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Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall mit Fußgänger

Verkehrsunfall und Haftungsfragen: Fußgänger und Fahrer im Fokus

In einem bemerkenswerten Fall, der vor dem Oberlandesgericht Frankfurt (OLG Frankfurt) verhandelt wurde (Az.: 22 W 31/20), ging es um die Frage der Haftungsverteilung nach einem Verkehrsunfall, bei dem ein Fußgänger schwer verletzt wurde. Der Fußgänger, der Kläger in diesem Fall, hatte Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld beantragt. Das Landgericht Darmstadt hatte diese Hilfe jedoch abgelehnt, da es davon ausging, dass eine Haftung der Gegenseite von maximal 50% angenommen werden könne. Der Kläger legte gegen diese Entscheidung sofortige Beschwerde ein.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 22 W 31/20 >>>

Die Beschwerde und ihre Begründung

Der Kläger argumentierte, dass das Landgericht ohne Beweisaufnahme und eigene Sachkunde zu einer überwiegenden Quote zulasten des Klägers gekommen sei. Er forderte, dass der Unfallhergang durch ein Sachverständigengutachten aufgeklärt werden sollte. Das OLG Frankfurt stimmte dem Kläger zu und hob den Beschluss des Landgerichts Darmstadt auf. Es stellte fest, dass die Ablehnung eines Sachverständigengutachtens nur dann gerechtfertigt sei, wenn tatsächlich überhaupt keine Anhaltspunkte für weitergehende Erkenntnisse vorliegen oder das Gericht besondere Sachkunde nachweist. Beides traf in diesem Fall nicht zu.

Die Rolle des Sachverständigen

Das OLG Frankfurt stellte klar, dass ein Sachverständiger die Örtlichkeit in Augenschein nehmen und feststellen könne, inwieweit der Kläger vor dem Unfall von dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs gesehen werden konnte und inwieweit auch eine entsprechende Reaktionssaufforderung bereits bestand. Obwohl es fraglich erschien, ob dies im Ergebnis tatsächlich weiterführende Erkenntnisse bringen würde, waren die Voraussetzungen eines Ausforschungsbeweises nicht gegeben.

Die Haftungsquote und die Rolle des Fußgängers

Das OLG Frankfurt stellte fest, dass das Landgericht die Unwägbarkeiten einer Beweisaufnahme berücksichtigt und die Haftungsquote zu Gunsten des Klägers verdoppelt hatte, indem es von einer Haftungsverteilung von 50 zu 50 ausging. Es wurde betont, dass Fußgänger nach § 25 Abs. 3 StVO die Fahrbahn unter Beachtung des vorrangigen Fahrzeugverkehrs zügig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten haben. Sie müssen beim Betreten der Fahrbahn besonders vorsichtig sein und den fließenden Verkehr genau beobachten. Wenn feststeht, dass sich der Unfall auf der Fahrbahn ereignet hat, streitet daher schon der Anscheinsbeweis für die schuldhafte Nichtbeachtung des § 25 Abs. 3 StVO.

Schlussbemerkungen

Dieser Fall unterstreicht die Komplexität der Haftungsfragen bei Verkehrsunfällen, insbesondere wenn Fußgänger beteiligt sind. Es zeigt auch, wie wichtig es ist, dass Gerichte über ausreichende Beweise verfügen, um fundierte Entscheidungen treffen zu können. In diesem Fall hat das OLG Frankfurt die Bedeutung eines Sachverständigengutachtens hervorgehoben, um den genauen Unfallhergang und die damit verbundenen Haftungsfragen zu klären.


Das vorliegende Urteil

OLG Frankfurt – Az.: 22 W 31/20 – Beschluss vom 29.09.2020

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Landgerichts Darmstadt vom 6.5.2020 aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Bescheidung an das Landgericht Darmstadt zurückverwiesen, das unter Beachtung der Gründe dieses Beschlusses erneut über den Umfang der Prozesskostenhilfe für den Kläger zu entscheiden hat.

Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

I.

Der Kläger hat aufgrund des Verkehrsunfalls vom XX.XX.2016, bei dem er als Fußgänger schwer verletzt wurde, die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage auf Schadensersatz und Schmerzensgeld beantragt, dessen Höhe er in das Ermessen des Gerichts gestellt hat. Als Untergrenze hat er einen Betrag von 14.000,- € angegeben.

Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall mit Fußgänger
Haftungsfragen bei Verkehrsunfällen: Fußgänger und Fahrer in der juristischen Debatte (Symbolfoto: RossHelen /Shutterstock.com)

Das Landgericht hat nach Hinweisen Prozesskostenhilfe abgelehnt und zur Begründung ausgeführt, dass eine Haftung der Gegenseite von maximal 50% angenommen werden könne. Ausgehend von einem Rahmen des Schmerzensgelds aufgrund von Vergleichsentscheidungen in Höhe von 8.000,- € komme bei einer solchen Mithaftung lediglich ein Schmerzensgeld- und Schadensersatzbetrag in Betracht, der unterhalb der landgerichtlichen Zuständigkeitsgrenze von 5.000,- € liege.

Hiergegen richtet sich die sofortige Beschwerde des Klägers, der das Landgericht nicht abgeholfen hat.

Mit der sofortigen Beschwerde rügt der Kläger, dass das Landgericht ohne Beweisaufnahme und eigene Sachkunde zu einer überwiegenden Quote zulasten des Klägers gekommen sei. Es sei der Unfallhergang durch ein Sachverständigengutachten aufzuklären.

II.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig und begründet.

Der angefochtene Beschluss hält rechtlicher Überprüfung nicht stand und ist deshalb aufzuheben.

1. Haftungsquote

Das Landgericht hat sich ausführlich mit dem möglichen Unfallgeschehen und dem Vortrag des Klägers auseinandergesetzt und ist auf der Basis der vorhandenen Unterlagen, insbesondere auch dem Vortrag der Parteien zum Hergang, zutreffend davon ausgegangen, dass vorliegend den Kläger ein erheblicher Mitverursachungsanteil an dem Unfallhergang trifft. Ebenso wie das Amtsgericht Lampertheim und auch das Landgericht geht der Senat davon aus, dass bei vorläufiger Betrachtung den Kläger ein überwiegender Verursachungsanteil trifft.

Nach seinem eigenen Vortrag ist der Kläger auf die Straße getreten und sofort vom Fahrzeug der Beklagten erfasst worden. Damit wird schon deutlich, dass sich das Fahrzeug der Beklagten nicht allzu weit weg befunden haben kann. Der Kläger muss das Fahrzeug gesehen haben, andernfalls wären, wie das Landgericht zutreffend ausführt, erheblich umfangreichere Verletzungen zu beklagen, weil dann das Fahrzeug der Beklagten mit erheblich überhöhter Geschwindigkeit hätte ankommen müssen.

Bei den Ausführungen des Landgerichts handelt es sich insoweit um allgemeinkundige Tatsachen und Berechnungen, wofür eine besondere Sachkunde nicht dargelegt werden muss. Auf der anderen Seite ist dem Kläger zuzugeben, dass grundsätzlich die Einholung eines Sachverständigengutachtens nur abgelehnt werden darf, wenn tatsächlich überhaupt keine Anhaltspunkte für weitergehende Erkenntnisse vorliegen oder das Gericht besondere Sachkunde nachweist. Beides trifft vorliegend nicht zu. Es gibt zwar offenbar nur sehr wenige Anhaltspunkte, so dass es sehr wahrscheinlich ist, dass ein Sachverständigengutachten zu keinem besonderen Ergebnis, insbesondere hinsichtlich der Ausgangs- oder Kollisionsgeschwindigkeit, kommen könnte. Ein Sachverständiger kann aber die Örtlichkeit in Augenschein nehmen und feststellen, inwieweit der Kläger vor dem Unfall von dem Fahrer des Beklagtenfahrzeugs gesehen werden konnte und inwieweit auch eine entsprechende Reaktionssaufforderung bereits bestand.

Ob dies im Ergebnis tatsächlich weiterführende Erkenntnisse bringt, erscheint zwar fraglich, die Voraussetzungen eines Ausforschungsbeweises liegen aber nach der eindeutigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht vor.

Ein Ausforschungsbeweis kann nur dann angenommen werden, wenn die Partei ohne greifbare Anhaltspunkte für das Vorliegen eines bestimmten Sachverhalts willkürlich Behauptungen „aufs Geratewohl“ oder „ins Blaue hinein“ aufstellt. Anerkanntermaßen ist jedoch bei der Annahme von Willkür in diesem Sinne Zurückhaltung geboten; in der Regel wird sie nur das Fehlen jeglicher tatsächlicher Anhaltspunkte rechtfertigen können (Senatsurteil vom 25. April 1999 – VI ZR 178/94, NJW 1995, 2111, juris Rn. 13; BGH, Urteile vom 8. Mai 2012 – XI ZR 262/10, BGHZ 193, 159, juris Rn. 40; 7. Februar 2019 – III ZR 498/16, NJW 2019, 1137 Rn. 37; jeweils mwN; BGH, Beschluss vom 15. Oktober 2019 – VI ZR 377/18 -, Rn. 10, juris).

