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HWS-Syndrom bei Zusammenstoßgeschwindigkeit von 12 km/h?

Landgericht Kiel

Az.: 1 S 170/02

Beschluss vom 06.01.2003

Vorinstanz: Amtsgericht Norderstedt – Az.: 47 C 309/01

Berufung wurde daraufhin zurückgenommen


In dem Rechtsstreit hat die 1. Zivilkammer des Landgerichts Kiel 06.01.2003  beschlossen:

Der Berufungsführer wird gemäß § 522 Abs. 2 Satz 2 ZPO n. F. auf Folgendes hingewiesen:

Die Kammer beabsichtigt, die Berufung vom 11.09.2002 nach § 522 Abs. 2 ZPO durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen, weil die Berufung keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts nicht erfordert.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die Entscheidung auf einer Rechtsverletzung (§ 546 ZPO) beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen.

Nach § 529 ZPO sind dabei die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten.

Die Voraussetzungen des § 513 ZPO sind hier nicht erfüllt.

Eine Rechtsverletzung des Amtsgerichts kommt nur insoweit in Betracht, als es angenommen hat, der Kläger habe nicht bewiesen, dass die von ihm behaupteten gesundheitlichen Beeinträchtigungen auf den Unfall vom 01.08.2000 zurückzuführen seien.

Eine Rechtsverletzung vermag die Kammer hierin allerdings nicht zu erkennen. Zwar ist das Amtsgericht fälschlich davon ausgegangen, dass dem Kläger ein Anscheinsbeweis zugute komme, den die Beklagte erschüttert habe. Dieser Umstand wirkt sich jedoch deshalb nicht aus, weil die amtsgerichtliche Entscheidung im Ergebnis zutrifft. Die Berufung kann die der Entscheidung zugrunde liegenden Gründe nicht mit Erfolg entkräften.

Da das Unfallgeschehen zwischen den Parteien und somit die Verursachung durch den bei der Beklagten pflichtversicherten Fahrer unstreitig sind, stünde dem Kläger dann ein Schmerzensgeldanspruch nach §§ 847 Abs. 1, § 328 Abs. 1 BGB zu, wenn er bewiesen hätte, dass er nach dem Unfall an einem HWS-Syndrom litt und diese Beschwerden auf den Unfall zurückzuführen waren. Die Kammer schließt sich der Einschätzung des Amtsgerichts an, dass dem Kläger der Beweis der Unfallbedingtheit der Gesundheitsbeschwerden nicht gelungen ist.

Im einzelnen gilt folgendes:
Es ist mit dem Amtsgericht davon auszugehen, dass der Kläger tatsächlich an den behaupteten Gesundheitsbeschwerden litt. Dies ergibt sich für die Kammer aus den klägerseits eingereichten Arztberichten des Dr. G. und des Dr. Gr. ( Bl. 8 ff und Bl. 11 ff d.A.). Beide behandelnde Ärzte haben objektive Befunde erhoben.

So heißt es in dem Arztbericht des erstbehandelnden Chirurgen Dr. G.: „pathologische Muskelspannung“ und „HWS Beweglichkeit eingeschränkt“ „ja und zwar“ „schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Kopfes, des Halses und des Schultergürtels, Druckschmerz einzelner Muskelstränge im Nacken und Schultergürtel, Schonhaltung des Kopfes“ ( Bl. 8 unter Ziff. 9.3 und Bl. 6 unter Ziff. 2.1).
Der Hausarzt des Klägers, Dr. Gr., bestätigt diesen objektiven Befund wie folgt:
„pathologische Muskelspannung“ „ja und zwar Trapezius“, „HWS Beweglichkeit eingeschränkt“ „ja und zwar in allen Ebenen“ ( Bl. 11 unter Ziff. 9.3.).
Die Kammer geht schließlich mit dem Amtsgericht davon aus, dass der Kläger nicht beweisen konnte, dass diese Gesundheitsbeschwerden unfallbedingt sind. Die Kammer hält es nicht für überwiegend wahrscheinlich, dass der Kläger infolge des unstreitigen Unfallgeschehens ein HWS-Syndrom erlitten hat.

Bei der Beurteilung, wann bewiesen ist, ob der zugrundeliegende Unfall die Beschwerden hervorgerufen hat, ist auf den Kausalzusammenhang zwischen Haftungsgrund und dem eingetretenen Schaden, also auf die haftungsausfüllende Kausalität abzustellen. Der Auffahrunfall als Haftungsgrund ist zwischen den Parteien unstreitig. Darin liegt eine Körperverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB. Das ist jeder unbefugte Eingriff in die körperliche Befindlichkeit (vgl. Palandt-Thomas, 62. Aufl. 2003, § 823, Rn. 4). Dabei kommt es nicht darauf an, ob der Geschädigte eine Verletzung im medizinischen Sinne erleidet, auch leichtere Eingriffe in die körperliche Integrität können zum Schadensersatz und zur Zahlung von Schmerzensgeld verpflichten, wenn sie entsprechende Beschwerden nach sich ziehen. So stellt beispielsweise eine Ohrfeige eine Körperverletzung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB dar (Mertens in Münchener Kommentar zum BGB, 3. Aufl., § 823, Rn. 73), auch wenn es sich dabei aus medizinischer Sicht nicht um eine „Verletzung“ handeln mag. Bei dem Auffahrunfall wurde der Kopf des Klägers plötzlich und heftig durch den Anstoß nach vorn bewegt. Diese abrupte Fremdeinwirkung stellt einen nicht nur unerheblichen Eingriff in die körperliche Integrität des Klägers dar.

