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Herausgabeanspruch bzgl. einer hinterlegten Uhr

OLG Hamm – Az.: 5 U 133/17 – Urteil vom 12.07.2018

Auf die Berufung des Klägers wird das am 13.10.2017 verkündete Urteil der 4. Zivilkammer des Landgerichts Bochum abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der Beklagte wird verurteilt, gegenüber der Hinterlegungsstelle Düsseldorf zum Aktenzeichen 4 HL-P …/16 zuzustimmen, dass die von der Hinterlegungsstelle Düsseldorf des Amtsgericht angenommene und bei der Justizkasse NRW in Hamm zum Aktenzeichen EHW Nr. …/16, WHB Nr. …-…/16 verwahrte Herrenarmbanduhr S, Referenznummer …, Gehäusenummer D …, an den Kläger herausgegeben wird.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Widerklage wird abgewiesen.

Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Herausgabeanspruch bzgl. einer hinterlegten Uhr
(Symbolfoto: Nor Gal/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten über die Zustimmung zur Herausgabe einer bei der Justizkasse NRW hinterlegten Herrenarmbanduhr der Marke S.

Am 05.05.2008 erwarb der Beklagte die streitgegenständliche Herrenarmbanduhr S, Referenznummer …, Gehäuse-nummer D…, zum Preis von 12.000,00 EUR samt dazugehöriger Garantiekarte (Bl. 40) beim Auktionshaus L in Dortmund. Die in französischer Sprache verfasste Garantiekarte weist den Erstkäufer der Uhr aus und zertifiziert die Echtheit derselben (Bl. 41 ff.).

Ein Jahr später entschloss sich der Beklagte, die Uhr wieder zu verkaufen. Hierzu traf er sich am 13.05.2009 mit einem unter dem Namen S1 auftretenden Unbekannten (im Folgenden: S1) im Hotel C in E, welcher Interesse an der Uhr zeigte. S1 gab an, die Uhr noch von einem Experten im T Parkhotel, welches dem C schräg gegenüberliegt, überprüfen lassen zu wollen. Der Beklagte übergab S1 sodann die Uhr, behielt aber die Garantiekarte zurück. S1 nahm die Uhr an sich und verließ das Hotel, ohne zurückzukehren.

Der Beklagte stellte Strafanzeige gegen S1 wegen des Vorfalls. Die Staatsanwaltschaft stellte das Verfahren ein, da sie die Identität des Täters nicht ermitteln konnte (Bl. 44).

Am 23.02.2016 erwarb der Kläger die Uhr ohne Garantiekarte bei dem L1 Gebrauchtuhrenhändler „D“, bei dem er bereits vorher verschiedentlich gebrauchte S-Uhren erworben hatte (Bl. 65 f.), zu einem Preis von 14.500,00 EUR (Bl. 7). Anlässlich einer Revision übergab der Kläger die Uhr Anfang September an die S Uhren GmbH in L1. Diese stellte fest, dass die Uhr zur Sachfahndung ausgeschrieben war, woraufhin die Polizei sie am 06.09.2016 beschlagnahmte und sicherstellte (Bl. 8 f.).

In der Folge hob die Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme der Uhr auf und stellte Hinterlegungsantrag bei der Hinterlegungsstelle des Amtsgerichts Düsseldorf (Bl. 12 f.), das die Uhr unter dem Az. 4 HL-P …/16 annahm und bei der Justizkasse NRW in Hamm unter dem Az. EHW Nr. …/16, WHB Nr. …-…/16 bis heute verwahrt. Als mögliche Empfangsberechtigte der Uhr benannte die Staatsanwaltschaft in dem Antrag die Parteien.

Dem Kläger entstanden vorgerichtlich Rechtsanwaltskosten in Höhe von 524,67 EUR.

