BGH
Az.: III ZR 11/83
Urteil vom 29.03.1984
Vorinstanzen: OLG Karlsruhe und LG Konstanz
Urteil verkürzt:
Tatbestand:
Die Klägerin ist Eigentümerin des im Gebiet der beklagten Stadt gelegenen Grundstücks A. Das 738 qm große Grundstück ist mit einem 1970 fertiggestellten Zweifamilienhaus (Wohnfläche 240 qm) bebaut. Eine der beiden Wohnungen in ihrem Hause benutzt die Klägerin selbst, die andere ist vermietet. Das Hausgrundstück befindet sich in einem Bereich, der durch Bebauungsplan als allgemeines Wohngebiet ausgewiesen und überwiegend mit Ein- und Zweifamilienhäusern gehobener Art bebaut ist. Im Nordwesten liegen an der K. drei Tankstellen, im Südwesten eine seit mehreren Jahren stillgelegte Fabrik, in der gegenwärtig verschiedene gewerbliche Betriebe untergebracht sind, u.a. eine Druckerei. Im Südosten wird das Wohngebiet durch die Eisenbahnlinie R-K begrenzt. Jenseits der Eisenbahnlinie befindet sich die Kläranlage der Beklagten.
Im Jahre 1972 wurde eine Erweiterung der vorhandenen Kläranlage trotz der Einsprüche der Anlieger genehmigt. Im Genehmigungsbescheid des Landratsamts Konstanz wurden die Einwendungen der Anlieger als unbegründet zurückgewiesen. In der Begründung hieß es u.a.: „… daß bei einer ordnungsgemäß geführten und gewarteten Kläranlage die Gewähr dafür gegeben werden kann, daß eine Geruchsbelästigung nicht zu befürchten ist.“ Die Erweiterung der Kläranlage wurde im Jahre 1974, die Schlammbehandlungsanlage im August 1975 in Betrieb genommen.
Seither gab es immer wieder Beschwerden der Anlieger über Geruchsbelästigungen. Im Juni 1978 nahm die Beklagte eine Desodorierungsanlage in Betrieb, die mit einem Kostenaufwand von 418.450 DM errichtet worden war.
Die Klägerin begehrt – wie zahlreiche andere Anlieger in Parallelprozessen – eine angemessene Entschädigung für die in der Zeit von 1975 bis 1979 aufgetretenen Geruchsbelästigungen. Das Landgericht hat ihr eine Entschädigung in Höhe von 11.400 DM nebst Zinsen zugesprochen. Die Berufung der Beklagten ist erfolglos geblieben.
Mit ihrer Revision verfolgt die Beklagte ihren Klageabweisungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht hat zutreffend angenommen, daß der Klägerin gegen die Beklagte ein öffentlich-rechtlicher Entschädigungsanspruch zusteht.
1. Die Beklagte betreibt ihre Kläranlage, wie das Berufungsgericht mit Recht ausgeführt hat, als Einrichtung der Daseinsvorsorge in schlichthoheitlicher Verwaltung (vgl. Senatsurteil vom 19. Februar 1976 – III ZR 13/74 = NJW 1976, 1204 = DVBl 1976, 536 = WM 1976, 571 BRS 34 Nr. 169). Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats lösen Beeinträchtigungen durch Geruchsimmissionen, die von der Kläranlage ausgehen, einen Entschädigungsanspruch wegen eines enteignenden Eingriffs aus, wenn die Zuführung der Immissionen nicht untersagt werden kann, die Einwirkungen sich als ein unmittelbarer Eingriff in nachbarliches Eigentum darstellen und die Grenze dessen überschreiten, was unter privaten Nachbarn ohne Ausgleich nach § 906 BGB hingenommen werden muß (Senatsurteile BGHZ 64, 220, 222, vom 19. Februar 1976 aaO. und vom 13. Dezember 1979 – III ZR 95/78 = NJW 1980, 770 = LM Art. 14 [Ba] GG Nr. 52 = VersR 1980, 226, jew. m.w.Nachw., Kreft in BGB-RGRK, 12. Aufl., Rdn. 38 vor § 839; Krohn/Löwisch, Eigentumsgarantie, Enteignung, Entschädigung, 3. Aufl., Rdn. 207, 236).
