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Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch -verschuldensunabhängigen Haftung

LG Aachen – Az.: 11 O 279/11 – Urteil vom 19.12.2011

Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.

Tatbestand

Die Klägerin ist als Betriebsunterbrechungs- und Inhaltsversicherer des Herrn Dr. med. X tätig und begehrt aus übergegangenem Recht ihres vorgenannten Versicherungsnehmers Schadensersatz von der Beklagten wegen eines Wasserschadens am 8. Juni 2007.

Die Beklagte betrieb in im dritten Obergeschoss des Gebäudes L-graben 23 in … B liegenden Räumlichkeiten ein für ambulante Operationen vorgesehenes Zentrum, während der o.g. Versicherungsnehmer der Klägerin in dem darunter liegenden Geschoss desselben Gebäudes seine Arztpraxis betrieb. Das Eigentum am vorgenannten Gebäude ist in Sondereigentumseinheiten und Gemeinschaftseigentum aufgeteilt. Die Beklagte hatte die von ihr genutzten Räume von einer Gesellschaft angemietet, die sie wiederum vom Eigentümer des betreffenden Sondereigentums angemietet hatte; der Versicherungsnehmer der Klägerin hatte die von ihm genutzten Räume von einem anderen Sondereigentümer angemietet. In der Nacht vom 7. Auf den 8. Juni 2007 kam es in den von der Beklagten genutzten Räumen des dritten Obergeschosses zu einem Wasseraustritt, nachdem sich im Sterilisationsraum eine Schlauchverbindung gelöst hatte. Dies führte zu einem Wasserschaden auch in den vom Versicherungsnehmer der Klägerin genutzten Räumen des zweiten Obergeschosses, dessen Umfang zwischen den Parteien streitig ist.

Die Klägerin macht Schäden im Umfang von insgesamt 165.889,76 EUR nebst Zinsen und Rechtsanwaltskosten geltend und meint, die Haftung der Beklagten ergebe sich nicht nur aus § 823 Abs. 1 BGB, sondern auch aus einer analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB. Die Beklagte hafte dementsprechend verschuldensunabhängig.

Die Klägerin beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie 165.889,76 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich seit dem 18. Dezember 2010 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie wegen vorgerichtlich angefallener Rechtsanwaltskosten weitere 2.618,71 EUR nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 18. Dezember 2010 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie meint, eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB kommt unter mehreren Mietern von Räumlichkeiten in ein und demselben Haus nicht in Betracht.

Entscheidungsgründe

I. Die Klage ist in der Hauptsache dem Grunde nach gerechtfertigt. Die Beklagte haftet der Klägerin aus gemäß § 67 VVG a.F. übergegangenem Recht analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auf Ersatz sämtlicher Schäden des Versicherungsnehmers Dr. U. aus dem Schadensereignis vom 8. Juni 2007. Auf ein Verschulden kommt es für die Haftung der Beklagten nicht an, so dass sich eine Beweiserhebung zu den Hintergründen des Schadenseintritts erübrigt.

1. Die Voraussetzungen einer analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB liegen hier vor. Denn der vorliegende Fall betrifft die Frage der verschuldensunabhängigen Haftung im Verhältnis mehrerer Mieter zwar innerhalb ein und desselben Hauses, aber verschiedener Sondereigentumseinheiten und verschiedener Sondereigentümer. Hier ist unter Berücksichtigung der bisherigen höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung zur Reichweite der Analogie des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB sowohl von einer planwidrigen Regelunglücke als auch von einer vergleichbaren Interessenlage auszugehen.

a) Der Bundesgerichtshof befürwortet das Vorliegen einer planwidrigen Regelunglücke sowie einer vergleichbaren Interessenlage in dreierlei Hinsicht: Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist ein nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen seiner privatwirtschaftlichen Benutzung Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung überschreiten, sofern der davon betroffene Eigentümer aus besonderen Gründen gehindert war, diese Einwirkungen nach § 1004 Abs. 1 BGB rechtzeitig zu unterbinden. Dieser Anspruch ist über den Wortlaut des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB hinaus zum einen nicht auf die Folgen der Zuführung unwägbarer Stoffe beschränkt, sondern erfasst unter anderem auch die Störung durch Grobimmissionen wie etwa Wasser. Er steht zum anderen nicht nur dem Eigentümer eines Grundstücks zu, sondern auch dem Besitzer, dessen Abwehranspruch aus § 862 Abs. 1 BGB aus tatsächlichen Gründen nicht geltend gemacht werden konnte. Schließlich kann auch der Benutzer des Grundstücks, von dem die Emissionen ausgehen, zum Ausgleich verpflichtet sein; die Eigentumsverhältnisse sind für die Störereigenschaft nicht entscheidend. Der Umstand, dass weder Geschädigter noch Schädigerin Grundstückseigentümer sind, steht daher einem nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch prinzipiell nicht entgegen (vgl. BGH, NJW 2004, S. 775 f. jeweils m.w.N. zu den angesprochenen Analogien).

