare Wertpapiere, Devisen, Derivate, Hedgefonds aus und finanzmarktabhängige Zertifikate, letztere auch dann, wenn deren Börseneinführung noch bevorsteht (Hamburgisches OLG WM 2014, 1538). Das Tatbestandsmerkmal „Preis“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes weit zu verstehen und umfasst nicht nur einen unmittelbar auf dem Finanzmarkt gebildeten Börsenpreis des Wertpapiers selbst, sondern auch einen den Marktpreis nur mittelbar beeinflussenden Basiswert, der seinerseits Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt, die außerhalb der Herrschaftssphäre des Unternehmers liegen und innerhalb der Widerrufsfrist auftreten können (BGH, Urteil vom 27.11.2012 – XI ZR 384/11, Rn. 22). Zugleich handelt es sich nach dem Sinn und Zweck der Regelung um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift (BGH, Urteil vom 17.6.2015 – VIII ZR 249/14, Rn. 23).

(2) In mehreren vor den Landgerichten Berlin und Neuruppin geführten Parallelverfahren ist eine Bereichsausnahme mit dem Argument verneint worden, dass der Basiswert eine Referenzgesellschaft sei, die ihrerseits am Markt agiere (LG Berlin, Urteil vom 5.11.2019 – 3O 442/18 (Blatt 597); Urteil vom 15.1.2020 – 2O 320/18 (Blatt 675); siehe auch die weiteren drei, als Anlage zum Schriftsatz vom 4.5.2020 des Beklagtenvertreters zu 1 übersandten Urteile des Landgerichts Berlin, 2 O 440/18, 3 O 122/19; 2 O 193/19, im Anlagenband B1; LG Neuruppin, Urteil vom 2.4.2020 – 5 O 193/18, Anlage B 8, im Anlagenband B2).

(3) In der jüngeren erstinstanzlichen Rechtsprechung ist jedoch eine Bereichsausnahme zunehmend verneint worden (LG Potsdam, Urteil vom 26.5.2021 – 8 O 325/20, Anlage BR3, Blatt 954; LG Osnabrück, Urteil vom 3.5.2021 – 12 O 2234/20, Anlage BR4, Blatt 944; LG Chemnitz, Urteil vom 21.5.2021 – 6 O 1266/20, Anlage BR 5, Blatt 936; LG Tübingen, Hinweisbeschluss vom 6.5.2021 – 7 O 230/20, Anlage BR6, Blatt 933). Obergerichtliche Rechtsprechung hierzu ist, soweit ersichtlich, noch nicht ergangen.

(4) Der Senat schließt sich mit dem Landgericht der letztgenannten Auffassung an. Der Schutzbereich der Bereichsausnahme ist vorliegend nicht eröffnet.

(4.1) Bei den Inhaberschuldverschreibungen der Beklagten zu 1 handelt es sich – entgegen der Bewerbung des Produktes – nach den Erläuterungen in den Vertragsunterlagen, auf die sich die Beklagte zu 1 beruft (Blatt 821), um Zertifikate mit festem Rückzahlungstermin am 31.12.2030, bei denen die Höhe der Rückzahlung vom Wert des Basiswertes an einem bestimmten Stichtag abhängt. Die Schuldverschreibung bezieht sich auf eine hypothetische Beteiligung der Emittentin an der Referenzgesellschaft S. … 2016/… SA, so dass sie eine fiktive Anlage in den Basiswert in Höhe des Nennbetrags abbildet. Die vom Erwerber zu zahlenden Beträge sind hierbei an die Wertentwicklung einer hypothetischen Unternehmensbeteiligung an der Referenzgesellschaft als Bezugswert (Basiswert) gekoppelt. Als Zweck der Referenzgesellschaft ist im Prospekt (dort Seite 61, Blatt 222) u.a. „die Beteiligung jeder Art an in- und ausländischen Gesellschaften, sonstige Vermögensanlagen jeder Art, der Erwerb von Wertpapieren jeder Art durch Kauf, Zeichnung oder auf andere Weise, die Übertragung von Wertpapieren durch Verkauf, Tausch oder auf andere Weise, der Abschluss von Devisengeschäften, die Verwaltung, Kontrolle und Verwertung von Beteiligungen, ferner der Erwerb der Verkauf, die Beteiligung und die Verwertung an Immobilien und Rechten an Immobilien, von Nutzungsrechten an Immobilien, wie etwa Vermietung, Verpachtung und Nießbrauch (…)“ angegeben. Ausweislich des Prospektes (Anlage B 1-1, Blatt 192) war kein Handel der Zertifikate auf einem regulären Markt vorgesehen. Ein Handel der Inhaberschuldverschreibungen an der Börse fand zu keinem Zeitpunkt statt.