Der Kläger ist der Ansicht gewesen, er habe einen Anspruch gegen den Beklagten auf Erteilung der Zustimmung zur Herausgabe der Uhr, da er diese jedenfalls gutgläubig erworben habe (Bl. 58 ff.). Der Rechtsschein des Besitzes habe für die Eigentümerstellung der Firma „D“ gesprochen. Er sei hinsichtlich der Eigentümerstellung der Firma auch gutgläubig gewesen; insbesondere könne das Fehlen der Garantiekarte keine Bösgläubigkeit begründen, da diese lediglich die Echtheit der Uhr und keine Berechtigung an ihr zertifiziere. Die Situation sei deshalb nicht mit der beim Kauf eines Gebrauchtwagens vergleichbar.

Des Weiteren sei dem Beklagten die Uhr nicht abhandengekommen. Der Beklagte habe S1 den unmittelbaren Besitz willentlich verschafft. Dass die Übergabe täuschungsbedingt erfolgt sei, sei für das Abhandenkommen irrelevant. Der Unbekannte sei auch nicht Besitzdiener des Beklagten gewesen, da er weder in abhängiger Stellung für den Beklagten tätig noch dessen Weisungen unterworfen gewesen sei, nachdem sich der Beklagte seiner tatsächlichen Verfügungsmacht über die Uhr entäußert hätte.

Der Kläger hat beantragt,

1. den Beklagten zu verurteilen, gegenüber der Hinterlegungsstelle Düsseldorf, Az. 4 HL-P …/16, zuzustimmen, dass die von der Hinterlegungsstelle des Amtsgericht angenommene und bei der Justizkasse NRW in Hamm zum Aktenzeichen EHW Nr. …/16, WHB Nr. …-…/16 verwahrte Herrenarmbanduhr S, Referenznummer …, Gehäusenummer D …, an den Kläger herausgegeben wird;

2. den Beklagten zu verurteilen, ihm außergerichtliche Kosten in Höhe von 524,67 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu erstatten.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat der Beklagte beantragt, den Kläger zu verurteilen, die Freigabe der beim Amtsgericht Düsseldorf, Geschäftsnummer 4 HL-P …/16, angenommenen und bei der Justizkasse NRW in Hamm mit der Geschäftsnummer EHW Nr. …/16, WHB Nr. …-…/16 hinterlegten Herrenarmbanduhr S, Referenznummer …, Gehäusenummer D …, zugunsten des Beklagten zu bewilligen.

Der Kläger hat beantragt, die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte hat behauptet, S1 und er hätten vereinbart, dass dieser die Uhr nach der Prüfung durch den Experten habe zurückbringen sollen.

Der Beklagte ist der Ansicht gewesen, ein gutgläubiger Erwerb des Klägers sei ausgeschlossen, da ihm selbst die Uhr abhandengekommen sei (Bl. 37 ff.).

Bei der Überlassung der Uhr an S1 habe es sich lediglich um eine Besitzlockerung gehandelt, welche an den tatsächlichen Besitzverhältnissen nichts geändert habe. Den unmittelbaren Besitz habe er gegen seinen Willen erst verloren, als S1 nicht zurückgekehrt sei.

Ein gutgläubiger Erwerb des Klägers scheitere zudem an dessen Bösgläubigkeit. Diese resultiere daraus, dass er bei dem Erwerb der Uhr keine Garantiekarte erhalten habe. S-Uhren würden aber regelmäßig nur mit Garantiekarte verkauft. Erhalte der Käufer keine entsprechende Karte, begründe dies allein grobe Fahrlässigkeit. Angesichts des Preises von 14.500,00 EUR hätten den Kläger ohnehin erhöhte Nachforschungsobliegenheiten getroffen.

Der Kläger hat mit Nichtwissen bestritten, dass zwischen dem Beklagten und S1 eine Vereinbarung über das Zurückbringen der Uhr geschlossen worden sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens in erster Instanz wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen und den Kläger auf die Widerklage verurteilt, die Herausgabe der streitgegenständlichen Uhr gegenüber dem Amtsgericht Düsseldorf zu bewilligen.

