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Reiserücktritt wegen Corona und spätere Reiseabsage

LG Frankfurt – Az.: 2-24 S 31/21 – Urteil vom 10.08.2021

Auf die Berufung des Klägers wird das am 25.11.2020 verkündete Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main, Aktenzeichen 31 C 2574/20 (15), wie folgt abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 577,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12.03.2020 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 179,20 zu zahlen.

Im Übrigen wird die weitergehende Berufung zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Beklagte zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn der Kläger nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird zugelassen.

Gründe

I.

Reiserücktritt wegen Corona und spätere Reiseabsage
(Symbolfoto: zuzana caprnkova/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit der Buchung einer Pauschalreise.

Der Kläger buchte am 07.08.2019 per Telefon für sich und für seine Ehefrau bei der Beklagten die Pauschalreise „Zu Gast bei Rosamunde Pilcher 2020“ nach England für den Zeitraum vom 28.03.2020 bis zum 04.04.2020 zu einem Reisepreis von EUR 2.308,00. Über die Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten (im folgenden „AGB“) wurde telefonisch nicht gesprochen. Einige Tage später erhielt der Kläger von der Beklagten eine Buchungsbestätigung, welcher die AGB der Beklagten beigefügt waren (auf Anlage K1, Bl. 8ff. d.A., wird Bezug genommen). Der Kläger zahlte daraufhin den vollständigen Reisepreis an die Beklagte.

Der Kläger ging Ende Februar 2020 davon aus, dass aufgrund der zunehmenden Ausbreitung des Corona-Virus die Reise nicht angetreten werden könne, zumal sowohl er als auch seine Frau aufgrund einer langjährigen Krebserkrankung zur sog. COVID-19-Risikogruppe gehörten. Aus diesem Grund erklärte er am 26.02.2020 telefonisch gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag. Reise- oder Bewegungseinschränkungen für das Reisegebiet gab es zu diesem Zeitpunkt nicht.

Im März 2020 erfolgte eine allgemeine weltweite Reisewarnung des Auswärtigen Amtes. Am 16.03.2020 teilte die Beklagte auf ihrer Internetseite mit, dass die streitgegenständliche Reise aufgrund der Ausbreitung des Corona-Virus abgesagt werde (auf Anlage K2, Bl. 12 d.A., wird Bezug genommen).

Mit Schreiben vom 06.03.2020 (Anlage K3, Bl. 13 d.A.) und vom 02.04.2020 (Anlage K4, Bl. 14 d.A.) forderte der Kläger die Beklagte erfolglos zur Rückzahlung des Reisepreises auf. Mit Schreiben seiner Prozessbevollmächtigten vom 16.04.2020 (Anlage K5, Bl. 16ff. d.A.) forderte der Kläger die Beklagte erneut auf, ihm den Reisepreis zurückzuzahlen. Daraufhin zahlte die Beklagte am 05.05.2020 an den Kläger einen Betrag in Höhe von EUR 1.731,00 und teilte dem Kläger mit, dass im Übrigen Stornierungskosten in Höhe EUR 577,00 einbehalten worden seien.

Der Kläger hat erstinstanzlich vorgetragen, der Beklagten stehe kein Entschädigungsanspruch in Höhe des streitgegenständlichen Betrages zu. Die AGB der Beklagten seien schon nicht Bestandteil des Vertrages geworden. Ohnehin könne der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, da am Bestimmungsort unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände aufgetreten seien, welche die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen dorthin erheblich beeinträchtigten. Es reiche aus, dass außergewöhnliche Umstände im Reisezeitraum vorlägen. Aber auch schon am 26.02.2020 habe eine gewisse Wahrscheinlichkeit dahingehend bestanden, dass die Ausbreitung der Pandemie in Europa für den Zeitraum März ein gesundheitsgefährdendes Ausmaß annehme. Schließlich sei nach Ziffer 9.4 der AGB der Beklagten der Nachweis gestattet, dass der Anspruch auf Entschädigung nicht entstanden oder die Entschädigung wesentlich niedriger als die Pauschale sei. Da die Reise durch die Beklagte abgesagt worden sei, sei der Rücktritt des Klägers auch nicht kausal für irgendwelche zusätzlichen Kosten bzw. Schäden der Beklagten geworden. Diese habe durch die letztendliche Absage so oder so keine Reisepreisansprüche erzielen können.

