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Parkplatzunfall – Haftungsverteilung – Anscheinsbeweis beim Rückwärtsfahren

Rückwärtsparken auf Parkplätzen: Wer haftet bei Unfällen?

In einem Fall von Parkplatzunfall wurde das Urteil des Landgerichts Kiel teilweise geändert. Der Kläger erhält eine höhere Schadensersatzzahlung. Beide Parteien tragen Teilschuld: der Kläger wegen unsachgemäßen Parkens, die Beklagte wegen rückwärts Ausfahrens ohne ausreichende Sicht. Die Berechnung des Schadensersatzes basiert auf einem Gutachten und schließt Reparaturkosten, Wertminderung und Nutzungsausfall ein.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 139/20   >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Änderung des Landgerichtsurteils: Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein ändert das Urteil des Landgerichts teilweise ab.
  2. Teilschuld beider Parteien: Der Kläger trägt 10% Mitschuld wegen unsachgemäßen Parkens, während die Beklagte für rückwärts Ausfahren ohne Sicht hauptverantwortlich ist.
  3. Schadensberechnung: Der Schadensersatz wird auf Basis eines Gutachtens berechnet.
  4. Erhöhter Schadensersatz für den Kläger: Der Kläger erhält mehr Schadensersatz als im ersten Urteil festgelegt.
  5. Komponenten des Schadensersatzes: Schadensersatz umfasst Reparaturkosten, Wertminderung und Nutzungsausfall.
  6. Fiktive Abrechnung der Reparaturkosten: Der Kläger darf Reparaturkosten fiktiv, basierend auf dem Gutachten, abrechnen.
  7. Verteilung der Gerichtskosten: Die Kosten des Rechtsstreits werden zwischen Kläger und Beklagter aufgeteilt.
  8. Vorläufige Vollstreckbarkeit: Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Parkplatzunfälle und Haftungsverteilung

Parkplatzunfälle sind ein häufiges Problem im Straßenverkehr. Die Haftungsverteilung bei diesen Unfällen kann komplex sein, insbesondere wenn es um das Rückwärtsfahren geht. In solchen Fällen kommt der Anscheinsbeweis ins Spiel. Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat kürzlich ein Urteil zu diesem Thema gefällt.

Im Folgenden werden wir uns mit den Details dieses Urteils befassen und die Haftungsverteilung bei Parkplatzunfällen genauer betrachten.

Der Parkplatzunfall am Marinestützpunkt: Ein komplexes Haftungsgeflecht

Am 21. Juni 2018 ereignete sich auf dem Gelände des Marinestützpunkts ein Parkplatzunfall, der zu einer rechtlichen Auseinandersetzung führte. Der Kläger, Fahrer eines Ford Galaxy, parkte sein Fahrzeug, um einen Beamer abzuholen, als ein Mercedes Wolf Geländewagen der Beklagten rückwärts ausparkte und mit dem Ford kollidierte. Dieser Vorfall zog eine komplexe Haftungsfrage nach sich, die das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein zu klären hatte.

Gutachten und Schadensforderung: Der Weg durch die Instanzen

Der Kläger bezifferte seine Schäden auf Basis eines Gutachtens mit Reparaturkosten, Wertminderung, Gutachterkosten, Nutzungsausfall und einer Auslagenpauschale. Die Beklagte erkannte einen Teil der Forderungen an und zahlte einen entsprechenden Betrag. Der Kläger forderte jedoch einen höheren Betrag und zog vor Gericht. Das Landgericht Kiel sprach dem Kläger nur einen Teil des geforderten Schadensersatzes zu, was zur Berufung des Klägers beim Oberlandesgericht Schleswig-Holstein führte.

Rückwärtsfahren und Haftungsabwägung: Die juristische Beurteilung

Das Gericht musste eine sorgfältige Haftungsabwägung vornehmen. Dabei spielte der § 17 Absatz 1 StVG eine entscheidende Rolle, der die Verursachungs- und Verschuldensanteile bei einem Verkehrsunfall regelt. Das Gericht bestätigte, dass der Kläger durch das unsachgemäße Parken eine Mitschuld von 10 % trug. Die Beklagte wurde aufgrund des rückwärts Ausfahrens ohne ausreichende Sicht als hauptverantwortlich für den Unfall angesehen.

