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Reiserücktritt wegen erhöhtem Infektionsgeschehen bei geplanter Schiffsreise

LG Frankfurt – Urteil vom 2/24 O 510/20 – Urteil vom 01.07.2021

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger buchte für sich und seine Ehefrau bei der Beklagten eine Kreuzfahrt mit dem Schiff der Reederei … „…“ in der Zeit vom 7.8.2020 bis 19.8.2020. Der Reisepreis betrug insgesamt 6.796,00 €. Die Beklagte bestätigte die Reise mit Schreiben vom 1.4.2019 (Bl. 17 – 18 d.A.). Der Kläger zahlte den Reisepreis an die Beklagte.

Am 3.8.2020 berichtete die ARD, dass auf einem Schiff … der Reederei … auf einer Expeditionsreise es mehrere positive Corona-Fälle gegeben habe. Die Reederei sagte daraufhin ihre Expeditionsreisen, nicht aber die übrigen Schiffsreisen, ab.

In einem Telefonat vom 5.8.2020 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Reisevertrag.

Die Kreuzfahrt auf dem Schiff … fand statt. Reisewarnungen des Auswärtigen Amtes für Norwegen hat es wegen des Vorfalles auf dem Schiff nicht gegeben.

Mit Schreiben vom 7.8.2020 rechnete die Beklagte die Reise ab und kündigte an, 10 % des Reisepreises zurückzuzahlen (Bl. 19 d.A.).

Am 9.9.2020 zahlte sie 679,60 € an den Kläger zurück.

Mit Schreiben vom 7.9.2020 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die vollständige Rückzahlung des Reisepreises (Bl. 20 – 21 d.A.).

Der Kläger behauptet, die Reederei … habe in einer Pressemitteilung vom 03.08.2020 angeboten, alle bei ihr direkt gebuchten Schiffsreisen zu verschieben oder zu stornieren. Er behauptet, dass sowohl in Amsterdam und Bergen, als auch auf dem Kreuzfahrtschiff selbst und bei den Landausflügen an der norwegischen Küste ein hohes Infektionsrisiko bestanden habe und ist aufgrund dessen der Ansicht, dass er und seine Ehefrau sich dort leicht mit dem Coronavirus hätten infizieren können. Mögliche Folgen hätten sich auch dann nicht vermeiden lassen, wenn die Parteien alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen hätten.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.144,60 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf ab dem 21. August 2020 zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn vorgerichtliche, nicht anrechenbare Anwaltskosten in Höhe von 328,57 € zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hierauf ab dem 22. September 2020 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung des Klägers habe keine hinreichende Prognose bestanden, dass die Schiffsreise wegen eines außergewöhnlichen unvermeidbaren Umstandes nicht stattfinden könne.

Zur Ergänzung des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nicht begründet.

Der Kläger kann über den bereits erstatteten Betrag hinaus von der Beklagten nicht die Rückzahlung des Reisepreises verlangen.

Zwar verliert die Beklagte nach einem Rücktritt des Reisenden vor Antritt der Reise den Anspruch auf den Reisepreis (§ 651h Abs. 1 S. 2 BGB). Sie kann jedoch gemäß § 651h Abs. 1 S. 3 BGB eine angemessene Entschädigung verlangen. Diese Entschädigung hat die Beklagte in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen auf 90 % des Reisepreises festgelegt.

Eine Pauschalierung der Entschädigung durch den Reiseveranstalter ist gemäß § 651h Abs. 2 auch in AGB zulässig. Die dort enthaltene Festlegung einer Pauschalen bei Schiffsreisen von 90 % bei einem Rücktritt innerhalb von 7 Tagen vor Beginn der Reise ist auch angesichts der in § 651h Abs. 2 BGB genannten Kriterien wirksam. Einwendungen hiergegen erhebt der Kläger nicht.

Die Differenz von 10 % des Reisepreises hat die Beklagte bereits an den Kläger zurückgezahlt.