2. Nach privatem (vgl. § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB) wie nach öffentlichem Nachbarrecht muß der Betroffene wesentliche Beeinträchtigungen, die durch eine ortsübliche Benutzung des störenden Grundstücks herbeigeführt und durch wirtschaftlich zumutbare Maßnahmen nicht verhindert werden können, gegen Ausgleich in Geld (vgl. § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB) bzw. Entschädigung (s. oben) dulden. Dagegen brauchen unter privaten Nachbarn wesentliche Einwirkungen, die entweder nicht ortsüblich oder zwar ortsüblich, aber mit zumutbarem wirtschaftlichen Aufwand verhinderbar sind, nicht hingenommen zu werden (Soergel/Baur, BGB, 11. Aufl., § 906 Rdn. 58). Derartige Beeinträchtigungen sind rechtswidrig. Insoweit steht dem Betroffenen grundsätzlich ein Abwehranspruch aus § 1004 Abs. 1 BGB zu. Ebenso kann der Betroffene gegen hoheitliche Immissionen, die den Duldungsrahmen des § 906 Abs. 2 Satz 1 BGB, auf den auch hier zurückzugreifen ist, übersteigen, mit der öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsklage vorgehen (vgl. Senatsurteil BGHZ 72, 289, 294; BVerwG, NJW 1974, 817; Papier, Recht der öffentlichen Sachen, 1977, S. 141 m.w.Nachw.; MünchKomm/Säcker, § 906 Rdn. 115), soweit ihm eine solche Klage nicht wegen überwiegender Gemeinwohlbelange versagt wird (vgl. dazu unter 3 b). Soweit hoheitliche Immissionen nicht geduldet zu werden brauchen, stellen sie sich als rechtswidrig dar. Sie sind daher unter den Voraussetzungen des enteignungsgleichen Eingriffs (s. dazu Senatsurteil vom 26. Januar 1984 – III ZR 216/82 = WM 1984, 273, zum Abdruck in BGHZ bestimmt) entschädigungsfähig.
3. a) Das Berufungsgericht hat die Benutzung des Geländes der Beklagten als Betriebsgrundstück einer Kläranlage als nicht ortsüblich angesehen. Das hätte nach den obigen Ausführungen zur Folge, daß die von der Anlage ausgehenden Einwirkungen rechtswidrig gewesen wären und grundsätzlich nicht geduldet zu werden brauchten. Das Berufungsgericht ist indes nicht in eine nähere Beurteilung der Ortsüblichkeit (vgl. dazu Senatsurteil vom 19. Februar 1976 aaO.) eingetreten, sondern hat, obwohl es dabei auch um eine Rechtsfrage geht, angenommen, es sei jedenfalls im Berufungsrechtszug „unstreitig“, daß keine ortsübliche Benutzung des Grundstücks der Beklagten vorliege. Das Berufungsgericht hat sich auch nicht mit der Frage befaßt, ob die Geruchsbelästigungen nicht schon vor der Inbetriebnahme der Desodorierungsanlage im Juni 1978 wenigstens teilweise durch eine solche Vorkehrungsmaßnahme hätten abgewendet werden können.