Entscheidung des Oberlandesgerichts: Neubewertung der Schadensersatzansprüche

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein korrigierte das Urteil des Landgerichts und erkannte dem Kläger einen höheren Schadensbetrag zu. Es wurde entschieden, dass der Kläger das Recht hatte, seine Schadensansprüche fiktiv auf der Basis des eingeholten Gutachtens geltend zu machen, was eine Neubewertung der Reparaturkosten, des merkantilen Minderwerts und des Nutzungsausfalls beinhaltete. Insgesamt wurde die Beklagte zur Zahlung eines höheren Betrags verurteilt, wobei auch die vorgerichtlichen Anwaltskosten berücksichtigt wurden.

In diesem Urteil spiegelt sich die Komplexität des Verkehrsrechts und die Bedeutung einer sorgfältigen juristischen Prüfung wider. Es unterstreicht die Wichtigkeit, bei Verkehrsunfällen die Haftungsverteilung genau zu betrachten und zeigt, dass die Umstände des Einzelfalls entscheidend sind. Dieses Urteil dient als anschauliches Beispiel für die rechtlichen Herausforderungen, die sich bei Parkplatzunfällen und der Haftungsverteilung ergeben können.

Wichtige Fragen und Zusammenhänge kurz erklärt


Was beinhaltet die Haftungsverteilung bei einem Parkplatzunfall und wie wird sie bestimmt?

Die Haftungsverteilung bei einem Parkplatzunfall wird nach den Abwägungsgrundsätzen des § 17 StVG bestimmt. Hierbei werden die jeweiligen Umstände des Einzelfalls, wie etwa die Verkehrsverhältnisse am Unfalltag, berücksichtigt. Es gibt keine pauschale Regelung, da jeder Unfall einzigartig ist und verschiedene Faktoren eine Rolle spielen können.

Auf Parkplätzen gilt grundsätzlich das Gebot der gegenseitigen Rücksichtnahme gemäß §§ 1 Abs. 2 StVO und die besonderen Sorgfaltsanforderungen des § 9 Abs. 5 StVO, also des Ausschlusses der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer beim Rückwärtsfahren, finden mittelbar Anwendung. Jeder Kraftfahrer hat auf öffentlichen Parkplätzen besonders hohe Sorgfalt walten zu lassen.

Es ist auch zu beachten, dass die Vorfahrtsregel auf einem Parkplatzgelände nicht immer eindeutig ist und von den örtlichen Gegebenheiten abhängt. Daher empfiehlt es sich, besonders vorsichtig zu fahren und bei Unsicherheiten die Vorfahrt zu gewähren.

In einigen Fällen kann es zu einer Haftungsverteilung von 50:50 kommen, zum Beispiel wenn beide Fahrzeuge rückwärts ausparken und es zu einer Kollision kommt. In anderen Fällen kann das Gericht entscheiden, dass eine Partei einen größeren Anteil der Haftung trägt, basierend auf den spezifischen Umständen des Unfalls.

Es ist wichtig, dass im Falle eines Unfalls alle relevanten Informationen gesammelt und dokumentiert werden, um eine genaue Bestimmung der Haftungsverteilung zu ermöglichen.

In welchen Fällen kommt der Anscheinsbeweis beim Rückwärtsfahren zur Anwendung?

Der Anscheinsbeweis beim Rückwärtsfahren kommt zur Anwendung, wenn ein Unfall in einem engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren eines Fahrzeugs steht. Dieser Beweis spricht grundsätzlich dafür, dass der Rückwärtsfahrende seiner Sorgfaltspflicht nicht nachgekommen ist und den Unfall (mit)verursacht hat.

Die erforderliche Typizität des Geschehensablaufs für die Anwendung des Anscheinsbeweises liegt jedoch nicht vor, wenn beim rückwärtigen Ausparken von zwei Fahrzeugen aus Parkbuchten eines Parkplatzes nicht ausgeschlossen werden kann, dass eines der Fahrzeuge zum Kollisionszeitpunkt bereits stand, als das andere rückwärtsfahrende Fahrzeug in dieses hineingefahren ist.

