Kameramängel und Verbraucherschutz: Ein kniffliger Fall im Zivilrecht
In einer bemerkenswerten Verhandlung vor dem LG München I hat sich der Kläger für seine Rechte als Verbraucher stark gemacht. Im Kern dieser Auseinandersetzung stand die Frage, was ein Käufer von einer Kamera erwarten kann und welche Verpflichtungen für den Verkäufer daraus entstehen. Die Diskussion kreiste vor allem um die Einsatzfähigkeit der Kamera bei niedrigen Temperaturen.
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Übersicht:
Die Rolle der Produktbeschaffenheit
Die Erwartungen an die Beschaffenheit eines Produkts können ein kompliziertes Gebiet des Verbraucherschutzes sein. Nach geltendem Recht ist ein Produkt nur dann als mängelfrei zu betrachten, wenn es sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei vergleichbaren Produkten üblich ist. In diesem Fall ging es um eine Kamera, die nach Ansicht des Klägers bei Temperaturen unter 0° C nicht ordnungsgemäß funktionierte. Laut Herstellerangaben sollte sie jedoch auch bei diesen Bedingungen einsatzbereit sein.
Die Herangehensweise des Gerichts
In solchen Fällen sind Gerichte gezwungen, zu ermitteln, was die „gewöhnliche Verwendung“ für ein Produkt ist. Hierbei spielen die allgemeinen Vorstellungen der Parteien zur Verwendung der Kaufsache eine wesentliche Rolle. Beispielsweise werden Kameras oft bei langen Wanderungen im Freien eingesetzt, wobei sie möglicherweise nicht kontinuierlich am Körper getragen werden können. Auch die Betriebsanleitung, die vom Hersteller zur Verfügung gestellt wird, kann wichtige Hinweise geben. In dieser Anleitung wird das erwartete Leistungsvermögen der Kamera und ihre Einsatzbereitschaft unter verschiedenen Bedingungen beschrieben.
Das Urteil und seine Implikationen
Im vorliegenden Fall hat ein Sachverständiger bestätigt, dass die Kamera unter einer Temperatur von 4° C nicht mehr funktionsfähig war, obwohl sie laut Hersteller bis zu 0° C einsatzbereit sein sollte. Daher hat das Gericht entschieden, dass es sich tatsächlich um einen relevanten Sachmangel handelt. Trotzdem hat das Gericht die Revision abgelehnt, da der Fall keine grundsätzliche Bedeutung für die Rechtsprechung hat und nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
Diese Entscheidung zeigt auf, wie wichtig es ist, die genauen Produktinformationen zu kennen und sich mit den Rechten als Konsument auseinanderzusetzen. Es erinnert Verkäufer und Hersteller daran, genaue und ehrliche Informationen über ihre Produkte bereitzustellen, um eine faire und transparente Behandlung der Verbraucher zu gewährleisten. […]
Das vorliegende Urteil
LG München I 6. Zivilkammer – Datum: 19.11.2020 – Az.: 6 S 8834/20
Orientierungssatz
Die gewöhnliche Verwendung wird wesentlich durch die allgemeinen Vorstellungen von Parteien zur Verwendung der Kaufsache, aber auch durch die einer Kamera vom Hersteller beigegebenen Betriebsanleitung definiert. Diese bringt die Leistungsdaten der Kamera und damit das zum Ausdruck, was der Käufer von der Sache erwarten kann (hier: Einsatzfähigkeit bei Temperaturen bis 0° C).(Rn.25)
vorgehend AG München, 18. Juni 2020, 191 C 4038/17, Urteil
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts München vom 18.06.2020, Az. 191 C 4038/17, wie folgt abgeändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.799,00 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 11.02.2017 zu zahlen, dies Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung der Digitalkamera S… ILCE sowie des Objektivs S… 18-200 mm.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme der oben genannten Gegenstände in Verzug befindet.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 32,97 Euro nebst 255,85 Euro (für die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung) zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.831,97 € festgesetzt.
Gründe
I.
Die Parteien streiten um einen Gewährleistungsanspruch des Klägers nach dem Kauf einer Fotokamera bei der Beklagten.
Der Kläger kaufte am 25.07.2016 bei der Beklagten eine Kamera S… einschließlich eines Zoomobjektivs zum Preis von 1799,00 €.
Zwischen den Parteien steht die Funktionsfähigkeit der Kamera bei niedrigen Temperaturen im Streit. Unstreitig enthält die Betriebsanleitung den Hinweis, die Kamera sei bei Temperaturen bis 0° C einsatzfähig.
Der Kläger schickte die Kamera dreimal unter Hinweis auf von ihm behaupteten Mängel an die Beklagte, erhielt die Kamera jedoch jeweils unter Hinweis darauf zurück, dass die Kamera fehlerfrei funktioniere.
Mit Schreiben vom 23.12.2016 setzte der Beklagte dabei eine Frist zur Mängelbeseitigung, die fruchtlos verstrich. Mit Schreiben vom 17.01.2016 erklärte der Kläger seinen Rücktritt vom Kaufvertrag.
