AG Köln – Az.: 142 C 293/17 – Urteil vom 22.01.2018
Die Beklagte wird verurteilt, an die Kläger jeweils 250,00 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.10.2016 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreites.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, soweit nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages geleistet hat.
Tatbestand
Die Kläger nehmen die Beklagte, eine deutsche Fluggesellschaft, auf Ausgleichzahlung nach der EG VO 261/2004 (im Folgenden: FluggastVO) in Anspruch.
Die Kläger waren auf den von der Beklagten ausgeführten Flug mit der Kennung 0 X000 von Palma de Mallorca nach Köln/Bonn am 00.00.2016 gebucht. Geplant war der Abflug in Palma um 14:25 Uhr und die Ankunft in Köln/Bonn um 16:45 Uhr. Die Kläger fanden sich zum Abflugzeitpunkt am Gate ein. Der Flug hatte jedoch eine Verspätung von 4 Stunden und eine Minute und erreichte Köln/Bonn um 20:46 Uhr.
Die Kläger sind der Ansicht, dass ihm nach der Rechtsprechung des EuGH wegen der über drei Stunden hinausgehenden Verspätung eine Ausgleichzahlung nach Art. 5, 7 FluggastVO zustehe.
Die Kläger beantragen, die Beklagte zu verurteilen, an die Kläger jeweils 250,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 19.10.2016 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Verspätung auf einen außergewöhnlichen Umstand gemäß Art. 5 Abs. 3 FluggastVO zurückzuführen sei. Dazu behauptet sie, dass das für die Durchführung des Fluges 0 X000 vorgesehene Flugzeug an demselben Tag zuvor den Flug 0 X0000 von Stuttgart nach Palma de Mallorca habe durchführen sollen. Dieser Flug habe Stuttgart um 11:45 Uhr verlassen und Palma um 13.40 Uhr erreichen sollen. Das Flugzeug habe Stuttgart jedoch nicht verlassen können, da ein Flugzeug der Fluggesellschaft T. gegen 11:30 Uhr beim Verlassen der Landebahn vom Rollweg abgekommen und auf einer Grünfläche zum Stehen gekommen sei. Die Bergung des Flugzeuges habe sich als schwierig gestaltet. Da es sich um einen Flugunfall gehandelt habe, sei der Unfallort von der Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen beschlagnahmt worden. Die Start- und Landebahn sei erst um 15:30 Uhr wieder freigegeben und der Flugverkehr wiederaufgenommen worden. Aufgrund der durch die Sperrung eingetretenen Stauungen seien Starts und Landungen noch mehrere Stunden bis zum späten Abend reglementiert worden. Flug 0 X0000 habe daher erst um 16:03 Uhr nach Palma abfliegen können. Der Beklagten sei es nicht möglich gewesen, den Flug pünktlich durchzuführen. Am Abflugort habe man keine Ersatzflugzeuge vorhalten müssen. Auch habe innerhalb der kurzen Zeit keine Ersatzmaschine nebst Crew überführt werden können. Eine Anfrage wegen eines Subcharters sei erfolgt. Die Anmietung eines Subcharters nehme zwei bis drei Stunden in Anspruch. Da aber die Beklagte mit 21 Flugzeugen und auch andere Fluggesellschaften von der Sperrung betroffen gewesen seien, sei es unmöglich gewesen den gesamten zusätzlichen Bedarf zu decken.
Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist begründet.
Den Klägern steht gegen die Beklagte jeweils ein Ausgleichsanspruch nach Art. 5 Abs. 1 lit. c) iVm Art. 7 Abs. 1 lit. a) FluggastVO in Höhe von 250,00 Euro zu.
I.
Der Anspruch der Kläger auf Ausgleichzahlung in Höhe von jeweils 250,00 Euro gemäß Art. 5 Abs. 1 lit. c) iVm Art. 7 Abs. 1 lit. a) FluggastVO, der nach der Rechtsprechung des EuGH ( EuGH, RRa 2009, 282 ff (Sturgeon); EuGH EuZW 2012, 906 ff. (Nelson)) auch die Fälle der über drei Stunden hinausgehenden Ankunftsverspätung erfasst, ist vorliegend angesichts der unstreitigen vierstündigen Verspätung von Flug 0 X000 von Palma de Mallorca nach Köln/Bonn am 00.00.2016 sowie der unter 1500 km liegenden Entfernung von Palma nach Köln/Bonn entstanden.
