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Krankenversicherungsvertrag – Tarifänderung

Landgericht Hildesheim

Az: 7 S 102/09

Urteil vom 20.11.2009


In dem Rechtsstreit hat die Zivilkammer 7 des Landgerichts Hildesheim auf die mündliche Verhandlung vom 18.09.2009 für R e c h t erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 21.04.2009 verkündete Urteil des Amtsgerichts Burgdorf abgeändert und die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gebührenstreitwert der Berufung: 1.197,84 €.

Gründe

I.

Gemäß § 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Die Beklagte rügt, das Amtsgericht habe den Begriff „Mehrleistung“ im Sinne des § 178 f VVG verkannt und der Klage rechtsfehlerhaft stattgegeben. Auch in der Vereinbarung eines deutlich geringeren Selbstbehalts sei eine Mehrleistung der Beklagten zu sehen, die die Erhebung eines angemessenen Risikozuschlags rechtfertige. Schon aus Sicht des Versicherungsnehmers komme es bei der Beurteilung, ob der gewählte Tarif eine Mehrleistung beinhalte, nicht lediglich auf den Umfang der Versicherungsleistung, sondern auch auf den Umfang der tatsächlichen Kostenerstattung für eingereichte Krankenhaus- und Behandlungsrechnungen an.

Sie beantragt, das Urteil des Amtsgerichts Burgdorf vom 21.04.2009, Az. 13 C 489/08 (XIII), abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Insbesondere ist er der Auffassung, dass der Versicherungsschutz hinsichtlich eines „Mehr“ oder „Weniger“ nur unter Heranziehung der verschiedenen Leistungsbereiche ermittelt werden könne. An einer Mehrleistung fehle es bereits dann, wenn bei einem Tarifwechsel keine qualitative Änderung der Leistungsbereiche im Sinne des § 12 KalV erfolge. Berücksichtigt werden müsse zudem, dass das Leistungsspektrum sich für den Kläger dahingehend reduziere, dass Kosten für Sehhilfen, Behandlung für Heilpraktiker, die stationäre Unterbringung sowie die stationäre privatärztliche Behandlung im Standardtarif ausgeschlossen seien. In der Herabsetzung des Selbstbehalts könne eine Mehrleistung nicht gesehen werden ohne die übrigen Leistungen der beiden Tarife eines Vergleichs zu unterziehen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Das Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

1.

Dem Kläger steht kein Anspruch auf die begehrte Feststellung zu.

Die Beklagte durfte nach dem Wechsel des Klägers in den Standardtarif STN einen angemessenen Risikozuschlag erheben. Die Voraussetzungen des § 178 f Abs. 1 Satz 2 VVG (a.F.) liegen vor, wonach der Versicherer, soweit die Leistungen in dem Tarif, in den der Versicherungsnehmer wechseln will, höher oder umfassender sind als in dem bisherigen Tarif, für die Mehrleistung einen Leistungsausschluss oder einen angemessenen Risikozuschlag verlangen kann.

a.

Bei der Beurteilung, ob eine Mehrleistung vorliegt, reicht es nicht aus, auf die in § 12 der Verordnung über die versicherungsmathematischen Methoden zur Prämienkalkulation (KalV) definierte Gleichartigkeit abzustellen. Zutreffend führt das Amtsgericht aus, dass danach zwei Tarife dann als gleichartig anzusehen sind, wenn sie dieselben Leistungsbereiche -wie z.B. ambulante Heilbehandlung, stationäre Heilbehandlung sowie Krankenhaustagegeld- abdecken.

Diese Gleichartigkeit des Versicherungsschutzes ist aber neben der Versicherungsfähigkeit stets zwingende Voraussetzung für den Anspruch des Versicherungsnehmers auf einen Tarifwechsel. Denn nur ein Tarifwechsel in einen „gleichartigen“ Tarif innerhalb eines Versicherungsunternehmens nach § 178 f VVG a.F. bzw § 204 Abs. 1 Satz 1 VVG n.F. stellt nach allgemeiner Meinung die Fortsetzung des bisherigen Vertrags nach Maßgabe des neuen Tarifs dar; andernfalls läge ohnehin der Abschluss eines neuen Krankenversicherungsvertrages vor (vgl. BVerwG VersR 2007, 1253; Grote/Bronkars, VersR 2008, 580 ff.). Enthält der neue Tarif Mehrleistungen aus anderen Leistungsbereichen nach § 12 KalV, sollen also Gefahrtragung und Versicherungsschutz auf Antrag des Versicherungsnehmers auf andere Leistungsbereiche erweitert werden, ist dies insoweit wie ein Neuabschluss eines Versicherungsvertrags anzusehen (vgl. BGH, VersR 1994, 39).