Mit Email vom 26.01.2017 verweigerte die Beklagte endgültig die Rückabwicklung des Kaufvertrags.
Der Kläger trägt vor:
Bei niedrigen Temperaturen, namentlich bei einer Temperatur von 3° C trete beim Antippen des Auslöseknopfes ein Wackeln im Sucher und im Display und Vibrieren des Objektivs auf. Gleichzeitig mache die Kamera ein Geräusch. Die Probleme träten dann nicht auf, wenn der Bildstabilisator deaktiviert sei. Ein Bildstabilisator solle jedoch genau das Gegenteil bewirken, also Verwacklungen ausgleichen und nicht für Verwacklungen sorgen.
Der Kläger beantragte in erster Instanz:
1.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1799,00 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.02.2017 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe der Digitalkamera S… und des Objektivs S. 18 – 200 mm SC.
2.
Es wird festgestellt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme der Digitalkamera gemäß Klageantrag 1. in Verzug befindet.
3.
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger weitete 32,97 € zu bezahlen und ihm anrechenbare vorgerichtliche Kosten in Höhe von 255,85 € zu erstatten.
Die Beklagte beantragte in erster Instanz
die Klage abzuweisen.
Sie trägt dazu vor,
man habe die Kamera untersucht und einen Mangel nicht feststellen können. Deswegen habe man den Rücktritt des Klägers nicht akzeptiert.
Das Amtsgericht hat zur Frage der Funktionsfähigkeit Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Dieses erstattete der Sachverständige U… durch schriftliches Gutachten vom 02.03.2020 (Bl. 166-206 der Akten).
Die Kammer nimmt für den Sachverhalt auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf das erstattete Gutachten Bezug.
II.
Das Amtsgericht hat die Klage mit Urteil vom 18.06.2020 (Bl. 238/244) abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, der mit der Berufung das Klagebegehren weiterverfolgt.
Der Kläger stellt im Berufungsverfahren den Antrag unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils wie in erster Instanz beantragt zu erkennen.
Die Beklagte verteidigt das Urteil und beantragt die Zurückweisung der Berufung und Abweisung der Klage. Zugleich beantragt sie die Zulassung der Revision.
III.
Die Berufung und die Klage sind begründet; das erstinstanzliche Urteil war entsprechend abzuändern.
1.
Der Kläger kann die Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe und Rückübereignung der Kamera verlangen, §§ 437 Nr. 2, 440, 323, 326 Abs. 5 BGB.
Die Kamera ist mangelhaft: Sie ist nicht von der zu erwartenden Beschaffenheit, § 434 Satz 2 Nr. 2 BGB. Die zu erwartende Beschaffenheit ergibt sich vorliegend aus der von der Herstellerin und damit auch der Beklagten der Kamera beigegebenen Betriebsanleitung. Diese sieht vor, dass die Kamera bis zu einer Betriebstemperatur von 0° C einwandfrei betrieben werden kann. Ein Mangel liegt nur dann nicht vor, wenn die Kaufsache sich für die gewöhnliche Verwendung eignet und eine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Die gewöhnliche Verwendung wird wesentlich durch die allgemeinen Vorstellungen von Parteien zur Verwendung der Kaufsache, aber eben auch durch die Betriebsanleitung definiert. Diese bringt die Leistungsdaten der Kamera und damit das zum Ausdruck, was der Käufer von der Sache erwarten kann. Die Kammer teilt damit den Ansatz des Amtsgerichts, das die Leistungsdaten der Kamera dem Benutzerhandbuch entnommen hat. Das amtsgerichtliche Urteil setzt sich jedoch nicht mit der Aussage der Betriebsanleitung auseinander, dass ein Betrieb bei Temperaturen bis 0° C möglich ist. Dass der Fehler erst nach mehreren Stunden Akklimatisierung auftrat, steht der Annahme eines Mangels nicht entgegen. Kameras werden regelmäßig auch nach längeren Wanderungen im Außenbereich eingesetzt: Eine Systemkamera kann man dabei regelmäßig nicht dauerhaft am Körper tragen.
Auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen geht die Kammer vom Vorliegen eines relevanten Sachmangels im vorgenannten Sinne aus: Der Sachverständige hat ausgeführt, dass er bei einer Betriebstemperatur von 4° C die vom Kläger behaupteten Mängel habe reproduzieren können. Habe die Kamera bei kurzer Verweildauer in der kühlen Temperatur zunächst noch keine Störung gezeigt, so habe sich bei einer längeren Akklimatisierungsdauer der Fehler eingestellt (Seite 36 des Sachverständigengutachtens, Bl. 199 der Akte). Dieser habe sich auch in einem weiteren Testlauf reproduzieren lassen (Seite 38 des Sachverständigengutachtens, Bl. 201 der Akte).
