Landessozialgericht Niedersachsen
Az: L 3 KA 20/09
Urteil vom 13.04.2011
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. Februar 2009 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens mit Ausnahme der Kosten der Beigeladenen zu 1., die diese selbst trägt.
Die Revision wird zugelassen. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 1.271,15 Euro festgesetzt.
Tatbestand
Der Kläger ist als Zahnarzt in Hannover niedergelassen und nimmt an der vertragszahnärztlichen Versorgung teil. Er wendet sich gegen die Festsetzung eines Schadensersatzanspruchs wegen mangelhafter Prothetik.
Am 29. April 2002 gliederte er der bei der Beigeladenen zu 1. versicherten H. kombinierten Zahnersatz in den Oberkiefer ein. Dieser bestand aus einer abnehmbaren Modellgussprothese über die Zähne 18 – 14 und 22 – 28, die auf Teleskopkronen im Bereich der Zähne 13 und 21 gestützt war; auch die Zähne 12 und 11 waren mit Konuskronen versehen. Auf den dem zugrunde liegenden Heil- und Kostenplan vom 11. April 2002 gewährte die Beigeladene zu 1. einen Zuschuss von 60 vH der dort veranschlagten Kosten, mithin 1.271,15 Euro.
Nachdem sich die Versicherte im Jahr 2003 über den schlechten Sitz des Zahnersatzes beklagt hatte, holte die Beigeladene zu 1. ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK – I.) vom 11. Dezember 2003 ein. Dieser stellte nach Untersuchung der Versicherten fest, dass die Sekundärkronen bis unter die Gingiva reichten, wodurch es zu einer Gingivitis gekommen sei. Die Basis des herausnehmbaren Zahnersatzes liege hohl und schaukele. Der Biss sei frontal offen. Okklusale Kontakte bestünden nur bei 14, 15, 24 und 25. Der Zahn 12 sei mittlerweile auf Gingiva-Niveau abgebrochen. Der außerdem gehörte Zahnarzt J. teilte in seinem Gutachten vom 16. Januar 2004 mit, die Prothesenbasis ließe sich axial auf manuellen Druck anterior und posterior nicht stabil halten. Die okklusale Abstützung sei stark interferent, bei Herausnehmen der Deckprothese lasse sich eine unzureichende Spielpassung feststellen. An den Zähnen 21 und 13 ließen sich negative Randspalten sondieren. Schließlich erreiche das Innenteleskop des Zahnes 12 die Präparationsgrenze nicht. Beide Gutachter hielten eine Neuanfertigung des Zahnersatzes für erforderlich.
Der Kläger vertrat in seiner Stellungnahme vom 23. Februar 2004 die Auffassung, er habe die Kriterien der zahnmedizinischen Versorgung erfüllt und keine Behandlungsfehler begangen. Der fehlende Behandlungserfolg begründe sich möglicherweise in nicht konsequentem Tragen der Prothese, was auch die Fraktur des Zahnes 12 erklären würde.
Mit Bescheid vom 30. Juni 2004 gab der Prothetik-Einigungsausschuss (PEA) I dem Mängelanspruch statt und stellte fest, dass der Kläger die entstandenen Kosten zurückzuerstatten habe. Aufgrund der von den Gutachtern aufgeführten erheblichen Mängel sei anzunehmen, dass weitere Nachbesserungsmaßnahmen an der Oberkieferversorgung nicht zum Erfolg führen könnten. Der hiergegen am 3. August 2004 eingelegte Widerspruch blieb erfolglos (Bescheid des beklagten PEA II vom 6. Oktober 2004, an den Kläger abgesandt mit Schreiben vom 1. November 2004).