b) Diese Fragen können jedoch auf sich beruhen. Das Berufungsgericht ist davon ausgegangen, daß die Klägerin der Beklagten die Zuführung der Immissionen nicht verbieten konnte. Das trifft nach herrschender, wenn auch nicht unbestrittener Auffassung insoweit zu, als nicht die Einstellung des Betriebs der emittierenden Kläranlage verlangt werden konnte. Das folgt zwar nicht aus dem früheren § 26 GewO oder aus § 14 BImSchG; reine Kläranlagen gehören nicht zu den genehmigungsbedürftigen Anlagen im Sinne dieser Vorschriften (Engelhardt BImSchG, 2. Aufl., Bd. 2, § 2 4. BImSchV Rdn. 8; Feldhaus, Bundesimmissionsschutzrecht, Anm. zu 4. BImSchV § 2 Nr. 2). Die Klägerin konnte jedoch mit einer öffentlich-rechtlichen Unterlassungs- und Beseitigungsklage den Betrieb der Kläranlage nicht gänzlich unterbinden, weil das zu einer nicht vertretbaren Stillegung der gemeinwichtigen Anlage geführt hätte (Senatsurteile BGHZ 48, 98, 104; 60, 119, 122 f.; vom 19. Februar 1976 und 13. Dezember 1979 aaO., jew. m.w.Nachw.; Soergel/Baur, aaO., § 906 Rdn. 66; Bender/Dohle, Nachbarschutz im Zivil- und Verwaltungsrecht, 1972, Rdn. 113, 124; a. A. Papier, aaO., S. 144; MünchKomm/Säcker, § 906 Rdn. 116, 117 m.w.Nachw. ). Im übrigen hätte eine solche Klage auch aus tatsächlichen Gründen den Schaden nicht abwenden können (vgl. zu c).
c) Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klägerin gegen die Immissionen, soweit sie rechtswidrig gewesen sein sollten, mit einer Klage auf Anbringung von geruchsmindernden Einrichtungen hätte vorgehen können. Eine Klage auf Schutzvorkehrungen zur Abwehr oder Milderung der von gemeinwichtigen Betrieben ausgehenden Immissionen ist in der Rechtsprechung wiederholt zugelassen worden, falls derartige Vorkehrungsmaßnahmen keine wesentliche Änderung des störenden Betriebs herbeiführen (vgl. die Nachweise bei Soergel/Baur, aaO., § 906 Rdn. 66 und MünchKomm/Säcker, § 906 Rdn. 113 Fn. 183). Im Streitfall war die Klägerin jedoch gehindert, von einer solchen Klagemöglichkeit einen wirksamen Gebrauch zu machen und die Geruchsbelästigungen (teilweise) abzuwehren. Die Inanspruchnahme verwaltungsrechtlichen Rechtsschutzes und die erzwungene Anbringung von Schutzeinrichtungen hätten kaum schneller Abhilfe geschaffen als die von der Beklagten aus eigener Initiative eingeleiteten Desodorierungsmaßnahmen. Schon deshalb bestand für die Klägerin kein Anlaß, einen Störungsabwehranspruch gerichtlich zu verfolgen (vgl. auch BGHZ 72, 289, 294 f.; 859 375, 384 f.). Daher kann offenbleiben, ob ihr eine Klage auch deshalb nicht zuzumuten war, weil die Beurteilung, ob die Immissionen zu dulden waren oder nicht, Schwierigkeiten bereitete oder weil das Kostenrisiko angesichts des Aufwandes für geruchsmindernde Maßnahmen (die Beklagte hat hierfür über 418.000 DM verauslagt) im Verhältnis zum Schaden der Klägerin (sie klagt 11.400 DM ein) zu hoch war.
d) Wenn hiernach die Klägerin rechtswidrige Immissionen nicht wirksam mit den Mitteln des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes bekämpfen konnte, so kann ihr Entschädigungsanspruch aus enteignungsgleichem Eingriff auch nicht (entsprechend § 254 BGB) wegen der unterlassenen Klageerhebung entfallen (vgl. dazu näher Senatsurteil vom 26. Januar 1984 aaO.; dort auch Ausführungen zum Vertrauen auf die bisherige Rechtsprechung des BGH zur unterlassenen Anfechtung des Eingriffs; s. ferner Senatsurteil BGHZ 72, 289, 294 f.). Auch unter privaten Nachbarn greift ein Ausgleichsanspruch entsprechend § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ein, wenn der Abwehranspruch wegen rechtswidriger Immissionen nicht durch eine nachbarliche Duldungspflicht (§ 1004 Abs. 2 BGB), sondern durch triftige tatsächliche Gründe ausgeschlossen ist (BGHZ 72, 289, 294 f.; 859 375, 385; Erman/Hagen, BGB, 7. Aufl., § 906 Rdn. 30; MünchKomm/Säcker, § 906 Rdn. 128).
