Hessisches Landessozialgericht
Az.: L 2 R 220/06
Urteil vom 13.12.2006
Vorinstanz: Sozialgericht Frankfurt, Az.: S 13/17 RA 4017/03, Urteil vom 11.05.2006
Entscheidung:
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Mai 2006 wird zurückgewiesen.
Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch der Klägerin auf Gewährung von Witwenrente.
Die 1961 geborene Klägerin hat den 1954 geborenen Versicherten AS. A. am 19. April 2002 geheiratet. Der Versicherte ist am 19. Mai 2002 verstorben. Nach einer von der Klägerin nachgereichten Bescheinigung des Arztes für Allgemeinmedizin Dr. M. vom 5. November 2002 war im März 2002 noch nicht mit einem letalen Ausgang der Erkrankung des Versicherten zu rechnen. Das Amtsgericht Frankfurt am Main, Insolvenzgericht, eröffnete am 28. Mai 2003 das Insolvenzverfahren über den überschuldeten Nachlass des Versicherten, dessen Firma von der Nachlasspflegerin aufgelöst worden war. Im Konto des Versicherten bei der Beklagten sind Beiträge von Januar 1973 bis Juli 1989 gespeichert (Versicherungsverlauf vom 17. Juni 2002).
Im Versicherungsverlauf der Klägerin vom 27. Juni 2005 sind zuletzt für die Zeit vom 1. Januar 2002 bis 1. Juli 2002 Pflichtbeiträge für 7 Monate bei einem Entgelt von 8.103,00 DM enthalten; die Klägerin war als Büroangestellte versicherungspflichtig beschäftigt. Seit 1. September 2003 wurde ihr eine befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung in Höhe von 717,80 EUR gezahlt.
Am 24. Juni 2002 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung von Witwenrente nach § 46 Sozialgesetzbuch (SGB) VI. Dazu gab sie an, mit dem Versicherten habe sie über 19 Jahren in häuslicher Gemeinschaft zusammengelebt und man habe sich schon länger heiraten wollen; sie habe die Ehe mit dem Versicherten nicht wegen einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen. Der Tod des Versicherten sei nicht auf absehbare Zeit zu erwarten gewesen. Dazu übersandte sie eine ärztliche Bescheinigung des Dr. M. vom 5. November 2002. Mit Bescheid vom 8. Dezember 2002 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab. Nach § 46 Abs. 2a i.V.m. § 242a Abs. 3 SGB VI sei bei Ehen, die nach dem 31. Dezember 2001 geschlossen worden seien, ein Anspruch auf Witwenrente bzw. Witwerrente ausgeschlossen, wenn eine sogenannte Versorgungsehe vorgelegen habe. Das Vorliegen einer Versorgungsehe werde stets dann unterstellt, wenn der Ehegatte innerhalb eines Jahres nach der Eheschließung verstorben sei. Diese Unterstellung könne im Einzelfall widerlegt werden, wenn die besonderen Umstände gegen die gesetzliche Vermutung sprächen. Solche Gründe habe die Klägerin im Rentenverfahren aber nicht dargelegt. Die Klägerin erhob Widerspruch. Sie wiederholte, sie habe mit dem Versicherten über 19 Jahre zusammengelebt und es habe die Absicht bestanden, schon vor einigen Jahren die Ehe einzugehen, was auch von Zeugen bestätigt werden könne. Sie habe eigene Vorsorge getroffen. Sie sei in der gesamten gemeinsamen Lebenszeit berufstätig gewesen und habe eigene Rentenansprüche erworben. In ihrem Fall sei deshalb nicht von einer Versorgungsehe auszugehen (Hinweis auf Ricke in Kasseler Kommentar § 65 SGB VI RdNr. 17). Die Beklagte fragte bei ihrer Grundsatzabteilung an und bat anschließend die Klägerin um Vorlage weiterer Nachweise als Beleg dafür, dass die Heiratsabsicht bereits zu einem Zeitpunkt bestanden habe, zu dem der Tod des Versicherten noch nicht absehbar gewesen sei. Die bisherigen Nachweise seien nicht ausreichend. Insbesondere stehe das Einverständnis der Klägerin zur Einholung eines Befundberichts und zur Beiziehung medizinischer Unterlagen über den Versicherten aus, was nach den Beweislastgrundsätzen zulasten der Klägerin gehe. Die Klägerin äußerte ihr Unverständnis (Schreiben vom 9. August 2003). Mit