Ein Anspruch des Klägers gegen den Beklagten scheitere daran, dass der Kläger nicht Eigentümer der Uhr habe werden können, da diese dem Beklagten abhandengekommen sei. S1 sei mit der Annahme der Uhr Besitzdiener des Beklagten geworden. Der Beklagte sei hiermit unmittelbarer Besitzer geblieben und habe den unmittelbaren Besitz gegen seinen Willen verloren, als S1 nicht zurückgekehrt sei.

Übe nämlich ein Kaufinteressent über einen zu Prüfungszwecken überlassenen Gegenstand nach der Verkehrsanschauung die tatsächliche Gewalt nur nach den Weisungen des Verkäufers aus, sei der Käufer nicht als unmittelbarer Besitzer, sondern lediglich als Besitzdiener zu qualifizieren. Vorliegend habe S1 dem Weisungsrecht des Beklagten unterstanden, da er die Uhr nach den glaubhaften Angaben des Beklagten habe zurückbringen sollen. Die Vereinbarung zur Rückgabe der Uhr habe der Kläger auch nicht isoliert mit Nichtwissen bestreiten können.

Dass der Beklagte möglicherweise keine Einwirkungsmöglichkeit mehr auf den Unbekannten gehabt habe, nachdem dieser das Hotel verlassen habe, sei zum einen irrelevant, da für die Einordnung als Besitzdiener keine ununterbrochene Einwirkungsmöglichkeit notwendig sei. Zum anderen habe der Beklagte durch den Einbehalt der Garantiekarte seine Einflussmöglichkeiten auf die Uhr auch aufrechterhalten.

Gegen diese Entscheidung wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er rügt die Verletzung formellen und materiellen Rechts.

Der Kläger ist der Ansicht, das Gericht habe den Sachverhalt zu einer Rückgabeverpflichtung des S1 als unstreitigen Sachverhalt behandelt, obwohl er eine etwaige Rückgabeverpflichtung des S1 mit Nichtwissen bestritten habe.

Darüber hinaus sei S1 auch nicht Besitzdiener des Beklagten gewesen. Es habe zum einen an einem nach außen erkennbaren sozialen Abhängigkeitsverhältnis zwischen dem Beklagten und S1 gefehlt. Zum anderen habe sich der Beklagte durch die Übergabe der Uhr und das Entlassen des S1 aus dem Hotel auch jeder Einwirkungsmöglichkeit auf die Uhr begeben.

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Er – der Kläger – sei schließlich auch gutgläubig gewesen, da der Verkauf von Gebrauchtuhren der Marke S ohne Garantiekarte verbreitete Praxis sei. Eine Recherche auf einer entsprechenden Internet-Plattform habe ergeben, dass lediglich 39,6 % der gebrauchten S-Uhren mit Garantiekarte verkauft würden (Bl. 165).

Der Kläger beantragt,

1. der Klage unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Bochum, Az. I-4 O 80/17, vom 13.10.2017 stattzugeben

2. und die Widerklage abzuweisen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil, indem er sein erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und vertieft. Er sei nach der Übergabe der Uhr an S1 noch unmittelbarer Besitzer derselben geblieben, da er seinen Besitz an ihr nur gelockert habe. Eine vorübergehende Verhinderung in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt schließe gem. § 856 Abs. 2 BGB den Besitz auch nicht aus. Der Beklagte rügt darüber hinaus Verspätung des klägerischen Vortrags, soweit dieser Unklarheiten hinsichtlich der Verkaufsverhandlungen zwischen ihm und S1 betrifft.

B.

Die zulässige Berufung des Klägers hat Erfolg, soweit sie sich gegen die Abweisung seines Antrags auf Zustimmung zur Herausgabe der Uhr bzw. die eigene Verurteilung zur Erklärung jener Zustimmung richtet. Soweit die Berufung die vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten betrifft, bleibt sie erfolglos.

I.