Der Kläger hat beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger EUR 577,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.03.2020 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe EUR 179,20 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich vorgetragen, dass es im Rahmen des § 651 Abs. 3 S. 1 BGB darauf ankomme, wie sich die „Corona-Situation“ konkret für das Reiseziel London und Südengland aus ex-ante-Sicht, nämlich zum Zeitpunkt des Rücktritts dargestellt habe. Hierzu fehle es an substantiierten Vortrag des Klägers. Die Beklagte habe nach Ziffer 9.3 ihrer AGB einen Anspruch auf Einbehalt einer Stornogebühr von 25% des Gesamtreisepreises, da der Rücktritt vor dem 31. Tag vor Reisebeginn erklärt worden sei. Die AGB der Beklagten seien auch wirksam in den Reisevertrag einbezogen worden.

Durch das dem Kläger am 13.01.2021 zugestellte Urteil vom 25.11.2020 hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe nach dem Rücktritt des Klägers einen Anspruch auf angemessene Entschädigung gemäß § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 i.V.m. Ziff. 9.3 der AGB der Beklagten in Höhe des streitgegenständlichen Betrages. Die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB lägen nicht vor. Bei der Beurteilung des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände komme es allein auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung an. Dies ergebe sich aus der systematischen Auslegung des § 651h BGB sowie unter Berücksichtigung des durch diese Vorschrift umgesetzten Art. 12 der Richtlinie (EU) 2015/2302 (im Folgenden „Pauschalreiserichtlinie“). Denn § 651h Abs. 5 BGB zeige, dass die Rückzahlungspflicht des Reiseveranstalters gegebenenfalls deutlich vor der geplanten Reisedurchführung entstehen könne. Auch werde aus Art. 12 Abs. 4 der Pauschalreiserichtlinie deutlich, dass die Rücktrittsgebühr von dem zurückzuzahlenden Reisepreis abgezogen werden dürfe. Der Reiseveranstalter solle also nicht verpflichtet sein, den Reisepreis zuerst vollständig an den Kunden zurückzuzahlen, um sodann erst nach dem Zeitpunkt der Reisedurchführung, in welchem das tatsächliche Auftreten der Umstände geprüft werden könne, seine Entschädigung fordern zu dürfen. Ein solches Vorgehen sei aber nur dann möglich, wenn man die Voraussetzungen des § 651h Abs. 3 BGB als Tatbestandsmerkmale einer ex-ante-Prognosebeurteilung ansehe, auf deren Grundlage der Rücktritt erklärt werde. Der Vortrag des Klägers genüge nicht, um die von ihm vorgenommene Prognose im maßgeblichen Zeitraum zu stützen. Ende Februar 2020 hätten keine Reisewarnungen bezüglich des Urlaubsorts bestanden. Ausweislich des von Klägerseite vorgelegten Zeitungsartikels seien in Deutschland damals insgesamt 16 Infektionen gemeldet worden, zu Großbritannien äußere sich der Artikel nicht. Wie genau sich die Pandemie im Hinblick auf die streitgegenständliche Reiseregion ausbreiten und welche Auswirkungen sie auf die Reise habe würde, sei auf dieser Grundlage nicht hinreichend prognostizierbar. Auch seien die AGB der Beklagten zwischen den Parteien vereinbart worden. Denn auch wenn sich die Parteien über den notwendigen Vertragsinhalt telefonisch geeinigt haben sollten, so liege doch in der Übersendung der AGB der Beklagten zusammen mit der Buchungsbestätigung, ein Angebot der Beklagten auf Abänderung des Vertrages vor. Diese habe der Kläger konkludent angenommen. Denn indem er den Reisepreis kommentarlos gezahlt habe, habe die Beklagte dieses Verhalten nach dem objektiven Empfängerhorizont dahin verstehen dürfen, dass der Kläger mit der Geltung ihrer AGB einverstanden gewesen sei und den Vertrag auf dieser Grundlage habe durchführen wollen. Unstreitig entspreche die Höhe der einbehaltenen Stornierungskosten den Vorgaben der AGB der Beklagten. Der Kläger könne auch nicht einwenden, der Beklagten seien durch die Stornierung des Klägers keine Schäden entstanden, da die Beklagte die Reise letztlich gänzlich abgesagt habe. Der Anspruch auf angemessene Entschädigung solle dem Interesse des Reiseveranstalters an der Vertragsdurchführung, seinen bereits getätigten Aufwendungen und seiner gegebenenfalls eingeschränkten Möglichkeit anderweitiger Verwendung seiner Leistungen Rechnung tragen. Die Entschädigung sei insofern mit einem Schadensersatzanspruch nicht vergleichbar, bei dem Fragen der Schadenszurechnung unter den Stichworten hypothetischer oder überholender Kausalität diskutiert würden. Im vorliegenden Fall einer vertraglichen, grundlos möglichen Rücktrittsmöglichkeit seien etwaige Reserveursachen nicht zu berücksichtigen. Durch die Einräumung der Möglichkeit, eine Entschädigung pauschal in AGB festlegen zu können, solle eine konkrete Abrechnung erst ab dem Zeitpunkt des Reisebeginns gerade vermieden werden und auch § 651h Abs. 5 BGB zeige, dass die schnelle Rückabwicklung des Vertrages nach Rücktritt bezweckt sei.