Die Feststellung der haftungsausfüllenden Kausalität richtet sich nicht wie die der haftungsbegründenden, also des Zusammenhangs zwischen schädigendem Verhalten und Rechtsgutsverletzung, nach den strengen Anforderungen des § 286 ZPO, sondern nach § 287 ZPO (OLG Hamm, DAR 95, 76; Zöller-Greger, ZPO, 23. Aufl. 2002, § 287, Rn. 3). In diesem Bereich braucht eine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, die auch den strengen medizinisch-wissenschaftlichen Kriterien standhält, nicht erreicht zu werden (OLG Hamm NVZ 94,189,190). Es genügt für die Überzeugungsbildung die überwiegende Wahrscheinlichkeit (BGH NJW 95,1023; Kammer, SchlHAnz 2001, 171 f.). Es handelt sich also entgegen der Ansicht des Amtsgerichts nicht um eine Frage des Anscheinsbeweises, sondern um eine Erleichterung der Beweisführung im Wege der sog. Schadensschätzung nach § 287 ZPO.

Eine überwiegende Wahrscheinlichkeit für eine Unfallbedingtheit der Beschwerden vermag die Kammer anhand des vorliegenden Sachverständigengutachtens jedoch nicht zu erkennen. Zwar hat der Kläger Symptome geschildert und durch ärztliche Atteste belegt, die typisch für das HWS Syndrom sind. Nach dem Gutachten des Prof. C. können diese Symptome aber ebenso bei einer unfallunabhängigen Erkrankung der Wirbelsäule vorliegen. Soweit es die feststellbare steilgestellte HWS betrifft, ist diese nach den Ausführungen des Sachverständigen ebenfalls nicht automatisch ein Indiz für eine unfallbedingte Verletzung im Bereich der HWS, weil die HWS bei nahezu der Hälfte der Bevölkerung in dieser Form ausgebildet ist (S. 22 des Gutachtens, 1. und 2. Absatz, Bl. 76 d.A.).

Es finden sich keine Anhaltspunkte, an den Feststellungen des Sachverständigen zu zweifeln. Der Sachverständige hat – entgegen der Auffassung des Klägers – nicht nur die unter künstlichen Bedingungen stattgefundenen Testversuche zugrunde gelegt. Im Gegenteil hat er die vorliegenden unfallspezifischen Umstände als „verletzungsfördernde Umstände“ berücksichtigt, nämlich dass es sich um einen Frontalaufprall handelte (S. 20 des Gutachtens, vorletzter Absatz, Bl. 74 d.A), dass sich der Kläger im Moment des Auffahrens abgestützt hatte (S. 21 des Gutachtens, Mitte, Bl. 75 d.A.) und dass er den Kopf leicht nach rechts gedreht hatte (S. 20 des Gutachtens, Mitte, Bl. 74 d.A.). Er hat weiter zugunsten des Klägers die kollisionsbedingte Geschwindigkeit von 12 km/h zugrunde gelegt. Er hat angesichts des Alters des Klägers auch das Vorliegen degenerativer Veränderungen im Bereich der HWS zugrunde gelegt (S. 21 des Gutachtens, 2. Abs., Bl. 75 d.A.).

Trotz all dieser sog. verletzungsfördernden Kriterien kommt der Gutachter zu dem Ergebnis, dass es „aus hiesiger orthopädischer Sicht eher verneint als bejaht werden müsse, dass der Kläger anlässlich des Verkehrsunfalles vom 01.08.2000 eine schmerzhafte Bewegungseinschränkung des Kopfes, des Halses und des Schultergürtels, Druckschmerz einzelner Muskelstränge im Nacken und Schultergürtel, Schonhaltung des Kopfes, Kribbelparästhesien in beiden Händen sowie pathologische Muskelspannung und HWS Beweglichkeit in allen Ebenen eingeschränkt bekommen hat“ (S. 22 des Gutachtens, vorletzter Absatz, Bl. 76 unter Beantwortung der Fragen).

Nach alledem spricht jedenfalls nicht die überwiegende Wahrscheinlichkeit dafür, dass die benannten Beschwerden durch das Unfallereignis hervorgerufen wurden.

Der Berufungsführer erhält Gelegenheit, hierzu binnen 2 Wochen Stellung zu nehmen.

 

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