Der Anspruch des Klägers auf Erteilung der Zustimmung zur Herausgabe der Uhr ergibt sich aus § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB.

1.

Damit das Amtsgericht Düsseldorf als Hinterlegungsstelle die Uhr an einen der Beteiligten herausgeben darf, bedarf es im Rahmen eines Prätendentenstreits gem. § 22 Abs. 3 Nr. 1 HintG NRW der Bewilligung der Herausgabe durch die übrigen Beteiligten. Der (wahre) Berechtigte kann die Abgabe dieser Erklärung gemäß § 812 Abs. 1 S. 1 Alt. 2 BGB von den übrigen Prätendenten verlangen, die ihre Rechtsposition auf seine Kosten erlangt haben; insoweit ist es ohne Bedeutung, ob die Voraussetzungen für die Hinterlegung vorlagen. Ob der Anspruch besteht, richtet sich nicht nach dem Innenverhältnis zwischen den Prätendenten, sondern ausschließlich nach dem materiellen Rechtsverhältnis zwischen dem hinterlegenden Schuldner – hier der Staatsanwaltschaft – und dem Kläger (BGH, Urteil vom 30. Januar 2015 – V ZR 63/13 -, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 16. November 2012 – V ZR 179/11 -, juris Rn.10; BGH, Urteil vom 15. Oktober 1999 – V ZR 141/98 -, juris Rn. 25). Dies beruht darauf, dass die Hinterlegung zur Erfüllung einer gegen den Hinterlegenden gerichteten Forderung erfolgt, § 372 Satz 2 BGB (BGH, Urteil vom 30. Januar 2015 – V ZR 63/13 -, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 13. November 1996 – VIII ZR 210/95 – juris Rn. 10).

Nach diesen Maßstäben kann der Kläger als wahrer Berechtigter an der Uhr die Zustimmung zur Herausgabe vom Beklagten verlangen, da er einen Anspruch auf Herausgabe aus § 111n StPO bzw. § 985 BGB gegen die Staatsanwaltschaft gehabt hatte, bevor diese die Uhr hinterlegte. Der Kläger war und ist Eigentümer der Uhr, die Staatsanwaltschaft war spätestens nach Ende der Beschlagnahme und bis zur Hinterlegung Besitzerin ohne Recht zum Besitz, § 986 BGB.

2.

Der Kläger ist mit dem Erwerb der Uhr von der Firma „D“ Eigentümer der Uhr geworden. Ausgangspunkt für dieses Ergebnis bildet die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 1 Satz 1 BGB, nach der zugunsten des Besitzers einer beweglichen Sache vermutet wird, dass er Eigentümer der Sache sei. Zwar ist der Kläger inzwischen nicht mehr Besitzer der Uhr, als früherer Besitzer kann er sich aber auf die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB berufen. Dass der Beklagte sich als früherer Besitzer ebenfalls auf die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB berufen kann, ist unerheblich, da die Vermutung aus dem zeitlich späteren Besitz der Vermutung aus dem früheren Besitz vorgeht (BGH, Urteil vom 30. Januar 2015 – V ZR 63/13 -, juris Rn. 34; Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 1006 Rn 19).

Die Vermutung zugunsten des Klägers vermochte der Beklagte nicht zu widerlegen, § 292 Satz 1 ZPO (zu den Anforderungen an die Widerlegung BGH, Versäumnisurteil vom 03. März 2017 – V ZR 268/15 -, juris Rn. 20 ff.).

a)

Entgegen den Ausführungen des Landgerichts ist die Uhr dem Beklagten insbesondere nicht gem. § 1006 Abs. 1 Satz 2 BGB, der auch auf § 1006 Abs. 2 BGB Anwendung findet (Palandt/Bassenge, BGB, 77. Aufl. 2018, § 1006 Rn. 6; Staudinger/Gursky, BGB [2012], § 1006 Rn. 21), abhandengekommen.