Wegen der weiteren tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts wird auf dessen Urteil vom 25.11.2020 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).

Der Kläger rügt mit der am Montag, den 15.02.2021 beim Landgericht eingegangenen   – und mit demselben Schriftsatz begründeten – Berufung, einem Entschädigungsanspruch der Beklagten stehe bereits § 651h Abs. 3 BGB entgegen. Auch zum Zeitpunkt des Rücktritts am 26.02.2020 sei ersichtlich gewesen, dass aufgrund der allgemeinen Auswirkungen der Corona-Pandemie die geplante Pauschalreise nicht stattfinden werde. Unabhängig davon scheide ein Entschädigungsanspruch auch deswegen aus, weil die AGB der Beklagten nicht in den Vertrag einbezogen worden seien. Da die nachträgliche Einbeziehung von AGB regelmäßig zur Verschlechterung der Rechtsposition einer Partei führe, sei eine Vertragsänderung nur dann anzunehmen, wenn ein ausdrückliches Einverständnis der benachteiligten Partei vorliege. Ein Einverständnis sei auch nicht darin zu sehen, dass eine Vertragspartei eine Rechnung, welche sie nach Vertragsschluss zusammen mit den AGB erhalten habe, vorbehaltlos begleiche. Mit der Überweisung des Rechnungsbetrages habe die jeweilige Vertragspartei ausschließlich eine konkrete Tilgungsabsicht im Sinne von § 362 BGB. Einen darüberhinausgehenden Rechtsbindungswillen könne der Erfüllung nicht beigemessen werden.

