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Klage auf Erteilung einer Baumfällgenehmigung

VG Gelsenkirchen – Az.: 6 K 517/21 – Urteil vom 25.02.2022

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die Erteilung der Fällgenehmigung für eine Blutbuche. Er ist Miteigentümer des Grundstücks I.-weg 3 in M. , das mit einem Reihenmittelhaus bebaut ist. Das Grundstück ist rund 38 m tief und rund 6 m breit. Der rückwärtige Garten erstreckt sich über eine Tiefe von rund 25 m. Hinter diesem Garten verläuft ein rund 2,50 m breiter Wohnweg, der eine weitere Reihenhauszeile erschließt. Die Vorderfront des hinter dem Garten des Klägers liegenden Nachbarhauses Nr. 13 ist rund 6,50 von der rückwärtigen Grenze des klägerischen Grundstücks entfernt.

Weitere Einzelheiten zeigt der nachfolgende Kartenausschnitt:

An dieser Stelle befindet in der Originalentscheidung eine Skizze

Am 28. Mai 2020 beantragte der Kläger die Genehmigung zur Fällung der am südlichen Ende seines Grundstücks – in etwa mittig – aufstehenden Blutbuche. Zur Begründung führte er aus, der Baum nehme ihm zu viel Tageslicht; auch seine Nachbarn seien beeinträchtigt. Mit Bescheid vom 24. Juli 2020 lehnte die Beklagte den Antrag ab.

Anfang Januar 2021 stellte der Kläger einen weiteren Antrag auf Fällgenehmigung. Nach Durchführung eines Ortstermins lehnte die Beklagte auch diesen Antrag mit Bescheid vom 21. Januar 2021 ab.

Am 12. Februar 2021 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.

Klage auf Erteilung einer Baumfällgenehmigung
(Symbolfoto: A Kisel/Shutterstock.com)

Zur Begründung führt er aus: Die Anwendbarkeit der Baumschutzsatzung sei zweifelhaft; die Beklagte habe keinen konkreten Stammumfang angegeben. Der Baum habe eine erdrückende visuelle Dominanz. Er verschatte den Garten und die Räume, auch der benachbarten Häuser. Ein Ende des Wachstums sei nicht absehbar. In dem fraglichen Bereich sei auch ohne den Baum genügend Begrünung in Form von Bäumen und Sträuchern vorhanden. Von dem sehr hohen Baum gehe eine konkrete Gefahr aus; beim letzten Sturm seien fünf Zentimeter starke Äste herabgefallen. Die für regelmäßige Baumkontrollen anfallenden Kosten seien ihm als Grundstückseigentümer gegenüber unzumutbar. Es gebe immer wieder Ärger wegen des Laubfalls. Der Garten könne nicht sinnvoll genutzt werden. Der erforderliche Abstand zum Nachbargrundstück sei nicht gewahrt.

Der Kläger beantragt (schriftsätzlich), den Bescheid der Beklagten vom 21. Januar 2021 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, die beantragte Fällgenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt (schriftsätzlich), die Klage abzuweisen.

Sie meint, die Voraussetzungen einer Ausnahme oder Befreiung lägen nicht vor. Der etwa siebzig bis achtzig Jahre alte Baum sei in einem guten, vitalen Zustand und weise keinerlei Anzeichen auf, die seine Stand- und Bruchsicherheit in Frage stellen könnten. Auch die sehr heißen Sommer der vergangenen Jahre habe er gut verkraftet. Das von ihm ausgehende Risiko sei mit allgemein üblichem Überwachungs- und Pflegeaufwand unter Kontrolle zu halten. Das niemals auszuschließende Restrisiko eines Schadenseintritts genüge für eine Fällgenehmigung nicht. Laubfall, eine gewisse Verschattung des Gartens und ähnliche typische Auswirkungen seien bei einem geschützten Baum hinzunehmen. Auch die Gesamtheit der in Rede stehenden Auswirkungen rechtfertige es nicht, eine unbeabsichtigte Härte anzunehmen.