Der Anspruch ist nicht nach Art. 5 Abs. 3 FluggastVO ausgeschlossen. Selbst wenn man den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt, dass der Vorflug wegen einer Sperrung der Start- und Landebahn aufgrund des Abkommens eines Flugzeuges von dem Rollweg erst verspätet in Stuttgart starten konnte, stellt sich dies nicht als außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Art. 5 Abs. 3 FluggastVO dar, da die behauptete (Primär-)Ursache – Abkommen eines Flugzeuges vom Rollweg – ein vom normalen Flugbetrieb erfasster Umstand ist.
Nach Art. 5 Abs. 3 der Fluggast VO entfällt die Pflicht zur Leistung von Ausgleichzahlungen, wenn das ausführende Luftfahrtunternehmen nachweisen kann, dass die Annullierung auf außergewöhnliche Umstände zurückzuführen ist, die sich auch dann nicht hätte vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären. Als Ausnahmevorschrift ist Art. 5 Abs. 3 FluggastVO dabei eng auszulegen. Nach dem 14. Erwägungsgrund der FluggastVO können solche Umstände politische Instabilität, mit dem Flug nicht zu vereinbarende Wetterbedingungen, Sicherheitsrisiken, unerwartete Flugsicherheitsmängel und Streiks sein. Der EuGH hat weiter festgestellt, dass Flugsicherheitsmängel in Gestalt von technischen Problemen zwar außergewöhnliche Umstände begründen können, dies aber nur dann der Fall ist, wenn sie Vorkommnisse betreffen, die nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betroffenen Luftfahrtunternehmens sind und sich von ihm aufgrund ihrer Natur oder Ursache tatsächlich nicht beherrschen lassen (EuGH, „Wallentin-Hermann“, Rs. C-549/07, Urteil v. 22.12.2008; sowie EuGH, „Siewert“, Rs. 394/14, Beschluss v. 14.11.2014; EuGH, „van der Lans“, Rs. C-257/14, Urteil v. 17.9.2015). Es müssen danach zwei Voraussetzungen kumulativ vorliegen: Das Vorkommnis darf nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des Luftfahrtunternehmens sein, d.h. es darf der Tätigkeit nicht innewohnen, und es darf aufgrund seiner Natur oder Ursache tatsächlich nicht beherrschbar sein (EuGH, „Peskova“, Rs. C-315/15 (Vogelschlag)“ Flugsicherheitsmängel im Sinne des 14. Erwägungsgrund sind daher nur dann außergewöhnlich im Sinne von Art. 5 Abs. 3 der FluggastVO, wenn sie – unabhängig von Art und der Häufigkeit ihres Auftretens – ihre Ursache nicht in dem normalen Flugbetrieb des Luftfahrtunternehmens haben. Dass es weder auf die Art noch auf die Häufigkeit eines zur Annullierung/Verspätung führenden Vorkommnisses ankommt, hat der EuGH dabei mit der technologischen Komplexität der Flugzeuge und des Flugbetriebes, des gewöhnlichen Auftretens verschiedener Probleme sowie mit den strikten Kontrollen begründet. Dahinter steht letztlich der Gedanke, dass der Flugbetrieb nebst hierbei auftretenden technischen Problemen dem Betriebsrisiko des Luftfahrtunternehmens zuzurechnen ist und er für Störungen aus diesem Bereich – im Sinne einer Gefährdungshaftung – einzustehen hat. Weiter ging es dem EuGH darum die Anwendung der FluggastVO in der Praxis von technischen Fragen nach der Art des Problems genauso freizuhalten wie zu vermeiden, dass es bei der Entscheidung, ob Ausgleich zu leisten ist oder nicht, auf die Frage ankommt, ob ein spezielles Vorkommnis selten, gewöhnlich oder häufig auftritt. Die Abgrenzung, ob ein Vorkommnis dem normalen Flugbetrieb inhärent ist oder nicht lässt sich unter Berücksichtigung der Aufzählung in dem 14. Erwägungsgrund nach Auffassung der erkennenden Abteilung danach vornehmen, ob das Vorkommnis auch außerhalb und unabhängig von dem Flugbetrieb existiert bzw. sein Auftreten einen normalen