Der Kläger beantragt, auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main vom 25.11.2020, Aktenzeichen 31 C 2574/20 (15), wie folgt abgeändert:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 577,00 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.03.2020 zu zahlen.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 179,20 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die AGB der Beklagten seien wirksam vereinbart worden. Mit der Übersendung der AGB zusammen mit der Buchungsbestätigung, in der auf die AGB Bezug genommen werde, liege ein Angebot auf Abänderung des Vertrages vor. Dieses habe der Kläger jedenfalls konkludent angenommen, indem er den geforderten Reisepreis gezahlt habe. Auch sei die wichtigste Voraussetzung für die Anwendung von § 651h Abs. 3 S. 1 BGB das Vorliegen einer erheblichen Beeinträchtigung der Reise. Diese liege nur vor, wenn im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung bei objektiver Betrachtung eine sichere Reisedurchführung unmöglich sei, der Reisezweck also insgesamt in Frage stehe. Der Kläger habe aber überhaupt keine Tatsachen dafür vorgetragen, dass die Durchführung der Reise wirklich nicht gefahrlos möglich gewesen wäre, und zwar bezogen auf den Zeitpunkt der Rücktrittserklärung.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die zulässige, insbesondere fristgemäß eingelegte Berufung ist zum weit überwiegenden Teil begründet. Im Übrigen war sie zurückzuweisen. Im Einzelnen:

Das Amtsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Dabei kann vorliegend dahinstehen, ob die AGB der Beklagten – und die dort in Ziffer 9.3 aufgeführte Entschädigungspauschale – nachträglich wirksam in den Pauschalreisevertrag einbezogen wurden. Denn dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Reisepreises in Höhe von EUR 577,00 aus §§ 346, 651a, 651h Abs. 1, Abs. 3, Abs. 5 BGB zu.

Zwischen den Parteien ist ein Pauschalreisevertrag gemäß § 651a BGB zu Stande gekommen.

Der Kläger ist von diesem Pauschalreisevertrag am 26.02.2020 gemäß § 651h Abs. 1 S. 1 BGB zurückgetreten. Gemäß § 651 h Abs. 1 S. 2 BGB verliert die Beklagte damit ihren Anspruch auf den vereinbarten Reisepreis.

Die Beklagte war vorliegend nicht dazu berechtigt, gemäß § 651h Abs. 1 S. 3 BGB eine angemessene Entschädigung zu verlangen. Denn gemäß § 651 h Abs. 3 BGB kann der Reiseveranstalter keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbarer Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen.

Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Anerkannt ist, dass auch Naturkatastrophen und Krankheitsausbrücke solche unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstände darstellen (Führich/Staudinger, Reiserecht, 8. Aufl. 2019, § 16 Rn. 20; Löw, NJW 2020, 1252, 1253). Ein erhebliches Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände stellt darüber hinaus eine amtliche Reisewarnung für das konkrete Reiseziel dar (LG Bonn, RRa 2003, 214, 214; Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 2. Aufl. 2020, § 7 Rn. 26; Führich, NJW 2020, 3137, 3138; Tonner, MDR 2020, 519, 520). Der Ausbruch der Corona-Pandemie führte im Frühjahr 2020 zu einer nahezu weltweiten Abschottung und zu einer nahezu vollständigen Einstellung des internationalen Flugverkehrs. Vor dem Hintergrund, dass darüber hinaus das Auswärtige Amt aufgrund des Ausbruchs der Corona-Pandemie im März 2020 eine weltweite Reisewarnung aussprach, stellt die Corona-Pandemie einen unvermeidbaren und außergewöhnlichen Umstand im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB dar. Der Kläger hat vorliegend unstreitig den Rücktritt vom Pauschalreisevertrag am 26.02.2020 aufgrund der Corona-Pandemie erklärt, nachdem sowohl er als auch seine Frau aufgrund einer langjährigen Krebserkrankung zur sog. COVID-19-Risikogruppe gehörten. Auch die Beklagte hat die Reise unstreitig letztlich am 16.03.2020 – und damit von dem geplanten Reisebeginn – aufgrund der aufgrund der Ausbreitung des Corona-Virus abgesagt.