Ein Abhandenkommen im Sinne des § 935 Abs. 1 Satz 1 BGB setzt voraus, dass der Eigentümer oder sein Besitzmittler den unmittelbaren Besitz ohne ihren Willen verloren haben (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2013 – V ZR 58/13 -, juris Rn. 8; BGH, Urteil vom 16. April 1969 – VIII ZR 64/67 -, juris Rn. 16; BGH, Urteil vom 15. November 1951 – III ZR 21/51 -, juris Rn. 62; Staudinger/Wiegand, BGB [2017], § 935 Rn. 4). Dies war vorliegend nicht der Fall.

Im Zeitpunkt des Besitzverlusts, dem Verschwinden des S1, war der Beklagte nicht mehr unmittelbarer Besitzer im Sinne des § 854 Abs. 1 BGB. Den unmittelbaren Besitz hatte er durch die Übergabe der Uhr und das Entlassen des S1 bereits auf diesen übertragen. Dass die Überlassung täuschungsbedingt erfolgte, begründet keine Unfreiwilligkeit, da die Besitzaufgabe Realakt und nicht Willenserklärung ist (Palandt/Herrler, BGB, 77. Aufl. 2018, § 935 Rn. 5; Staudinger/Wiegand, BGB [2017], § 935 Rn. 11).

Der Beklagte ist insbesondere nicht deshalb unmittelbarer Besitzer geblieben, weil S1 als Besitzdiener im Sinne des § 855 BGB einzuordnen wäre. Es ist in diesem Zusammenhang unerheblich, ob der Beklagte mit S1 eine (ausdrückliche) Vereinbarung zur Rückgabe der Uhr schloss, was der Kläger entgegen der Auffassung des Landgerichts zulässigerweise gem. § 138 Abs. 4 ZPO mit Nichtwissen bestritten hat. Denn selbst nach dem Vortrag des Beklagten konnte S1 kein Besitzdiener sein.

aa)

Besitzdiener im Sinne des § 855 BGB ist, wer die tatsächliche Gewalt über eine Sache für einen anderen in dessen Haushalt oder Erwerbsgeschäft oder in einem ähnlichen Verhältnis ausübt, vermöge dessen er den sich auf die Sache beziehenden Weisungen des anderen Folge zu leisten hat. Dazu muss nach dem BGH ein nach außen erkennbares soziales Abhängigkeitsverhältnis begründet werden (BGH, Urteil vom 17. März 2017 – V ZR 70/16 -, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2013 – V ZR 58/13 -, juris Rn. 10; BGH, Urteil vom 30. Mai 1958 – V ZR 295/56 -, juris Rn. 23), das dem Besitzherrn zumindest faktisch die Möglichkeit gibt, seinen Willen gegenüber dem Besitzdiener durchzusetzen (BGH, Urteil vom 17. März 2017 – V ZR 70/16 -, juris Rn. 13; BGH, Urteil vom 13. Dezember 2013 – V ZR 58/13 -, juris Rn. 10; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 855 Rn. 16). Besitzdiener ist nicht jeder, der Weisungen des Eigentümers der Sache zu befolgen hat, sondern nur derjenige, demgegenüber der Eigentümer die Einhaltung seiner Weisungen im Nichtbefolgungsfall auf Grund eines Direktionsrechts oder vergleichbarer Befugnisse unmittelbar selbst durchsetzen kann (BGH, Urteil vom 17. März 2017 – V ZR 70/16 -, juris Rn. 13).

bb)

Ein soziales Abhängigkeitsverhältnis wie z.B. ein Arbeitsverhältnis, mit dem rechtlich wie faktisch Weisungsrechte des Besitzherrn einhergehen, bestand zwischen dem Beklagten und S1 nicht. Es fehlt auch an einer strukturell vergleichbaren Situation, die eine analoge Anwendung von § 855 BGB rechtfertigen könnte (vgl. BGH, Urteil vom 17. März 2017 – V ZR 70/16 -, juris Rn. 14).