Die Ablehnung eines Beweisantritts kommt deshalb nur in seltenen Fällen in Betracht, in denen überhaupt keine Anhaltspunkte ersichtlich sind, aus denen ein Sachverständiger Rekonstruktionsmöglichkeiten entnehmen könnte. Vorliegend gibt es Schäden am Fahrzeug, konkrete Verletzungen des Klägers und auch die Örtlichkeit des Unfalls ist bekannt. Dies reicht zunächst aus, um den Unfallhergang ausreichend zu rekonstruieren, insbesondere auch gegebenenfalls Berechnungen hinsichtlich einer örtlichen oder zeitlichen Vermeidbarkeit vorzunehmen.

Auch wenn insoweit noch Unwägbarkeiten hinsichtlich der konkreten Haftungsverteilung bestehen, hat das Landgericht diese jedoch damit berücksichtigt, dass es die Haftungsquote zu Gunsten des Klägers verdoppelt hat und von einer Haftungsverteilung von 50 zu 50 ausgegangen ist. Damit hat das Landgericht den Unwägbarkeiten einer Beweisaufnahme und auch den Möglichkeiten des Klägers, sein Klagebegehren weiter zu verfolgen, ausreichend Rechnung getragen.

Angesichts des von ihm selbst vorgetragenen Sachverhalts kann unter keinem Aspekt davon ausgegangen werden, dass sein Verursachungsanteil kleiner als 50 % sein könnte. In Fällen dieser Art ist von verschiedenen Gerichten bereits eine weit überwiegende Mithaftung des Fußgängers entschieden worden.

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Fußgänger haben die Fahrbahn nach § 25 Abs. 3 StVO unter Beachtung des vorrangigen Fahrzeugverkehrs zügig und auf dem kürzesten Weg zu überschreiten. Sie müssen beim Betreten der Fahrbahn besonders vorsichtig sein und haben den fließenden Verkehr genau zu beobachten (vgl. BGH, Urt. v. 27.06.2000 – VI ZR 126/99 -). Insbesondere dürfen sie die Fahrbahn nur überqueren, wenn sie die gegenüber liegende Straßenseite rechtzeitig vor dem herannahenden Verkehr erreichen können (vgl. BGH, Urt. v. 12.07.1983 – VI ZR 286/81 -). Wenn feststeht, dass sich der Unfall auf der Fahrbahn ereignet hat, streitet daher schon der Anscheinsbeweis für die schuldhafte Nichtbeachtung des § 25 Abs. 3 StVO (vgl. OLG Hamm, Urt. v. 16.02.2016 – I-26 U 105/15 -; OLG Celle, Urt. v. 19.03.2015 – 5 U 185/11 -; OLG Hamm, Urt. v. 16.11.2007 – 9 U 92/07 -; OLG München 10.11.17 – 10 U 491/17 – mit Anmerkung Wenker jurisPR-VerkR 1/2018). Der Kraftfahrer kann grundsätzlich darauf vertrauen, dass Fußgänger nicht unvorsichtig die Fahrbahn betreten (OLG Hamm 10.4.2018 – 9 U 131/16 -; OLG Düsseldorf 10.4.18 – 1 U 196/14 -).

Im Fall grob fahrlässigen Verhaltens des Fußgängers kann die Betriebsgefahr des Kfz in vollem Umfang zurücktreten (OLG Celle 5.6.18 – 14 U 5/18 -; OLG Brandenburg 3.1.19 – 12 U 133/18 -: vom Smartphone abgelenkte 15jährige tritt vor Linienbus; OLG Jena 15.6.17 – 1 U 540/16 – (2,07 %o); OLG Celle 19.3.15 – 5 U 185/11 – (1,7 %o); OLG Hamm 17.4.15 – 9 U 34/14 – (2,49 %o); OLG Hamm 13.7.09 – 13 U 179/08 -; OLG Hamm 26.4.12 – 6 U 59/12 -; diff. OLG Karlsruhe 20.6.12 – 13 U 42/12; OLG Saarbrücken 24.4.12 – 4 U 131/11 -; OLG Köln 19.3.12 – 16 U 169/11 -; OLG Dresden 9.5.17 – 4 U 1596/16 -; OLG Düsseldorf 10.4.18 – 1 U 196/14 -: 20% Betriebsgefahr).