Vorliegend kann dahinstehen, ob bei einer ex ante Betrachtung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Klägers am 26.02.2020 das damals bestehende Infektionsgeschehen im Zusammenhang mit dem Corona-Virus bereits eine hinreichende Wahrscheinlichkeit für das Bestehen eines außergewöhnlichen Umstands im Sinne des § 651h Abs. 3 BGB begründete. Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts – die auch in Rechtsprechung und Literatur teilweise vertretenen wird (vgl. etwa AG München, DAR 2021, 35, 36; Geib in BeckOK BGB, Stand: 01.05.2021, § 651h Rn. 21a; Staudinger/Achilles-Pujol in Schmidt, COVID-19, Rechtsfragen zur Corona-Krise, 3. Aufl. 2021, § 7 Rn. 26) – ist für die Beurteilung der Frage, ob unvermeidbare außergewöhnliche Umstände vorliegen, jedenfalls in der vorliegenden Fallgestaltung, in der der Reiseveranstalter die Reise vor Reisebeginn selbst aufgrund eines unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umstands absagt, eine ex ante Betrachtung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Reisenden nämlich nicht maßgeblich. Eine solche Betrachtungsweise findet zunächst im Wortlaut des § 651h Abs. 3 BGB keine Stütze, der keinerlei Hinweis darauf enthält, dass der außergewöhnliche Umstand im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung vorliegen müsse. Etwas anderes folgt auch nicht aus § 651h Abs. 5 BGB. Zwar hat danach der Reiseveranstalter den Reisepreis unverzüglich, auf jeden Fall aber innerhalb von 14 Tagen nach dem Rücktritt zurückzuerstatten. Ein etwaiger Anspruch des Reiseveranstalters auf Entschädigung nach § 651h Abs. 3 S. 1 BGB im Falle eines freien Rücktritts des Reisenden ist damit aber nicht unmittelbar in der Weise verknüpft, dass der Reiseveranstalter einen solchen Abzug zum Zeitpunkt seiner Rückzahlungsverpflichtung nach § 651h Abs. 5 BGB vornehmen müsste. Vielmehr besagt § 651h Abs. 1 S. 3 BGB lediglich, dass der Reiseveranstalter die Entschädigung „verlangen kann“. Eine zeitliche Beziehung zum Rücktritt wird damit gerade nicht hergestellt, weshalb der Reiseveranstalter diese Entschädigung also auch im Nachhinein beanspruchen kann (vgl. Harke, RRA 2020, 207, 209). Auch aus der Formulierung des Art. 12 Abs. 4 der Pauschalreiserichtlinie folgt nicht zwingend, dass der Reiseveranstalter seine Entschädigung (dort „Rücktrittsgebühr“ genannt) zwingend bereits vom Erstattungsbetrag abziehen muss und nicht zu einem späteren Zeitpunkt geltend machen könnte (vgl. Harke, RRA 2020, 207, 209; Harke in BeckOGK BGB, Stand: 01.05.2021, § 651h Rn. 48). Dagegen spricht im Übrigen auch der Umstand, dass es dem Reiseveranstalter jedenfalls im Falle einer nicht pauschalierten, sondern individuell zu bestimmenden Entschädigung häufig schwer fallen dürfte, diese innerhalb der in Art. 12 Abs. 4 der Pauschalreiserichtlinie genannten Frist von 14 Tagen zu beziffern, insbesondere dann, wenn der Reisende den Rücktritt mit einem großen zeitlichen Vorlauf vor Reisebeginn erklärt und der Reiseveranstalter zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht absehen kann, ob er Einnahmen aus anderweitigen Verwendungen der Reiseleistungen generieren kann (vgl. auch Harke, RRA 2020, 207, 209). Entscheidend ist vorliegend vielmehr, dass der Kläger wegen der Corona-Pandemie von dem Pauschalreisevertrag zurückgetreten ist und die Reise letztlich von der Beklagten vor Reisebeginn auch aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt wurde. Die Frage, ob eine Prognose-Entscheidung des Reisenden hinsichtlich des Auftretens unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung zutreffend war, kann sich aber nur dann stellen, wenn sich die Gefahr von unvermeidbaren, außergewöhnlichen Umständen, wegen der der Reisende den Rücktritt erklärt hat, tatsächlich später nicht realisiert hat. Nach Auffassung der Kammer würde es der Natur des Entschädigungsanspruchs des Reiseveranstalters nach § 651h Abs. 1 S. 3 BGB und der Zielrichtung des Verbraucherschutzes in Art. 12 Abs. 2 der Pauschalreiserichtlinie widersprechen, wenn dem Reiseveranstalter nach seiner Reiseabsage wegen Unmöglichkeit der Reise noch ein Entschädigungsanspruch zustünde (so im Ergebnis auch LG Frankfurt am Main, Urteil vom 04.05.2021, Az. 3-06 O 40/20; AG Stuttgart NJW-RR 2021, 313, 314; Führich, MDR 2021, 777, 778; Harke, RRA 207, 210; Harke in BeckOGK BGB, Stand: 01.05.2021, § 651h Rn. 48). Nach alledem steht dem Kläger ein Anspruch auf Rückzahlung des restlichen Reisepreises in Höhe von EUR 577,00 zu.