Ein rückwärts Ausparkender muss den Anscheinsbeweis erschüttern, indem er beweist, dass er bereits solange auf der bevorrechtigten Fahrbahn stand, dass sich der fließende Verkehr auf ihn einstellen konnte, oder dass er sich so weit von der Stelle entfernt hatte, dass der fließende Verkehr mit ihm rechnen musste.

Zusammenfassend spricht der Anscheinsbeweis gegen den Rückwärtsfahrenden, wenn es zu einem Unfall im Zusammenhang mit dem Rückwärtsfahren kommt, es sei denn, es gibt konkrete Anhaltspunkte, die darauf hindeuten, dass das rückwärtsfahrende Fahrzeug zum Zeitpunkt der Kollision bereits stand oder andere besondere Umstände vorliegen, die den typischen Geschehensablauf ausschließen.

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Welche Rolle spielt das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO bei der Beurteilung eines Verkehrsunfalls?

Das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO spielt eine entscheidende Rolle bei der Beurteilung eines Verkehrsunfalls. Es besagt, dass sich jeder Verkehrsteilnehmer so verhalten muss, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr als nach den Umständen unvermeidbar behindert oder belästigt wird. Dieses Gebot gilt für alle Verkehrsteilnehmer, unabhängig davon, ob sie zu Fuß, mit dem Fahrrad oder mit einem Fahrzeug unterwegs sind.

Auf einem allgemein zugänglichen Parkplatzgelände gilt für jeden Fahrzeugführer das Gebot der allgemeinen Rücksichtnahme. Wegen der auf einem Parkplatz ständig zu erwartenden Ein- und Ausparkvorgänge obliegen jedem Kraftfahrer dabei erhöhte Sorgfalts- und Rücksichtspflichten.

In bestimmten Situationen, wie bei einer Fahrbahnverengung, ist die Haftungsverteilung maßgeblich auf der Grundlage des allgemeinen Rücksichtnahmegebots aus § 1 StVO zu bestimmen.

Bei Verstößen gegen das Rücksichtnahmegebot kann es zu einer Haftungsverteilung kommen. Beispielsweise kann ein Fahrer, der mit unangemessen hoher Geschwindigkeit fährt und dadurch einen Unfall provoziert, gegen das Rücksichtnahmegebot verstoßen haben.

Auch bei einem Unfall auf einem Privatgelände, auf dem die Regeln der StVO nur entsprechend Anwendung finden, ist das allgemeine Rücksichtnahmegebot gem. § 1 II StVO als Sorgfaltsmaßstab zugrunde zu legen.

Der Bundesgerichtshof geht grundsätzlich davon aus, dass allein die Vorschrift des allgemeinen Rücksichtnahmegebotes nach § 1 Abs. 2 StVO anzuwenden ist.

Daher ist das allgemeine Rücksichtnahmegebot ein zentraler Aspekt bei der Beurteilung von Verkehrsunfällen und kann erheblichen Einfluss auf die Haftungsverteilung haben.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 139/20 – Urteil vom 30.03.2022

Auf die Berufung des Klägers wird das am 17. Juli 2020 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des Landgerichts Kiel unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 979,65 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29. September 2018 sowie vorgerichtliche Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 571,44 € zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits im ersten Rechtszug tragen der Kläger 42 % und die Beklagte 58 %. Von den Kosten der Berufung tragen der Kläger 44 % und die Beklagte 56 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger macht restliche Ansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, welcher sich am 21. Juni 2018 in X ereignete.

Der Kläger stellte sein Fahrzeug (einen Ford Galaxy) vor dem Gebäude 11 auf dem militärischen Gelände des Marinestützpunkts Y ab, um einen Beamer abzuholen. Dort stand bereits ein Dienstfahrzeug der Beklagten, der Mercedes Wolf Geländewagen. Hinsichtlich der jeweiligen Position der kollisionsbeteiligten Fahrzeuge zueinander wird auf den Auszug aus der Ermittlungsakte des Feldjägerkommandos X Bezug genommen (vgl. Anlage K4, Bl. 4-6 d.A.). Als der Fahrer des Beklagtenfahrzeug rückwärtig ausparkte, kollidierte er mit dem Fahrzeug des Klägers, wodurch das klägerische Fahrzeug an der linken hinteren Fahrzeugseite beschädigt wurde.