In Ziffer 4 des Produktinformationsblatts (Blatt 252) heißt es:

„Handelbarkeit:

Nach dem Erstbegebungstag kann die Inhaberschuldverschreibung außerbörslich erworben oder verkauft werden. Es erfolgt keine Börsennotierung. Die Emittentin wird für die Inhaberschuldverschreibung unter normalen Marktbedingungen fortlaufend integrative (unverbindliche) An- und Verkaufskurse stellen. Hierzu ist (sie) jedoch rechtlich nicht verpflichtet. Die Emittentin bestimmt die An- und Verkaufskurse mittels marktüblicher Preisbildungsmodelle unter Berücksichtigung der marktpreisbestimmenden Faktoren. Der Preis kommt also anders als beim Börsenhandel zum Beispiel von Aktien nicht unmittelbar durch Angebot und Nachfrage zustande.

Marktpreisbestimmende Faktoren während der Laufzeit:

Insbesondere folgende Faktoren können wertmindernd auf die Inhaberschuldverschreibungen wirken:

  • der Wert des Basiswerts fällt (zum Beispiel wenn die Vermögensgegenstände des Basiswerts im Wert fallen);
  • Ausschüttungen unter den Basiswert verringern sich oder entfallen;
  • Verschlechterung der Bonität der Emittentin.

Umgekehrt können die Faktoren wertsteigernd auf die Inhaberschuldverschreibungen wirken. Einzelne Faktoren können sich gegenseitig verstärken oder aufheben.“

(4.2) Damit wird – mangels einer Börsennotierung und eines aktiven Marktes – kein durch Angebot und Nachfrage bestimmter Kurs gebildet; vielmehr bestimmt allein die Beklagte zu 1 als Emittentin einen unverbindlichen An- und Verkaufskurs. Zugleich ist es dem Anleger mangels im Vertrag vorgesehener Informationen nicht möglich, durch eine Beobachtung des allgemeinen Marktgeschehens erkennen zu können, wie sich der Wert seiner Zertifikate entwickelt. Damit ist es für ihn faktisch ausgeschlossen, Spekulationsgeschäfte zu betreiben. Der Sinn und Zweck der Bereichsausnahme greift nach Auffassung des Senats dann nicht, wenn der Verbraucher – wie vorliegend – in keiner Weise die Entwicklung nachvollziehen kann. Somit erfolgt, wie das Landgericht einleuchtend ausgeführt hat, mit Anerkennung eines Widerrufsrechts keine einseitige Risikoverschiebung zulasten der Beklagten zu 1, sondern der originäre Schutzzweck des Widerrufsrechtes, den Vertragsschluss nochmals ohne jegliches spekulatives Element überdenken zu können, ist erfüllt. Für dieses Ergebnis spricht zudem, dass die Bereichsausnahme als Ausnahmevorschrift vom allgemeinen Verbraucherschutz eng auszulegen ist; maßgebend ist, ob das Geschäft einen spekulativen Kern aufweist (BGH, Urteil vom 17.6.2015 – VIII ZR 249/14, Rn. 23; so auch LG Chemnitz, Urteil vom 21.5.2021 – 6 O 1266/20, Anlage BR 5, Blatt 941).