Die Kammer folgt diesen Ausführungen des Sachverständigen. Der Sachverständige hat sein Gutachten denkbar gründlich, unter sorgfältiger Dokumentation und ausgewogen begründet erstattet. Die Parteivertreter haben seine Ausführungen ebenfalls nicht in Frage gestellt, sondern streiten lediglich über die rechtlichen Schlussfolgerungen daraus.
Der festgestellte Mangel ist auch erheblich. Wie ausgeführt hält die Kammer es nicht für ungewöhnlich, eine Kamera auch bei längeren Außenaufenthalten mitzuführen. Dabei können die hier kritischen Temperaturen ohne weiteres auftreten, so dass der Kläger jeweils auch damit rechnen müsste, dass die Kamera im entscheidenden Augenblick nicht zuverlässig arbeitet.
Der Kläger setzte eine Frist zur Nachbesserung, die ergebnislos verstrich.
Der Anspruch besteht nur Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung der Kamera. Allerdings hat die Beklagte die Abwicklung des Kaufvertrags bereits vorprozessual abgelehnt, sie befindet sich also im Annahmeverzug, der antragsgemäß festzustellen ist.
2.
Der Kläger kann die Versendungskosten nach den §§ 346 Abs. 4, 281 BGB ersetzt verlangen. Sie sind dem Kläger infolge des Sachmangels entstanden.
3.
Die Kosten der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung kann der Kläger ebenfalls ersetzt verlangen. Nachdem die Beklagte die Kamera mehrfach zurücksendete und eine Rückabwicklung ablehnte, war die Inanspruchnahme eines Rechtsanwalts zur Rechtsdurchsetzung geboten, §§ 346 Abs. 4, 281 BGB.
4.
Der Zinsanspruch beruht auf den §§ 280, 286 BGB.
IV.
Die Revision war nicht zuzulassen.
Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch ist sie zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich, § 543 Abs. 2 ZPO. Ersteres wäre nur der Fall, wenn eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten ist und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (Heßler in: Zöller, Zivilprozessordnung, 33. Aufl. 2020, § 543 ZPO, Rn. 11). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Dass der Käufer einer Kaufsache die Leistung erwarten kann, die die Betriebsanleitung darstellt, ist ein weithin unstreitiger Rechtssatz. Die Parteien streiten allein über die Konsequenzen im vorliegenden Fall. Für diese Anwendungsfrage gibt es kein abstraktes Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts. Zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung ist die Revision ohnehin nicht zuzulassen.
V.
Die Nebenentscheidungen beruhen auf den § 708 Nr. 10 ZPO (Vollstreckbarkeit) sowie § 91 Abs. 1 ZPO (Kosten).
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant
- Kaufrecht (Bürgerliches Gesetzbuch – BGB, §§ 433 ff.): Das Kaufrecht bildet das Kernstück dieses Falls. Es regelt den Kaufvertrag, bei dem eine Partei (Verkäufer) sich verpflichtet, dem anderen Teil (Käufer) den Eigentum an einer Sache zu übertragen, und dieser im Gegenzug den vereinbarten Kaufpreis zu zahlen hat. Der Kläger behauptet, die gekaufte Kamera weise einen Sachmangel auf, da sie bei Temperaturen unter 4°C nicht mehr funktionsfähig war. Das Gesetz (§ 434 BGB) definiert einen Sachmangel u.a. dann, wenn die Sache nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat. In diesem Fall konnte die Kamera nicht wie in der Produktbeschreibung vom Hersteller angegeben bei 0°C verwendet werden.
- Gewährleistungsrecht (Bürgerliches Gesetzbuch – BGB, §§ 434 ff.): Die Gewährleistungsrechte kommen zur Anwendung, wenn der gekaufte Gegenstand mangelhaft ist. Der Käufer kann zunächst Nacherfüllung (Reparatur oder Neulieferung) verlangen. Scheitert diese, kann er vom Kaufvertrag zurücktreten oder den Kaufpreis mindern und unter Umständen Schadensersatz verlangen. Hier geht es um den Punkt, dass die Kamera nicht die in der Betriebsanleitung versprochene Eigenschaft (Betrieb bis 0°C) aufweist und daher mangelhaft im Sinne von § 434 BGB ist.
- Zivilprozessrecht (Zivilprozessordnung – ZPO, §§ 511, 543): Das Zivilprozessrecht regelt die Durchführung von Streitigkeiten vor den Zivilgerichten. Hier ist insbesondere die Revision von Bedeutung, welche nur unter bestimmten Voraussetzungen zugelassen ist (§ 543 ZPO). Die Revision wurde im vorliegenden Fall vom Gericht nicht zugelassen, da der Fall keine grundsätzliche Bedeutung hat und nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich ist.
- Verbraucherschutzrecht: Das Verbraucherschutzrecht schützt Verbraucher vor unlauteren Geschäftspraktiken und regelt unter anderem die Informationspflichten von Verkäufern. Im vorliegenden Fall könnte das Verbraucherschutzrecht relevant sein, weil es Fragen zur Genauigkeit und Vollständigkeit der vom Hersteller bereitgestellten Produktinformationen (hier: Betriebsanleitung) betrifft.