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Permanente Videoüberwachung des Nachbargrundstücks – Untersagung

LG Bonn – Az.: 8 S 72/19 – Urteil vom 26.11.2019

Auf die Berufung der Kläger wird das am 28.03.2019 verkündete Urteil des Amtsgerichts Siegburg (115 C 152/17) abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden verurteilt, es bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung fälligen Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 EUR ersatzweise Ordnungshaft bis zu 6 Monaten oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, im Wiederholungsfalle Ordnungshaft bis zu 2 Jahren, zu unterlassen, eine Videoüberwachung des Grundstücks der Kläger, Am N-Weg, ##### X, mittels der an ihrem Wohnhaus auf dem Grundstück Nweg #, ##### X, installierten Videokameras zu betreiben.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Mit der Klage begehren die Kläger die Unterlassung des Betriebs einer Videoüberwachung ihres Grundstücks mittels an dem Wohnhaus der Beklagten über dem Hauseingang, oberhalb des Eingangs zum Keller und auf der Terrasse installierter  Videokameras.

Die Parteien sind direkte Grundstücksnachbarn. Im Rahmen des Nachbarschaftsverhältnisses kam es wiederholt zu Auseinandersetzungen, wechselseitigen Strafanzeigen und Rechtsstreitigkeiten. Die Parteien haben wechselseitig Grundstücks- und Hausverbote ausgesprochen.

Das Amtsgericht hat die Klage mit dem angegriffenen Urteil vom 28.03.2019 abgewiesen. Nach Einholung eines Gutachtens des Sachverständigen B vom 25.10.2018 und einem Ergänzungsgutachten vom 18.01.2019 stehe fest, dass die streitgegenständlichen Kameras in der bei dem Ortstermin zu sehenden Ausrichtung ausschließlich das Grundstück der Beklagten und nicht das Grundstück der Kläger erfassen. Das Erfassen der privaten Flächen der Kläger sei zudem nur durch eine äußerlich wahrnehmbare technische Veränderung der Anlage möglich, da sich der Blickwinkel der Kameras auch von außen erkennbar verändere, indem der bewegliche Teil in seiner Position verändert wird. Vor diesem Hintergrund sei von einem jederzeit bestehenden Überwachungsdruck der Kläger nicht auszugehen.

Mit der Berufung machen die Kläger geltend, eine räumliche Nähe der Kläger zu allen drei während des Ortstermins vorhandenen, am Wohnhaus der Beklagten installierten Kameras liege nicht vor. Vor diesem Hintergrund sei das Amtsgericht fehlerhaft davon ausgegangen ist, dass sie einem Überwachungsdruck nicht ausgesetzt seien. Zudem habe sich das Amtsgericht zu Unrecht nicht mit der Frage auseinander gesetzt, wer die Kameraeinstellungen nach Rechtshängigkeit verändert hat.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen wird zunächst Bezug genommen auf das angefochtene Urteil (Bl. ### ff. d. A.). Im Übrigen wird von einer Darstellung des Sach- und Streitstandes gemäß den §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 S. 1 ZPO abgesehen.

II.

Permanente Videoüberwachung des Nachbargrundstücks - Untersagung
(Symbolfoto: Von sommthink/Shutterstock.com)

Die Berufung der Kläger ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg. Die von der Berufung erhobenen Einwendungen gegen das Urteil greifen durch.

Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Unterlassung des Betriebs einer Videoüberwachung ihres Grundstücks durch die Beklagten gemäß § 1004 Abs. 1 Satz 2 analog i.V.m. § 823 Abs. 1 BGB zu.

Eine Videoüberwachung greift in das allgemeine Persönlichkeitsrecht der Betroffenen in seiner Ausprägung als Recht auf informationelle Selbstbestimmung ein. Dieses Recht umfasst die Befugnis des Einzelnen, grundsätzlich selbst zu entscheiden, wann und innerhalb welcher Grenzen persönliche Lebenssachverhalte offenbart werden, und daher grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung persönlicher Daten zu bestimmen. Bei der Installation von Anlagen der Videoüberwachung auf einem Privatgrundstück muss deshalb sichergestellt sein, dass weder der angrenzende öffentliche Bereich noch benachbarte Privatgrundstücke oder der gemeinsame Zugang zu diesen von den Kameras erfasst werden, sofern nicht ein das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen überwiegendes Interesse des Betreibers der Anlage im Rahmen der Abwägung bejaht werden kann (vgl. BGH NJW 2010, 1533).

Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen B ist das Amtsgericht zu der Überzeugung gelangt, dass die Kameras zum Zeitpunkt der Besichtigung des Sachverständigen ausschließlich das Grundstück der Beklagten und nicht das Grundstück der Kläger erfassten. Hieran ist die Kammer nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden, da keine Umstände vorliegen, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit dieser Feststellungen zu begründen vermögen. Im Ergebnis ohne Erfolg wenden die Kläger in diesem Zusammenhang ein, das Amtsgericht sei zu Unrecht ihren Behauptungen, die Kameras hätten vor Rechtshängigkeit das klägerische Grundstück aufgenommen und es habe eine vierte Kamera gegeben, nicht durch weitere Sachverständigenbegutachtung nachgegangen. Denn es kann vorliegend letztlich dahinstehen, ob sich aus den in dem Sachverständigengutachten gegenübergestellten klägerseits eingereichten Lichtbildern mit den Lichtbildern zur Situation der Besichtigung (Bl. ### ff. d.A.), den Livebildern zum Zeitpunkt der Besichtigung (Bl. ### ff. d.A.) sowie der Örtlichkeit (Bl. ### d.A.) hinreichende Anhaltspunkte dafür ergeben, dass eine der drei Kameras vor Rechtshängigkeit so ausgerichtet war, dass sie das Grundstück der Kläger erfasste. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an.

Dies folgt daraus, dass auch bei der Ausrichtung von Überwachungskameras allein auf das eigene Grundstück des Grundstückseigentümers das Persönlichkeitsrecht Dritter beeinträchtigt sein kann. Dies ist dann der Fall, wenn Dritte eine Überwachung durch die Kameras objektiv ernsthaft befürchten müssen (sog. Überwachungsdruck). Eine solche Befürchtung ist dann gerechtfertigt, wenn sie aufgrund konkreter Umstände als nachvollziehbar und verständlich erscheint, etwa im Hinblick auf einen eskalierenden Nachbarstreit oder aufgrund objektiv Verdacht erregender Umstände. Liegen solche Umstände vor, kann das Persönlichkeitsrecht des (vermeintlich) Überwachten schon aufgrund der Verdachtssituation beeinträchtigt sein. Allein die hypothetische Möglichkeit einer Überwachung durch eine Videokamera beeinträchtigt das allgemeine Persönlichkeitsrecht derjenigen, die dadurch betroffen sein könnten, hingegen nicht. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des Einzelfalls (vgl. BGH NJW-RR 2012, 140; LG Hamburg, Urteil vom 18. Januar 2018 – 304 O 69/17 -, Rn. 21, juris). Schon das „Gefühl des Überwachtwerdens“ schränkt die freie Entfaltung der Persönlichkeit des Betroffenen massiv ein.

So ist es hier. Denn nach Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ist die Kammer davon überzeugt, dass die Kläger eine Überwachung durch die Beklagten derzeit objektiv ernsthaft befürchten müssen.

Zu dieser Überzeugung ist die Kammer zum einen gelangt, da nach den Feststellungen des Sachverständigen alle drei Kameras durch manuelles Verdrehen an der Kamera selbst ohne größeren Aufwand beweglich sind. Vor diesem Hintergrund geht die Kammer davon aus, dass eine Richtungsänderung des Blickwinkels der Kamera durch die Beklagten ohne weiteres dahingehend vorgenommen werden kann, dass (auch) das Grundstück der Kläger erfasst wird. Dabei verkennt die Kammer nicht, dass auf der Gegenüberstellung der Lichtbilder (Bl. ### ff. d.A.) zur Ausrichtung der jeweiligen Kamera vor und nach Rechtshängigkeit deutlich zu sehen ist, dass ein Verstellen der Ausrichtung der Kamera von außen erkennbar wäre. Allerdings ist es den Klägern nicht zuzumuten jederzeit darauf zu achten, ob der Aufnahmewinkel der Kamera verstellt wurde, was ihnen in Bezug auf die an der Terrasse installierte Kamera ohnehin nur schwerlich möglich wäre. Denn angesichts des Grundstücks- und Hausverbotes sind die Kläger nicht befugt, das Grundstück der Beklagten zu betreten.