Bescheid vom 20. Oktober 2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Die Klägerin habe weder im Rentenverfahren noch im Widerspruchsverfahren Nachweise vorgelegt, die gegen das Vorliegen einer Versorgungsehe sprächen. Die Klägerin erhob dagegen am 10. November 2003 beim Sozialgericht Frankfurt am Main Klage. Es sei richtig, dass sie ihren Ehemann erst einen Monat vor seinem Ableben geheiratet habe, trotzdem habe keine Versorgungsehe bestanden. Der Entschluss zur Heirat habe nicht auf einer kurzfristigen Entscheidung beruht, sondern habe schon vor der Erkrankung ihres Mannes bestanden, was durch das Zeugnis von Freunden bestätigt werden könne. Grundlegendes Motiv sei tiefe Zuneigung und gewachsene Vertrautheit in 19 Jahren Zusammenleben gewesen. Der konkrete Zeitpunkt der Eheschließung sei durch die Überlegung bestimmt gewesen, dass sie als Ehefrau bei intensivmedizinischen Entscheidungen wirkungsvoller hätte mitbestimmen können, wenn sich die sprachliche Mitteilungsfähigkeit ihres Ehemannes krankheitsbedingt verschlechtert hätte. Außerdem hätte sie in einer Intensivstation als Ehefrau erleichterter Besucherzutritt gehabt. Der Gedanke an eine Versorgung durch eine Hinterbliebenenrente habe überhaupt keinen Raum eingenommen, zumal sie durch ihre Berufstätigkeit und den Erwerb eigener Rentenansprüche genügend abgesichert sei. Die Beklagte hielt die Argumentation der Klägerin für nicht geeignet, die Vermutung der Versorgungsehe zu widerlegen. Auf Anfrage des Sozialgerichts teilte die Beklagte mit, die Klägerin beziehe seit 1. September 2003 eine bis zum 30. Juni 2006 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung von monatlich 717,80 EUR; die Beklagte übersandte einen Versicherungsverlauf vom 27. Juni 2005. Durch Urteil vom 11. Mai 2006 wies das Sozialgericht die Klage ab. Die Beklagte sei nicht verpflichtet, der Klägerin Witwenrente nach dem verstorbenen Versicherten zu gewähren. Zur Begründung verwies das Sozialgericht auf die angefochtenen Bescheide der Beklagten und führte ergänzend aus, nach dem dem Gericht bekannten Sachverhalt werde die vom Gesetz vermutete Versorgungsabsicht bei Eheschließung durch objektive Umstände nicht widerlegt. Ein Hinweis, dass – entgegen den ursprünglichen Angaben der Klägerin im Verwaltungsverfahren – das Ableben bei Eheschließung in absehbarer Zeit zu erwarten gewesen sei, ergebe sich aus ihrem Vortrag im Gerichtsverfahren. Danach sollte durch die Eheschließung gewährleistet werden, dass der Ehemann bei intensivmedizinischer Behandlung durch sie besser betreut werden könne und sie besseren Zugang zu ihm haben solle. Weiteres habe das Gericht nicht feststellen können, da die Klägerin keine Schweigepflichtsentbindung zur Anforderung ärztlicher Unterlagen über den Verstorbenen abgegeben habe. Die Klägerin treffe insoweit die Feststellungslast. Auch die finanzielle Situation spreche nicht gegen eine Eheschließung aus Versorgungsgründen. Bei ihrem Erwerbseinkommen zur Zeit der Eheschließung von monatlich etwa 1.350,- EUR und einer Erwerbsminderungsrente in Höhe von etwa 717,- EUR sei nicht anzunehmen, dass eine Witwenrente mangels Anrechnung von Einkommen nicht gezahlt würde und somit finanziell keine Bedeutung hätte. Die Klägerin sei nach Mitteilung ihres Prozessbevollmächtigten auch Alleinerbin nach dem Versicherten und zum Nachlass habe das hälftige Eigentum an einer Eigentumswohnung gehört, dessen andere Hälfte im Eigentum der Klägerin gestanden habe. Auch von daher sei es aus dem Versorgungsgedanken heraus geboten gewesen, der Klägerin die andere Hälfte durch Eheschließung als Erbin zukommen zu lassen. Gegen das ihr am 19. Juni 2006 zugestellte Urteil richtet sich die von der Klägerin am 19. Juli 2006 eingelegte Berufung, mit der sie ihren Anspruch auf Witwenrente weiterverfolgt.