e) Es braucht hier nicht entschieden zu werden, ob die Schwelle, bis zu der Immissionen entschädigungslos hingenommen werden müssen, bei rechtswidrigen Einwirkungen niedriger anzusetzen ist als bei rechtmäßigen Einwirkungen. Das Berufungsgericht hat der Klägerin – ihrem Klagebegehren entsprechend – nur einen dem Umfang nach an § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB orientierten Entschädigungsanspruch, der ihr in jedem Falle zusteht, zuerkannt. Nach alledem kann dahingestellt bleiben, inwieweit der geltend gemachte Anspruch aus dem Gesichtspunkt des enteignenden oder dem des enteignungsgleichen Eingriffs abzuleiten ist.
II.
1. Das Berufungsgericht ist ohne Rechtsirrtum zu dem Ergebnis gelangt, daß die Geruchsbelästigungen der Kläranlage in den Jahren 1975 bis 1979 über das Maß des Zumutbaren und Erträglichen hinaus auf das Hausgrundstück der Klägerin eingewirkt haben. In diesem Zeitraum wurde ihr Grundstück nach den Feststellungen des Landgerichts, die das Berufungsgericht übernommen hat, an insgesamt etwa 310 Tagen von Geruchsimmissionen betroffen (1975: ca. 22 Tage, 1976: ca. 39 Tage, 1977: ca. 108 Tage, 1978: ca. 74 Tage und 1979: ca. 67 Tage). Die Geruchsbelästigungen waren so stark, daß sie bei den Betroffenen Übelkeit, Brechreiz und Kopfschmerzen auslösen konnten. Zudem mußten die Klägerin und ihre Mieter an den Tagen, an denen ihr Grundstück Geruchseinwirkungen ausgesetzt war, die Fenster ihres Wohnhauses weitgehend geschlossen halten und konnten sich kaum in ihrem Garten aufhalten. Diese Feststellungen tragen den Schluß des Berufungsgerichts, daß die Klägerin im Hinblick auf die Häufigkeit, die Art, die Intensität und die Auswirkungen der Geruchsimmissionen in der Benutzung ihres Hausgrundstücks wesentlich beeinträchtigt wurde.
2. Die Revision rügt vergeblich, daß das Berufungsgericht bei der Verwertung von (an sich nicht angezweifelten) Beweisergebnissen aus dem Parallelverfahren Triltsch ./. Stadt Radolfzell – 4 0 294/77 LG Konstanz – der unterschiedlichen Lage der betroffenen Grundstücke nicht hinreichend Rechnung getragen habe. Das Berufungsgericht hat anhand der – in ihrer -Richtigkeit von der Beklagten nicht bestrittenen – Skizze GA II 105 tatrichterlich festgestellt, daß das Grundstück der Klägerin in unmittelbarer Nähe des dem Zeugen Triltsch gehörigen Anwesens und noch näher als dieses an der Kläranlage liegt. Das läßt einen Verfahrensfehler nicht erkennen. Im übrigen hat das Berufungsgericht seine Beurteilung auch auf die Aussagen weiterer beeinträchtigter Grundstückseigentümer, die im vorliegenden Verfahren in erster Instanz als Zeugen gehört wurden, gestützt.
3. Auch die Erwägungen, mit denen das Berufungsgericht die Einholung eines meteorologischen und eines olfaktometrischen Gutachtens abgelehnt hat, halten im Ergebnis der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand. Das Berufungsgericht hat mit Recht darauf hingewiesen, daß das Ausmaß der Geruchsbelästigungen nicht nur von den Wetterbedingungen an den fraglichen Tagen (Windrichtung und -stärke, Temperaturen, Niederschlag usw.), sondern auch von den Verhältnissen im Bereich der Immissionsquelle abhängt. Letztere lassen sich, wie das Berufungsgericht ausgeführt hat, nicht mehr zuverlässig rekonstruieren. Das gilt um so mehr, als Art und Intensität der Geruchseinwirkungen auch von der – heute nicht mehr aufklärbaren – konkreten Zusammensetzung der in die Kläranlage eingeleiteten Abwässer beeinflußt werden. Wenn aber den Sachverständigen nicht genügend Ausgangsdaten für ihre Gutachten oder vorangehende Simulationsversuche zur Verfügung gestellt werden konnten, war von ihnen kein näherer Aufschluß über die Intensität der Geruchsimmissionen zu erwarten.