2. Höhe des Schmerzensgelds und der Schadensersatzforderung

Dem Landgericht kann allerdings nicht dahin gefolgt werden, dass lediglich ein Schmerzensgeld und Schadensersatz in einer Höhe in Betracht kommt, die bei einer Berücksichtigung der Mithaftung des Klägers einen Betrag ergibt, der unter 5.000 € liegt.

Bei der Beurteilung der Höhe von Schmerzensgeld und Schadensersatz ist zunächst von den plausiblen Darlegungen des Klägers auszugehen. In der Regel besteht hinreichende Erfolgsaussicht, wenn über eine Behauptung Beweis zu erheben ist (Bundesverfassungsgericht NJW 2008, 1060). Bestehen allerdings keine konkreten und nachvollziehbaren Anhaltspunkte dafür, dass die Beweisaufnahme sehr wahrscheinlich zum Nachteil der bedürftigen Partei ausgehen wird, dann widerspricht es dem Gebot der Rechtsschutzgleichheit, die Rechtsverfolgung für aussichtslos zu erklären.

Die Angaben des Klägers reichen aus, um eine gewisse Erfolgsaussicht für die beabsichtigte Schmerzensgeldforderung anzunehmen. Nähere Angaben zum Umfang der körperlichen Beeinträchtigungen und der Belastungen durch Verzicht auf Hobbies und dauernde Beeinträchtigungen können sich aus der mündlichen Anhörung des Klägers als auch der Aufklärung durch ärztliche Sachverständige, ggf. der Benennung weiterer Zeugen aus dem Umfeld des Klägers ergeben. Gerade weil im Prozesskostenhilfeprüfungsverfahren eine mündliche Anhörung in der Regel ausscheidet, ist bei den Angaben zu persönlichen Verhältnissen, insbesondere Erkrankungen und Schmerzen, ein großzügiger Maßstab an die Erfolgsaussicht anzulegen (Zöller-Geimer § 114 ZPO Rz. 26 a).

Das Landgericht hat keine näheren Ausführungen dazu gemacht, wie es die Grenze von 8.000 € bemessen hat. Es hat sich insoweit lediglich an Vergleichsentscheidungen orientiert.

Schmerzensgeld dient dem Ausgleich für Schäden nichtvermögensrechtlicher Art und trägt dem Umstand Rechnung, dass der Schädiger dem Geschädigten Genugtuung schuldet für das, was er ihm angetan hat. Die Entschädigung ist nach § 287 ZPO zu schätzen, wobei der unbestimmte – verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende (BVerfG NJW 2000, 2187) – Rechtsbegriff der „billigen Entschädigung“ ausreichend Raum für eine angemessene Differenzierung lässt. Der Tatrichter muss seine Ermessensentscheidung nach §§ 253 Abs. 2, 287 ZPO begründen, das Berufungsgericht ist daran aber nicht gebunden (OLG Köln 9.10.07 – 15 U 105/07 -, VersR 08, 364; OLG Naumburg 29.11.06 – 6 U 114/06 -; OLG Jena 16.1.08 – 4 U 318/06 -; BGH NJW 06, 1589).

Bei der Bemessung sind sämtliche objektiv, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines Sachkundigen, erkennbaren und nicht fernliegenden künftigen Auswirkungen der Verletzung zu berücksichtigen (BGH 10.7.18 – VI ZR 259/15 -; 20.1.15 – VI ZR 27/14 -; OLG München 8.7.16 – 10 U 3138/15 -; OLG Naumburg 10.7.14 – 2 U 101/13 -; BGH NJW 88, 2301; OLG Celle 16.9.09 – 14 U 71/06 -; vgl. auch der Praxistext von Schah Sedi ZfS 17, 363). Ein zeitlich begrenztes Schmerzensgeld ist grundsätzlich unzulässig (BGH NJW 04, 1243; OLG Jena 16.1.08 – 4 U 318/06 -). Die Frage, ob Verletzungsfolgen in Zeiten der Zuerkennung eines Schmerzensgeldes erkennbar waren, richtet sich nicht nach der subjektiven Sicht der Parteien oder der Vollständigkeit der Erfassung des Streitstoffs durch das Gericht, sondern nach objektiven Gesichtspunkten, d.h. nach den Kenntnissen und Erfahrungen eines insoweit Sachkundigen (BGH 14.2.06 – VI ZR 322/04 -; OLG Saarbrücken 7.6.11 – 4 U 451/10 -; OLG München 15.3.13 – 10 U 4171/12 -).

