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Reiserücktritt wegen Corona-Pandemie

AG Wildeshausen – Az.: 4 C 126/20 (IV) – Urteil vom 24.02.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn die Beklagte nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Der Streitwert wird auf 1.400,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Erstattung des restlichen Reisepreises für eine von der Klägerin bei der Beklagten gebuchten, aber nicht angetretenen Reise.

Die Klägerin buchte bei der Beklagten für sich und ihren Lebensgefährten eine Bus-Ski Reise nach …, zum Preis von 2.414,00 € für den Zeitraum vom 28.02.2020 bis zum 07.03.2020. Der Reisepreis wurde vor Antritt der Reise vollständig gezahlt.

Mit E-Mail vom 28.02.2020 trat die Klägerin unter Berufung auf § 651 h BGB und der Corona-Pandemie gegenüber der Beklagten vom Reisevertrag zurück. Aufgrund der kurzfristigen Stornierung der Reise durch die Klägerin, war es der Beklagten nicht mehr möglich, die freigewordenen Reiseplätze anderweitig zu vergeben, sodass die Beklagte sowohl die Kosten für die leer gebliebenen Plätze im Bus als auch für das leer gebliebene Hotelzimmer begleichen musste.

Die von der Klägerin gebuchte Reise ist durch die Beklagte tatsächlich und vertragsgemäß durchgeführt worden.

Die Beklagte weigerte sich, den vollständigen Reisepreis zu erstatten und behielt Stornierungsgebühren in Höhe von 1.400,00 € ein.

Mit Mitteilung vom 09.03.2020 erklärte das Robert-Koch-Institut … zum Risikogebiet.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 10.03.2020 forderte die Klägerin die Beklagte zur Erstattung des restlichen Reisepreises auf.

Mit Schreiben vom 11.03.2020 verweigerte die Beklagte die Rückzahlung des restlichen Reisepreises.

In den allgemeinen Reisebedingungen heißt es unter „5. Rücktritt“ wie folgt:

„[…] Im Falle des Rücktritts kann der SCOL für getroffene Reisevorkehrungen angemessenen Ersatz verlangen. […] Der SCOL erhebt unter Berücksichtigung gewöhnlich ersparter Aufwendungen folgende pauschalisierte Rücktrittsgebühren:

[…]

  • bis 2 Wochen vor Reisebeginn 60% des Reisepreises
  • danach bis zum Reiseantritt 80 % des Reisepreises

Bearbeitungs- und Rücktrittsgebühren sind sofort fällig.“

Die Klägerin behauptet, bei Rückkehr der Reise seien über 20 Teilnehmer der Reise positiv auf das Corona-Virus getestet worden. Es habe während der Reisezeit eine ernsthafte Gefährdung der Gesundheit der Klägerin und ihres Lebensgefährten vorgelegen.

Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Reiseteilnehmer mit dem Bus von … nach … zurückfuhren, sodass nicht nur der Aufenthalt in …, sondern auch die Rückfahrt mit einem erheblichen Risiko einer Infektion behaftet gewesen seien, sofern sich vor Ort auch nur ein Reiseteilnehmer angesteckt hatte.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 1.400,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 29.02.2020 sowie vorgerichtliche anwaltliche Mahnkosten in Höhe von 271,71 € nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.03.2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte meint, dass für die Beurteilung der Frage, ob außergewöhnliche Umstände aufgetreten sind, die die Klägerin zur kostenfreien Stornierung der gebuchten Reise berechtigt hätten, auf den Zeitpunkt der Stornierung abzustellen sei.

Wegen des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Der Klagepartei steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Rückzahlung des Reisepreises gemäß §§ 346 Abs. 1, 2, 651 h Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BGB zu.