III.
1. Soweit hiernach ein enteignender Eingriff durch ein schlichthoheitlich betriebenes Unternehmen in benachbartes Grundeigentum vorliegt, wie er in der bisherigen Rechtsprechung des erkennenden Senats (vgl. z. B. Urteile vom 19. Februar 1976 und vom 13. Dezember 1979, jew. aaO.) wiederholt angenommen worden ist, geben die Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts im sog. Naßauskiesungsbeschluß (BVerfGE 58, 300, 324) dem erkennenden Senat keinen Anlaß, von seiner bisherigen Rechtsprechung abzugehen (vgl. auch zum Fortbestand des sog. enteignungsgleichen Eingriffs Senatsurteil vom 26. Januar 1984 – III ZR 216/82 = WM 1984, 273 – auch zur Veröffentlichung in BGHZ bestimmt -). Zwar hat das Bundesverfassungsgericht (aaO.) ausgesprochen, daß die Zivilgerichte im Blick auf den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung dem Bürger nur dann eine Enteignungsentschädigung zusprechen können, wenn dafür eine gesetzliche Anspruchsgrundlage besteht (an der es für den Streitfall fehlt). Dieser Ausspruch betrifft jedoch nur die Enteignung im engeren Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG, wie sie das Bundesverfassungsgericht in seiner neueren Judikatur versteht (BVerfG 52, 1, 27; 56, 249, 260; vgl. auch BVerfGE 58, 300, 330 f.). Danach bedeutet Enteignung einen staatlichen Zugriff auf das Eigentum, der auf die vollständige oder teilweise Entziehung konkreter, dem Schutz des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG unterliegender Rechtspositionen des Einzelnen gerichtet ist. Darum geht es jedoch beim enteignenden Eingriff nicht. Hierbei handelt es sich vielmehr darum, daß eine an sich rechtmäßige hoheitliche Maßnahme bei einzelnen Betroffenen zu – meist atypischen und unvorhergesehenen – Nachteilen führt, die die Schwelle des enteignungsrechtlich Zumutbaren überschreiten (Krohn/Löwisch, aaO., Rdn. 236; Papier in Maunz/Dürig, GG, Art. 14 Rdn. 634, 635 m.w.Nachw. ; ders., Jura 1981, 65, 67). Für den Ausgleich solcher Folgewirkungen gilt nicht der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Entschädigung.
2. In den Fällen des enteignenden Eingriffs hat der Betroffene im allgemeinen auch nicht das vom Bundesverfassungsgericht (BVerfGE 58, 300, 324) beanstandete Wahlrecht, ob er den Eingriff vor den Verwaltungsgerichten anfechten oder die Beeinträchtigung seines Eigentums hinnehmen und vor den Zivilgerichten eine Entschädigung einklagen will. Denn der Betroffene kann die meist unvorhersehbaren nachteiligen Nebenfolgen des an sich rechtmäßigen hoheitlichen Handelns in der Regel nicht mit den Mitteln des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes wirksam abwenden.