Es genügt dabei nicht, zur Festsetzung eines für angemessen gehaltenen Schmerzensgeldes auf andere Entscheidungen aus solchen Tabellenwerken zu verweisen. Der BGH (BGH VersR 1988, 943 und BGH VersR 1992,1410) verlangt vielmehr von dem Tatrichter, dass er sich mit den für die Schmerzensgeldbemessung maßgeblichen Umständen auseinandersetzt.

Schmerzensgeldentscheidungen anderer Gerichte sind weder Maßstab noch Begrenzung (OLG Karlsruhe, VersR 2001, 1175; OLG München 21.3.14 – 10 U 1750/13 -; 24.11.17 – 10 U 952/17 -; OLG Frankfurt 11.06.2010 – 4 U 143/10). Abzustellen ist daher auf den jeweils vorliegenden konkreten Einzelfall (BGH NJW 1955, 1675; KG 16.2.12 – 20 U 157/10 -).

Der Große Senat des BGH hat in BGHZ 18, 149 auch schon darauf hingewiesen, dass bei der Schmerzensgeldbemessung alle Begleitumstände auf Seiten des Schädigers und des Geschädigten zu berücksichtigen sind (Beispielhaft: OLG Frankfurt vom 09.04.2010 – 13 U 128/09 -; OLG München 26.4.13 – 10 U 4118/11 -: Dauerschäden).

Dem wird die Einschätzung des Landgerichts nicht gerecht. Insbesondere ist nicht erkennbar, inwieweit die Dauer der Beeinträchtigungen für den Kläger, insbesondere bei dem Lagerungsschwindel und den Beckenbeeinträchtigungen, bei der Bemessung berücksichtigt worden ist. Der Senat weist darauf hin, dass vorliegend offensichtlich Dauerbeeinträchtigungen zu erwarten sind, wie der Senat aus seiner Erfahrung als Arzthaftungssenat beurteilen kann.

Nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit des Schmerzensgeldes, den das Landgericht jedenfalls nicht ersichtlich berücksichtigt hat, sind bei der Bemessung des Schmerzensgeldes sämtliche Folgen, die für einen Fachkundigen erkennbar und nicht nur äußerst unwahrscheinlich sind, bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen.

Bei den schweren Verletzungen des Klägers ist eine solche Bewertung weder im Augenblick möglich noch von den bisher behandelnden Ärzten vorgenommen worden. Es bedarf einer sachverständigen Beurteilung, wie sich die Verletzungen mittlerweile ausgewirkt haben und welche Zukunftsschäden zu erwarten sind, um überhaupt verlässlich ein Schmerzensgeld auswerfen zu können. Dies ist völlig unabhängig davon, wie das Schmerzensgeld bemessen wird, ob insoweit eine an der Dauer orientierte oder an der Beeinträchtigung orientierte Betrachtungsweise vorgenommen wird.

Es ist deshalb durchaus möglich, dass sich das von dem Kläger als Mindestgrenze angegebene Schmerzensgeld von 14.000 € als berechtigt herausstellen kann, da der Kläger im Unfallzeitpunkt erst 58 Jahre alt war und mithin noch zahlreiche Lebensjahre mit erheblichen Behinderungen verbringen muss, wenn sich sein Vorbringen als berechtigt herausstellt.

Wie der Senat bereits entschieden hat, ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes im Bereich der Prozesskostenhilfe ein großzügiger Maßstab anzulegen, weil mangels näherer Aufklärung überhaupt noch nicht absehbar ist, wie sich die tatsächliche Beeinträchtigung im Ergebnis darstellen wird. Ebenso wie bei komplizierten Rechtsfragen ist es zur Gewährung des Rechtsschutzes erforderlich, eine solche Klärung dem Hauptsacheverfahren vorzubehalten und sie nicht dem kursorischen Prozesskostenhilfeverfahren zu überlassen. Dies würde den Rechtsschutz der bedürftigen Partei zu Unrecht beschränken, insbesondere auch, was den Rechtsmittelzug angeht.

