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Haftung wenn Kaufinteressent mit Pferd eines Proberitts zu Schaden kommt

Pferdehalterin haftet für Unfall bei Proberitt

Das Landgericht Ravensburg entschied, dass die Beklagte zu 70% für die durch einen Reitunfall verursachten Schäden haftet. Die Klägerin, eine erfahrene Reiterin, stürzte während eines Proberitts mit einem zum Verkauf stehenden Pferd und erlitt schwere Verletzungen. Der Unfall resultierte aus einem unkontrollierten Verhalten des Pferdes, wobei die Klägerin zu 30% ein Mitverschulden traf.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 5 O 26/23  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Haftungsquote: Die Beklagte ist zu 70% haftpflichtig für den Schaden aus dem Reitunfall gemäß § 833 S. 1 BGB.
  2. Reitunfall: Die Klägerin stürzte von einem Pferd während eines Proberitts und erlitt einen Wirbelsäulenbruch.
  3. Spezifische Tiergefahr: Die Verletzung resultierte aus einer spezifischen Tiergefahr, da das Pferd unkontrolliert in den Galopp überging.
  4. Kein Entlastungsbeweis: Die Beklagte konnte keinen Entlastungsbeweis führen, dass sie die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hatte.
  5. Mitverschulden der Klägerin: Ein Mitverschulden der Klägerin von 30% wurde aufgrund ihres Umgangs mit dem nervös wirkenden Pferd festgestellt.
  6. Kein Handeln auf eigene Gefahr: Die Klägerin handelte nicht auf eigene Gefahr, da keine erhöhte Tiergefahr vorlag.
  7. Kein vertraglicher Haftungsausschluss: Ein Haftungsausschluss durch die Beklagte wurde nicht festgestellt.
  8. Proberitt als Risiko: Der Proberitt stellte eine normale reiterliche Tätigkeit dar, die keine erhöhte Tiergefahr begründete.

Rechtliche Aspekte der Haftung bei Reitunfällen

Reitunfall
(Symbolfoto: Pavel1964 /Shutterstock.com)

Im Fokus der rechtlichen Betrachtung steht die Haftung bei Reitunfällen, ein Thema, das sowohl Pferdebesitzer als auch Reiter betrifft. Besondere Aufmerksamkeit gilt hierbei der Frage, wer die Verantwortung trägt, wenn während eines Proberitts ein Unfall geschieht. Dieser Sachverhalt wirft komplexe rechtliche Fragen auf, insbesondere im Hinblick auf die Tierhalterhaftung und das mögliche Mitverschulden der beteiligten Personen.

In einem aktuellen Fall sehen wir uns mit der Situation konfrontiert, in der ein Kaufinteressent während eines Proberitts mit einem Pferd zu Schaden kommt. Der Unfall führt zu ernsthaften Verletzungen, wodurch sich die Frage nach der Schadensersatzpflicht und der Verteilung der Haftungsquote stellt. Dieser Fall beleuchtet die rechtlichen Nuancen und Herausforderungen, die sich aus der Interaktion zwischen Mensch und Tier ergeben, und wirft zugleich ein Licht auf die Bedeutung sorgfältiger Überlegungen im Umgang mit Tieren.

Lesen Sie weiter, um einen tieferen Einblick in die juristischen Details dieses speziellen Falles zu erhalten, der wichtige Erkenntnisse für alle bietet, die sich mit dem Recht im Kontext von Pferdekauf und Reitsport auseinandersetzen.

Der dramatische Proberitt: Ein Unfall und seine Folgen

Ein scheinbar harmloser Proberitt endete für eine Kaufinteressentin in einem schweren Reitunfall, der nicht nur physische, sondern auch juristische Folgen nach sich zog. Die Klägerin, eine erfahrene Reiterin, begab sich am 17. April 2021 auf den Hof der Beklagten, um ein zum Verkauf stehendes Pferd zu testen. Was als Routinebesichtigung begann, endete in einem Unfall, bei dem die Klägerin schwer verletzt wurde.

Unfallhergang: Zwischen Proberitt und Schicksalsschlag

Die Klägerin, eine begeisterte Pferdeliebhaberin, wollte einen 3,5 Jahre alten Wallach probereiten. Zunächst wurde das Pferd von einem Zeugen vorgestellt, sowohl im Freilauf als auch beim Reiten in der Halle und im Gelände. Keine Auffälligkeiten wurden dabei bemerkt. Als die Klägerin das Pferd selbst ritt, verlief zunächst alles normal, bis sie im Gelände zu traben begannen. Plötzlich und unerwartet rannte das Pferd auf einen Acker, woraufhin die Klägerin stürzte und sich schwer verletzte. Die genauen Umstände des Sturzes, insbesondere ob ein Reitfehler vorlag oder ob sich eine typische Tiergefahr realisierte, waren zwischen den Parteien umstritten.

Rechtliche Auseinandersetzung: Tierhalterhaftung im Fokus

Die juristische Kernfrage war, ob die Beklagte als Halterin des Pferdes gemäß § 833 BGB haftbar gemacht werden konnte. Die Klägerin erlitt durch den Sturz einen Bruch des ersten Lendenwirbels, was eine 50%ige Schwerbehinderung zur Folge hatte. Sie forderte ein Schmerzensgeld von mindestens 100.000 Euro sowie die Übernahme vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Die Beklagte argumentierte, sie habe auf die Fähigkeiten der Klägerin vertraut und das Pferd sei weder nervös noch angespannt gewesen.

Gerichtsentscheid: Haftung und Mitverschulden

Das Gericht entschied, dass die Beklagte zu 70% für den Schaden haftet. Obwohl die Klägerin als erfahrene Reiterin das Pferd eigenständig ritt, wurde kein Haftungsausschluss für ein Handeln auf eigene Gefahr angenommen. Das Gericht stellte fest, dass sich eine spezifische Tiergefahr realisiert hatte und die Klägerin keine ausreichende Kontrolle über das Pferd hatte. Es wurde jedoch auch ein Mitverschulden der Klägerin von 30% festgestellt, da sie das Pferd trotz seines nervösen Verhaltens weitergeritten hatte.