3. Für den Fortbestand der Rechtsfigur des enteignenden Eingriffs besteht nach wie vor ein unabweisbares Bedürfnis. Der Entschädigungsanspruch aus enteignendem Eingriff ist das öffentlich-rechtliche Gegenstück zum zivilrechtlichen Ausgleichsanspruch unter Nachbarn nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (Krohn/Löwisch, aaO., Rdn. 237;Götz, AgrarR 1984, 1, 5). Auch das (für nichtig erklärte, BVerfGE 61, 149) Staatshaftungsgesetz vom 26. Juni 1981 hatte in § 14 Abs. 3 für das richterrechtliche Haftungsinstitut des enteignenden Eingriffs eine gesetzliche Grundlage schaffen wollen. Im Schrifttum wird ebenfalls ganz überwiegend der Standpunkt vertreten, daß die Rechtsfigur des enteignenden Eingriffs durch den Naßauskiesungsbeschluß nicht gegenstandslos geworden ist (Ossenbühl, NJW 1983, 1, 3; Papier, NVwZ 1983, 258, 259; ders. in: Maunz/Dürig, GG, Rdn. 634 f.; Schwerdtfeger, Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie 1983, S. 37; ders., JuS 1983, 104, 110; Aust/Jacobs, Die Enteignungsentschädigung, 2. Aufl., S. 67 f.; Maurer, Allg. VerwR, 3. Aufl., § 26 Rdn. 59 i; Bender, BauR 1983, 1, 7 f.; Götz, AgrarR 1984, 1, 4, 6; Hendler, DVBl 1983, 873, 881). Die Haftungsfigur des enteignenden Eingriffs (dieser Begriff hat sich eingebürgert) findet – ebenso wie die des enteignungsgleichen Eingriffs (Senatsurteil vom 26. Januar 1984 aaO.) – im allgemeinen Aufopferungsgrundsatz der §§ 74, 75 Einl. ALR (vgl. auch § 14 BImSchG, früher § 26 GewO) in seiner richterrechtlichen Ausprägung seine Grundlage (dafür auch Bender aaO., Hendler aaO.; s. auch Krohn/Löwisch aaO.). Entschädigungsansprüche aus enteignenden Eingriff sind im Zivilrechtsweg zu verfolgen – § 40 Abs. 2 Satz 1 VwGO – (Krohn/Löwisch aaO.; Papier, NVwZ 1983, 258, 260 f.; ders. in Maunz/Dürig, GG, Rdn. 643; Aust/Jacobs, aaO., S. 69; a. A. Schwerdtfeger, JuS 1983, 104, 110; ders., Die dogmatische Struktur der Eigentumsgarantie, 1983, S. 39 f.).
IV.
1. Das Berufungsgericht hat zur Frage der Entschädigung ausgeführt, die Klägerin mache keinen Ausgleich für eine etwa noch bestehende Wertminderung ihres Grundstücks geltend, sondern verlange einen Ersatz für die Beeinträchtigung von Nutzungsmöglichkeiten. Derartige Nachteile seien entschädigungsfähig.
Dem ist im Ergebnis beizutreten.
2. a) Der erkennende Senat hat bereits in seinem Urteil vom 11. Juli 1963 – III ZR 55/62 – (NJW 1963, 2020 = LM § 906 BGB Nr. 17) einem Grundstückseigentümer, der von übermäßigen Geräusch- und Geruchsimmissionen aus einem hoheitlich betriebenen Clubhaus der Stationierungsstreitkräfte betroffen wurde, eine Entschädigung für die Einbuße, die „der monatliche Nutzungswert des Grundstücks“ erlitt, zugebilligt. In diesem Falle hatte der Eigentümer sein Haus weiterbewohnt und es auch nicht zu einem Minderpreis veräußert (Im Falle des Senatsurteils vom 19. Februar 1976 ging es allein um Mietausfälle, die unzweifelhaft einen Vermögensschaden darstellten). Die Revision verweist demgegenüber auf die neuere Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, wonach in der vorübergehenden Beeinträchtigung der Nutzungsmöglichkeit eines Wohnhauses kein ersatzfähiger Vermögensschaden liegt (BGHZ 66, 277; 71, 234; 75, 366; s. aber auch Urteil vom 14. Juni 1967 – VIII ZR 268/64 = NJW 1967, 1803 = LM § 556 BGB Nr. 2; vgl. ferner zum vorübergehenden Verlust von Gebrauchsmöglichkeiten BGHZ 63, 393: Pelzmantel; BGHZ 76, 179: Schwimmbad; BGHZ 86, 128: Wohnwagen; Urteil vom 15. November 1983 – VI ZR 269/81 = VersR 1984, 142 – zur Veröffentlichung in BGHZ vorgesehen: Motorsportboot; zum ganzen vgl. Hagen, Entgangene Gebrauchsvorteile als Vermögensschaden?, JZ 1983, 833 ff.). Durch diese Rechtsprechung wird jedoch die im Senatsurteil vom 11. Juli 1963 aaO. bejahte Entschädigungsfähigkeit von vorübergehenden Nutzungsbeeinträchtigungen, die der Eigentümer eines Hausgrundstücks durch unzumutbare Immissionen aus einer hoheitlich betriebenen Einrichtung erleidet, im Ergebnis nicht in Frage gestellt. In einigen der angeführten Urteile wird schon darauf hingewiesen, daß zwischen den dort entschiedenen Fällen und dem Sachverhalt des Clubhaus-Urteils des erkennenden Senats vom 11. Juli 1963 (aaO) entscheidungserhebliche Unterschiede bestehen (BGHZ 63, 393, 396/7; 66, 277, 282; 75, 366, 375; 76, 179, 182; 86, 128, 133). Insbesondere wird in der Entscheidung BGHZ 75, 366, 375 hervorgehoben, daß es im Clubhaus-Fall nicht um Schadensersatz, sondern um Entschädigung entsprechend der Spezialvorschrift des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB ging.