Hiergegen hat der Kläger mit Schriftsatz vom 10. November 2004 Klage erhoben, die am 12. November 2004 beim Sozialgericht (SG) Hannover eingegangen ist. Zur Begründung hat er sich darauf berufen, dass nirgendwo ausgeführt bzw nachgewiesen sei, dass dem Behandlungsergebnis ein Verschulden oder eine Pflichtverletzung des Zahnarztes zugrunde liege. Es sei vielmehr konkret zu prüfen, dass die Versicherte den Misserfolg selbst verschuldet hat.
Mit Urteil vom 11. Februar 2009 hat das SG die Klage abgewiesen. Wie sich bereits aus dem Gutachten des Sachverständigen J. zeige, sei die prothetische Versorgung der Versicherten mangelhaft. Der Kläger habe die Mängel trotz ausreichender Nachbesserungsmöglichkeiten nicht beseitigen können. Die Mängel seien nicht schicksalhaft eingetreten, sondern das Ergebnis einer mangelhaften prothetischen Versorgung. Die Versicherte sei deswegen berechtigt gewesen, den Behandlungsvertrag zu kündigen, da ihr ein weiteres Nachbehandeln nicht mehr zumutbar gewesen sei.
Gegen das ihm am 24. Februar 2009 zugestellte Urteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 5. März 2009 Berufung eingelegt, die am 6. März 2009 beim Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen eingegangen ist. Er bestreitet weiterhin, dass ihm die Mängel schuldhaft anzulasten bzw ihm eine Pflichtverletzung vorzuwerfen sei. Die Versicherte habe den Misserfolg selbst verschuldet, weil sie – ihrer Mitwirkungspflicht zuwider laufend – die Arbeit nicht regelmäßig getragen habe.
Der Kläger beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 11. Februar 2009 sowie den Bescheid des Prothetik-Einigungsausschusses I vom 30. Juni 2004 in Gestalt des Bescheids des Beklagten vom 6. Oktober 2004 aufzuheben.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 2. beantragen, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigen das angefochtene Urteil und berufen sich auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG; Hinweis auf das Urteil vom 29. Juli 2006 – B 6 KA 21/06 R).
Die Beigeladene zu 1. stellt keinen Antrag.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Klagegegenstand (§ 95 Sozialgerichtsgesetz (SGG)) ist der Bescheid des PEA I vom 30. Juni 2004 in Gestalt des Bescheids des Beklagten vom 6. Oktober 2004 (zum Klagegegenstand bei Entscheidungen der niedersächsischen Prothetik-Einigungsausschüsse vgl Senatsurteil vom 31. März 2004 – L 3 KA 351/03). Die hiergegen gerichtete Klage ist als isolierte Anfechtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG) statthaft und auch im Übrigen zulässig. Sie ist auch zutreffend gegen den PEA II gerichtet, der das Widerspruchsverfahren durch Erlass des Bescheids vom 6. Oktober 2004 bearbeitet hat (Senatsurteil vom 31. März 2004 aaO. unter Hinweis auf § 5 Abs 4 S 2 der von der Beigeladenen zu 1. und den Kassen(verbänden) getroffenen Zusatzvereinbarung zur Verfahrensordnung des PEA vom 4. Dezember 2007).
Die Klage ist jedoch unbegründet. Die angefochtenen Bescheide sind nicht zu beanstanden.
Die Zuständigkeit der vorliegend handelnden Ausschüsse zur Festsetzung von Ersatzansprüchen wegen fehlerhafter Prothetik ergibt sich aus § 2 Abs 3 Bundesmantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) iVm § 4 Abs 1 Anl 12 zum BMV-Z und den §§ 1 und 2 der Zusatzvereinbarung zur Verfahrensordnung des PEA.