Das Urteil beleuchtet die Komplexität von Fällen, in denen es um die Haftung bei Reitunfällen geht. Es zeigt, wie entscheidend die individuellen Umstände und das Verhalten aller Beteiligten für die rechtliche Beurteilung sind. Wer sich mit dem Kauf und der Haltung von Pferden beschäftigt, sollte sich dieser juristischen Dimensionen bewusst sein. Das vollständige Urteil bietet weiterführende Einblicke und ist für Interessierte im Detail nachlesbar.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was umfasst die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB?

Die Tierhalterhaftung nach § 833 BGB in Deutschland bezieht sich auf die Haftung eines Tierhalters für Schäden, die durch sein Tier verursacht werden. Dies kann den Tod oder die Verletzung eines Menschen oder die Beschädigung einer Sache umfassen.

Die Haftung tritt unabhängig vom Verschulden des Tierhalters ein, es handelt sich also um eine Gefährdungshaftung. Es gibt jedoch Ausnahmen, insbesondere wenn das Tier zur Berufs- oder Erwerbstätigkeit des Halters dient. In diesem Fall tritt die Ersatzpflicht nicht ein, wenn der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet hat oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden wäre.

Die Haftung nach § 833 BGB setzt verschiedene Voraussetzungen voraus:

  • Eine Rechtsgutsverletzung, die Leib, Leben, Gesundheit und Eigentum umfasst.
  • Die Schadensverursachung muss durch ein Tier erfolgt sein. Hierbei ist die Verwirklichung einer spezifischen Tiergefahr erforderlich, die sich aus den natürlichen Verhaltensweisen und Eigenschaften des Tieres ergibt.
  • Der Anspruchsgegner muss der Tierhalter sein, der das Tier auf eigene Rechnung hält und die Verfügungsgewalt über das Tier hat.

Die Haftung kann durch einen Entlastungsbeweis ausgeschlossen werden, insbesondere wenn der Tierhalter nachweisen kann, dass er das Tier sorgfältig beaufsichtigt hat oder dass das Aufsichtsverschulden nicht ursächlich für die Rechtsgutsverletzung war.

Der Umfang der Haftung richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB und umfasst die Art des Schadens, die haftungsausfüllende Kausalität, die Art des Ersatzes (Naturalherstellung oder Wertersatz) und die Höhe des Ersatzes. Ein Mitverschulden des Geschädigten kann berücksichtigt werden.

Wann liegt ein Mitverschulden nach § 254 BGB vor?

Gemäß § 254 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) liegt ein Mitverschulden vor, wenn der Geschädigte bei der Entstehung des Schadens mitverschuldet ist. Das bedeutet, dass der Geschädigte durch sein Verhalten zur Entstehung oder Entwicklung des Schadens beigetragen hat.

Die Verpflichtung zum Schadensersatz und der Umfang des zu leistenden Ersatzes hängen von den Umständen ab, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist.

Ein Mitverschulden kann auch dann vorliegen, wenn der Geschädigte unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder wenn der Geschädigte unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern.

Ein Mitverschulden kann dem Geschädigten nur dann entgegengehalten werden, wenn er deliktsfähig ist. Dies ist bei Kindern unter sieben Jahren nach § 828 BGB nicht der Fall.

Der Schädiger muss die dem Mitverschulden des Geschädigten zugrunde liegenden Tatsachen vortragen und beweisen, soweit sich das Mitverschulden nicht aus dem unstreitigen Sachverhalt ergibt.

§ 254 BGB ist auf alle Schadensersatzansprüche anwendbar, unabhängig davon, auf welchem – etwa vertraglichen oder gesetzlichen – Rechtsgrund sie beruhen.

Die Regelung des § 254 BGB dient dem Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) unter dem Gesichtspunkt des Verbots widersprüchlichen Verhaltens („venire contra factum proprium“). Dem Geschädigten soll der Teil des erlittenen Schadens belassen bleiben, den dieser selbst zu verantworten hat.

Die Anwendung von § 254 BGB erfordert eine Abwägung der jeweiligen Verursachungsbeiträge bei der Bemessung des Schadensersatzanspruchs.

Das Mitverschulden im Rahmen des § 254 BGB ist im Sinne einer „Obliegenheit“ zu verstehen, es handelt sich also um eine Schadensminderungspflicht. Wer die Sorgfalt außer Acht lässt, die erforderlich erscheint, um sich selbst vor Schaden zu schützen, muss einen Verlust oder eine Verkürzung seines Ersatzanspruches hinnehmen.

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Das Verschulden bei der Mitverursachung des Schadens (§ 254 BGB) muss äquivalent und adäquat kausal für das schädigende Ereignis sein.

Das Mitverschulden ist auch bei der Schadensminderungsobliegenheit gemäß § 254 II BGB zu beachten. Dies geschieht immer dann, wenn man nicht verhindert, dass der Schaden besonders hoch ausfällt.

Beim Mitverschulden ist zudem zu beachten, dass § 254 II 2 BGB, welcher auf § 278 BGB verweist, als dritter Absatz der Norm verstanden wird und somit auch für Absatz 1 der Norm gilt.


Das vorliegende Urteil

LG Ravensburg – Az.: 5 O 26/23 – Urteil vom 05.09.2023

1. Der Anspruch der Klägerin auf Ersatz des Schadens infolge des Reitunfalls vom 17.04.2021 ist zu 70% bzw. unter Zugrundelegung einer Haftungsquote der Beklagten von 70% gerechtfertigt.

2. Darüber hinaus wird die Klage abgewiesen.

Tatbestand

Gegenstand des Rechtsstreits ist ein Reitunfall, bei welcher die Klägerin von einem Pferd fiel und sich verletzte.