Auf Basis des vom Kläger eingeholten Gutachtens (Sachverständigenbüro Z GmbH, Anlage K2, Bl. 7 ff.) bezifferte der Kläger seine Schäden im Einzelnen wie folgt:

  • Reparaturkosten netto 4.545,26 EUR
  • Wertminderung 350,00 EUR
  • Gutachterkosten 857,16 EUR
  • Nutzungsausfallschaden 900,00 EUR (18 Tage je 25,00 EUR/Tag)
  • Auslagenpauschale 25,00 EUR.

Die Beklagte beglich gegenüber dem Kläger für die Positionen Fahrzeugschaden, Wertminderung, Nutzungsausfall und Nebenkostenpauschale unter Anerkennung einer Quote von 75 % einen Betrag i.H.v. insgesamt 4.365,20 Euro (vgl. Abrechnungsschreiben vom 8. August 2018, Anlage K4, Bl. 17 d. A.). Von den Kosten des Gutachters beglich die Beklagte 625,32 €.

Die Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.686,90 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 29.09.2018 zu zahlen,

2. Die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 650,34 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat nach Beweisaufnahme (Sachverständigengutachten) der Klage nur zu einem geringen Teil stattgegeben. Die Beklagte hafte für die Unfallfolgen zu 90 %, der Kläger trage aber einen Mithaftungsanteil von 10 %, denn er habe mit dem Abstellen seines Fahrzeugs gegen das allgemeine Rücksichtnahmegebot aus § 1 Abs. 2 StVO verstoßen. Dem Kläger verbleibe aber in Ansehung des von der Beklagten bereits gezahlten Betrags nur ein restlicher Schaden in Höhe von 90,39 €. Der ersatzfähige Schaden am Fahrzeug des Klägers betrage nur 3.199,47 € (90 % von 3.554,97 €). Da der Kläger den Schaden repariert habe, könne er nicht mehr fiktiv abrechnen. Da er zu den tatsächlichen Reparaturkosten nichts vorgetragen haben, seien sie im Wege des § 287 ZPO auf diesen Wert zu schätzen. Die Auslagenpauschale sei nur in Höhe von 20 € gerechtfertigt. Im übrigen hat das Landgericht die Schadensangaben des Klägers (unter Kürzung durch den Mithaftungsanteil) seiner Entscheidung zu Grunde gelegt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des erstinstanzlichen Sach- und Streitstandes sowie der tatsächlichen Feststellungen des Landgerichts wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Mit seiner Berufung verfolgt der Kläger seine Klagziele, soweit nicht erstinstanzlich bereits obsiegend, weiter.

Zur Begründung führt er im Wesentlichen aus, der Fahrer des Beklagtenfahrzeugs sei “blind” rückwärts gefahren, was eine vollständige Haftung der Beklagten rechtfertige. Hierfür spreche auch der geringe Abstand zwischen den beiden beteiligten Fahrzeugen. Er, der Kläger, könne auch auf fiktiver Basis abrechnen, da er sich zulässigerweise mit einer Teil-/Billigreparatur des Schadens zufrieden gegeben habe.

Die Beklagte tritt der Berufung entgegen.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung ist teilweise begründet. Die festgestellten Tatsachen rechtfertigen eine andere Entscheidung. Dem Kläger steht gegenüber der Beklagten der geltend gemachte Anspruch aus §§ 7, 17 Abs. 2, Abs. 1 StVG, §§ 839, 249 ff. BGB in Verbindung mit Art. 34 GG teilweise zu.

Zwar bleibt die Berufung erfolglos, soweit sie sich gegen die Haftungsabwägung des Landgerichts richtet. Allerdings steht dem Kläger ein höherer Schadensbetrag zu, als erstinstanzlich anerkannt.