b) Der Senat hat im Clubhaus-Urteil die Auffassung vertreten, bei unbefugten Eingriffen in Ausschließlichkeitsrechte (wie z. B. das Eigentum) sei eine Schadensberechnung auf der hypothetischen Grundlage eines (fiktiven) angemessenen Nutzungsentgelts zulässig, wie das für unbefugte Eingriffe in Immaterialgüterrechte anerkannt ist (vgl. BGHZ 57, 118: entgangene Lizenzgebühr). Er hat ferner darauf abgestellt daß infolge der Immissionen Aufwendungen für ein gestörtes Wohnen in bevorzugter Lage weitgehend nutzlos geworden seien. Diese Begründung begegnet allerdings im Lichte der jüngeren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Bedenken. Die für Eingriffe in Immaterialgüterrechte entwickelten besonderen Grundsätze der Schadensberechnung können auf die Fälle der vorübergehenden Nutzungsstörung von Hausgrundstücken nicht übertragen werden (vgl. BGHZ 75, 366, 372 f.). Der vom Senat zusätzlich herangezogene Gesichtspunkt der Ersatzfähigkeit nutzloser (fehlgeschlagener) Aufwendungen wird zunehmend kritisch beurteilt (BGHZ 71, 234, 237 m.w.Nachw.; vgl. auch BGHZ 66, 277, 280).
c) Die Nutzungsbeeinträchtigungen, die die Klägerin beim Gebrauch der eigengenutzten Teile ihres Hausgrundstücks erlitten hat, sind indessen unter einem anderen rechtlichen Blickwinkel ausgleichsfähig (vgl. auch Stoll, JuS 1968, 504, 511, der dem Senatsurteil vom 11. Juli 1963 im Ergebnis zustimmt). Die Entschädigung für enteignungsrechtliche Eingriffe gewährt nur einen Ausgleich für den vom Betroffenen erlittenen Substanzverlust (Senatsurteil BGHZ 30, 338, 357; Krohn/Löwisch, aaO., Rdn. 251 m.w.Nachw.). Auch die mit konkreten Gebrauchsbeeinträchtigungen verbundene zeitweise Störung der Nutzung eines Grundstücks durch hoheitliche Immissionen stellt einen Substanzverlust dar (vgl. Senatsurteil BGHZ 30, 338, 351, 352; Kleindienst, Der privatrechtliche Immissionsschutz nach § 906 BGB, Recht und Staat Nr. 298/299, 1964, S. 52). Die Klägerin war nach den Feststellungen des Berufungsgerichts erheblichen immissionsbedingten Behinderungen in der Benutzung ihres in einem gehobenen Wohngebiet gelegenen Hauses mit Garten ausgesetzt (vgl. oben zu II 1). Für dieses ihr hoheitlich auferlegte Opfer steht ihr ein billiger Ausgleich in Geld zu; ein solcher wird auch im Falle des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB für konkrete Nutzungsbeeinträchtigungen gewährt. Der Klägerin wurde faktisch ein Stück des ihr zugewiesenen Eigentumsinhalts entzogen (vgl. Kleindienst, aaO. S. 44), wie das im Ergebnis auch der Fall wäre, wenn ihr Grundstück durch einen förmlichen Enteignungsakt mit einer auf befristete Duldung der Belästigungen gerichteten Dienstbarkeit belastet worden wäre. Im letztgenannten Fall hätte die Klägerin Anspruch auf Entschädigung gehabt. Nach dem Schutzzweck des Art. 14 Abs. 1 GG kann für den Streitfall nichts anderes gelten (vgl. auch Senatsurteil BGHZ 87, 321, 333).