Die Klägerin, von Beruf Kauffrau für …, ist privat pferdebegeistert und reitet seit dem 4. Lebensjahr. Sie war auf der Suche nach einem Pferd und begab sich am 17.04.2021 mit der Zeugin S. zum Hof der Beklagte, die gewerblich mit Pferden handelt. Dort wurde ihr ein zum Verkauf stehender – damals 3,5 Jahre alter – Wallach vorgestellt, zunächst im Freilauf, dann durch den Zeugen M. in der Halle geritten, anschließend durch den Zeugen M. im Gelände – dabei auch entlang der L …, geritten, wobei die Klägerin das Pferd jeweils beobachtete und sich keine Auffälligkeiten zeigten. Sodann ritt die Klägerin auf dem Wallach zunächst in der Halle und dann mit dem Zeugen M. auf einem anderen Pferd zusammen – auf ihren Wunsch – ins Gelände aus, die Zeugin S. folgte zu Fuß. Dabei verließen sie den Hof entlang eines Weges und bogen sodann nach links in einen Feldweg ein (vgl. Anlage B1), die Klägerin ritt hinter dem Zeugen M. Dort begannen sie mit den Pferden zu traben, ob dies auf Frage der Klägerin oder des Zeugen M. erfolgte und wie der Wallach zum Traben veranlasst wurde, ist zwischen den Parteien streitig. Der Wallach trabte am Pferd des Zeugen M. vorbei und rannte nach links auf einen Acker, wo die Klägerin sodann vom Pferd fiel. Der Unfallhergang im einzelnen ist zwischen den Parteien streitig.

Beim Sturz verletzte sich die Klägerin. Sie erlitt einen Bruch des LWK 1. Die Unfallverletzungen und Folgen im Übrigen sind zwischen den Parteien streitig. Vorgerichtliche Korrespondenz blieb erfolglos.

Die Klägerin trägt vor: Zu Beginn des gemeinsamen Ausrittes habe der Wallach nervös gewirkt und einen Sprung nach vorne aus der Halle gemacht. Zu Beginn des Trabens habe er angespannt gewirkt. Eine Reithilfe zum Antraben habe sie nicht geben können, der Wallach sei von alleine losgelaufen. Sie habe versucht, den – das Pferd des Zeugen M. überholenden – Wallach lege artis zurückzuhalten. Dabei habe der Wallach mit dem Kopf geschlagen und sei durchgegangen. Auf dem Acker habe der Wallach gebockt. Dabei sei sie vom Pferd gefallen bzw. abgeworfen worden. Ein eigener Reitfehler sei nicht Ursache für den Reitunfall gewesen.

Sie habe einen Berstungsspaltbruch des ersten Lendenwirbels erlitten, der eine Invalidität mit Dauerschaden begründe. Sie sei jetzt zu 50% schwerbehindert; dazu beruft sie sich auf den Bescheid des Versorgungsamtes vom 26.05.2022 (Anlage K 2).

Durch die Verletzung sei sie in der Berufsausübung beeinträchtigt und habe eine Einkommensminderung. Durch den irreparablen Dauerschaden könne sie nicht mehr reiten.

Sie ist der Meinung, dass die Beklagte aus § 833 BGB auf Schadensersatz hafte. Einen Entlastungsbeweis könne die Beklagte nicht führen. Wegen der erlittenen Verletzungen und Beeinträchtigungen hält sie ein Schmerzensgeld von wenigstens 100.000 Euro für angemessen. Weiter verlangt sie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten. Sie hält die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten im übrigen für berechtigt, dies wegen ihres jungen Alters, des gesundheitlichen Zustandes und der offenen zukünftigen Entwicklung.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld von nicht weniger als € 100.000,00 nebst 5 % Jahreszinsen über dem Basiszinssatz seit dem 17.04.2021 zu bezahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche nicht anrechenbare Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 2.584,09 zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden herreichend aus dem Unfallereignis vom 17.04.2021 zu ersetzen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor: Sie habe darauf vertraut, dass die reiterfahrene Klägerin mit dem Pferd habe umgehen können. Der Wallach sei seit ca. 1 Woche auf dem Hof gewesen, er sei an der Kutsche und im Gelände wie in der Halle geritten worden und ein ausgebildetes, braves, ruhiges und entspanntes Pferd gewesen. Andernfalls wäre es der Kundschaft zum Kauf nicht vorgestellt worden. Es sei in keiner Weise auffällig gewesen. Der gemeinsame Ausritt habe problemlos gestartet. Nach dem Abbiegen auf den Feldweg habe die Klägerin den Wallach beschleunigt und den Zeugen M. überholt. Ein unkontrollierter Vorgang habe nicht vorgelegen. Das Traben sei von der Klägerin gewollt gewesen. Die Klägerin habe das Pferd nach links auf den Acker gelenkt und sei dabei – das Gleichgewicht verlierend – vom Pferd gerutscht. Es habe sich gerade keine typische Tiergefahr verwirklicht. Der Wallach sei die ganze Zeit ruhig und zu keiner Zeit nervös oder angespannt gewesen. Warum die Klägerin mit einem vermeintlich nervös oder angespannt wirkenden Pferd ausreiten und noch traben wollte, erscheint ihr nicht nachvollziehbar. Entweder hätten keine Probleme mit dem Pferd bestanden oder die Klägerin sei lange nicht so pferdeerfahren gewesen, wie sie vorgegeben habe. Lege artis habe die Klägerin das Pferd nicht geritten, infolge falscher Kommandos sei sie schließlich vom Pferd gefallen. Der Wallach habe nicht mit dem Kopf geschlagen oder gebockt und sei auch nicht durchgegangen. Sie ist der Meinung, dass sich eine typische Tiergefahr nicht verwirklicht habe. Falsche oder unzureichende Kommandos seien Ursache für den Sturz gewesen.

Die Beklagte selbst habe alle möglichen Sorgfaltspflichten erfüllt. Sie könne sich entlasten. Sie habe bei der Vorführung des Pferdes alle von ihr verlangbaren Sorgfaltsanforderungen erfüllt. Weitere Sorgfaltspflichten hätte sie nicht erfüllen können und müssen. Selbst bei Beachtung weiterer Sorgfaltsanforderungen wäre es zum Unfall gekommen, weil die Klägerin allein deshalb vom Pferd gefallen sei, weil sie das Pferd in einer Art und Weise gelenkt habe, die ihr ein Verbleiben im Sattel unmöglich gemacht habe. Ein Verschulden der Klägerin verdränge eine Gefährdungshaftung der Beklagten nach dem Grundgedanken des § 840 Abs. 3 BGB.

Bezüglich der Haftung der Höhe nach erhebt sie weiter Einwendungen. Das geltend gemachte Feststellungsinteresse stellt sie in Abrede.