1. Bei Abwägung der Verursachungsbeiträge verbleibt es für den Kläger bei einem Mithaftungsanteil von 10 %.

Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Haftungsabwägung gemäß § 17 Absatz 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Absatz 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BGH, NZV 1996, S. 231).

Die klägerische Haftung für die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs aus § 7 Abs. 1 StVG ist vorliegend nicht dadurch beseitigt, dass sein Fahrzeug parkend abgestellt war. Nach der Vorschrift ist der Halter verpflichtet, dem Verletzten den daraus entstehenden Schaden zu ersetzen, wenn bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs ein Mensch getötet, der Körper oder die Gesundheit eines Menschen verletzt oder eine Sache beschädigt wird. Das Haftungsmerkmal „bei dem Betrieb“ ist entsprechend dem umfassenden Schutzzweck der Norm weit auszulegen. Denn die verschuldensunabhängige Haftung ist der Preis dafür, dass durch die Verwendung eines Kraftfahrzeugs erlaubterweise eine Gefahrenquelle eröffnet wird. Ein Schaden ist demgemäß bereits dann „bei dem Betrieb“ eines Kraftfahrzeugs entstanden, wenn sich in ihm die von dem Kraftfahrzeug ausgehenden Gefahren ausgewirkt haben, wenn also im Rahmen einer wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kraftfahrzeug (mit)geprägt worden ist (vgl. BGH, Urt. v. 21.1.2014 -VI ZR 253/13, NZV 2014, 207).

Ein parkendes Fahrzeug ist hiernach noch „in Betrieb“, wenn es am Fahrbahnrand oder auf einem Seitenstreifen abgestellt wurde, jedenfalls dann wenn es – wie hier – verbotswidrig abgestellt wurde (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 27.10.1989 – 10 U 125/89, NZV 1990, 189; BeckOGK/Walter, 1.9.2019, StVG § 7 Rn. 94).

Hier hat es das Landgericht nach Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass der Kläger durch das Abstellen des Fahrzeugs gegen § 1 Abs. 2 StVO verstoßen hat. Dies findet die Billigung des Senats.

Der Kläger hat sein Fahrzeug im vorliegenden Fall so abgestellt, dass den dort bereits schräg rechtmäßig eingeparkten Fahrzeuge das Verlassen ihrer Parkplätze entweder unmöglich gemacht, oder jedenfalls erschwert wurde. Beides lässt sich mit den Sorgfaltsanforderungen des § 1 Abs. 2 StVO nicht vereinbaren. Letztlich räumt der Kläger seinen Verkehrsverstoß mittelbar mit der Berufung auch ein, wenn er für die Begründung seiner Rechtsauffassung auf eine Entscheidung rekurriert (Seite 3 – 4 der Berufungsbegründung), bei der einem Fahrzeugführer das Ausparken mangels Platzes nicht möglich ist.

Das Landgericht hat zutreffend zugleich einen überwiegenden Verursachungsanteil der Beklagten festgestellt. Trotz grober Fahrlässigkeit ihres Fahrzeugführers und der etwas höheren Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs ist dieser mit 90 % allerdings bereits ausreichend berücksichtigt.

2. Beim haftungsausfüllenden Tatbestand bedarf das angefochtene Urteil der Korrektur. Das Landgericht hat dem Kläger zu Unrecht die Abrechnung fiktiver Reparaturkosten auf der Basis des eingeholten Gutachtens versagt.

Der Geschädigte kann in Ausübung der Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB wählen, ob er fiktiv nach den Feststellungen eines Sachverständigen oder konkret nach den tatsächlich aufgewendeten Kosten abrechnen will. Bei fiktiver Abrechnung ist der Geschädigte auch nicht verpflichtet, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen (vgl. BGH, Urteil vom 24.1.2017 – VI ZR 146/16, NJW 2017, 1664).