Für einen entsprechenden Überwachungsdruck sprechen zum anderen verschiedene Aspekte dieses Nachbarschaftsverhältnisses. Zwar liegt eine objektiv ernsthafte Verdachtslage nicht bereits darin, dass die Parteien mehrere Rechtsstreitigkeiten führten und hierdurch ihr persönliches Verhältnis schwer belastet wird. Die Tatsache, dass benachbarte Parteien vor Gericht Rechtsstreitigkeiten austragen, rechtfertigt für sich genommen nicht die Befürchtung einer Partei, künftig in den Überwachungsbereich einer als Einbruchsschutz dienenden Videoanlage des Nachbarn einbezogen zu werden (BGH NJW-RR 2012, 140). Vorliegend kommt allerdings erschwerend hinzu, dass es schon mehrfach zu verbalen und schriftlichen Auseinandersetzungen sowie wechselseitigen Strafanzeigen gekommen ist und das Nachbarschaftsverhältnis wegen vielfältiger Umstände (Benutzung der gemeinsamen Zuwegung durch das Abstellen von Fahrzeugen, das Spielen der Kinder der Kläger) insgesamt sehr angespannt ist. Auch vor dem Hintergrund des gegenseitigen Vorwurfs im vorliegenden Rechtsstreit, die Ausrichtung der Kameras an dem Wohnhaus der Beklagten nach Rechtshängigkeit dieser Klage geändert zu haben, um im Prozess geeignete Beweismittel präsentieren zu können sowie des Eindrucks der Kammer in der mündlichen Verhandlung erscheint die Befürchtung der Kläger, die Beklagten würden versuchen, ihr Grundstück zu überwachen, objektiv nicht unbegründet.  Das gegenseitig erteilte Grundstücks- und Hausverbots verstärkt diesen Eindruck. Wer in einem sich über lange Zeit erstreckenden und massiv geführten Nachbarschaftsstreit der vorliegenden Art drei Videokameras anbringt, die wegen ihres Aufnahmewinkels und ihrer Reichweite unstreitig ohne weiteres die technische Möglichkeit zur permanenten Überwachung des Nachbargrundstücks bieten können, der begründet damit unter Berücksichtigung aller weiteren Umstände des Einzelfalles die konkret drohende Gefahr, die gegebenen technischen Möglichkeiten auch auszunutzen und so rechtswidrig in die Rechte des Nachbarn einzugreifen. Ein Nachbar – hier die Kläger – muss einen solchen Eingriff nicht abwarten und eine geschehene Verletzungshandlung beweisen, sondern kann von dem Verwender solcher Videoüberwachungskameras vorbeugend verlangen, die Überwachung seines Grundstücks zu unterlassen (vgl. OLG Köln, NJW 2009, 1827 ff.). Die Kammer erachtet es vor dem Hintergrund des zwischen den Parteien angespannten Verhältnisses als nicht fernliegen, dass die Beklagten die Kameras (auch) auf das Grundstück der Kläger richten. Angesichts des derzeitigen Zustands des Nachbarschaftsverhältnisses muss eine weitere Eskalation bzw. ein entsprechender Anlass dafür verhindert werden. Dieser konkreten Gefahr kann nur durch den begehrten Unterlassungstitel begegnet werden. Einen weitergehenden Antrag haben die Kläger nicht gestellt.

Ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Videoüberwachung ist im konkreten Fall schließlich nicht erkennbar. Dass die Beklagten ihr Eigentum vor Einbrüchen schützen wollen, stellt zwar durchaus ein legitimes Interesse dar. Vorliegend geht dieser Zweck aber mit einer unverhältnismäßigen Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger einher, wenn auch ihr Grundstück von den Kameras erfasst wird. Eine Beseitigung der Kameras bzw. die Untersagung einer Videoüberwachung allein des Grundstücks der Beklagten, begehren die Kläger mit der vorliegenden Klage nicht. Mithin steht es den Beklagten weiterhin frei, ihr Grundstück mittels einer Videoüberwachung zu schützen, ohne auch in Zukunft das Grundstück der Kläger zu erfassen.

Die Beklagten sind auch Störer im Sinne des § 1004 BGB. Die Störereigenschaft des Beklagten zu 1) ergibt sich aus seiner Eigentümerstellung. Wenn er die Kameras nicht selbst installiert hat, so hätte er dies zumindest verhindern können. Ohne Erfolg wendet der Beklagte zu 2) ein, mangels Eigentum an dem Grundstück sei er nicht passivlegitimiert. Die fehlende Eigentümerstellung führt nicht dazu, eine Störereigenschaft des Beklagten zu 2) zu verneinen. Denn unstreitig bewohnen die Beklagten als Lebenspartner die streitgegenständliche Immobilie gemeinsam, so dass der Beklagte zu 2) zumindest als mittelbarer Handlungsstörer haftet. Mittelbarer Handlungsstörer ist, wer die Beeinträchtigung durch die Handlung eines Dritten adäquat verursacht hat und die Beeinträchtigung verhindern kann. Das Interesse an der Überwachung der Geschehnisses auf dem Grundstück der Kläger liegt bei beiden Beklagten als Nachbarn der Kläger, so dass die Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts der Kläger adäquat auch durch den Beklagten zu 2) verursacht worden ist.

II.

Die Ordnungsmittelandrohung folgt aus § 890 Abs. 2 ZPO. Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren beträgt 5.000,00 EUR.

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