LG Stuttgart
Az: 13 S 41/11
Urteil vom 26.10.2011
1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Teilurteil des Amtsgerichts S … aufgehoben. Das Verfahren wird zur Entscheidung über Klage und Widerklage sowie über die Kosten der Berufung an das Amtsgericht zurückverwiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Gründe
I.
Die klagende Wohnungsgesellschaft begehrt mit der Klage von den beklagten Mietern die Zustimmung zu einer Mieterhöhung im Jahr 2010. Die Beklagten fordern mit der Widerklage die Rückzahlung von Mietbestandteilen, welche die Klägerin unabgesprochen von deren Konto eingezogen hat, nachdem die Klägerin 2007 ein Mieterhöhungsverlangen erklärt hatte, auf das die Beklagten damals geschwiegen hatten. Das Amtsgericht hat im Wege des angefochtenen Teilurteils die Widerklage abgewiesen. Im Übrigen wird auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil gem. § 540 Abs.1 ZPO Bezug genommen. Auf die Darstellung des Berufungsvorbringens wird gem. §§ 540 Abs.2, 313a, 542, 544 ZPO i.V.m. § 26 Nr.8 EGZPO verzichtet.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und mit einer Begründung versehene Berufung hat den prozessualen Erfolg der Aufhebung des angefochtenen Teilurteils.
1. Das Teilurteil über die Widerklage erfüllt die prozessualen Voraussetzungen des § 301 ZPO nicht. Zudem liegen die Voraussetzungen für eine Gesamtentscheidung des Rechtsstreits durch das Berufungsgericht nicht vor, zumal die Klage nicht entscheidungsreif ist. Das Teilurteil ist daher gem. § 538 Abs.2 Satz 1 Nr.7, Satz 3 ZPO aufzuheben.
a) Die Voraussetzungen eines Teilurteils nach § 301 ZPO sind erstens die Teilbarkeit des Streitgegenstandes, zweitens die Entscheidungsreife lediglich eines Teils sowie drittens die Unabhängigkeit des Teilurteils im Sinne einer Widerspruchsfreiheit zum Schlussurteil (ganz h.M., vgl. nur Vollkommer in Zöller, Kommentar zur Zivilprozessordnung, 28. Auflage, § 301 ZPO Rn 2, 7 m.w.N.). An der dritten Voraussetzung fehlt es hier. Sowohl für die Klage als auch für die Widerklage kommt es entscheidend auf die Vorfrage an, ob die erste Mieterhöhung im Jahr 2007 wirksam war. Grundlage des bereicherungsrechtlichen Rückforderungsanspruchs wegen der vom Konto eingezogenen Miete ist das Fehlen eines Rechtsgrundes, also die Unwirksamkeit der einseitig von der Klägerin erklärten Mieterhöhung. Auf die Frage der Wirksamkeit der ersten Mieterhöhung kommt es aber auch für die Beurteilung der zweiten im Jahr 2010 an, welche auf die erste aufbaut. Dies nicht zuletzt wegen der Kappungsgrenze des § 558 Abs.3 BGB, weil die Klägerin in der Summe der beiden Mieterhöhungsverlangen die Miete um mehr als 20 % anheben möchte. Über die Frage der Wirksamkeit der ersten Mieterhöhung kann nur einheitlich für Klage und Widerklage entschieden werden, weswegen eine Teilentscheidung insoweit die nach § 301 ZPO gebotene Widerspruchsfreiheit nicht garantieren kann (vgl. BGH NJW-RR 2005, 22; NJW 2009, 1824).
b) Die Frage der Wirksamkeit der ersten Mieterhöhung kann hier auch nicht ausnahmsweise deswegen teilweise offengelassen und getrennt betrachtet werden, weil der mit der Widerklage geltend gemachte Bereicherungsanspruch im Sinne einer Verwirkung wegen Verstoßes gegen Treu und Glauben gem. § 242 BGB nicht geltend gemacht werden könnte. Ein Recht ist nur dann verwirkt, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat (Zeitmoment) und der Verpflichtete sich auf Grund des Verhaltens des Berechtigten darauf einrichten durfte und eingerichtet hat, dass jener sein Recht nicht mehr geltend machen werde (Umstandsmoment). Damit ist die Verwirkung ein Fall der unzulässigen Rechtsausübung aufgrund widersprüchlichen Verhaltens. Zwischen den Verwirkungsumständen und dem erforderlichen Zeitablauf besteht eine Wechselwirkung insofern, als der Zeitablauf umso kürzer sein kann, je gravierender die sonstigen Umstände sind, und dass umgekehrt an diese Umstände desto geringere Anforderungen gestellt werden, je länger der abgelaufene Zeitraum ist (vgl. BGH NJW 2006, 219). Ob das Zeitmoment für sich genommen für eine Verwirkung ausreichend sein kann, ist in dem hier zu entscheidenden Fall bei einer Frist von weniger als vier Jahren bereits fraglich (vgl. LG Frankfurt/M. NZM 2001, 467). Selbst wenn man bei den ersten, zum Zeitpunkt der Rückforderung drei Jahre zurückliegenden Abbuchungen von einem erheblichen Zeitmoment ausgehen wollte, wäre dieses mit jeder weiteren, weniger weit zurückliegenden Einziehung schwächer ausgeprägt. Ausschlaggebend für die Verneinung der Verwirkung ist aber die Kombination aus dem schwach ausgeprägten