Aus dem Urteil des Senats vom 17. November 2016 (Az. 7 U 20/16, BeckRS 2016, 116582), das wiederum auf das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. Dezember 2013 (Urteil vom 3.12.2013 – VI ZR 24/13, NJW 2014, 535, 536) Bezug nimmt, folgt nichts anderes. Denn beiden Entscheidungen liegen Sachverhalte zugrunde, in denen die Geschädigten selbst die Durchführung einer sach- und fachgerechten Reparatur vortragen. Die Verweisungsmöglichkeit auf die tatsächlich entstandenen Kosten einer Reparatur besteht nur dann, wenn die tatsächlich entstandenen Kosten wirklich in der Lage sind, die Berechtigung der sachverständig berechneten Kosten in Zweifel zu ziehen, oder zum Rückschluss berechtigen, der Geschädigte habe sich innerhalb der ihn nach § 254 Abs. 2 BGB treffenden Obliegenheiten einer günstigeren Reparaturmöglichkeit bedient (vgl. Geigel Haftpflichtprozess/Katzenstein, 28. Aufl. 2020 Rn. 47, Kap. 3 Rn. 47). Eine Beschränkung des Eigenreparierenden auf die ihm tatsächlich entstandenen Kosten kommt hingegen nicht in Betracht (so LG Saarbrücken Urt. v. 7.6.2019 – 13 S 50/19, BeckRS 2019, 12232 unter abgrenzender Bezugnahme auf die beiden vorgenannten Urteile).

Ein Fall der Durchführung einer sach- und fachgerechten Reparatur in einer Fachwerkstatt liegt hier nicht vor. Der Kläger behauptet schon nicht, dass er das Fahrzeug, wie im Gutachten vorgesehen, in einer Fachwerkstatt repariert habe. Er hat – im Gegenteil – vorgetragen, er habe das Fahrzeug selbst repariert, ein Ersatzteil (eine Tür) im Internet erstanden, diese sodann bei einem Lackierbetrieb lackieren und ausbeulen lassen und sei bei den Arbeiten durch einen Bekannten unterstützt worden. Dass das Fahrzeug in einer Fachwerkstatt gemäß Gutachten repariert wurde, wird von keiner Partei substantiiert vorgetragen. Hiernach liegt die notwendige Grundlage für die Möglichkeit, den Kläger auf die tatsächlichen Reparaturkosten zu verweisen, nicht vor. Der Kläger kann seinen Schaden gemäß Gutachten fiktiv abrechnen.

Einen Anlass, insoweit zwischen Fahrzeugteilen und Stundenhonorar zu unterscheiden, sieht der Senat nicht. Wenn einem Geschädigten die Möglichkeit zur fiktiven Schadensberechnung zusteht, dann kann er davon insgesamt Gebrauch machen. Die von der Beklagten gewünschte Differenzierung würde im Ergebnis dazu führen, dass der fiktiv abrechnende Geschädigte doch Rechenschaft darüber ablegen müssten, wie der dem Schaden behoben hat. Das widerspräche aber der vorzitierten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, die eine solche Verpflichtung ausdrücklich abgelehnt hat.

Dies ergibt vorliegend folgende Schadensberechnung:

Der Kläger kann 90 % der Nettoreparaturkosten gemäß Gutachten in Höhe von 4.545,26 € verlangen (folglich 4.090,72 €). Ihm steht ein Ersatz von 90 % des merkantilen Minderwerts in Höhe von 300 € zu (folglich 270 €). Den ungekürzten Nutzungsausfall hat das Landgericht mit 900 € angesetzt. Dies hat die Beklagte in der Berufungsinstanz nicht in Frage gestellt, folglich steht dem Kläger insoweit der Betrag von 810 € zu. Gutachterkosten und Auslagenpauschale kann der Kläger gemäß seiner Quote im Umfang von 789,44 € verlangen.

Insgesamt schuldet die Beklagte dem Kläger aufgrund des Unfalls somit 5.970,17 €. Da hierauf bereits 4.990,52 € gezahlt wurden, kann der Kläger noch 979,65 € verlangen. Hinsichtlich der vorgerichtlichen Anwaltskosten ergibt sich keine Änderung gegenüber dem angefochtenen Urteil, weil durch den höheren Anspruch kein Gebührensprung ausgelöst wird.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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