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Der Kläger hat auch einen Anspruch auf Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286, 288 BGB. Entgegen des klägerischen Antrags besteht dieser Zinsanspruch indes nicht schon seit dem 10.03.2020, sondern erst seit dem 12.03.2020, nachdem der Kläger vom Pauschalreisevertrag am 26.02.2020 zurückgetreten und Verzug gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB mit Ablauf der 14-Tages-Frist des § 651 h Abs. 5 BGB eingetreten ist.

Der Kläger hat gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten aus §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB.

Nachdem sich die Beklagte seit dem 12.03.2020 mit der Rückzahlung des Reisepreises im Verzug befand und auch den Zahlungsaufforderungen des Klägers vom 06.03.2020 (Anlage K3, Bl. 13 d.A.) und vom 02.04.2020 (Anlage K4, Bl. 14 d.A.) selbst nicht nachgekommen ist, musste der Kläger eine weitere Verzögerung der Erfüllung seiner Forderung nicht hinnehmen. Vielmehr konnte er seinem Rückzahlungsverlangen durch Einschaltung eines Rechtsanwalts Nachdruck verleihen (vgl. BGH NJW 2015, 3793, 3794).

Die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind auch im geltend gemachten Umfang angefallen. Dabei war zu berücksichtigen, dass mit dem vorgerichtlichen Rechtsanwaltsschreiben der zu diesem Zeitpunkt noch vollständig offene Reisebetrag in Höhe von EUR 2.308,00 geltend gemacht wurde. Der Anspruch berechnet sich wie folgt:

[(0,65 x EUR 201,00) + EUR 20,00] x 1,19 = EUR 179,27

Der Kläger hat vorliegend auch einen Anspruch auf Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten und nicht nur einen Anspruch auf Freistellung. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Beklagte erstinstanzlich die Zahlung der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten mit Nichtwissen bestritten hat. Denn der Freistellungsanspruch ist als Minus im Zahlungsanspruch enthalten (OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019, Az. 13 U 37/19; OLG Frankfurt NJW-RR 1990, 711, 712). Wenn wie hier die Leistung von Schadensersatz endgültig verweigert wird, verwandelt sich der Freistellungsanspruch analog § 250 S. 2 BGB in einen Zahlungsanspruch (BGH NJW 2004, 1868, 1869; BGH NJW-RR 1996, 700, 700). Spätestens mit der Ankündigung des Klageabweisungsantrags hat die Beklagte die endgültige und ernsthafte Ablehnung der Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten erklärt (OLG Karlsruhe, Urteil vom 06.11.2019, Az. 13 U 37/19; Feldmann, r+s 2016, 546, 547).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Die Revision war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen, § 543 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

 

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