Flugbetrieb voraussetzt. So kommen versteckte Fabrikationsfehler, schlechte Wetterbedingungen, Sabotageakte etc. auch außerhalb und unabhängig von dem Flugbetrieb vor, während es etwa zu Zusammenstößen des Flugzeuges mit einem Treppenfahrzeug oder Gepäckwagen auf dem Flughafen (EuGH, „van der Lans“, Rs. C-257/14, Urteil v. 17.9.2015; BGH, Urteil vom 20.12.2016 – X ZR 75/15 – zitiert nach juris) nur kommen kann, weil diese Fahrzeuge normaler Bestandteil des Flugbetriebes sind. Die FluggastVO differenziert dabei auch nicht danach, ob eine bestimmte zur Durchführung des Flugbetriebes erforderliche Tätigkeit eine Tätigkeit ist, die durch eigenes Personal der ausführenden Fluggesellschaft ausgeführt wird oder ob sich die ausführende Fluggesellschaft hierzu der Dienste anderer juristischer oder natürliche Personen bedient. Zurechnungsnormen des deutschen Rechtes wie §§ 278, 831 BGB spielen bei der Auslegung der FluggastVO keine Rolle. Auch bei der Frage nach der Beherrschbarkeit kommt es nicht darauf an, ob ein Vorkommnis von dem konkret betroffenen ausführenden Luftfahrtunternehmen beherrscht werden konnte, sondern nur ob es allgemein beherrschbar ist. Eine derartige Differenzierung würde ebenfalls das mit der VO angestrebte hohe Schutzniveau für Fluggäste unterlaufen. Der angestrebte Schutz soll nicht von der dem Fluggast unbekannten betrieblichen Organisation und Aufgabenverteilung des ausführenden Luftfahrtunternehmens abhängen.
Ausgehend hiervon stellt sich das Abkommen eines Flugzeuges von dem Rollweg als beherrschbarer Teil des normalen Flugbetriebes dar. Starts und Landungen sowie die Fahrten auf den Rollwegen von oder zu den Parkpositionen gehören zum normalen Flugbetrieb. Das Luftfahrtunternehmen wird bei Start- und Landevorgänge mit unterschiedlichen Vorkommnissen konfrontiert, die zu technischen Schwierigkeiten führen können. An jeder Stelle auf diesen Wegen kann es zu Unfällen kommen. Flugunfälle sind Teil des normalen Flugbetriebes. Zur Vermeidung von Unfällen wird der Flugbetrieb durch die Flugsicherung des Flughafens überwacht, sind die Vorschriften zur Benutzung der Rollwege sowie Start- und Landebahnen einzuhalten und werden die Einrichtungen kontrolliert und in Stand gehalten. Bei dem behaupteten Abkommen eines Flugzeuges von dem Rollweg auf die Grünfläche handelt es sich um ein Ereignis, dessen Eintritt dem Grunde nach durch die genannten Maßnahmen vorgebeugt werden soll und daher beherrschbar ist. Worauf konkret das Abkommen von dem Rollweg zurückzuführen ist, wird seitens der Beklagten nicht vorgetragen, so dass nicht festgestellt werden kann, ob die Ursache hierfür in einem nicht beherrschbaren Umstand lag, der nicht Teil des normalen Flugbetriebes ist. Unerheblich ist, wie oft es zu derartigen Havarien auf dem Rollweg kommt, wie dargelegt kommt es auf die Häufigkeit der Vorkommnisse nicht an. Ebenso wenig kommt es darauf an, dass der Unfall das Flugzeug eines anderen Luftfahrtunternehmens betraf, da es auf eine Zurechenbarkeit zu der Tätigkeit der Beklagten nicht ankommt.
Die Beklagte kann sich zur Begründung des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes auch nicht darauf berufen, dass im Anschluss an den Unfall der Unfallort beschlagnahmt wurde und es dadurch zu einer Sperrung des Flughafens kam, die wiederum zu Verschiebung von Abflugslots führte. Die durch ein Vorkommnis, das selbst keinen außergewöhnlicher Umstand nach Art. 5 Abs. 3 FluggastVO darstellt, ausgelösten Maßnahmen der Flugsicherung stellen selbst keine eigenständigen außergewöhnlichen Umstände im Sinne dieser Vorschrift dar.
