OBERLANDESGERICHT FRANKFURT AM MAIN
Az.: 2 Ws 232/01 OWiG
BESCHLUSS vom 03.07.2001
In der Bußgeldsache wegen Zuwiderhandlung gegen die StVO hat das Oberlandesgericht – Senat für Bußgeldsachen Frankfurt am Main auf die Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 22.2.2001 am 3.7.2001 gem. §§ 79 Abs. 1 u. 2, Abs. 5 u. 6, 46 OWiG beschlossen:
Das Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch aufgehoben.
Gegen den Betroffenen wird eine Geldbuße von 200,00 DM festgesetzt. Ihm wird außerdem verboten, für die Dauer eines Monats Kraftfahrzeuge jeder Art im Straßenverkehr zu führen.
Das gegen den Betroffenen verhängte Fahrverbot wird erst wirksam, wenn der Führerschein in amtliche Verwahrung gelang spätestens jedoch mit Ablauf von vier Monaten seit Rechtskraft dieses Beschlusses (4.7.2001). Der Betroffene hat die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens und seine, notwendigen Auslagen zu tragen. Zusätzlich angewendete Vorschrift: § 25 StVG.
Gründe:
Das Amtsgericht Frankfurt a.M. verurteilte den Betroffenen wegen einer fahrlässigen Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 50 km/h um 36 km/h, begangen am 10.3.2000 um 22.29 Uhr auf der… in … durch Urteil, vom 22.2.2001 zu einer Geldbuße in Höhe von 300,- DM. Von der Verhängung eines Fahrverbots sah es ab. Hiergegen richtet sich die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Rechtsbeschwerde der Amtsanwaltschaft, mit der sie die Verletzung materiellen Rechts rügt. Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht ist dem Rechtsmittel beigetreten.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie ist wirksam auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkt. Die zum Schuldspruch getroffenen Feststellungen reichen für eine Beurteilung der Rechtsfolgenentscheidung grundsätzlich aus und stehen demzufolge bindend fest. Wegen der Wechselwirkung zwischen der Höhe der Geldbuße und dem Fahrverbot wird allerdings der Rechtsfolgenausspruch von der Rechtsbeschwerde in vollem Umfang erfasst.
Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Das Urteil war auf die erhobene Sachrüge hin im Rechtsfolgenausspruch zu ändern. Gegen den Betroffenen war neben der Regelgeldbuße von 200,- DM ein Fahrverbot von einem Monat Dauer zu verhängen.
Nach den aufgrund der Beschränkung des Rechtsmittels in Rechtskraft erwachsenen Feststellungen des Amtsgerichts handelt es sich bei der dem Betroffenen angelasteten Geschwindigkeitsüberschreitung um 36 km/h innerhalb einer geschlossenen Ortschaft um einen Regelfall nach § 2 Abs. 1 Nr. BKatV in Verbindung mit Nr. 5.3.3 der Tabelle 1 des Anhangs zur BKatV, der einen groben Verstoß im Sinne von § 24 Abs. 1 S. 1 StVG indiziert und grundsätzlich die Verhängung eines Fahrverbots zur Folge hat. Bei Vorliegen eines derartigen Regelfalles ist nur noch in Einzelfällen, in denen der Sachverhalt ausnahmsweise zugunsten des Täters erheblich vom Normalfall abweicht, zu prüfen, ob der notwendige Warneffekt auch ohne Verhängung eines Fahrverbots durch Erhöhung der Geldbuße erreicht werden kann (vgl. BGH, NJW 1992,446; OLG Frankfurt a.M. – 2 Ws (B) 282/99 OwiG -; – 2Ws(B)293/99 OWiG -; -2Ws (B) 94/01 OWiG-;OLGDüsseldorf, DAR 1991, 111 f; OLG Gelle, NZV 1991, 199; OLG Stuttgart, VRS 80, 383). Hierbei ist insbesondere die berufliche Situation des Betroffenen von Bedeutung. Insofern kann ein relevanter Ausnahmefall dann gegeben sein, wenn das Fahrverbot zu einer, beruflichen Härte ganz außergewöhnlicher Art wie dem Existenzverlust eines Selbständigen oder dem Verlust des Arbeitsplatzes bei einem Arbeitnehmer führen würde (vgl. OLG Frankfurt a.M. – 2 Ws (B) 377/98 OWiG -; 2 Ws (B) 555/98 OWiG 2 Ws(B) 485/99 OWiG 2 Ws (B) 92/00 OWiG 2 Ws (B) 128/01 OwiG.