Reiserücktritt wegen Corona-Pandemie
(Symbolfoto: Maridav/Shutterstock.com)

1. Die Klagepartei ist vor Reisebeginn vom Reisevertrag zurückgetreten. Dieses Rücktrittsrecht steht dem Reisenden vor Reisebeginn grundsätzlich jederzeit zu (§ 651 h Abs. 1 Satz 1 BGB). Auch die allgemeinen Reisebedingungen der Beklagten sehen dies unter Nummer 5 vor (vgl. oben).

Folge des Rücktritts des Reisenden vor Reisebeginn ist, dass der Reiseveranstalter seinen Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis verliert (§ 651 h Abs. 1 Satz 2 BGB). Gemäß § 651 h Abs. 1 Satz 3 BGB kann der Reiseveranstalter dann jedoch eine angemessene Entschädigung verlangen. Dies gilt nach § 651 h Abs. 3 BGB aber nicht, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Nach § 651 h Abs. 3 Satz 2 BGB sind Umstände dann unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären.

Die Covid-19-Pandemie kann grundsätzlich als unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstand zu bewerten sein, der die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigt. Allein die Tatsache des Bestehens der Pandemie reicht für sich genommen jedoch noch nicht aus, um jeglichen Rücktritt von allen Pauschalreisen zu jedem Zeitpunkt ohne Anfall von Entschädigungszahlungen zuzulassen. Es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände des Einzelfalls an. Hierbei sind neben dem Reiseziel und den Umständen vor Ort auch Einreise- und Quarantänebestimmungen zu berücksichtigen. Ein starkes Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung sind die Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes (Führich, NJW 2020, 2137 (2138)).

Im Rahmen von § 651 h Abs. 3 BGB kommt es auf eine Prognoseentscheidung an (BeckOK, § 651 h BGB, Rz. 47; Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 24; Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314 (315)). Es ist zu prüfen, inwieweit die konkrete Reise aus einer ex-ante Betrachtung heraus erheblich beeinträchtigt sein wird. Bloße Unwohl- und Angstgefühle des Reisenden reichen nicht aus (Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 25).

Spätere Ereignisse können die ex-ante Beurteilung nicht nachträglich ändern (Staudinger/Ruks, DAR 2020, 314 (315); Schmidt, COVID 19, § 7 Rz. 24; anders BeckOK, § 651 h BGB, Rz. 47).

Einen bestimmten Zeitpunkt vor Reisebeginn zu benennen, ab dem eine Stornierung ohne Kosten für den Reisenden grundsätzlich möglich ist, ist nach Auffassung des Gerichts auf Grund der Vielzahl an Fallgestaltungen nicht möglich.

Die sogenannte „Hurrikan Entscheidung“ des BGH (BGH, Urteil vom 15.10.2002 – DAR 2003, 116) lässt sich auf die Corona-Pandemie nach Auffassung des Gerichts nicht direkt übertragen, bietet aber hinsichtlich der Erheblichkeit der Beeinträchtigung Anhaltspunkte für Pauschalreisen, die durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstand beeinträchtigt werden. Anders als bei der „Hurrikan Entscheidung“, bei der nach dem Sachvortrag feststand, dass wissenschaftlich davon ausgegangen wurde, dass mit einer Wahrscheinlichkeit von 1 zu 4 der Hurrikan an dem Urlaubsort auftreten werde, gibt es für die Corona Pandemie keine wissenschaftlichen Aussagen darüber, wann, wo und in welchem Umfang die Pandemie ausbrechen wird. Zudem hat der BGH in seiner „Hurrikan Entscheidung“ bereits darauf hingewiesen, dass „sich die Frage, von welchem Gefährdungsgrad an eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist und damit eine Hinweispflicht besteht, nicht in Form einer festen Größe, sondern nur fallweise unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrags beantworten“ lasse (vgl. AG München, DAR 2021, 35, beck-online).

Gerade auch auf Grund der Dynamik des Infektionsgeschehens ist nach Auffassung des Gerichts für die Beantwortung der Frage der kostenlosen Stornierungsmöglichkeit eine Beurteilung jedes konkreten Einzelfalls erforderlich.