d) Was die vermietete Wohnung anbetrifft, so hat die Klägerin als Vermieterin nach dem Gesamtzusammenhang der Entscheidungsgründe einen immissionsbedingten Mietausfall erlitten. Nach ihren Erklärungen in der Berufungsverhandlung, denen das Berufungsgericht – von der Revision unbeanstandet – ersichtlich gefolgt ist, hat die Klägerin wegen der Geruchsbelästigungen, denen auch die Mieter ausgesetzt waren, von Mieterhöhungen, die sie sonst vorgenommen hätte, abgesehen. Ihr ist also, was insoweit allerdings auch Voraussetzung ihres Entschädigungsanspruchs ist, eine bestimmte Einbuße an Miete entstanden.
3. Die Bemessung der der Klägerin zugebilligten Entschädigung ist aus Rechtsgründen nicht zu beanstanden. Die vom Berufungsgericht nach § 287 ZPO vorgenommene Schätzung der ihr entstandenen Nutzungseinbußen kann im Revisionsrechtszug nur in beschränktem Umfange nachgeprüft werden (vgl. Senatsurteil BGHZ 83, 61, 66). Hiernach beachtliche Rechtsfehler liegen entgegen der Ansicht der Revision nicht vor. Das Berufungsgericht hat aufgrund des verfahrensfehlerfrei festgestellten Sachverhalts (vgl. oben zu II) die gebotene Gesamtabwägung der maßgebenden Umstände vorgenommen (vgl. BGHZ 62, 361, 371 m.w.Nachw.). Es durfte die Höhe der Entschädigung bezüglich der selbstgenutzten Teile des Anwesens der Klägerin in Übereinstimmung mit dem Landgericht insgesamt an der hypothetischen Minderung des monatlichen Mietzinses im Falle einer Vermietung des gesamten Hausgrundstücks orientieren (vgl. auch Senatsurteil vom 11. Juli 1963). Die Miete ist das verkehrsübliche Entgelt für die Nutzung eines Hauses (einer Wohnung), so daß es sachgerecht erscheint, den Nutzungsausfall nach der (fiktiven) Mietminderung zu bemessen. Die zuerkannte Entschädigung ist angesichts der Größe der Wohnfläche und des gehobenen Zuschnitts des Hauses, in dessen Nutzung die Klägerin nachhaltig gestört wurde, nicht zu beanstanden. Das Berufungsgericht hat bei der Ermittlung der Entschädigungsbeträge für die einzelnen Jahre auch berücksichtigt, daß Häufigkeit und Ausmaß der Geruchsbelästigungen unterschiedlich waren. Schließlich hat es beachtet, daß nach § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB (in diesem Rahmen hält sich – wie ausgeführt – das Klagebegehren) nur der Teil der Immissionen auszugleichen ist, der über das zumutbare Maß hinausgeht (BGHZ 62, 361, 372; BGB-RGRK, 12. Aufl., § 906 Rdn. 79).
Das Berufungsgericht geht nach dem gesamten Zusammenhang seiner Erwägungen zur Höhe der Entschädigung davon aus, daß der tatsächliche Mietausfall der Klägerin und der Ausgleich für die Beeinträchtigungen in der eigenen Nutzung einer Wohnung etwa gleich hoch sind. Das läßt einen Rechtsfehler nicht erkennen und wird auch von der Revision nicht angegriffen.