Materielle Rechtsgrundlage für die Festsetzung der vorliegenden Regressforderung ist die öffentlich-rechtliche Pflicht des Vertragszahnarztes gegenüber der Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZÄV), die Schäden zu ersetzen, die er vertragszahnärztlichen Institutionen schuldhaft zufügt (BSG SozR 4-5555 § 15 Nr 1). Dieser gehört zu den Ersatzansprüchen wegen „sonstiger Schäden“, die im Bereich der Primärkassen in § 23 Abs 1 S 2 BMV-Z angesprochen sind. Inhaltliche Voraussetzung der Regresspflicht ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG (aaO. mwN) eine schuldhafte Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten, die darin liegen kann, dass eine prothetische Versorgung dem zahnärztlichen Standard nicht genügt. Außerdem muss eine Nachbesserung nicht möglich und/oder eine Nachbesserung bzw Neuanfertigung durch den bisher behandelnden Vertragszahnarzt nicht zumutbar sein. Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
Dass die der Versicherten eingegliederte prothetische Versorgung im Oberkiefer im Ergebnis dem zahnärztlichen Standard nicht genügt, ergibt sich aus den im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachten der Zahnärzte K. und J. und wird auch vom Kläger nicht bestritten. Im Mittelpunkt der Mängel steht dabei der schlechte Sitz des herausnehmbaren Zahnersatzes, den K. damit beschreibt, dass dessen Basis hohl liegt und schaukelt. Der Zahnarzt J. hat eine Instabilität der Modellgussprothese bei manuellem Druck festgestellt. Daneben beschreiben beide Sachverständige eine fehlerhafte Okklusion, die K. im Bereich der Zähne 14, 15, 24 und 25 verortet. Außerdem sind beide Zahnärzte zum Ergebnis gekommen, dass die Sekundärkronen auf den Teleskopkronen bis unter die Gingiva reichen (L.) bzw negative Randspalten aufweisen (Zahnarzt Kusche).
Diese Mängel sind dadurch entstanden, dass der Kläger seine Pflicht verletzt hat, die zahnärztliche Versorgung nach den Regeln der ärztlichen Kunst zu erbringen (§ 4 Abs 2 BMV-Z). Diesen Regeln widerspricht es, wenn die Basis einer Prothese so geplant, hergestellt oder eingegliedert wird, dass sie sich nicht den anatomischen Verhältnissen im Oberkiefer anpasst und wenn die Versorgung mit Teleskopkronen so erfolgt, dass die Sekundärkrone soweit in den Bereich der Gingiva hineinreicht, dass es dort zu einer Gingivitis kommt.
Entgegen der vom Kläger vertretenen Sichtweise setzt die Feststellung einer Pflichtverletzung nicht voraus, dass dem Zahnarzt nachgewiesen werden kann, bei welchem konkreten Leistungsschritt er einen Fehler gemacht hat. In Hinblick auf den für Pflichtverletzungen im Schuldverhältnis grundlegenden § 280 Abs 1 S 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ist zwar grundsätzlich umstritten, ob eine Pflichtverletzung bereits beim Nichteintritt des geschuldeten Leistungserfolgs anzunehmen ist oder nur dann, wenn ein Verhalten vorliegt, das vom vorgegebenen Pflichtenprogramm abweicht (vgl Ernst in: Münchener Kommentar, BGB, 5. Aufl, § 280 Rn 12 ff mwN, der sich für die erste Alternative ausspricht). Im Allgemeinen wird aber danach differenziert, ob ein Erfolg geschuldet wird – dann liegt die Pflichtverletzung bereits in dessen Nichteintritt – oder lediglich ein Bemühen – dann ist der Begriff der Pflichtverletzung verhaltensbezogen (Grüneberg in: Palandt, BGB, 70. Aufl, § 280 Rn 12). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH; BGHZ 63, 306 ff) ist der auf eine zahnprothetische Behandlung gerichtete Vertrag zwar grundsätzlich Dienstvertrag (allerdings mit werkvertraglichen Elementen, etwa in Hinblick auf die technische Anfertigung der Prothese, BGH aaO. S 309), der Zahnarzt schuldet also nicht den Erfolg einer gelungenen prothetischen Versorgung. Im Rahmen des Vertragszahnarztrechts ist aber von entscheidender Bedeutung, dass der Zahnarzt gemäß § 137 Abs 4 S 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V; entspricht § 136b Abs 2 S 3 SGB V in der bis zum 31. Dezember 2003 geltenden Fassung) eine zweijährige Gewähr für die Versorgung mit Zahnersatz übernimmt und Nachbesserungen bzw Wiederherstellung des Zahnersatzes in diesem Zeitraum kostenfrei vorzunehmen hat. In Fällen einer derartigen Garantiehaftung liegt die Pflichtverletzung bereits in der Nicht- bzw Schlechterfüllung als solcher (Ernst aaO. Rn 17), sodass dem Vertragszahnarzt – anders als zB dem Arzt im Arzthaftungsprozess – kein konkretes Fehlverhalten nachgewiesen werden muss. Nichts anderes ist der Rechtsprechung des BSG zu entnehmen, wonach eine Verletzung öffentlich-rechtlicher Pflichten bereits darin liegen kann, dass eine prothetische Versorgung dem zahnärztlichen Standard nicht genügt (BSG aaO. mwN).