Der Einzelrichter hat am 16. Februar 2022 einen Ortstermin durchgeführt. Wegen der Ergebnisse wird auf die Protokollniederschrift Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Das Gericht entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ohne mündliche Verhandlung, nachdem die Beteiligten sich hiermit im Ortstermin bzw. im Anschluss an den Ortstermin einverstanden erklärt haben.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Ablehnungsbescheid vom 21. Januar 2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO); der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung der begehrten Ausnahme bzw. Befreiung von den Verboten der inzwischen geltenden und für die Entscheidung maßgeblichen Baumschutzsatzung der Stadt M. vom 18. November 2021 (BSS).

Die streitgegenständliche Blutbuche ist nach Maßgabe der auf § 49 Landesnaturschutzgesetz (LNatSchG) NRW beruhenden Baumschutzsatzung geschützt, da sie in einem Meter Höhe einen Stammumfang von mehr als 80 cm hat, § 3 Abs. 1 BSS. Daran besteht nach den Feststellungen im Ortstermin kein Zweifel. Für die Beseitigung des Baumes bedarf es somit einer Ausnahme oder Befreiung nach § 6 BSS, da die Entfernung geschützter Bäume im Geltungsbereich der Satzung verboten ist, § 4 Abs. 1 S. 1 BSS.

Die Voraussetzungen für eine Ausnahme oder Befreiung liegen indes nicht vor.

Als Ausnahmetatbestand kommt vorliegend zunächst § 6 Abs. 1 lit. c) BSS in Betracht. Danach ist eine Ausnahme von den Verboten des § 4 BSS zu genehmigen, wenn von dem geschützten Baum Gefahren für Leib und Leben ausgehen oder Sachschäden von erheblichem Wert verursacht werden und diese nicht auf andere Weise mit zumutbarem Aufwand beseitigt werden können. Eine Gefahr in diesem Sinne liegt vor, wenn der Eintritt eines Schadens mit hinreichender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dafür ist erforderlich, aber auch ausreichend, dass der Antragsteller zur Begründung seines Begehrens einen Sachverhalt darlegt, der den Schadenseintritt als wahrscheinlich erscheinen lässt.

Vgl. dazu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 4. Januar 2011 – 8 A 2003/09 -, juris (Rn. 4 ff.) m.w.N.; VG Gelsenkirchen, Urteile vom 1. Februar 2013 – 6 K 4399/11 -, juris (Rn. 22), vom 15. Dezember 2020 – 6 K 4/19 -, juris (Rn. 21) und vom 24. Januar 2022 – 6 K 3380/18 -.

Eine entsprechende Gefahr ist nicht mit Blick auf die Standfestigkeit der Buche anzunehmen. Der Kläger hat keine konkreten Anzeichen für eine Beeinträchtigung der Standfestigkeit benannt. Der mit entsprechenden Fachkenntnissen ausgestattete Mitarbeiter der Beklagten hat im Ortstermin nachvollziehbar ausgeführt, dass der Baum vital und gesund sei. Dem ist der Kläger nicht substantiiert entgegen getreten.

Soweit der Kläger geltend macht, es bestehe die Gefahr, dass durch herabstürzende Äste Personen verletzt oder Sachen beschädigt werden könnten, ist er die Angabe von Anhaltspunkten für eine über das mit jedem höheren Baum verbundene Risiko hinausgehende Gefahr schuldig geblieben. Wenn die von jedem Baumeigentümer zu erwartenden Überwachungs- und Pflegemaßnahmen durchgeführt werden, also zum Beispiel etwaiges Totholz regelmäßig aus der Krone entfernt und eine fachmännische Sichtkontrolle vorgenommen wird, gehen von dem Baum keine Gefahren aus, die nicht von jedem hohen Baum im Bereich besiedelter Gebiete ausgehen. Das verbleibende Restrisiko ist im Geltungsbereich einer Baumschutzsatzung in Kauf zu nehmen. Entsprechende Unglücksfälle gehören zum allgemeinen Lebensrisiko; sie ließen sich allenfalls dadurch vermeiden, dass in besiedelten Bereichen sämtliche größeren Bäume beseitigt werden.

Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 4. Januar 2011 – 8 A 2003/09 -, juris (Rn. 8); OVG Saarland, Urteil vom 29. September 1998 – 2 R 2/98 -, juris (Rn. 42); VG Gelsenkirchen, Urteil vom 4. Februar 2015 – 6 K 2442/12 – juris (Rn. 23).