Angesichts der bloß summarischen Prüfung ist es regelmäßig angemessen, Prozesskostenhilfe auch für eine überhöhte bezifferte Schmerzensgeldforderung zu bewilligen, wenn sich diese in einem vertretbaren Rahmen bis hin zum doppelten des vom Gericht für angemessen erachteten Betrags bewegt. Die endgültige Festlegung kann in der Regel erst im Hauptsacheverfahren erfolgen (OLG Karlsruhe 16.2.11 – 4 W 108/10 -; OLG Frankfurt, Beschluss vom 08. Juni 2017 – 22 W 30/17 -, Rn. 21 – 23, juris; 27.6.19 – 22 W 19/19 -).

Da der Kläger die Höhe des Schmerzensgeldes in das Ermessen des Gerichts gestellt hat, das allerdings endgültig erst nach Durchführung des streitigen Verfahrens ausgeübt werden kann, bestand auch keine Veranlassung, eine Obergrenze des Schmerzensgeldes festzulegen. Diese gilt auch unter Kostengesichtspunkten, da es für den Streitwert nicht darauf ankommt, welchen Wert der Kläger angibt, sondern darauf, welchen Betrag das Gericht aufgrund der Darlegungen des Klägers als angemessen erachtet (BGH MDR 2012, 875).

Aus dem Vorstehenden wird deutlich, dass eine Zuständigkeit des Landgerichts in jedem Fall bei der angenommenen Haftungsquote von 50% gegeben ist. Der Senat hat davon abgesehen, selbst über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe zu entscheiden, um dem Landgericht die Möglichkeit zu geben, sein Ermessen im Sinne der vorstehenden Ausführungen auszuüben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 127 Abs. 4 ZPO.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Verkehrsrecht und Straßenverkehrsordnung (StVO)

    Der Text bezieht sich auf einen Verkehrsunfall, bei dem ein Fußgänger beteiligt war. Daher ist das Verkehrsrecht und insbesondere die Straßenverkehrsordnung (StVO) relevant. In diesem Fall ist § 25 Abs. 3 StVO von besonderer Bedeutung, da er die Pflichten eines Fußgängers beim Überqueren der Fahrbahn regelt. Der Fußgänger muss demnach den vorrangigen Fahrzeugverkehr beachten und die Fahrbahn zügig und auf dem kürzesten Weg überqueren. Die Einhaltung dieser Vorschrift spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung der Haftungsverteilung im Falle eines Unfalls.

  2. Schadensersatzrecht und Bürgerliches Gesetzbuch (BGB)

    Der Kläger beabsichtigt, Schadensersatz und Schmerzensgeld geltend zu machen. Dies fällt in den Bereich des Schadensersatzrechts, das in den §§ 249 ff. BGB geregelt ist. Insbesondere § 253 BGB, der die Entschädigung in Geld für immaterielle Schäden (Schmerzensgeld) regelt, ist hier relevant. Die Höhe des Schmerzensgeldes wird nach § 287 ZPO geschätzt und berücksichtigt dabei die Schwere der Verletzung, die Dauer der Heilung und die Auswirkungen der Verletzung auf das Leben des Geschädigten.

  3. Prozessrecht und Zivilprozessordnung (ZPO)

    Der Kläger hat Prozesskostenhilfe beantragt, was eine Frage des Prozessrechts ist. Die Voraussetzungen und das Verfahren für die Gewährung von Prozesskostenhilfe sind in den §§ 114 ff. ZPO geregelt. Insbesondere § 114 ZPO, der die Bedürftigkeit des Antragstellers als Voraussetzung für die Gewährung von Prozesskostenhilfe festlegt, und § 127 Abs. 4 ZPO, der die Kostenentscheidung in Verfahren über die Gewährung von Prozesskostenhilfe regelt, sind hier relevant.

  4. Versicherungsrecht

    Da es sich um einen Verkehrsunfall handelt, ist auch das Versicherungsrecht relevant, insbesondere im Hinblick auf die Kfz-Haftpflichtversicherung des Fahrzeugführers. Die Pflicht zum Abschluss einer solchen Versicherung ergibt sich aus § 1 des Pflichtversicherungsgesetzes (PflVG). Die Versicherung hat die Aufgabe, Schadensersatzansprüche von Geschädigten zu erfüllen, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs entstanden sind.

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