Der vom Amtsgericht festgestellte Sachverhalt rechtfertigt die Annahme eines Ausnahmefalles und damit das Absehen von der Verhängung eines Fahrverbots nicht. Das Amtsgericht hat hierzu ausgeführt, – das Absehen von einem Fahrverbot sei schon dadurch gerechtfertigt, daß für den nicht vorbelasteten Betroffenen aufgrund seiner Erkrankung und der damit verbundenen Notwendigkeit, den Beutel des künstlichen Darmausgangs oftmals innerhalb kürzester Zeit zu entlüften oder auch auszuwechseln, die Benutzung von öffentlichen Verkehrsmitteln mit über den Regelfall erheblich hinausgehenden Belastungen verbunden sei. Zudem sei ihm für die Dauer eines Fahrverbots die Ausübung seiner Berufstätigkeit als Netzwerkbetreuer, bei der er häufig beim Kunden arbeite und somit viel unterwegs sei, ausgeschlossen.
Der Betroffene hat in seiner Stellungnahme vom 22.5.2001 zu der Begründung der Rechtsbeschwerde durch die Amtsanwaltschaft jedoch selbst vortragen lassen, daß er Langzeitarbeitsloser sei. Er erhalte bisher wegen des drohenden einmonatigen Fahrverbots erst gar keinen Arbeitsplatz. Dies hat aber zur Folge, daß die seitens des Amtsgerichts vorausgesetzten beruflichen Nachteile für den Betroffenen gar nicht bestehen. Der Betroffene kann das gegen ihn verhängte Fahrverbot auch trotz der Regelung in § 25 Abs. 2a StVG direkt nach Rechtskraft der Entscheidung wirksam werden lassen, so daß es bei Antritt einer neuen Arbeitsstelle bereits abgelaufen wäre. Damit verbleiben allein die im privaten Bereich infolge eines Fahrverbots entstehenden Einschränkungen. Diese sind für den Betroffenen auch unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit noch zumutbar. Hierbei ist allerdings davon auszugehen, daß dem Betroffenen andere Personen, die ihn chauffieren könnten, nicht zur Verfügung stehen. Auch bleibt es bei der Beurteilung, daß es sich bei den für den Betroffenen eintretenden Erschwernissen und Unbequemlichkeiten nicht nur um solche handelt, die grundsätzlich auch für jeden anderen mit der Verhängung eines Fahrverbots verbunden sind, sondern daß diese ihn erheblich stärker treffen. Trotz dieser Umstände sind die lediglich den privaten Bereich des im Stadtgebiet Frankfurt a.M. wohnenden Betroffenen berührenden Einschränkungen aber noch nicht unzumutbar. Bei unerlässlichen Fahrten kann er gegebenenfalls jeweils ein Taxi in Anspruch nehmen. Dadurch ist er auch nicht gezwungen, mehr als 5 kg zu tragen, was ihm seine Erkrankung nicht gestattet. Entstehende finanzielle Einbußen muß der Betroffene dabei hinnehmen. Sie bewegen sich im Hinblick auf die verhältnismäßig kurze Dauer des Fahrverbots von einem Monat in überschaubaren Grenzen.
Daß der Betroffene nicht vorbelastet ist, rechtfertigt eine andere Beurteilung nicht. Die BKatV nebst Anhang geht grundsätzlich von einem nicht vorbelasteten Verkehrsteilnehmer aus. Das Amtsgericht hat ferner berücksichtigt, daß es sich um ein Augenblicksversagen handele, da der Betroffene nach seinen Angaben eine erst kurz zuvor durch Entfernung von Verkehrsschildern erfolgte Änderung der Geschwindigkeitsbegrenzung übersehen habe. Die Begründung des Amtsgerichts ist jedoch nicht tragfähig;
es hat ersichtlich lediglich die Angaben des Betroffenen zu der angeblichen Aufhebung einer zuvor angeordneten höheren zulässigen Höchstgeschwindigkeit übernommen, ohne diese zu überprüfen. Zudem hätte der Betroffene nach seinem Vorbringen nicht ein die Geschwindigkeit beschränkendes Schild übersehen, sondern die innerorts grundsätzlich zulässige Höchstgeschwindigkeit nicht eingehalten was nicht den Tatbestand eines Augenblickversagens erfüllt.
Einer Zurückverweisung der Sache an das Amtsgericht bedarf es nicht, da weitere Feststellungen nicht zu treffen sind. Der Senat ist damit in der Lage, in der Sache selbst zu entscheiden (§ 79 Abs. 6 OWiG) und die bei einer fahrlässigen Geschwindigkeitsüberschreitung von 36 km/h innerhalb einer – geschlossenen Ortschaft vorgesehenen Regelsanktionen, nämlich eine Geldbuße von 200,- DM sowie ein Fahrverbot für die Dauer eines Monats zu verhängen.
Der Betroffene hat die Kosten des für ihn nachteilig entschiedenen Rechtsmittels einschließlich seiner notwendigen Auslagen zu tragen (§ 465 StPO analog).