Der Entschädigungsanspruch entfällt auch nicht wegen § 651h Abs. 3 BGB. Zwar kann nach dieser Vorschrift der Reisende entschädigungslos von der Reise zurücktreten, wenn am Bestimmungsort oder in dessen unmittelbaren Nähe unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise erheblich beeinträchtigen. Gemäß Erwägungsgrund 31 der auf Vollharmonisierung zielenden Pauschalreise-Richtlinie (RL 2302/2015/EU) liegen derartige Umstände, welche es dem Reisenden ermöglichen sollen, ohne Zahlung einer Rücktrittsgebühr vom Pauschalreisevertrag zurückzutreten, beispielsweise dann vor, wenn etwa wegen des Ausbruchs einer schweren Krankheit am Reiseziel erhebliche Risiken für die menschliche Gesundheit bestehen. In Bezug auf die Corona-Pandemie kommt es bei einer vor Reisebeginn abgegebenen Rücktrittserklärung für die Beurteilung, ob dies zum Zeitpunkt der Reise der Fall sein wird, darauf an, wann der Reisende zurückgetreten ist und ob die Gegebenheiten zu dieser Zeit bereits als außergewöhnliche Umstände zu qualifizieren sind (vgl. AG Frankfurt, NJW-RR 2020, 1315). Dabei verbietet sich jede schematische Betrachtung. Vielmehr ist im Wege einer Prognoseentscheidung zu fragen, ob die konkrete Reise aus ex ante Sicht erheblich beeinträchtigt sein wird (vgl. Löw, MW 2020, 1252, 1253; AG Frankfurt, NJW-RR 2021, 53; AG Frankfurt NJW-RR 2020, 1315; AG Köln BeckRS 2020, 23502). Die Frage, von welchem Gefährdungsgrad an eine erhebliche Wahrscheinlichkeit anzunehmen ist kann nicht in Form einer festen Größe, sondern nur fallweise unter Berücksichtigung des konkreten Reisevertrages beantwortet werden. So ist beispielsweise bei Expeditions- oder Abenteuerreisen zu berücksichtigen, ob bereits durch die Art der Reise ein gewisses Gefährdungspotential immanent ist (BGH NJW 2002, 3700, 3701). Ein solches erhöhtes Gefährdungspotential ist bei einer Kreuzfahrt allerdings nicht anzunehmen. Zwar dürfen bei dem Risiko einer Gesundheitsgefährdung die Anforderungen an die Erheblichkeit nicht zu hoch angesetzt werden. Insbesondere bei einer zu befürchtenden Corona-Infektion muss eine niedrige Schwelle genügen, da der Reisende bei einer Infektion, für die noch keine adäquaten Therapien erforscht sind oder für die es keine adäquaten Behandlungsmöglichkeiten gibt, mit dem Risiko seines Todes oder erheblicher Krankheitsrisiken rechnen muss (Führich, NJW 2020, 2137, 2138).

Reiserücktritt wegen erhöhtem Infektionsgeschehen bei geplanter Schiffsreise
(Symbolfoto: Gabriele Rohde/Shutterstock.com)

Für diese Prognoseentscheidung trägt der Reisende die Beweislast. Hierbei ist er auf Indizien angewiesen, die er glaubhaft machen muss (Führich, NJW 2020, 2137, 2138). Im konkreten Fall hat es keine vom Auswärtigen Amt für den Reisezeitraum ausgesprochene Reisewarnung, die ein starkes Indiz für das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände gewesen wäre, gegeben. Allein die Warnungen der Weltgesundheitsorganisation, welche ebenfalls im Rahmen der Prognoseentscheidung berücksichtigt werden können (AG Stuttgart, NJW-RR 2021, 53, 54; Führich, NJW 2020, 2137, 2138), können zwar ein wichtiges Indiz für eine erhebliche Beeinträchtigung, sind aber nicht allein entscheidend. Diese hat am 30.01.2020 einen internationalen Gesundheitsnotstand wegen einer Infektionsgefahr ausgerufen und Covid-19 am 11.03.2020 zur weltweiten Pandemie erklärt.