Eine strukturell vergleichbare Situation haben Teile der Instanzrechtsprechung in Fällen von Gefälligkeitsüberlassungen angenommen, da zu erwarten sei, dass sich der Gefälligkeitsnutzer aufgrund seiner Loyalität gegenüber dem Erlaubenden an dessen Weisungen halten werde. Erforderlich sei jedoch stets, dass der Besitzherr ständig auf die Sache zugreifen könne (OLG Stuttgart, Beschluss vom 12. Februar 2009 – 10 U 3/09 -, juris Rn. 4; OLG Nürnberg, Urteil vom 02. Juni 1989 – 8 U 2161/88 -, juris Rn. 47; Erman/A. Lorenz, BGB, 15. Aufl. 2017, § 855 Rn. 13; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 855 Rn. 30).

Ebenfalls eine strukturell vergleichbare, die analoge Anwendung des § 855 BGB rechtfertigende Situation nahm das OLG Köln in einer Entscheidung vom 18. April 2005, Az. 19 U 10/05, für den Fall einer Probefahrt mit einem Kfz zur Anbahnung eines Kaufvertragsabschlusses an.

cc)

Der vorliegende Fall ist aber nicht mit dem einer Gefälligkeitsüberlassung und auch nicht mit dem einer Probefahrt im Rahmen eines avisierten Kaufvertragsabschlusses vergleichbar. Auch über diese Fallgruppen hinaus gebietet die Interessenlage der Parteien keine analoge Anwendung des § 855 BGB.

(1)

Zunächst handelte es sich bei der Überlassung der Uhr schon nicht um eine Gefälligkeit (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, Einl. v. § 241 Rn. 7 m.w.N.). Eine solche Annahme ist bereits wegen des schlichten Werts der Uhr abwegig. Darüber hinaus und ganz wesentlich sollte die Überlassung aus Sicht des Beklagten auch gerade dem Kaufvertragsabschluss dienen. Die erheblichen wirtschaftlichen Interessen der Parteien lassen die Annahme eines Gefälligkeitsverhältnisses nicht zu. Selbst wenn man jedoch ein solches Verhältnis annimmt, hatte der Beklagte, nachdem S1 das Hotel verlassen hatte, keinerlei Zugriffsmöglichkeit mehr auf die Uhr. Er konnte also die Weisung zur Rückgabe nicht mehr unmittelbar selbst durchsetzen. Auch der Einbehalt der Garantiekarte führte nicht dazu, dass der Beklagte eine Einflussmöglichkeit auf die Uhr behielt. Die Garantiekarte enthält nämlich zum einen jedenfalls ab dem Zweitverkauf keine Aussage über die Berechtigung an der Uhr, zum anderen gibt es selbst nach dem Vortrag des Beklagten einen relevanten Markt für Uhren ohne Garantiekarte, sie blieb also unproblematisch verkehrsfähig.

(2)

Auch ist die Situation nicht mit der bei einer Probefahrt zur Anbahnung eines Kaufvertragsschlusses vergleichbar. Zwar sind die Fälle im Ausgangspunkt gleichgelagert, da auch im Fall des OLG Köln eine Sache, nämlich ein Kfz, zweckgerichtet überlassen wurde. Allerdings betraf die Entscheidung eine Probefahrt, welche täglicher Praxis im Fahrzeughandel entspricht. Das OLG Köln bezog sich folgerichtig ausdrücklich auf die Verkehrsanschauung und folgerte, dass der Probefahrende aufgrund der zeitlich und damit notwendigerweise auch örtlich eingeschränkten Überlassung des Fahrzeugs die tatsächliche Gewalt hierüber nur nach Weisung des Besitzherrn ausübe (OLG Köln, Beschluss vom 18. April 2005 – 19 U 10/05 -, juris Rn. 3). Da der Fahrzeughändler auch regelmäßig den Führerschein des Interessenten prüfen wird und das Fahrzeug – jedenfalls solange das Originalkennzeichen angebracht bleibt – anhand dessen identifiziert werden kann, mag dies Umstände darstellen, die Interessenten anhalten können, entsprechend den Weisungen des Fahrzeughändlers zu handeln, womit die vom OLG Köln zugrunde gelegte Verkehrsanschauung zumindest nicht ausgeschlossen erscheint. Der BGH hat bislang offengelassen, ob es eine solche Verkehrsanschauung gibt (BGH, Urteil vom 17. März 2017 – V ZR 70/16 -, juris Rn. 12).