Der 15. Erwägungsgrund der FluggastVO sieht vor, dass von dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden sollte, wenn eine Entscheidung des Flugverkehrsmanagements zu einem einzelnen Flugzeug an einem bestimmten Tag zur Folge hat, dass es bei einem oder mehreren Flügen des betreffenden Flugzeuges zu einer großen Verspätung auch bis zum nächsten Tag oder zu einer Annullierung kommt. Hieraus ließe sich der Schluss ziehen, dass bereits jede Entscheidung des zuständigen Flugverkehrsmanagements losgelöst von ihrem Anlass einen außergewöhnlichen Umstand nach Art. 5 Abs. 3 FluggastVO darstellt, wenn sie zu einer großen Verspätung oder Annullierung führt. Diese Sichtweise würde bedeuten, dass der 15. Erwägungsgrund einen eigenständigen von der Aufzählung in dem 14. Erwägungsgrund unabhängigen außergewöhnlichen Umstand definiert (so LG Köln – Urteil vom 16.05.2017 – 11 S 107/16 – zitiert nach juris, a.A. HG Wien, RRa 2018, 52 f.). Ein solches Verständnis ist aber schon aufgrund einer grammatikalischen und systematischen Auslegung zweifelhaft und würde auch dem Ausnahmecharakter des Art. 5 Abs. 3 FluggastVO sowie dem Ziel ein hohes Schutzniveau für Fluggäste zu erreichen zuwiderlaufen. Gerade in Hinblick auf die teleologische Auslegung ist festzustellen, dass den Erwägungsgründen eine hohe Bedeutung zukommt. Die dem deutschen Recht unbekannten Erwägungsgründe in Rechtsakten der EU haben zwar keinen rechtssetzenden Charakter, sie sind aber mehr als bloße Gesetzesmaterialien, tatsächlich ist der Rechtsanwender verpflichtet, auf ihrer Grundlage eine begründungserwägungskonforme Auslegung vorzunehmen. Diese Auslegung führt vorliegend dazu, dass dem 15. Erwägungsgrund in Bezug auf die Auslegung von Art. 5 Abs. 3 FluggastVO keine eigenständige, sondern nur eine den 14. Erwägungsgrund in Teilen erweiternde Bedeutung zukommt. Der 15. Erwägungsgrund folgt dem 14. unmittelbar nach und greift den in dem 14. Erwägungsgrund erwähnten und definierten Begriff des außergewöhnlichen Umstandes am Anfang wieder auf und bestimmt, dass von dem Vorliegen außergewöhnlicher Umstände ausgegangen werden sollte, wenn die weiteren Voraussetzungen des 15. Erwägungsgrundes vorliegen. Damit wird inhaltlich auf den 14. Erwägungsgrund Bezug genommen. Durch die Wendung „soll ausgegangen werden“ wird der 14. Erwägungsgrund um eine Vermutung für das Vorliegen eines außergewöhnlichen Umstandes nach dem 14. Erwägungsgrund ergänzt, wenn eine Anordnung des Flugverkehrsmanagements vorliegt. Weiter wird der Anwendungsbereich des 14. Erwägungsgrundes für den Fall der mit der Durchführung des betreffenden Flug nicht zu vereinbarenden Wetterbedingungen erweitert, wenn sich die Anordnung des Flugverkehrsmanagements auf die Flüge eines Flugzeuges an einem bestimmten Tag im Sinne einer großen Verspätung, einer Verspätung bis zum nächsten Tag oder einer Annullierung auswirkt. Dass es sich bei dem 15. Erwägungsgrund um eine Ergänzung und Erweiterung und nicht um einen weiteren selbständigen außergewöhnlichen Umstand handelt, ergibt sich auch aus Sinn und Zweck des Ausschlusses nach Art. 5 Abs. 3 FluggastVO. Das Gegenteil wäre der Fall, wenn schon jede Anordnung des Flugverkehrsmanagements einen außergewöhnlichen Umstand darstellen würde. Im normalen Flugbetrieb werden laufend Entscheidungen des Flugverkehrsmanagements getroffen, sei es von der Flugsicherung am Flughafen oder den regionalen und internationalen für verschiedene Flughöhen und Bereiche zuständigen Flugsicherungen. Würde man ohne auf den Grund der Anordnung abzustellen, bereits die Anordnung alleine genügen lassen würde der Anwendungsbereiches von Art. 5 Abs. 3 FluggastVO erheblich ausgedehnt. Die Aufzählung außergewöhnlicher Umstände im 14. Erwägungsgrund wäre zum Teil überflüssig; da das Flugverkehrsmanagement bei Vorliegen solcher Umstände in der Regel regulierend eingreift. Dies ist mit dem Ziel der Verordnung ein hohes Schutzniveau für Fluggäste zu erreichen, nicht vereinbar. Der 15. Erwägungsgrund ist daher nur als Ergänzung um eine gesetzliche Vermutung für das Bestehen eines außergewöhnlichen Umstandes und als Erweiterung des Anwendungsbereich auf alle von einem Flugzeug durchgeführten Flüge eines Umlaufes im Falle der Beeinträchtigung durch Wetterbedingungen zu verstehen. Die Anordnung einer Vermutung wirkt sich auf Darlegungs- und Beweisebene für die Fluggesellschaft dergestalt erleichternd aus, dass sie abweichend von dem 14. Erwägungsgrund nur vortragen und ggfs. nachweisen muss, dass eine auf einen der im 14. Erwägungsgrund genannten außergewöhnlichen Umstände beruhende Anordnung des Flugverkehrsmanagements vorliegt. Dass die außergewöhnlichen Umstände tatsächlich vorlagen wird dann vermutet und es bedarf keiner weiteren konkretisierenden Darlegung oder eines Beweises. Der Grund für diese Beweiserleichterung liegt darin, dass den Anordnungen der Flugsicherung aufgrund ihres oftmals auch hoheitlichen Charakters eine hohe Beweiskraft zukommt und zudem die Fluggesellschaften diesen Anordnungen Folge leisten müssen.