Die Klägerin beantragt (sinngemäß), das Urteil des Sozialgerichts Frankfurt am Main vom 11. Mai 2006 und den Bescheid den Beklagten vom 8. November 2002 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Oktober 2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen AS. A. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt (sinngemäß), die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verteidigt das nach ihrer Ansicht überzeugende sozialgerichtliche Urteil.
Der Senat hat die Klägerin gebeten, die Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, die den Versicherten vor seinem Tode behandelt haben. Dafür wurde Frist bis 30. November 2006 gesetzt, damit ermittelt werden könne und es zu keinem Erlass eines Gerichtsbescheids komme. Auch hinsichtlich einer Entscheidung des Senats durch Gerichtsbescheid wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis 30. November 2006 gewährt, ohne dass die Klägerin reagiert hat.
Zur Ergänzung des Tatbestandes und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichts- und Beklagtenakten, die vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Das Urteil des Sozialgerichts ist rechtmäßig. Die Beklagte hat mit den angefochtenen Bescheiden die Gewährung einer Witwenrente aus der Versicherung des verstorbenen Versicherten AS. A. zu Recht abgelehnt, weil die Ehe des Versicherten mit der Klägerin nicht mindestens ein Jahr gedauert hat und die gesetzliche Vermutung des Vorliegens einer Versorgungsehe nicht widerlegt worden ist. Nach § 46 Abs. 1 und 2 SGB VI haben Witwen, die nicht wieder geheiratet haben, nach dem Tod des versicherten Ehegatten Anspruch auf eine kleine oder große Witwenrente. Der Rentenanspruch ist nach § 46 Abs. 2 a SGB VI ausgeschlossen, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Mit dieser Regelung wird bei kurzer Ehedauer die gesetzliche Vermutung aufgestellt, dass die Heirat der Versorgung des überlebenden Ehegatten diente, es sich also um eine sogenannte Versorgungsehe gehandelt hat. Ähnliche Vorschriften finden sich für den Bereich der Unfallversicherung in § 65 SGB VII, des Bundesversorgungsgesetzes in § 38 Abs. 2 BVG und der Beamtenversorgung in § 19 Abs. 2 BeamtVG. Bei einer Ehedauer von weniger als einem Jahr geht der Gesetzgeber davon aus, dass der überlebende Ehegatte sich von seinen wirtschaftlichen Verhältnissen vor der Eheschließung in der Regel noch nicht so weit entfernt hat, dass er sie nach dem Tode des anderen Ehegatten fortsetzen, wieder aufnehmen oder sich eine selbstständige Lebensführung neu erarbeiten kann. Vorliegend hat die Ehe der Klägerin mit dem Versicherten nur einen Monat gedauert. Die aufgrund der kurzen Dauer der Ehe vom Gesetzgeber vermutete Versorgungsabsicht kann aber durch besondere Umstände widerlegt werden, dass bei der Gesamtabwägung aller Umstände der Versorgungszweck nicht ausschließliches oder überwiegendes Motiv für die Eheschließung war. Dabei unterliegt der unbestimmte Rechtsbegriff „besondere Umstände“ der vollen richterlichen Kontrolle. Von einer Ermessensentscheidung der Verwaltung, die vom Dezernat der Beklagten zu treffen ist (- so aber das Schreiben der Grundsatzabteilung der Beklagten vom 10. Juni 2003 -) kann keine Rede sein. Als besondere Umstände im Sinne des § 46 Abs. 2a SGB VI sind solche anzunehmen, die über die gesetzliche Vermutung hinaus einen Schluss auf den Zwecke der Heirat zulassen und bei typisierender Betrachtung auf ein nicht von einer Versorgungsabsicht geprägte Motivlage hindeuten. Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i.V.m. § 292 ZPO den vollen Beweis des Gegenteils. Anknüpfend an die bereits vorliegende Rechtsprechung im Unfallversicherungsrecht und der Kriegsopferversorgung ist ein plötzlicher und unvorhersehbarer Tod, etwa im Zusammenhang mit einem Unfall, einer Krankheit oder einem Verbrechen, in aller Regel ein besonderer Umstand zur Widerlegung der gesetzlichen Vermutung. In diese Richtung zielt auch der Vortrag der Klägerin, der durch das vorgelegte Attest des Dr. M. vom 5. November 2002 gestützt wird, dass im März 2002 noch nicht mit einem letalen Ausgang der Erkrankung des Versicherten zu rechnen war. Diese ärztliche Aussage ist aber ohne weitere Informationen zur Art der Erkrankung und zur Ursache des Todes des Versicherten im Mai 2002 nicht nachvollziehbar und nicht ausreichend, zumal von der Klägerin in ihrer Klagebegründung vom 30. Januar 2004 Entscheidungen über intensivmedizinische Behandlung über den Versicherten angesprochen wurden (Beatmung, künstliche Ernährung, Verschlechterung der sprachlichen Mitteilungsfähigkeit). Da die Klägerin sich nicht bereit gefunden hat, die behandelnden Ärzte des Versicherten von der Schweigepflicht zu entbinden, hat der Senat keine Möglichkeit, das rückwirkend ausgestellte ärztliche Attest anhand der zu Grunde liegenden Befunde zu überprüfen. Dabei geht der Senat davon aus, dass der Klägerin als Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten nach § 56 SGB I die entsprechende Befugnis zusteht, die geforderte Erklärung abzugeben. Auf diesem Hintergrund in Zusammenhang mit der gesetzlichen Vermutung kann der Hinweis der Klägerin über ein mehr als 19-jähriges Zusammenleben mit dem Versicherten vor Eheschließung nicht als „besonderer Umstand“ zur Widerlegung einer Versorgungsehe angesehen werden. Dabei ergibt sich zwar ein Widerspruch zu der Bewertung der nichtehelichen Lebensgemeinschaft im Rahmen der Vorschriften des SGB II und SGB XII. Die Dauer einer vorehelichen Lebensgemeinschaft kann aber im Rahmen der Prüfung nur ein Argument sowohl für das Vorliegen einer Versorgungsehe sein, aber auch gegen die Versorgungsehe sprechen (Winter, „Zu spät geheiratet?“, RV 2/2006 S. 21; SG Lübeck, Urteil vom 26. Januar 2006 mit Hinweis auf die divergierende Rechtsprechung). Es ist aber nicht die Aufgabe der Beklagten oder des Gerichts Ermittlungen im privaten Bereich zu Erforschung der Motive und persönlichen Gedanken anzustellen, sondern es muss sich auf die nach außen tretenden Tatsachen beschränken und diese bewerten (Die „Versorgungsehe“ nach § 46 Abs. 2a SGB VI, in Informationen der DRV in Bayern, 6/2006 S. 257, 259). Einem anhand nachprüfbarer tatsächlicher Verhältnisse zweifelsfreien Vorbringen der Klägerin kommt daher erhebliche Bedeutung zu. Für diese Prüfung ist vorliegend erforderlich, dass die Klägerin die Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, die den Versicherten zuletzt behandelt haben. Die durch die Klägerin zur Feststellung der gesundheitlichen Verhältnisse des Versicherten im letzten Jahr vor seinem Tode eingeschränkten Ermittlungsmöglichkeiten, die den Eindruck einer Nothochzeit eines todkranken Mannes nicht ausräumen, belassen vorliegend so erhebliche Zweifel, dass dadurch die anderen von der Klägerin aufgeführten Motive, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, überlagert werden. Die Rechtsvermutung einer Versorgungsehe ist deshalb nicht widerlegt. Hinzu kommt die vom Sozialgericht zutreffend erwähnte Tatsache, dass das Erwerbseinkommen der Klägerin zur Zeit der Eheschließung und die ihr seit September 2003 gezahlte Rente nicht so hoch waren, dass einer Hinterbliebenenrente keine oder nur eine geringe wirtschaftliche Bedeutung zuzumessen wäre.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision nicht zugelassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG fehlt.