Es ist jedoch nicht angezeigt, diese Verkehrsanschauung auf den vorliegenden Fall zu übertragen, denn es entspricht nicht allgemeiner Praxis, eine Uhr im Wert von über 10.000,00 EUR an eine nicht näher bekannte Person zu übergeben. Mit der Übergabe und dem Entlassen des S1 verlor der Beklagte jeden Zugriff auf die Uhr. Es sind auch keine sonstigen Umstände ersichtlich, die S1 hätten veranlassen können, entsprechend möglicher Weisungen des Beklagten zu handeln.

Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, welche Prüfung der vorgebliche Bekannte an der Uhr vornehmen sollte und warum er diese nur an einem anderen Ort unter Ausschluss des Beklagten vornehmen konnte. Eine Prüfung der Echtheit oder Mechanik der Uhr hätte jeweils auch im Beisein des Beklagten stattfinden können. Hat ein Verkäufer aber einen derart wertvollen Gegenstand in genannt fahrlässiger Weise aus der Hand gegeben, gibt es keine Verkehrsanschauung, die ihm nach der Übergabe und dem Verlassen des räumlichen Bereichs durch den nicht näher bekannten Käufer noch eine Weisungsbefugnis oder tatsächliche Einwirkungsmöglichkeit zubilligen würde.

(3)

Zuletzt besteht auch keine Veranlassung, § 855 BGB über die bereits geschilderten Fallgruppen hinaus auf den vorliegenden Fall auszudehnen. Die Norm dient nämlich jedenfalls auch dazu, einen Besitzschutz des Besitzdieners gegenüber dem Besitzherrn gem. §§ 859, 861, 862 BGB auszuschließen (Palandt/Herrler, BGB, 77. Aufl. 2018, § 855 Rn. 1; Staudinger/Gutzeit, BGB [2012], § 855 Rn. 5). Dies beruht auf dem Gedanken, dass Besitzherr und Besitzdiener in der Regel aus einem Lager stammen und gleichgerichtete Interessen verfolgen bzw. der Wille des Besitzherrn den Willen des Besitzdieners wie im Falle von Gefälligkeitsverhältnissen gleichsam überlagert. Der Beklagte als Verkäufer und S1 als vermeintlicher Käufer verfolgten jedoch gegenläufige Interessen, die sich in ihrer Gewichtigkeit auch nicht übertrafen.

(4)

Die Überlassung stellte auch keine bloße Besitzlockerung dar, da der Beklagte spätestens, als S1 das Hotel verließ, keine Einwirkungsmöglichkeit mehr auf die Uhr hatte. Nichts anderes ergibt sich aus § 856 Abs. 2 BGB, der § 854 BGB lediglich konkretisiert und Fälle einer vorübergehenden Verhinderung in der Ausübung der tatsächlichen Gewalt regelt (MüKoBGB/Joost, 7. Aufl. 2017, § 856 Rn. 1). Die Norm kann jedoch Fälle einer gewollten Besitzübertragung nicht erfassen, da ansonsten auch jeder Vermieter, Verleiher, Hinterleger etc. unmittelbarer Besitzer der Sache bliebe.

b)