Etwas anderes kann allenfalls dann anzunehmen sein, wenn das Misslingen der prothetischen Versorgung auf Umständen beruht, die außerhalb der Sphäre des Vertragszahnarztes liegen, insbesondere ihre Ursache in fehlender oder unzureichender Mitwirkung des Versicherten haben. Objektiv nachvollziehbare Umstände, die für eine (Mit-)verantwortlichkeit der Versicherten sprechen, liegen hier aber nicht vor. Der Kläger äußert insoweit lediglich Vermutungen, wenn er – erstmals im Verwaltungsverfahren – vorträgt, der fehlende Behandlungserfolg begründe „sich möglicherweise in nicht konsequentem Tragen der Prothese“. Überdies legt der Kläger nicht dar, aus welchen Gründen ein nichtkonsequentes Tragen des Zahnersatzes die hier festzustellenden Mängel verursachen kann. Der diesbezügliche Vortrag ist deshalb als bloße Schutzbehauptung zu werten.
Nichts anderes kann für die Frage des Verschuldens gelten. Der Kläger als Vertragszahnarzt hat die Regeln der vertragszahnärztlichen Kunst zu kennen, sodass ihm ihre Missachtung als Fahrlässigkeit iSd § 76 Abs 4 SGB V iVm § 276 Abs 2 BGB zuzurechnen ist. Auch insoweit ist der Hinweis auf ein angebliches Verschulden der Versicherten als Schutzbehauptung zurückzuweisen.
Weiterhin scheidet auch die Möglichkeit einer Nachbesserung des fehlerhaften Zahnersatzes aus. Die Zahnärzte… haben in ihren Gutachten übereinstimmend festgestellt, dass eine Neuversorgung des Oberkiefers erforderlich und eine Nachbesserung damit nicht ausreichend ist. Eine Neuanfertigung durch den Kläger ist der Versicherten im Übrigen nicht zumutbar, nachdem es dem Kläger seit Juli 2002 in mehr als 30 Nachbehandlungen nicht gelungen ist, die mangelhafte Oberkieferversorgung nachzubessern. Angesichts der Vielzahl der erfolglosen Nachbesserungsversuche ist es auch nachvollziehbar, wenn die Versicherte zu einer Weiterbehandlung durch den Behandler nicht mehr bereit ist.
Schließlich hat die Beigeladene zu 1. auch einen Schaden erlitten, weil sie den Kassenanteil iHv 1.271,15 Euro vergeblich aufgewendet hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs 1 S 1 SGG iVm §§ 154 Abs 2, 162 Abs 3 iVm 154 Abs 3 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 160 Abs 2 Nr 1 SGG) zugelassen.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus der Anwendung des § 197a Abs 1 SGG iVm §§ 47 Abs 1 S 1, 52 Abs 1 Gerichtskostengesetz (GKG).