(4.3) Vorliegend beherrschen allein die Beklagte zu 1 und die mit ihr verbundenen Gesellschaften, die im Rahmen dieser Anlage agieren, die Entwicklung der Schuldverschreibung. Dagegen kann die Beklagte zu 1 nicht mit Erfolg einwenden, dass der Wert der Inhaberschuldverschreibungen gemäß der von ihr zitierten Angaben im Emissionsprospekt direkt proportional von den durch die Beklagte zu 1 zu tätigen Referenzanlagen abhänge. Denn ausweislich der Angaben unter Ziffer VI.1.2 (Blatt 217) sollte tatsächlich keine laufende Preisbildung der Schuldverschreibungen anhand der Werte der Referenzanlagen erfolgen. Letztere sollten nicht einmal laufend bewertet werden. Stattdessen sollte eine einmalige Bewertung der Preise der selbst nicht gehandelten Zertifikate zu deren Laufzeitende am 31.12.2030 erfolgen (so auch LG Osnabrück, Urteil vom 3.5.2021 – 12 O 2234/20, Anlage BR4, Blatt 955). Letztlich stellt sich die streitgegenständliche Anlage als eine „blackbox“ dar, da der Verbraucher nicht weiß, welche Papiere die Referenzgesellschaft gekauft hat (vgl. LG Tübingen, Hinweisbeschluss vom 6.5.2021 – 7 O 230/20, Anlage BR6, Blatt 935). Aufgrund des sehr weit angelegten Zwecks der Referenzgesellschaft, an der er hypothetisch beteiligt werden soll, weiß er nicht einmal, ob die Referenzgesellschaft ihr Kapital für eine Wertpapieranlage bereitstellt oder Immobilien erwirbt (vgl. LG Potsdam, Urteil vom 26.5.2021 – 8 O 325/20, Anlage BR3, Blatt 964).

(4.4) Hinzu kommen die personellen Verflechtungen der Beklagten zu 1 mit der Referenzgesellschaft: Der einzige Verwaltungsrat der S. … 2016/… SA, Herr S. B., ist zugleich Mitglied des Verwaltungsrats der Beklagten zu 1. Die Alleingesellschafterin der Beklagten zu 1 hält 100% der Gesellschaftsanteile der Referenzgesellschaft. Ein Schutzbedürfnis der Beklagten zu 1 durch Eröffnen der Bereichsausnahme ist nach alldem nicht ersichtlich.

(4.5) Anderes gilt auch nicht im Hinblick darauf, dass § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB in der Rechtsprechung auch unabhängig von einem Finanzmarkthandel gerade des betreffenden Produkts einschlägig sein kann. Der Bundesgerichtshof hat beispielsweise im Falle von Equity Swaps entschieden, dass mit „Preis“ im Sinne des § 312d Abs. 4 Nr. 6 BGB a.F. nicht nur das Entgelt für ein Finanzprodukt, also ein unmittelbar auf dem Finanzmarkt gebildeter Börsenpreis, sondern auch ein den Marktpreis mittelbar beeinflussender Basiswert gemeint ist, der seinerseits Schwankungen auf dem Finanzmarkt unterliegt. Er hat zugleich darauf hingewiesen, dass der Sinn und Zweck der Bereichsausnahme darin bestehe, das Risiko eines wenigstens mittelbar finanzmarktbezogenen spekulativen Geschäfts mit seinem Abschluss in gleicher Weise auf beide Parteien zu verteilen, und bei einem engeren Verständnis des „Preises“ sich das Risiko einer negativen Wertentwicklung einseitig zu Lasten des Unternehmers verschöbe, da der Verbraucher einen drohenden Verlust auf Grund fallender Basiswerte innerhalb der Widerrufsfrist durch Ausübung des Widerrufsrechts auf den Unternehmer abwälzen könne (BGH NJW 2013, 1223). Dies leuchtet im Falle von Equity Swaps ein, bei denen zumindest einer der Zahlungsströme von dem Kurswert einer Aktie oder eines Aktienindexes auf den vereinbarten Nennwert abhängt. Auch in dem vom OLG Hamburg entschiedenen Fall (WM 2014, 1538) hatte der Anleger die Möglichkeit, die Kursentwicklung der dem Zertifikat unterlegten Aktien oder der Indices zu beobachten und seine Entscheidung über eine „Rückgabe“ im Wege des Widerrufs hiervon abhängig zu machen. Im Streitfall gibt es jedoch keinen Anhaltspunkt für eine vergleichbare Entscheidungsgrundlage des Anlegers: Der „Basiswert“ als solcher wird nicht auf dem Finanzmarkt gehandelt, sondern ist definiert als die „Wertentwicklung einer Unternehmensbeteiligung an der Referenzgesellschaft“. Damit bestehen gerade keine in irgendeiner Weise spekulative Überlegungen des Verbrauchers zulassende „Schwankungen auf dem Finanzmarkt“ im Sinne des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB. Anderes gilt auch nicht mit Blick auf von der Referenzgesellschaft nach dem Vorbringen der Beklagten zu 1 erworbene, am Kapitalmarkt gehandelte Wertpapiere (Anlage B 1-8, Blatt 553), bei denen es sich offensichtlich um festverzinsliche Wertpapiere gehandelt hat, die am Kapitalmarkt keinen Marktschwankungen unterliegen.

8. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass die Parteien die gesetzlich angeordnete Bereichsausnahme vertraglich abbedungen und dadurch die Geltung des gesetzlichen Widerrufsrechts unter den im Gesetz genannten Voraussetzungen vereinbart haben.

a. § 312g Abs. 2 BGB eröffnet die Möglichkeit, dass die Parteien die in § 312g Abs. 2 BGB geregelten Bereichsausnahmen abbedingen („soweit die Parteien nichts anderes vereinbart haben“). Damit vereinbaren sie der Sache nach auch für Verträge, die an sich der Bereichsausnahme unterfallen würden, ein Widerrufsrecht im Sinne von § 312g, §§ 355 ff. BGB (vgl. Wendehorst in: MünchKommBGB, 8. Aufl. 2019, § 312g Rn. 13; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, § 312g Rn. 3).

b. Ein solches Abbedingen der Bereichsausnahme kann dadurch zustande kommen, dass der Unternehmer den Verbraucher auf das Bestehen eines Widerrufsrechts hinweist und der Verbraucher dieses Angebot annimmt. Dies gilt z.B. auch in solchen Fällen, in denen ein Unternehmer einheitliche Klauselwerke für all seine Fernabsatzverträge verwendet, gleichviel ob sie nach ihrem Gegenstand unter den Katalog des § 312g Abs. 2 BGB fallen oder nicht. Der Verbraucher darf in solchen Fällen vom Bestehen eines Widerrufsrechts ausgehen. Der Unternehmer muss sich daran festhalten lassen und es liegt eine anderweitige Vereinbarung im Sinne des § 312g Abs. 2 BGB vor. Die Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB spricht im Zweifel für ein hierauf bezogenes Angebot (Wendehorst in: MünchKommBGB, 8. Aufl. 2019, § 312c Rn. 13).

c. Nach dieser Maßgabe haben die Parteien hier vertraglich die Geltung des gesetzlichen Widerrufsrechts nach § 312g, §§ 355 ff. BGB vereinbart, indem die Beklagte zu 1 nach den erstinstanzlichen Feststellungen dem Kläger mit dem Kaufvertrag eine Widerrufsbelehrung für den Fall des Fernabsatzes übersandt hat, und der Kläger diese unterzeichnet an den Zeugen P. zurückgesandt hat.