Der Beklagte konnte zur Widerlegung des § 1006 Abs. 2 BGB auch nicht beweisen, dass der Kläger kein Eigentum an der Uhr erworben hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. September 2004 – II ZR 318/02 -, juris Rn. 21; BGH, Urteil vom 16. Oktober 2003 – IX ZR 55/02 -, juris Rn. 30). Soweit er sich darauf berufen hat, dass der Kläger bei dem Erwerb der Uhr bösgläubig gewesen sei, ist dies zur Widerlegung der Erwerbsvoraussetzungen nicht ausreichend. Die Berufung hierauf setzt nämlich implizit voraus, dass die Firma „D“ selbst als Nichtberechtigte verfügte. Mangels Abhandenkommens der Uhr greift die Eigentumsvermutung des § 1006 Abs. 2 BGB jedoch auch zugunsten der Firma „D“. Da der Beklagte nichts zur Widerlegung dieser Vermutung vorgetragen hat, ist davon auszugehen, dass der Kläger von der Firma „D“ als Berechtigter erwarb und eine etwaige Bösgläubigkeit damit irrelevant wäre.

Selbst wenn man zugunsten des Beklagten unterstellt, dass die Firma „D“ als Nichtberechtigte verfügte, erwarb der Kläger das Eigentum an der Uhr, da er nicht bösgläubig im Sinne des § 932 Abs. 2 BGB war, ihn insbesondere keine grobe Fahrlässigkeit im Sinne der Norm traf. Das von Beklagtenseite in diesem Zusammenhang ins Feld geführte Argument des Fehlens der Garantiekarte konnte keine Bösgläubigkeit begründen, da die Karte im Unterschied zur Zulassungsbescheinigung Teil II jedenfalls ab dem Zweitverkauf keine Aussage mehr über die Verfügungsberechtigung an der Uhr trifft. Dass unstreitig ein relevanter Markt für Luxusuhren auch ohne Garantiekarte besteht, unterstreicht den Befund fehlender Bösgläubigkeit des Klägers, da nicht davon ausgegangen werden kann, dass sich eine größere Anzahl von Personen der Gefahr eines gescheiterten Eigentumserwerbs aussetzt.

II.

Die geltend gemachten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 524,67 EUR sind nicht ersatzfähig.

Es ergibt sich insbesondere kein Anspruch aus Verzug gem. §§ 280 Abs. 1, 2, 286 BGB, da der Beklagte erst mit Ablauf der in der Mahnung gesetzten Frist zur Bewilligung der Herausgabe der Uhr am 06.03.2017 in Verzug kam. Die Kosten für die verzugsbegründende Erstmahnung sind jedoch nicht ersatzfähig, da im Zeitpunkt der maßgeblichen Leistungshandlung gerade noch kein Verzug vorlag (BGH, Urteil vom 13. Dezember 2012 – I ZR 150/11 -, juris Rn. 25; MüKoBGB/Ernst, 7. Aufl. 2016, § 286 Rn. 159; Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 286 Rn. 44).

Da es bei Ansprüchen aus § 812 BGB lediglich um die Abschöpfung ungerechtfertigt zugeflossener Vermögensvorteile geht, fallen vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, welche zur Durchsetzung eines solchen Anspruchs entstanden sind, auch nicht in den Schutzbereich dieser Norm (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. 2018, § 249 Rn. 57).

III.

Die Widerklage ist spiegelbildlich zur Klage in der Hauptsache unbegründet, da nicht der Beklagte, sondern der Kläger Eigentümer der Uhr ist.

IV.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus § 91 Abs. 1 ZPO in Verbindung mit § 43 Abs. 1 GKG sowie §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO.

V.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Der Senat hat den Fall insbesondere im Einklang mit der Rechtsprechung des BGH zu den Anforderungen an die Besitzdienereigenschaft entschieden. Es ist auch nicht erkennbar, dass die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision erfordert. Das OLG Köln begründete seine Entscheidung im Fall der Probefahrt eines Kfz zur Anbahnung eines Kaufvertrags ausdrücklich mit der bestehenden Verkehrsauffassung, eine vergleichbare Verkehrsauffassung ist beim Kauf gebrauchter Luxusuhren jedoch nicht erkennbar.

 

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