Bezüglich des Parteivortrages im übrigen wird auf die Schriftsätze der Parteivertreter samt Anlagen sowie die Angaben der Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 11.07.2023 Bezug genommen. Die Parteien sind angehört, die Zeugen M. und S. vernommen worden. Zum Ergebnis der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 11.07.2023 Bezug verwiesen (Bl. 142 d.A.).

Entscheidungsgründe

Die Beklagte haftet für Schäden aus und im Zusammenhang mit dem streitgegenständlichen Reitunfall zu 70% bzw. unter Zugrundelegung einer Haftungsquote der Beklagten von 70%.

Über die Haftung dem Grunde nach war durch Grundurteil (§ 304 ZPO) zu entscheiden, in diesem Rahmen auch über die Haftungsquote (BGH NJW 1980, 1579) durch Teilurteil (Feskorn in: Zöller, Zivilprozessordnung, § 304 Rn. 29).

1)

Die Beklagte haftet aus § 833 S. 1 BGB auf Schadensersatz.

Wird durch ein Tier ein Mensch getötet oder der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt, so ist derjenige, welcher das Tier hält, verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen.

a)

Die Beklagte war unstreitig Halterin des Pferdes. Beim Ausritt vom 17.04.2021 wurde die Klägerin an der Wirbelsäule verletzt. Diese Primärverletzung ist zwischen den Parteien unstreitig.

b)

Die Verletzung geht auf die Realisierung einer spezifischen Tiergefahr zurück.

Die Rechtsgutsverletzung muss nach der Rechtsprechung des RG auf willkürlichem, von keinem vernünftigen Wollen geleiteten Verhalten beruhen, das sich als Ausbruch der tierischen Natur im Sinne einer Entfaltung der tierischen organischen Kraft, in der selbstständigen Entwicklung einer nach Wirkung und Richtung unberechenbaren tierischen Energie darstellt (RGZ 60, 65, 68 f.). Nach der Definition des BGH äußert sich eine typische Tiergefahr in „einem der tierischen Natur entsprechenden unberechenbaren und selbstständigen Verhalten des Tieres (BGH NJW 1976, 2130, 2131; BGH NJW 1982, 763, 764). Damit umfasst die Tierhalterhaftung auch ein solches Tierverhalten, das der tierischen Natur voll und ganz entspricht (MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020, BGB § 833 Rn. 15). Die Darlegungs- und Beweislast obliegt dem Geschädigten.

Eine solche Tiergefahr hat sich realisiert, als das Pferd vom Traben in den Galopp durchgegangen und nach links in den Acker gelaufen ist, ohne dass die Klägerin dies gesteuert hätte. Dies steht nach der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts iSd. § 286 ZPO fest.

aa)

Die Klägerin hat den Unfallhergang nachvollziehbar nacherzählt: Das Pferd sei ohne eigenes Kommando ins Traben und sodann durchgegangen und nach links in den Acker gelaufen; dabei sei sie abgeworfen worden.

Der Ehemann der Beklagten, der im Termin angehört worden ist (§ 141 Abs. 3 S. 2 ZPO), konnte zum Unfallhergang nichts sagen, weil er – wie seine Ehefrau – am Unfallort nicht zugegen war. Er machte nur Angaben zum Zustand des Pferdes allgemein. Er konnte sich – nachdem er die Angaben der Klägerin und des Zeugen M. gehört hatte – den Unfall so erklären, dass das Pferd in eine Furche getreten und gestolpert sei, woraufhin die Klägerin das Pferd verrissen habe und gestützt sei.

Der Zeuge M., der mit der Klägerin ausgeritten war, gab an, dass das Pferd der Klägerin vom Schotterweg aus einen Bogen (Volte) auf dem Acker gemacht habe. Dabei sei die Klägerin vom Pferd gefallen. Er konnte nichts dazu sagen, ob und welches Kommando die Klägerin ihrem Pferd zum Antraben gegeben habe. Warum das Pferd der Klägerin auf den Acker gelaufen sei, dazu konnte der Zeuge nichts sagen. Bei seinen Angaben zum Reiten vom Schotterweg auf den Acker handelt es sich um eine Schlussfolgerung. Das Bogenschlagen und Herunterfallen habe sich neben dem Zeugen abgespielt. Zum konkreten Verhalten der Klägerin auf dem Pferd konnte er keine Angaben machen. Die Angaben des Zeugen waren durchaus nachvollziehbar und widerspruchsfrei, jedoch hat der Zeuge eben nicht beobachtet, warum das Pferd der Klägerin vom Schotterweg auf den Acker gelaufen ist bzw. dass das Pferd zielgerecht von der Klägerin geführt worden ist. Er war zunächst etwas vor der Klägerin her geritten. Ausschließen konnte er ein Bocken des Pferdes.

Die Zeugin S., die den Hof der Beklagten mit der Klägerin zusammen aufgesucht hatte, war hinter der ausreitenden Klägerin und dem Zeugen M. hergelaufen. Sie habe den Vorfall von ca. 100 m Entfernung aus beobachtet. Das Pferd der Klägerin sei durchgegangen, habe zwei Galoppsprünge gemacht. Dass das Pferd gebockt habe, daran hatte sie keine Erinnerung, auch nach Vorhalt der Erklärung der Zeugin gegenüber der Barmer vom 18.11.2021 (vom Klägervertreter nachträglich vorgelegt: Anlagenheft Kläger Bl. 11). Der Zeuge M. sei vorne her geritten, der Abstand sei vor dem Ausbrechen kürzer geworden. Dass und ob die Klägerin ihrem Pferd ein Kommando zum Antraben gegeben habe, dazu konnte die Zeugin nichts sagen. Als Erklärung für den Unfall gab sie an, dass das Pferd eine Unsicherheit der Klägerin gespürt habe. Das Pferd habe einen Sprung zur Seite gemacht. Die Zeugin war eine Bekannte / Freundin der Klägerin, die nach Fertigung des Schreibens an die Barmer keinen Kontakt mehr zur Klägerin hat.

bb)

Die Klägerin hat den Vorgang so beschrieben, dass das Pferd durchgegangen und sie dabei abgeworfen worden sei. Ihr Vortrag ist nachvollziehbar und widerspruchsfrei.