Dies beachtend ist es vorliegend ohne Bedeutung, dass die Verspätung des Vorfluges 4 U 2592 auf der von der Flugsicherung angeordneten Verschiebung des Abflugslots beruhte; denn dieser Verschiebung lag kein außergewöhnlicher Umstand zugrunde, vielmehr war sie Folge der Sperrung der Start- und Landebahn, die wiederum ihre Ursache in dem Unfall eines anderen Flugzeuges hatte, welcher für sich genommen seinerseits kein außergewöhnlicher Umstand ist. Die letzte Ursache für den Unfall ist aber unbekannt, so dass auf sie nicht abgestellt werden kann.
Unabhängig von der Frage des Vorliegens eines außergewöhnlichen Umstandes ist weiter nicht festzustellen, dass die Beklagte alle ihr zumutbaren Maßnahmen ergriffen hat, um die eingetretene große Verspätung zu vermeiden. Insbesondere hat sie nicht dargelegt, inwieweit die Fluggäste von Flug 0 X000 auf Flüge anderer Fluggesellschaften ab Palma nach Köln/Bonn hätten umgebucht werden können, um so die Verspätung zu vermeiden.
Die von der Fluggesellschaft im Rahmen von Art. 5 Abs. 3 FluggastVO zu ergreifenden zumutbaren Maßnahmen müssen sich auf die außergewöhnlichen Umstände beziehen. Sie müssen geeignet sein, die Kausalkette zwischen außergewöhnlichen Umstand und Annullierung bzw. großer Verspätung zu unterbrechen. Welche Maßnahmen eine Fluggesellschaft zuzumuten sind, um zu vermeiden, dass außergewöhnliche Umstände zu einer erheblichen Verspätung eines Fluges führen oder Anlass zu seiner Annullierung geben, bestimmt sich nach den Umständen des Einzelfalls; die Zumutbarkeit ist situationsabhängig zu beurteilen. Darlegungsbelastet dafür, dass alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen wurden, ist die Fluggesellschaft. Nach der Rechtsprechung des BGH (BGH, Urteil vom 12.06.2014 – X ZR 121/13 – zitiert nach juris) ist zu prüfen, ob die Fluggesellschaft Vorkehrungen getroffen hat, damit nicht bereits bei gewöhnlichem Ablauf des Luftverkehrs durch den Eintritt geringfügiger Beeinträchtigungen die Gefahr besteht, dass die Gesellschaft den Flugplan nicht mehr einhalten kann. Kommt es zu einer mehr als geringfügigen Beeinträchtigung oder droht diese einzutreten, muss geprüft werden, ob die Fluggesellschaft alle ihr in dieser Situation möglichen Maßnahmen ergriffen hat, dass es zu keiner Annullierung oder großen Verspätung kommt. Gravierende Beeinträchtigungen des Flugplans müssen nach Möglichkeit vermieden werden. Die Fluggesellschaft kann daher in dieser Situation gehalten sein, je nach Größe in einem wirtschaftlich zumutbaren Umfang Ersatzflugzeuge und Ersatzcrews jedenfalls an den Heimathäfen vorzuhalten oder aber je nach Schwere der Beeinträchtigung auch verfügbare Flugzeuge Dritter zu chartern, um die vorgesehenen Flüge ohne wesentliche Verzögerungen durchführen zu können (BGH a.a.O.). Dabei ist anerkannt, dass die Fluggesellschaften nicht verpflichtet sind, an jedem Flughafen Ersatzflugzeuge vorzuhalten. Eine geeignete Maßnahme zur Unterbrechung der Kausalkette stellt es aber auch dar, wenn Fluggäste, die mit einem auf einem Vorflug von einer Annullierung oder Verspätung betroffenen Flugzeug hätten transportiert werden sollen, auf andere Flüge anderer Fluggesellschaften umgebucht werden. Dass es sich hierbei auch um zumutbare Maßnahmen handelt, ergibt sich aus Art. 5 Abs. 1 lit. a), 8 Abs. 1 