Zeitmoment und dem nahezu nicht vorhandenen Umstandsmoment. Es handelt sich hier viel weniger um eine unzulässige Rechtsausübung der Beklagten als vielmehr um eine solche der Klägerin. Die Klägerin, der als gewerblicher Vermieterin die gesetzlichen Regelungen über die Mieterhöhung nach §§ 557 ff. BGB hinlänglich bekannt sind, hat trotz fehlender Zustimmung der Beklagten – ohne den Rechtsweg zu beschreiten – die erhöhte Miete unter Missbrauch der ihr erteilten Einziehungsermächtigung im Lastschriftverfahren vom Konto der Beklagten abgebucht. Schon allein wegen dieses vertrags- und treuwidrigen Verhaltens ist es der Klägerin verwehrt, sich auf eine unzulässige Rechtsausübung der Beklagten durch langes Zuwarten zu berufen. Selbst dann, wenn die Beklagten durch ihr Verhalten Anlass zu der Vermutung gegeben haben sollte, sie würden rechtswidrige Kontoabbuchungen nicht zurückfordern, durfte sich die Klägerin infolge ihres Rechtsbruches nicht darauf einstellen, das Geld endgültig behalten zu können. Das widerspruchslose Schweigen kann nämlich nicht nur als Zustimmung gedeutet werden. Gerade für die im Umgang mit eher zahlungsschwachen und oft in der deutschen Sprache sowie rechtlich ungeübten Mietern erfahrenen Klägerin hätte es nahegelegen zu bedenken, dass ein Widerspruch zunächst aus Rechtsunkenntnis und der Sorge um den Bestand des Mietverhältnisses unterblieb. Dazu kommt, dass die Beklagten keinerlei Aktivitäten entfaltet haben, die bei der Klägerin einen Vertrauenstatbestand hätten begründen können. Die bloße Untätigkeit kann zwar ausnahmsweise einen Verwirkungsumstand durch Unterlassen darstellen. Diese besonders schwache Form des Umstandsmomentes würde aber im Gegenzug zur Begründung der Verwirkung ein besonders ausgeprägtes Zeitmoment voraussetzen (vgl. BGH aaO). Ein solches liegt aber, wie bereits dargetan, hier nicht vor.
c) Nichts anderes ergibt sich aus der erstinstanzlich und teilweise in der Kommentarliteratur zitierten Einzelfallentscheidung des Amtsgerichts Hamburg-Harburg (WuM 2000, 359), welche ohne jedes Eingehen auf die Bedeutung des Umstandsmoments und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs eine Verwirkung der Rückforderung rechtsgrundlos eingezogener Mietbestandteile nach Ablauf von zwei Jahren bejaht hat.
d) Die Klägerin kann sich schließlich nicht mit Erfolg auf den Rechtsgedanken des § 675x Abs.4 BGB berufen. Diese Vorschrift regelt ausdrücklich nur das Rechtsverhältnis zwischen dem Bankkunden und der kontoführenden Bank (Deckungsverhältnis). Ansprüche des Bankkunden gegen denjenigen, der eine unberechtigte Abbuchung zu seinen Gunsten veranlasst hat (Valutaverhältnis), sind davon weder nach dem Wortlaut noch nach Sinn und Zweck der Vorschrift betroffen (vgl. Sprau in Palandt, 70. Auflage 2011, § 675x BGB Rn 1).
2. Für die anstehende Entscheidung der Frage der Wirksamkeit der von der Klägerin im Jahr 2007 geforderten Mieterhöhung weist das Berufungsgericht darauf hin, dass nach ganz herrschender Meinung in Rechtsprechung und Literatur, welcher sich die Kammer anschließt, das Schweigen des Mieters auf ein Mieterhöhungsverlangen nicht als (konkludente) Zustimmung im Sinne des § 558b Abs.1 BGB gewertet werden kann. Dies gilt auch dann, wenn der Vermieter eine Einziehungsermächtigung im Lastschriftverfahren missbraucht und der Mieter die zu Unrecht erfolgten Einziehungen zunächst widerspruchslos geschehen lässt (vgl. Landgericht München I WuM 1996, 44; Börstinghaus in Schmidt-Futterer, Kommentar zum Mietrecht, 10. Auflage, § 558b BGB Rn 31; Schüller in Bamberger/Roth, Onlinekommentar zum BGB, Edition 20, § 558b BGB Rn 6; jeweils m.w.N.). Das deutsche Vertragsrecht kennt den Grundsatz des Schweigens als Zustimmung nicht. Nur ausnahmsweise und in besonders geregelten Fällen kann Schweigen als Zustimmung gewertet werden. § 558b BGB enthält eine derartige Regelung nicht. Die Vorschrift enthält ersichtlich und auch nach der Entstehungsgeschichte (vgl. Börstinghaus aaO) keine planwidrige Regelungslücke, die für eine Analogie oder eine erweiternde Auslegung Raum ließe. Nach Sinn und Zweck der Norm fehlt es zudem an einem Anlass für ein Abweichen vom Gesetzestext.
III.
Eine Kostenentscheidung unterbleibt, weil bislang nur über einen Teil des Rechtsstreits entschieden wurde. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr.10, 711, 713 ZPO. Anlass, die Revision nach § 543 ZPO zuzulassen, besteht nicht, weil die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts nicht erfordert, zumal zu den entscheidungserheblichen Fragen bereits eine gefestigte obergerichtliche Rechtsprechung besteht.