Dass die Klägerin das Pferd zielgerichtet hat antraben bzw. beschleunigen lassen und in den Acker gesteuert habe und sie bei einem derartigen gesteuerten Vorgang zu Fall gekommen ist, hat selbst der Zeuge M. nicht angegeben (Prot. S. 9, 10 oben, 13 oben), auch nicht angeben können, weil er nicht sehen konnte, inwiefern die Klägerin das Pferd mit den Beinen angetrieben oder Kommandos gegeben hat. Auch die Zeugin S. konnte dazu nichts Konkretes sagen.

Dass die Klägerin das Pferd in den Acker gelenkt hat, dabei handelt es sich um eine Vermutung der Beklagten bzw. Möglichkeit, um den Vorfall mit dem Pferd zu erklären, dass die Beklagtenseite als ruhig und anständig wahrgenommen hatten. Es handelt sich um eine Behauptung zumindest im Bereich einer Vermutung ins Blaue hinein, für welche es – aus Sicht der Beklagten – keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt.

Die Angaben der Zeugin S. gingen dagegen über Erklärungsversuche für den Unfall hinaus. Wenn sie auch zu einem Kommando der Klägerin an ihr Pferd keine Angaben machen konnte, so konnte sie ein Losgehen und Galoppsprünge bezeugen, was sich als willkürliches Verhalten des Pferdes darstellt. In der Erklärung an die Barmer hatte sie von Bocksprüngen gesprochen. Aus ihrer Entfernung von ca. 100 m erscheint ein solches Tierverhalten auch wahrnehmbar und erkennbar zu sein.

Bei der Zeugin S. ist zu berücksichtigen, dass sie aus dem Lager der Klägerin stammt, war sie zusammen mit der Klägerin zum Hof der Beklagten gefahren, um dort mit der Klägerin Pferde anzuschauen. Ihre Angaben waren aber glaubhaft, die Zeugin glaubwürdig. Dass die vor Ort im Gerichtssaal die Unwahrheit sagte, dafür waren für das Gericht überhaupt keine Anhaltspunkte ersichtlich. Am Ausgang des Verfahrens hat die Zeugin überhaupt kein Interesse. Die Zeugin steht mittlerweile mit der Klägerin nicht mehr im persönlichen Kontakt. Ihre Aussage erschien widerspruchsfrei und nachvollziehbar. Dass sie sich an etwaige Bocksprünge heute nicht mehr erinnern konnte, ist zwar auffällig, mindert den Aussagegehalt der Zeugin aber nicht. Während sie damals von Bocksprüngen sprach, nannte sie in ihrer Zeugenaussage Galoppsprünge. Ihre Angaben stimmen im Wesentlichen mit ihren Angaben gegenüber der Barmer im Schreiben vom 18.11.2021 (Anlagenheft Kläger Bl. 11) überein.

Für die Überzeugungsbildung weiter bedeutsam ist, dass ein Grund dafür, dass die Klägerin ihren Wallach vom Feld-/Schotterweg weg in den Acker lenkte, nicht erkennbar ist. Die Klägerin wollte das Pferd probereiten und dazu auch traben lassen, ob auf Veranlassung der Klägerin oder des Zeugen M., kann dahinstehen. Einen Grund, den Weg zu verlassen und stattdessen auf einem unbekannten Acker zu reiten, kurz nachdem sie angefangen hat zu traben, wird auch von der Beklagtenseite nicht angegeben.

Wenn auch theoretisch denkbar erscheint, dass die Klägerin bei einer falschen Steuerung des Pferdes zu Fall gekommen ist und vom Pferd gerutscht ist, so ist dies bei natürlicher Betrachtung auszuschließen (zum Beweismaß BGH NJW 2020, 1072 zu Rn. 8 mit Nachw.), handelt es sich bei der Klägerin um eine Reiterin, die seit dem 4. Lebensjahr mit Pferden zu tun hat und auf Schul- wie auf Privatpferden bereits geritten ist, so ihre glaubhaften Angaben. Dass sie im Überschätzung ihrer Fähigkeiten das Pferd in einer Weise gesteuert hat, so dass sie sich nicht mehr auf dem Sattel halten konnte, ist vor diesem Hintergrund auszuschließen.

So ist auch in keiner Weise ein risikobereites Verhalten der Klägerin bei der Vorführung des Wallachs zu erkennen: Sie hat sich das Pferd zeigen und zuerst vorreiten lassen, in der Halle und im Gelände. Erst danach hat sie das Pferd selbst übernommen und ist zuerst in der Halle, dann mit dem Zeugen M. ausgeritten. Nach einem Reiten im Schritt hat der Wallach auf dem Schotterweg zu traben begonnen. Vor dem Hintergrund dieses Vorverhaltens wäre es mehr als ungewöhnlich, wenn die Klägerin den Wallach sofort vom Pferd des Zeugen M. weg alleine auf unbekannten Gelände reiten wollte. Ein solches Verhalten würde sich in die bis dahin ausgeführte Prozedur der Vorführung des Pferdes überhaupt nicht einfügen.

Ob der Wallach nun sichtbar gebockt hat oder die Klägerin dies nur – als auf dem Pferd sitzend – so wahrgenommen hat, ist nicht entscheidend. Die Zeugin S. sprach während ihrer Vernehmung von Galoppsprüngen, in der Barmer-Erklärung von Bocksprüngen.

Wenn auch nicht zu verkennen ist, dass sich der Wallach vom Pferd des Zeugen M. weg in den Acker bewegt und damit vom anderen Pferd entfernt hat, was dem Verhalten eines Herdentieres widersprechen könnte, so steht dies einem willkürlichen Tierverhalten in der streitgegenständlichen Situation nicht entgegen. Dieses Verhalten ließe sich als Ausdruck eines Fluchtinstinktes erklären. Dazu: Für das Ausbrechen des Wallachs in den Acker – und damit vom Pferd des Zeugen M. weg – hatte [der Ehemann der Beklagten] selbst eine Erklärung (Stolpern in eine Furche am Wegesrand, Prot. S. 11).

2)

Einen Entlastungsbeweis konnte die Beklagte nicht führen.