lit. b), c) sowie dem 12. Erwägungsgrund. Es ist kein Grund ersichtlich, warum die Verpflichtung des Luftfahrtunternehmens nach einer Annullierung bei entsprechender Wahl seitens des Fluggastes eine anderweitige Beförderung zu gewährleisten nicht im Einzelfall schon ein Maßnahme zur Vermeidung einer Annullierung oder Verspätung sein kann. Soweit der BGH (a.a.O) diese Maßnahme ausschließt, weil sich die Maßnahme auf den Flug beziehen muss und nicht auf die Beförderung des einzelnen Fluggastes, wird nach Auffassung des Gerichtes die gerade auch vom BGH betonte flexible und situationsabhängige Beurteilung der Zumutbarkeit übersehen. Auch ist Art. 5 Abs. 3 FluggastVO weder vom Wortlaut noch vom Zweck her zu entnehmen, dass sich die zumutbaren Maßnahmen auf den Beförderungsvorgang als Ganzes beziehen müssen, d.h. die Beförderung mit der Gesamtheit der Fluggäste von einem Flughafen zu einem anderen erfolgen muss. Im Mittelpunkt der FluggastVO steht nicht die Aufrechterhaltung von Beförderungsvorgängen sondern der Schutz des einzelnen Fluggastes vor den Folgen von Annullierungen und großen Verspätungen. Ein solches Verständnis würde auch die Möglichkeiten der Luftfahrtunternehmen, die Folgen von Annullierungen und Verspätungen zu vermeiden, erheblich beschränken (wie hier mit weiteren Nachweisen: BeckOK Fluggastrechte-VO/Schmid VO (EG) 261/2004 Art. 5 Rn. 139-146). Die Ansicht des BGH entspricht auch der Praxis im Flugverkehr. Es ist im Flugverkehr durchaus üblich, dass bei dem Ausfall oder der Verspätung von Flügen Umbuchungen auf andere Flüge der eigenen Gesellschaft, auf Flüge von Tochterunternehmen oder miteinander kooperierender Fluggesellschaften vorgenommen werden. Auch Umbuchungen auf Flüge von Konkurrenzunternehmen werden praktiziert. Solche Umbuchungen kommen vor allem dann in Betracht, wenn zwischen dem Eintritt des die Annullierung oder Verspätung auslösenden Ereignisses und dem durchzuführenden Flug noch ausreichend Zeit liegt, sie erfolgen in aller Regeln schon deshalb, weil es zumeist auch vertragliche Verpflichtungen der Fluggesellschaften gegenüber den Fluggästen gibt. Im Ergebnis muß daher von dem ausführenden Luftfahrtunternehmen auch eine Umbuchung einzelner oder aller Fluggäste auf andere Flüge als zumutbare Maßnahme in Betracht gezogen werden.
Vorliegend kam es auf dem Flughafen Stuttgart um 11:30 Uhr zu dem Unfall. Der Abflug von Flug 0 X000 sollte um 14.25 Uhr erfolgen. Damit bestand die Möglichkeit die Fluggäste von Flug 0 X000 auf Flüge, die bis um 17.25 Uhr Palma in Richtung Köln/Bonn oder einem in der Nähe gelegenen Flughafen verließen, umzubuchen, um eine Verspätung von mehr als drei Stunden zu verhindern. Dass es solche Möglichkeiten nicht gab, hat die Beklagte nicht vorgetragen.
II.
Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus Verzug nach den §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB seit dem 19.10.2016.
III.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 91, 708 Nr.11, 711 ZPO.
Die in Hinblick auf die angesprochenen, die FluggastVO betreffenden Auslegungsfragen an sich gebotene Vorlage beim EuGH gemäß Art. 267 AEUV (BVerfG, Beschluss vom 6.10.2017 – 2 BvR 987/16) kann vorliegend unterbleiben, da das erkennende Gericht nicht das letztinstanzlich entscheidende Gericht ist.
Streitwert: 1.000,00 Euro