(1) Das Landgericht hat zutreffend angenommen, dass die Rechtsprechung des XI. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs in der Entscheidung vom 6.12.2011 – XI ZR 401/10 – dieser Annahme im Streitfall nicht entgegensteht: Der Bundesgerichtshof hatte in dieser Entscheidung Bedenken geäußert, ob immer dann, wenn ein gesetzliches Widerrufsrecht nicht besteht, aus der bloßen Erteilung einer Widerrufsbelehrung auf die Einräumung eines vertraglichen Widerrufsrechts geschlossen werden kann. Diese Überlegung kommt hier schon deshalb nicht zum Tragen, weil es nicht um die Begründung eines quasi voraussetzungslosen vertraglichen Widerrufsrechts geht, sondern darum, es auch in den Fällen des § 312g Abs. 2 BGB bei der Geltung des gesetzlichen Widerrufsrechts zu belassen. Dieser Gesichtspunkt wird in der oben zitierten Rechtsprechung der Landgerichte Berlin und Neuruppin (LG Berlin, Urteil vom 5.11.2019 – 3O 442/18 (Blatt 597); Urteil vom 15.1.2020 – 2O 320/18 (Blatt 675); Urteile des Landgerichts Berlin, 2 O 440/18, 3 O 122/19; 2 O 193/19, im Anlagenband B1; LG Neuruppin, Urteil vom 2.4.2020 – 5 O 193/18, Anlage B 8, im Anlagenband B 2) nicht hinreichend berücksichtigt. Ergänzend wird Bezug genommen auf die zutreffenden Ausführungen des Landgerichts auf den Seiten 16 f. des angefochtenen Urteils.

(2) Der Kläger durfte die ihm von dem Zeugen P. übersandte Widerrufsbelehrung als Angebot zum Abschluss einer anderweitigen Vereinbarung im Sinne des § 312g Abs. 2 BGB verstehen. Mit dem Landgericht geht auch der Senat davon aus, dass der Kunde in einem solchen Fall nur annehmen kann, dass er bei Vorliegen eines Fernabsatzgeschäftes zum Widerruf berechtigt sein soll. Entgegen der Berufungsbegründung bestehen für den Kunden in dieser Situation keine Anhaltspunkte dafür, dass er trotz Erteilung der Widerrufsbelehrung wegen Eingreifens der für ihn nicht erkennbaren Bereichsausnahme nicht zum Widerruf berechtigt sein sollte. Auch die Bedenken der Berufungsbegründung, ob die Annahme des Landgerichts zutreffe, die Bank habe den Willen, mit der Übersendung der Widerrufsbelehrung ein Angebot an den Verbraucher zu erteilen, teilt der Senat nicht.

(3) Im vorliegenden Fall kommt hinzu, dass nicht nur der Kläger, sondern auch die Beklagte zu 1 von einem Widerrufsrecht des Klägers ausgegangen ist. Dies ergibt sich unmissverständlich aus ihrem Schreiben vom 23.8.2017 (Anlage K7, Blatt 45), in dem sie Ausführungen zu Beginn und Ausübung des Widerrufsrechts macht. Indem die Beklagte zu 1 sich nunmehr nach Ausübung des Widerrufsrechts seitens des Klägers auf das Eingreifen der Bereichsausnahme des § 312g Abs. 2 Nr. 8 BGB beruft, verstößt sie gegen den Grundsatz des venire contra factum proprium.

9. Die Widerrufserklärung des Klägers erfolgte auch fristgerecht. Für Beginn und Lauf der Frist bleibt es bei der Geltung der in § 355 Abs. 2 BGB geregelten gesetzlichen Voraussetzungen. Mangels ordnungsgemäßer Widerrufsbelehrung hatte die gesetzliche 14-tägige Widerrufsfrist nicht zu laufen begonnen, so dass sie im Zeitpunkt des Widerrufs noch nicht verstrichen war.

a. Gemäß § 356 Abs. 3 BGB beginnt die Widerrufsfrist nicht, bevor der Unternehmer den Verbraucher entsprechend den Anforderungen des Art. 246a § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 oder des Art. 246b § 2 Abs. 1 EGBGB unterrichtet hat.