Die genannten Pflege- und Überwachungsmaßnahmen sind für den Kläger auch nicht unzumutbar. Entgegen seinen Angaben im Ortstermin bedarf es insoweit nicht einer zweimal pro Jahr stattfinden Kontrolle durch ein Fachunternehmen. Die Baumkontrollrichtlinien sehen nach der plausiblen Angabe der Beklagten vielmehr einen Kontrollabstand von etwa fünfzehn Monaten vor. Damit ist auch der von dem Kläger genannten (unbelegten) Schätzung des finanziellen Aufwands die Grundlage entzogen.

Auch die Voraussetzungen für eine Ausnahme nach § 6 Abs. 1 lit. f) BSS vermag das Gericht nicht festzustellen. Nach dieser Vorschrift ist eine Ausnahme zu erteilen, wenn ein Baum die Einwirkung von Licht und Sonne auf Fenster unzumutbar beeinträchtigt. Vorliegend ist festzustellen, dass angesichts des Abstands zwischen dem streitgegenständlichen Baum und dem Wohnhaus des Klägers von beinahe 25 Metern eine nennenswerte Verschattung der Fenster nicht angenommen werden kann. Auch beim Ortstermin war eine Beeinträchtigung der Belichtung des Hauses nicht festzustellen. Näher läge eine Beeinträchtigung des benachbarten Wohnhauses I.-weg 13. Allerdings steht der Baum nördlich dieses Gebäudes und verhindert daher ersichtlich keine direkte Sonneneinstrahlung. Da die Krone der Blutbuche erst knapp unterhalb der Traufe des Wohnhauses Nr. 13 beginnt, dürfte sich auch die Beeinträchtigung der Belichtung im zumutbaren Bereich bewegen. Gegenteiliges ist im Übrigen nicht substantiiert vorgetragen worden.

Eine Befreiung nach § 6 Abs. 2 S. 1 lit. a) BSS kommt ebenfalls nicht in Betracht. Danach kann von den Verboten des § 4 BSS im Einzelfall eine Befreiung erteilt werden, wenn das Verbot zu einer nicht beabsichtigten Härte führen würde. Die in Baumschutzsatzungen geregelten Befreiungstatbestände erfassen ausschließlich atypische Fallgestaltungen. Deshalb kommt eine Befreiung regelmäßig nicht in Betracht bei typischerweise von Bäumen ausgehenden Belastungen wie etwa Schattenwurf, Laubfall, Samenflug oder Beeinträchtigungen durch Wurzeln, soweit nicht der Grad einer Gefahr erreicht wird. Eine unbeabsichtigte Härte liegt danach allenfalls dann vor, wenn die genannten Beeinträchtigungen ein Ausmaß erreichen, mit dem bei einem innerörtlichen Baumbestand nicht zu rechnen ist, und dadurch die jeweilige Grundstücksnutzung unzumutbar eingeschränkt wird.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 13. September 1995 – 7 A 2646/92 – und Beschluss vom 13. Februar 2002 – 8 A 5373/99 -, juris (Rn. 15); VG Köln, Urteil vom 21. Januar 2014 – 14 K 3986/11 -, juris (Rn. 66); VG Gelsenkirchen, Urteil vom 28. März 2007 – 6 K 1020/05 -.

Derartige unzumutbare Beeinträchtigungen der Grundstücksnutzung sind weder von dem Kläger vorgetragen worden noch sonst ersichtlich.

Dass die Blutbuche entgegen den Regelungen des Nachbarrechtsgesetzes mit zu geringem Grenzabstand gepflanzt wurde, wie in der Klagebegründung angedeutet, ist für das vorliegende Streitverfahren ohne Bedeutung. Denn das Nachbarrechtsgesetz regelt ausschließlich zivilrechtliche Ansprüche der Nachbarn untereinander und nicht das Verhältnis des Bürgers zu den Umweltbehörden. Nachbargrenzen sind im Naturschutzrecht im Allgemeinen ohne Belang. Bei der auf § 49 LNatSchG NRW beruhenden Baumschutzsatzung dürfte es sich im Übrigen um Landesrecht im Sinne von Art. 111 EGBGB handeln.

Vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 6. November 2007 – 3 Ss OWi 494/07-, juris (Rn. 8).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.

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