Die Ersatzpflicht nach § 833 S. 1 BGB tritt nicht ein, wenn der Schaden durch ein Haustier verursacht wird, das dem Beruf, der Erwerbstätigkeit oder dem Unterhalt des Tierhalters zu dienen bestimmt ist, und entweder der Tierhalter bei der Beaufsichtigung des Tieres die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet oder der Schaden auch bei Anwendung dieser Sorgfalt entstanden sein würde (§ 833 S. 2 BGB).

a)

Das streitgegenständliche Pferd stellt ein Haustier dar, das der Erwerbstätigkeit der Beklagten zu dienen bestimmt war. Die Beklagte handelt mit Pferden. Das streitgegenständliche Pferd war angekauft worden und sollte wieder verkauft werden.

b)

Die Beklagte hat nicht die erforderliche Beaufsichtigung gewährleistet, als sie die Klägerin ausreiten ließ, ohne eine ausreichende Kontrollmöglichkeit über das Pferd zu haben; außerdem hat sie die Klägerin nicht mehr auf Gefahren der Nutzung eines Privatpferdes hingewiesen und sie insoweit sensibilisiert.

Allgemein ist es Sache des Tierhalters, darzulegen und zu beweisen, dass er die auf die Kontrolle des Tieres gerichteten Sorgfaltspflichten eingehalten hat oder etwaige Pflichtverstöße für die eingetretene Verletzung nicht kausal geworden sind (Palandt/Sprau, BGB, 81. Aufl. 2021, § 833 Rn. 21; BeckOGK/Spickhoff, a.a.O., § 833 Rn. 122; MüKoBGB/Wagner, 8. Aufl. 2020 Rn. 78, BGB § 833 Rn. 78). Unwägbarkeiten bzgl. der Ursache des schädigenden tierischen Verhaltens – etwa des Durchgehens eines Pferdes gehen zu Lasten des insoweit beweisbelasteten Tierhalters (vgl. auch OLG Köln, Urteil vom 09. September 2014 – 14 U 12/11, Rn. 31, juris; OLG Koblenz, Urteil vom 08.05.1991, 5 U 1812/90, Rn. 17, juris m.w.N.; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Oktober 2021 – 11 U 99/21 -, Rn. 38, juris).

Es genügt nicht, dass der Tierhalter nur im Allgemeinen regelmäßig bei der Beaufsichtigung eines Tieres die erforderliche Sorgfalt beobachtet, sondern es kommt auf den konkreten Haftungsfall an (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Oktober 2021 – 11 U 99/21 -, Rn. 40, juris). Dabei sind die Aufsichtspflichten umso strenger, je größer die Gefährlichkeit des konkreten Tieres erscheint, die zB durch besondere Aggressivität in früherer Zeit als gesteigert erscheinen kann (BeckOGK/Spickhoff, 1.11.2022, BGB § 833 Rn. 122).

Absolute Sicherheit kann freilich von niemandem verlangt werden. Es geht um nicht mehr, aber auch nicht weniger als die Einhaltung zumutbarer Anstrengungen (BeckOGK/Spickhoff, 1.11.2022, BGB § 833 Rn. 124, 127; vgl. weiter BGH NJW 2009, 3233, 3234 f.).

Es war hier sorgfaltswidrig, dass die Beklagte die Klägerin auf dem Pferd neben oder hinter sich hat reiten lassen, ohne hierbei eine konkrete Einwirkungsmöglichkeit auf den Wallach zu haben (vgl. Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Oktober 2021 – 11 U 99/21 -, Rn. 42, juris). Zwar ist nicht zu verkennen, dass ein Führungsstrick oder Seil, mit dem ein Pferd hätte kontrolliert werden können, beim freien Reiten auf der Straße oder im Gelände, wenn die Klägerin das Pferd „ausprobieren“ will, keinen Sinn machte. Allein durch das Nebeneinanderherreiten, teilweise Voranreiten, aber hatte die Beklagte bzw. deren Sohn keine Einwirkungsmöglichkeit auf das Pferd. Das zeigt sich hier auch gerade an den Angaben des Zeugen M., der das Ausweichen des Wallachs nach links und Überholen durch die Klägerin nur wahrnehmen konnte und mehr als entsprechende wörtliche Befehle (brrr-Rufe) nicht machen konnte, um das Pferd zu beaufsichtigen und zu kontrollieren.

c)

Der Entlastungsbeweis bezüglich der Kausalität gelingt der Beklagten ebenfalls nicht.

Hätte der Zeuge M. entsprechende Einwirkungsmöglichkeit auf das Pferd gehabt, so wäre ein Durchgehen verhindert worden, jedenfalls ist dies nicht auszuschließen. Es erscheint auch nicht ausgeschlossen, dass die Klägerin, wäre sie vor dem Losreiten zur besonderen Aufmerksamkeit ermahnt worden, ein Durchgehen hätte verhindern können. Gegenteiliges erscheint hier nicht feststellbar.

3)

Ein die Haftung ausschließendes Handeln auf eigene Gefahr liegt nicht vor.

Ein derartiger Haftungsausschluss – als Ausnahmefall – knüpft an eine bewusste Übernahme einer besonderen Gefahr an, die über die normalerweise mit dem Reiten oder der Nähe zu einem Pferd verbundenen Gefahr hinausgeht (vgl. Staudinger/Eberl-Borges (2022) BGB § 833, Rn. 189).

Ein Haftungsausschluss wegen Handelns auf eigene Gefahr wird von der Rechtsprechung und einem Teil der Literatur nur in Fällen befürwortet, in denen sich der Verletzte einer besonderen Tiergefahr ausgesetzt hat, die über die gewöhnliche Tiergefahr hinausgeht (erhöhte Tiergefahr), beispielsweise wenn ein Reiter ein Tier übernimmt, das erkennbar bösartiger Natur ist oder erst zugeritten werden muss, oder wenn der Ritt seiner Art nach besonders gefährlich war (vgl. BGH NJW 1974, 234, 235; BGH NJW 1977, 2158; BGH NJW 1986, 2883, 2884; BGH NJW 2013, 2661 f; OLG Hamm NJW-RR 2001, 390 [„Rückwärtsrichten“ beim Dressurreiten beinhalte keine besondere Gefahr]; OLG Celle, Urteil vom 4. März 2020 – 20 U 38/19 -, Rn. 32, juris [keine besondere Gefahr während der Siegerehrung am Ende eines Reitturniers]; Staudinger/Eberl-Borges (2022) BGB § 833, Rn. 189).