Im vorliegenden Fall ist hier Folgendes zu berücksichtigen:

Die Klägerin ist unmittelbar vor Reisebeginn, nämlich am Morgen der Abfahrt, von der Reise zurückgetreten. Am 28.02.2020 bestand seitens des zuständigen Robert-Koch-Instituts keine Reisewarnung für das Reiseziel … oder für die Region …. Europa stand Ende Februar 2020 noch am Beginn der Ausbreitung des Corona-Virus. Von einzelnen europäischen Staaten sind teilweise unterschiedliche erste Maßnahmen verhängt und Reisewarnungen ausgesprochen worden. Es war nach Auffassung des Gerichts zu diesem Zeitpunkt weder das Ausmaß der Pandemie noch wie sich die Pandemie in Europa weiter entwickeln würde absehbar. Erst mit Mitteilung vom 09.03.2020 erklärte das Robert-Koch-Institut … zum Risikogebiet und -wie gerichtsbekannt ist- erst am 11.03.2020 erklärte die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den Corona-Ausbruch überhaupt zur Pandemie.

Es lagen Ende Februar zwar bereits erste Erkenntnisse zu Corona-Ausbrüchen in Ski-Gebieten in Italien vor. Allerdings waren diese Ausbrüche regional begrenzt, worauf Italien mit Sperrungen einzelner Gebiete, wie das der …, reagierte. Im Reisezielort … lagen zu diesem Zeitpunkt noch keine Erkenntnisse über Infizierungen mit dem Corona-Virus vor, was zwischen den Parteien auch unstreitig ist. Ein erhöhtes Ansteckungsrisiko am Reisezielort kann nicht allein aus dem Umstand hergeleitet werden, dass Italien als Gesamtheit in besonderem Maße von der Corona-Pandemie betroffen war. So ergibt sich aus dem von der Klagepartei vorgelegten Artikel der Tagessschau vom 24.02.2020, dass zu diesem Zeitpunkt eine Anzahl von 220 Personen mit dem Corona-Virus infiziert haben und die Anzahl der Todesopfer bei sieben lag. Daraus ergibt sich aber zunächst lediglich der Umstand, dass Italien neben Österreich und Kroatien eines der ersten europäischen Länder war, die mit auftretenden Corona-Infektionen konfrontiert war. Zu diesem Zeitpunkt war die verheerende Ausbreitung des Virus in Italien aber nicht absehbar.

Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte geht das Gericht davon aus, das bei der ex ante Betrachtung am 28.02.2020 nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden konnte, dass im Reisezeitraum Umstände vorliegen werden, die die Reise in erheblichen Maße, nämlich von mindestens 25 %, beeinträchtigen werden durch eine zu befürchtende Gesundheitsgefährdung der Klägerin und ihres Lebensgefährten.

Da es nach Auffassung des Gerichts einzig auf eine ex ante Betrachtung ankommt, konnten weder die Erkenntnisse des Robert-Koch-Instituts am 06.03.2020 noch der Umstand, dass nach Reiserückkehr Teilnehmer der Reise positiv auf das Corona-Virus getestet wurden, zur Grundlage einer Prognoseentscheidung der Klägerin gemacht werden, da diese Entwicklungen zeitlich nach der Rücktrittserklärung eingetreten sind. Auch ein Unwohl- und Angstgefühle, wie sie nach dem klägerischen Vortrag im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bei der Klägerin vorlagen, sind für eine kostenlose Stornierung indes als solche nicht ausreichend um eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise zu begründen.

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2. Anhaltspunkte dafür, dass die von der Beklagtenseite geltend gemachten 80% Stornogebühren nicht angemessen sind, liegen nicht vor und wurden von der Klagepartei auch nicht vorgetragen

II.

Mangels des Anspruchs in der Hauptsache sind auch der Zinsantrag sowie ein Anspruch auf Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unbegründet.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Festsetzung des Streitwertes ergibt sich aus § 48 GKG, § 3 ZPO.

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