b. Gemäß Art. 246b § 1 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EGBGB in der ab dem 13.6.2014 geltenden Fassung hat der Unternehmer dem Verbraucher rechtzeitig vor Abgabe von dessen Vertragserklärung klar und verständlich und unter Angabe des geschäftlichen Zwecks, bei Fernabsatzverträgen in einer dem benutzten Fernkommunikationsmittel angepassten Weise, die in dem 19 Nummern umfassenden Katalog von Abs. 1 aufgelisteten Informationen zur Verfügung zu stellen. In Umsetzung von Art. 3 Abs. 2 Finanzdienstleistungs-Fernabsatz-RL formuliert die Vorschrift damit ein allgemeines Transparenzgebot (Mörsdorf in: beckOK, Gsell/Krüger/Lorenz/ Reymann, Stand 1.6.2021, Rn. 13; Palandt/Grüneberg, BGB, 80. Aufl. 2021, Art. 246b EGBGB Rn. 4). Weder der schriftliche Kaufauftrag noch der Emissionsprospekt noch das Produktinformationsblatt werden dem Transparenzgebot gerecht. Wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, steht der Inhalt dieser Unterlagen in keinem Bezug zu den vorvertraglichen Informationspflichten und wird der Verbraucher nicht klar und verständlich über diesen festen Katalog von Angaben informiert, wenn er sich diese aus unterschiedlichen, zum Teil über 100-seitigen Dokumenten zusammensuchen muss, die ausdrücklich einem ganz anderen Informationszweck dienen. Damit kann letztlich dahinstehen, ob darin alle zu erteilenden Informationen enthalten sind und ob dem Kläger diese Unterlagen vor Zeichnung übermittelt wurden. Diese Ausführungen sind im Berufungsverfahren auch nicht angegriffen worden.

Demnach wurde die Widerrufsfrist zu keinem Zeitpunkt in Gang gesetzt.

10. Infolge des wirksamen Widerrufs, der den Vertrag mit Wirkung ex nunc in ein Rückgewährschuldverhältnis umgewandelt hat (Palandt/Ellenberger, BGB, 80. Aufl. 2021, § 355 Rn. 12) sind die empfangenen Leistungen nach Maßgabe des § 355 Abs. 3 BGB i.V.m. § 357a BGB zurückzugewähren, da es sich – gemäß dem hier anzuwendenden deutschen Recht – um eine Finanzdienstleistung im Sinne des § 1 KWG handelt. Damit ist die Beklagte zu 1 zur Rückzahlung des vom Kläger gezahlten Betrags von 246.506,49 Euro verpflichtet. Da die Inhaberschuldverschreibungen des Klägers auf das bei der Beklagten zu 2 geführte Depot übertragen wurden, erfolgt die Rückgewähr durch Abtretung des Herausgabeanspruchs des Klägers gegenüber der Beklagten zu 2 an die Beklagte zu 1. Wertersatzansprüche im Sinne des § 357a Abs. 2 BGB wurden beiderseits nicht geltend gemacht, so dass dahinstehen kann, ob die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt sind.

11. Ob dem Kläger daneben weitere gesetzliche Widerrufsrechte, insbesondere nach § 305 Abs. 1 Satz 1 Kapitalanlagegesetzbuch (KAGB) zustanden, bedarf keiner Entscheidung mehr. Auch kommt es nicht mehr entscheidungserheblich darauf an, ob die vom Kläger hilfsweise ausgesprochene Kündigung des mit der Beklagten zu 1 geschlossenen Vertrags wirksam war und welche Rechtsfolgen sich ggfl. daraus ergeben.

12. Der Anspruch auf Zahlung von Verzugszinsen folgt aus den §§ 355 Abs. 3 Satz 2, 357a Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB. Damit ist die Beklagte zu 1 mit Ablauf der ihr gesetzlich eingeräumten Leistungszeit von 30 Tagen ab Zugang der Widerrufserklärung am 5.3.2018 (Blatt 55), also am 5.4.2018, ohne Mahnung in Verzug mit der Rückzahlung geraten.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht gegeben sind. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO), noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Nr. 2 ZPO).

 

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