Die Gleichartigkeit des Versicherungsschutzes entfällt nicht schon dann, wenn der angestrebte Tarif höhere, also umfangreichere Leistungen (Mehrleistungen), oder geringere, also weniger umfangreiche Leistungen vorsieht (vgl. Prölls in: Versicherungsvertragsgesetz, 27. Aufl., § 178 f VVG Rz.3.). Mit der geforderten Gleichartigkeit des Versicherungsschutzes ist gerade, wie oben dargelegt, nicht gleicher Versicherungsschutz gemeint.

b.

Eine Mehrleistung liegt insbesondere dann vor, wenn der gewählte Zieltarif innerhalb eines Leistungsbereiches einen umfassenderen Versicherungsschutz bietet. Als Beispiel sei angeführt, dass im Ausgangstarif eine ambulante Heilbehandlung abgedeckt sein kann, jedoch unter Ausschluss der Behandlung durch einen Heilpraktiker. Hält der angestrebte Zieltarif ebenfalls die ambulante Heilbehandlung jedoch unter Einschluss des Heilpraktikers vor, so handelt es sich um den gleichen Leistungsbereich und daher um einen gleichartigen Versicherungsschutz im Sinne des § 12 KalV, aber ebenfalls um eine Mehrleistung im Sinne des § 178 Abs. 1 Satz 2 VVG a.F.

c.

Doch auch das Fehlen oder die Herabsetzung von Selbstbehalten stellt eine Mehrleistung im Sinne der Vorschrift dar (vgl. Boetius in: Münchner Kommentar VVG, § 204 Rz. 211).

(1)

Der Begriff „Selbstbehalt“ ist kein rechtstechnischer Begriff, der einer allgemeingültigen Definition unterliegt. Er wird verstanden als ein prozentual oder auf andere Weise bestimmter bezifferter Betrag jedes versicherten Schadens oder einer bestimmten Art von Schäden, den der Versicherer aufgrund einer Vereinbarung nicht zu ersetzen hat (vgl. Kollhosser/Prölls, a.a.O, § 56 VVG Rz. 9). Darunter sollen auch laufende prozentuale Selbstbeteiligungen im Arznei – oder Hilfsmittelbereich fallen, weil eine solche Leistungsbegrenzung faktisch zu einer Eigenleistung des Versicherten führt (vgl. Grote/Bronkars, VersR 2008, 580).

Durch einen niedrigeren Selbstbehalt steigt der Leistungsaufwand des Versicherers, weil sich dessen Verpflichtung zur Erstattung von Leistungen erweitert. Aus diesem Grund wirkt sich grundsätzlich auch die Höhe der Selbstbeteiligung auf die Höhe der anfallenden Versicherungsprämie aus. Dies ist auch Hintergrund für die durch § 193 Abs. 3 Satz 3 VVG 2009 neu eingeführte 5.000,00 €- Grenze, die einen Mindestumfang der Versicherung sicherstellen soll. Ohne diese für sämtliche Leistungsbereiche geltende betragliche Beschränkung könnten die Versicherten durch die Vereinbarung beliebig hoher Selbstbehalte eine prämiengünstige Versicherung erhalten mit der Gefahr, selbst zu tragende Kosten nicht vollständig bewältigen zu können (Grote/Bronkars, a.a.O).

(2)

Deutlich wird der höhere Leistungsumfang der Versicherer bei dem Vergleich zweier fiktiver Tarife, die nur in der Höhe der vom Versicherungsnehmer zu zahlenden Selbstbeteiligung differieren, ansonsten aber den gleichen Versicherungsgegenstand umfassen. Der vom Versicherer gewährte Schutz ist bei dem Tarif ohne Eigenleistung des Versicherten umfassender und stellt daher auch eine Mehrleistung dar, die der Versicherer mit einem Risikozuschlag gemäß § 178 f VVG begegnen darf.

d.

Der Argumentation des Amtsgerichts folgend, wäre der Tarif mit dem Angebot eines geringeren Selbstbehalts nicht als Mehrleistung zu werten mit der Konsequenz, dass die Versicherten je nach Gesundheitszustand zwischen den Tarifangeboten ohne ohne die Möglichkeit der Erhebung eines Risikozuschlages wechseln dürften. Den Versicherten stände die Möglichkeit offen, zunächst die geringere Prämie mit dem hohen Selbstbehalt zu wählen, um bei erhöhtem Behandlungsbedarf in den Tarif mit dem geringem Selbstbehalt und höherer Prämie ohne Gefahr eines Risikozuschlags zu wechseln.