Das kann etwa der Fall sein, wenn ein Tier erkennbar böser Natur ist oder erst zugeritten werden muss oder wenn der Ritt als solcher spezifischen Gefahren unterliegt, wie beispielsweise beim Springen oder bei der Fuchsjagd (vgl. BGH NJW 1977, 2158; BGH NJW 1992, 907 mit Nachw.) oder der Geschädigte sich dem Halter im vorwiegend eigenen Interesse an seinem reiterlichen Ruf mit der Bitte um Überlassung eines weigerlichen und erregten Pferdes geradezu aufgedrängt hat. Das Bewusstsein der besonderen Gefährdung ist dabei stets Voraussetzung, um ein Handeln des Geschädigten auf eigene Gefahr annehmen zu können; ob unter diesem Blickpunkt die Haftung des Tierhalters von vornherein entfällt, kann nur nach einer umfassenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls entschieden werden (BGH NJW 2013, 2661 Rn. 11, beck-online).

aa)

Das selbständige Ausreiten durch die Klägerin und das beabsichtigte Traben reicht an sich nicht aus, um eine erhöhte Tiergefahr zu begründen. Hierbei handelt es sich um normale reiterliche Vorgänge und geht darüber nicht hinaus.

Allein der Umstand, dass ein Reiter mit dem ihm überlassenen Pferd eines Dritten selbständig ausreitet, reicht dafür nicht aus. Für eine Ausgrenzung dieser Fälle aus der Tierhalterhaftung könnte sprechen, dass der Reiter beim selbständigen Ausritt deutlich allein die Verantwortung für das Pferd und dessen Verhalten übernimmt. Er will es als Reiter allein anleiten und beherrschen und setzt sich dabei gerade auch mit der unberechenbaren Natur des Pferdes auseinander, das sich ihm unterordnen soll. Damit tritt die Gefahr, die der Tierhalter durch sein Tier für Außenstehende setzt, zurück gegenüber dem eigenverantwortlichen Handeln des Reiters, der sich bewusst dem unberechenbaren Verhalten des Pferdes und der dadurch für ihn bestehenden Gefahr aussetzt. Indessen besteht diese Situation stets dann, wenn jemand ein Pferd besteigt, um es zu reiten. Derjenige, der allein und selbständig ausreitet, übernimmt insoweit keine erhöhte Gefahr. Ist daran festzuhalten, dass Reiter nicht schon deswegen, weil er sich freiwillig den Risiken des Reitens infolge eines unbeherrschbaren Verhaltens des Pferdes aussetzen, den Anspruch aus § 833 BGB verlieren, dann kann der Aspekt des Handels auf eigene Gefahr den Normzweck der Tierhalterhaftung nur verdrängen, wenn der Reiter im Einzelfall Risiken übernommen hat, die über diejenigen eines gewöhnlichen Rittes, wozu auch ein selbständiger Ausritt ins Gelände gehört, hinausgehen. Soweit der Reiter durch vorwerfbare Fehler beim Reiten zu seiner Verletzung durch das Pferd beigetragen hat, kann das über § 254 BGB berücksichtigt werden (so BGH NJW 1986, 2883, beck-online).

bb)

Aber auch darüber hinaus liegen diese erhöhten Voraussetzungen an einen Haftungsausschluss hier nicht vor. Das Pferd war nach den eigenen Angaben der Beklagten und der Zeugen ein braves Pferd, das vorher auf keine Weise auffällig geworden war. Selbst wenn das Pferd beim Verlassen der Reithalle nervös gewesen war und einen Sprung aus der Halle heraus gemacht hat sowie beim Reiten in den Feldweg angespannt gewesen sein mag, so reicht dies nicht aus, um eine erhöhte Tiergefahr anzunehmen. Wenn dieser Zustand auch von einer unangespannten Gemütslage des Pferdes abweicht, so reicht dies nicht aus, um die Schwelle zur erhöhten Tiergefahr zu begründen.

Abgesehen davon fehlt es auch am entsprechenden Bewusstsein der Klägerin von dieser erhöhten Tiergefahr. Es ist durchaus nachvollziehbar, dass sie ein nervöses oder angespanntes Verhalten des Pferdes als nicht unnormal interpretiert hat und sich dabei nichts weiter gedacht hat.

4)

Ein vertraglicher Haftungsausschluss liegt nicht vor.

a)

Ausdrücklich wurde die Haftung unstreitig nicht ausgeschlossen. Auch das Schild auf dem Hof der Beklagten „Reiten auf eigene Gefahr“ führt zu keiner entsprechenden Haftungsbeschränkung. Es fehlt bereits an einer Erklärung oder Handlung der Klägerin, die einer derartigen Haftungsbeschränkung zugestimmt hätte.

b)

Ein konkludenter Haftungsausschluss liegt aber auch nicht vor.

Ob ein Haftungsausschluss zu bejahen ist, entscheidet sich nach Inhalt und Zweck des Vertrages in Verbindung mit den Umständen des einzelnen Falles (vgl. BGH NJW 1968, 1932). Dabei wird zu verlangen sein, dass Umfang und Bedeutung der Risikoverlagerung dem Geschädigten deutlich vor Augen geführt werden, zumal wenn ein Reitunternehmer oder Reitlehrer auch seine Haftung für schuldhafte Schadenszufügung ausgeschlossen sehen will (BGH NJW 1977, 2158, beck-online).

Auch im Rahmen eines Gefälligkeitsverhältnisses ist auf der Grundlage von Treu und Glauben (§ 242 BGB) jedoch nur dann eine Haftungsfreistellung des Tierhalters gerechtfertigt, wenn die Überlassung des Tiers im besonderen Interesse des Geschädigten lag und dieser sich deshalb einem ausdrücklichen Ansinnen eines Haftungsverzichts, wäre es an ihn gestellt worden, billigerweise nicht hätte verschließen können (vgl. BGH, NJW 1992, 2474, 2475 mit Nachw.; BGH NJW-RR 2017, 272 zu Rn. 10; Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. Februar 2012 – 7 U 115/11 -, Rn. 4 f., juris). Bei den hierbei anzustellenden Billigkeitserwägungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Pferdehalter gegen Haftpflicht versichert ist, denn eine Haftungsbeschränkung, die nicht den Schädiger, sondern den Haftpflichtversicherer entlastet, entspricht in der Regel nicht dem Willen der Beteiligten (BGH, NJW-RR 2017, 272 zu Rn. 10; LG Würzburg, Urteil vom 4. Mai 2020 – 14 O 1455/19 -, Rn. 37, juris).