Eine planwidrige Regelungslücke und eine vergleichbare Interessenlage verneint der Bundesgerichtshof dagegen in denjenigen Fällen, in denen Geschädigter und Schädiger Mieter von Wohnungen innerhalb ein und desselben Grundstückseigentums sind (vgl. BGH, a.a.O., S. 776)

Vor dem Hintergrund dieser höchstrichterlichen Rechtsprechung hat das Oberlandesgericht Stuttgart für das Verhältnis von Wohnungseigentümern untereinander sowohl eine planwidrige Regelungslücke als auch eine vergleichbare Interessenlage bejaht und § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog angewendet (vgl. OLG Stuttgart, NJW 2006, S. 1744).

b) Das erkennende Gericht schließt sich der dargestellten Rechtsprechung an. Wendet man die den Entscheidungen zu entnehmenden abstrakten Rechtsätze auf den vorliegenden Fall an, gelangt man zu einer Haftung der Beklagten analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB.

Im Einzelnen gilt Folgendes:

aa) Die dem Umfang nach streitigen Schäden beruhen auf einer Grobimmission, nämlich einem Wasseraus- bzw- -eintritt von den Räumen der Beklagten in die Räume des Versicherungsnehmers der Klägerin.

bb) Der geschädigte Versicherungsnehmer der Klägerin war zwar nicht Eigentümer der geschädigten Räume, aber kraft Mietvertrages deren berechtigter Besitzer. Deshalb ist er ebenfalls geschützt.

cc) Die schädigende Beklagte war zwar ebenfalls nicht Eigentümerin derjenigen Räume, von denen die Schädigung durch Grobimmission ausging, aber kraft Mietvertrages und Untermietvertrages deren berechtigte Besitzerin. Sie kommt daher als Anspruchsverpflichtete in Betracht.

dd) Es geht hier nicht um das Verhältnis mehrerer Mieter innerhalb ein und desselben Grundstückseigentums, sondern um Mieter zwar innerhalb ein und desselben Grundstücks, aber unterschiedlicher Sondereigentumsbereiche, also um eine von einem Grundstückseigentum ausgehende Einwirkungen auf ein anderes Grundstückseigentum.

Solche Einwirkungen unterliegen nach der Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart grundsätzlich der analogen Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB, und auf die bloße Besitzerstellung von Geschädigtem und Schädigerin kann es nach der dargestellten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ankommen.

c) Soweit das Landgericht Konstanz mit einer Entscheidung vom 9. Juli 2009 eine analoge Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB auf Konstellationen Mieter-Mieter innerhalb von Wohnungseigentumsgemeinschaften unabhängig vom Vorliegen verschiedener Sondereigentumsbereiche abgelehnt hat (vgl. LG Konstanz, NJW-RR 2009, S. 1670), vermag sich das erkennende Gericht dem mit Blick auf die dargestellte höchstrichterliche Rechtsprechung einerseits und auf die Entscheidung des Oberlandesgerichts Stuttgart andererseits nicht anzuschließen. Insbesondere hat seitens des Landgerichts Konstanz der Wortlaut der Ausführungen des Bundesgerichtshofs – “ … Grundstückseigentums … “ – nicht hinreichend Beachtung gefunden.

2. Nebenforderungen (Anwaltskosten und Zinsen) ergeben sich dem Grunde nach aus Verzug gemäß § 280 Abs. 1 und 2, § 286, § 288 Abs. 1 und 4 BGB.

II. Die Voraussetzungen für ein Grundurteil gemäß § 304 Abs. 1 ZPO liegen hier schließlich ebenfalls vor. Insbesondere ist die hauptsächlich geltend gemachte Klageforderung sowohl dem Grunde als auch dem Betrage nach streitig. Das Gericht macht von seinem Ermessen im Sinne des Erlasses eines Grundurteils Gebrauch, um mit der oben erörterten Rechtsfrage zugleich die Notwendigkeit einer Beweiserhebung über ein Verschulden der Beklagten einer Klärung zuzuführen.

III. Prozessualen Nebenentscheidungen kommen mangels Entscheidung über Obsiegen und Unterliegen sowie mangels vollstreckbaren Inhalts nicht in Betracht.

Streitwert: 165.889,76 EUR.

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