(1)

Das von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung vom 23.07.2009 angeführte Beispiel des Versicherten, der vor der anstehenden Hüftoperation den Tarifwechsel vollziehen möchte, ist dabei aber nicht aussagekräftig. Es verträgt sich bereits nicht mit dem Versicherungsgedanken, dass Schutz nur gegen ungewisse Ereignisse gewährt sein soll. Wenn der Versicherungsnehmer im Zeitpunkt des Tarifwechsels an einer ihm bekannten Krankheit leidet, deren Behandlung unabweisbar ist, so hat der Versicherer daher nur nach dem bisherigen Tarif Entschädigung zu leisten (Prölls, a.a.O., § 178 f Rz. 4). Denkbar sind aber Konstellationen, in denen die Versicherten bewusst einen geringeren Selbstbehalt wählen, um z.B. die Eigenleistung für zwar nicht ausstehende unabweisbare Behandlungen aber durchaus geplante zukünftige kostenintensive Krankenhausbehandlungen z.B. Entbindung im Krankenhaus, zu umgehen.

(2)

Der Regelung des § 178 f VVG liegt das Bestreben zu Grunde, insbesondere älteren Versicherungsnehmern die Möglichkeit zu geben, einem Prämienanstieg, insbesondere für den Fall der Schließung ihres Tarifs für den Neuzugang, durch den Wechsel in andere Tarife zu begegnen (vgl. Prölls, a.a.O Rz. 1). Als Ausgleich für den Kontrahierungszwang darf der Versicherer einen angemessenen Risikozuschlag oder Leistungsausschluss für die Mehrleistung vereinbaren. Für eine einseitige Besserstellung der Versicherten, die den Wechsel unter Anrechnung ihrer erworbenen Rechte und Alterungsrückstellungen vollziehen können, gibt es keinen Anlass.

e.

Der Einwand des Klägers, auch die weiteren Änderungen des Leistungsspektrums bei einem Wechsel in den Standardtarif seien bei der Frage nach einer Mehrleistung des Versicherers zu berücksichtigen, greift nicht. So ist das Vorliegen einer Mehrleistung durch einen niedrigen Selbstbehalt nicht allein deshalb abzulehnen, weil im Zieltarif anders als im Ausgangstarif Sehhilfen bzw. Chefarztbehandlungen oder ähnliches nicht mehr versichert sind. Soweit der neue Tarif geringerer Leistungen als der bisherige vorhält, könnte ein Teil der Altersrückstellungen frei werden, die dem Versicherungsnehmer gutzubringen wären, was unter anderem durch Anrechnung auf die Prämie geschehen kann (Prölls, a.a.O., Rz. 6). Es schließt aber das Vorliegen einer Mehrleistung im Hinblick auf das Fehlen des Selbstbehalts nicht aus.

2.

Anhaltspunkte dafür, dass die auf die Mehrleistung beschränkte, aktuelle Risikoprüfung zu einem unangemessenen Risikozuschlag geführt hätte, liegen dem Gericht nicht vor.

Für den Kläger bestände lediglich die Möglichkeit, die Erhebung eines Risikozuschlags dadurch abzuwenden, dass er gemäß § 178 f Abs. 1 Satz 3 VVG (a.F.) hinsichtlich der Mehrleistung einen Leistungsausschluss vereinbart, im Ergebnis also die Aufrechterhaltung seines Selbstbehalts verlangt.

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III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.

Die Anordnung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen weil die gesetzlichen Voraussetzungen dafür nicht vorliegen (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Klärungsbedürftig ist eine Rechtsfrage, wenn über Umfang und Bedeutung einer Rechtsvorschrift oder über das Verhältnis mehrerer Bestimmungen zueinander Unklarheiten bestehen. Dies ist dann der Fall, wenn sich zu der Frage bislang weder eine Meinung noch eine Gegenmeinung gebildet hat (vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.09.2009; Az. 3 U 3/09 zit. nach juris). Der Streitfall wirft hier aber im Hinblick auf die Qualifikation des Selbstbehalts keine schwierige Rechtsfrage auf, die der höchstrichterlichen Klärung bedürfte. Es gibt auch keine divergierende Rechtsprechung, die eine Entscheidung des Revisionsgerichts notwendig werden ließe.

Der Gebührenstreitwert war gemäß § 9 ZPO auf die 3,5 fache Jahresprämie des monatlichen Risikozuschlags von 28,52 € festzusetzen.

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