Ein solcher konkludenter Haftungsausschluss kommt beim hier vorliegenden Proberitt im Rahmen eines Pferdeankaufs nicht in Betracht. Zwar dient der Proberitt auch dem Interesse der Klägerin daran, das Pferd auszuprobieren, ob es den eigenen Ansprüchen entspricht oder nicht. Der Proberitt wurde jedoch vor dem ins Auge gefassten Verkauf des Pferdes durchgeführt und diente damit auch der Beklagten und deren Interesse (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. Februar 2012 – 7 U 115/11 -, juris). Der Pferdehalter kann (und muss) sich für diesen Fall eines Schadens bei der Vorführung oder Probe des Pferdes versichern, um auf die spezifische Tiergefahr zurückgehende Beschädigungen aufzufangen. Davon kann und muss ein Kaufinteressent auch ausgehen. Gegenteiliges ergibt sich hier auch nicht aus dem auf dem Hof aufgestellten Schild, dass Reiten auf eigene Gefahr erfolge.

5)

Die Klägerin muss sich ein Mitverschulden von 30% anrechnen lassen.

Nach § 254 BGB hängt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt, die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen, insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dies gilt auch dann, wenn sich das Verschulden des Beschädigten darauf beschränkt, dass er unterlassen hat, den Schuldner auf die Gefahr eines ungewöhnlich hohen Schadens aufmerksam zu machen, die der Schuldner weder kannte noch kennen musste, oder dass er unterlassen hat, den Schaden abzuwenden oder zu mindern

Eine zurechenbare Mitwirkung des Verletzten ist zum einen in Form von Verschulden gegen sich selbst und zum anderen in Form der Anrechnung eigener Gefahr denkbar (BeckOGK/Spickhoff, 1.11.2022, BGB § 833 Rn. 140). Ein relevanter Beitrag des Verletzten zur Schadensentstehung liegt dann vor, wenn er eine Situation erhöhter Verletzungsgefahr herbeigeführt hat und diese Gefahr erkennen und vermeiden konnte. Die erhöhte Verletzungsgefahr muss sich aus einem Verhaltensfehler des Verletzten ergeben. Der Verhaltensfehler kann auch darin bestehen, dass sich der Verletzte – ohne weiteren Verhaltensfehler – in eine Situation besonders erhöhter Gefahr begeben hat, deren Entstehung von seinem eigenen Verhalten im Übrigen unabhängig ist. Im Rahmen der Abwägung gegenüber der Gefahrverantwortung des Tierhalters bemisst sich das Gewicht des Verletztenbeitrags nach seinem objektiven Anteil an der Verletzung und nach dem Grad des Sorgfaltsverstoßes gegen das eigene Sicherheitsinteresse des Verletzten (Staudinger/Eberl-Borges (2022) BGB § 833, Rn. 198 mit Nachw.). Hinsichtlich des Verletztenbeitrags ist ein strenger Maßstab anzulegen, wenn der Verletzte, etwa als Reiter, selbst unmittelbar auf das Tier einwirken konnte (BGH NJW 1982, 763, 765).

a)

Ein Mitverschulden nach § 254 BGB iVm. § 834 BGB muss sich die Klägerin nicht anrechnen lassen. Die Vermutung des § 834 BGB muss sie deshalb nicht gegen sich gelten lassen.

Das würde voraussetzen, dass die Klägerin für den Tierhalter die Führung der Aufsicht über das Pferd durch Vertrag übernommen hat. Das ist hier aber nicht der Fall. Wenn die Klägerin durch das selbständige Reiten zwar eine gewisse Kontrolle und Aufsicht über das Pferd tatsächlich übernommen hat, so hat sie nicht durch Vertrag für die Tierhalterin die Führung der Aufsicht übernommen. Für die Annahme einer vertraglichen Übernahme der Aufsicht iSd. § 834 BGB fehlen hier ausreichende Anhaltspunkte.

b)

Dass der Klägerin ein Reitfehler unterlaufen ist und sie dem Pferd falsche Befehle gegeben hat, steht nicht fest bzw. konnte nicht zur Überzeugung des Gerichts festgestellt werden (vgl. oben).

c)

Dass die Klägerin ein unbekanntes Pferd zum Probereiten übernommen hat, begründet an sich kein Mitverschulden (vgl. Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht, Urteil vom 29. Februar 2012 – 7 U 115/11 -, Rn. 12, juris). Ihr wurde das Pferd als brav, ruhig und anständig übergeben.

Die Übernahme des Pferdes und das Durchführen eines Proberittes stellt sich – an sich betrachtet – nicht als sorgfaltswidrig oder vorwerfbar dar.

d)

Vorzuwerfen ist der Klägerin allerdings, dass sie das Pferd weiter geritten ist, obwohl es beim Verlassen des Hofes nervös war und danach einen angespannten Eindruck gemacht hatte.

Die Klägerin gab selbst an, dass das Pferd beim Verlassen der Halle nervös gewesen sei und einen Sprung gemacht habe; das Pferd habe auf dem Feldweg angespannt gewirkt. Die Zeugin S. gab an, dass das Pferd beim Aufsteigen einen Satz nach vorne gemacht habe, auf dem Feldweg habe der Wallach gezuckt.

Wenn damit auch keine erhöhte Tiergefahr verbunden ist (vgl. oben), so ritt die Klägerin ein ihr unbekanntes Pferd, das sich nach ihrem eigenen Empfinden als nicht ganz ruhig und kontrollierbar darstellte. Dieses Pferd ist sie in ihr unbekanntem Gelände weiter geritten, ohne dass der Zeuge M. – für die Klägerin erkennbar – auf das Pferd eine Einwirkungsmöglichkeit hatte, und hat sogar ein Traben begonnen.

Dieser Sorgfaltsverstoß (in eigenen Angelegenheiten) wird mit 30% bewertet. Diese Quote scheint angemessen, um den Mitverursachungsbeitrag der Klägerin am streitgegenständlichen Unfall sachgerecht zu bewerten.

 

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