Allerdings sollte die Schiffsreise erst im August 2020 stattfinden. Zu diesem Zeitpunkt waren Reisen wieder erlaubt und waren die Reiseveranstalter gehalten, auf den von ihnen durchzuführenden Reisen Hygienestandards einzuhalten, die das Ansteckungsrisiko minimieren sollten. Der Kläger durfte auch davon ausgehen, dass der von der Beklagten eingesetzte Leistungsträger, die Reederei …, solche Standards auch einhält. Der Reederei wurden solche Schiffsreisen durch die für sie zuständigen norwegischen Behörden nicht untersagt. Die von dem Kläger gebuchte Schiffsreise konnte stattfinden und hat auch stattgefunden.

Der Umstand, dass Anfang August 2020 auf einem Schiff der Reederei sich eine Corona-Infektion ereignete lässt keine gesicherte Prognose zu, dass sich ein solches Infektionsgeschehen auch auf der Schiffsreise des Klägers ereignen wird. Das Infektionsgeschehen auf dem Schiff „…“ war ein singuläres Ereignis, das keine Rückschlüsse auf eine andere Schiffsreise auf einem anderen Schiff erlaubt. Insofern hat sich ein solches Infektionsgeschehen auch auf keinem anderen Schiff ereignet. Auch sahen sich die norwegischen zuständigen Behörden nicht veranlasst, die gesamten Schiffsreisen der Reederei zu untersagen. Vielmehr wurden nur die Expeditionsreisen der Reederei untersagt, zu denen die vom Kläger gebuchte Schiffsreise nicht gehörte. Wie die von der Reederei auch nach dem Vorfall durchgeführten Schiffsreisen belegen, ist es möglich, auf jedem Schiff durch ein angewendetes und geeignetes Hygienekonzept den Ausbruch einer Infektion zu verhindern. Ein solches Konzept wird die Reederei auch schon im eigenen Interesse und auch zum Schutz ihrer eigenen Mitarbeiter vorhalten. Wie die mit Schriftsatz vom 2.6.2021 vorgelegte E-Mail von anderen Teilnehmern der Schiffsreise belegt, hat die Reederei auch ein solches Konzept praktiziert. Gerade weil sich vor dem Antritt der vom Kläger gebuchten Schiffsreise eine Corona-Infektion auf einem Schiff ereignet hatte, durfte der Kläger davon ausgehen, dass die Reederei auf weiteren Schiffsreisen ein besonderes Augenmerk auf die Einhaltung der Hygienekonzepte legen wird. Mit der Wahrung der eigenen Vorsicht, die jedem Reisenden auf einer solchen Reise zumutbar ist, hätte die Gefahr einer Ansteckung mit dem Corona-Virus ein einer Weise minimiert werden können, dass eine gefahrlose Teilnahme an der Schiffsreise möglich gewesen wäre. Jedenfalls bestand kein höheres Risiko, das über das allgemeine, auch den Kläger an seinem Wohnort treffende Risiko einer Ansteckung mit dem Corona-Virus hinausgegangen wäre.

Der Umstand, dass eine Vielzahl der Reisenden auf dem von dem Infektionsgeschehen betroffenen Schiff „…“ das Schiff noch haben verlassen können, erhöhte die Gefahr einer Ansteckung für den Kläger nicht. Die Reisenden haben das Schiff in Tromsö verlassen. Diesen Hafen sollte der Kläger auf seiner Reise erst Tage später anlaufen, weshalb davon auszugehen ist, dass diese Reisenden Tromsö schon längst verlassen haben, bevor der Kläger dort eintrifft. Dass sich in Tromsö das Corona-Virus in besonderem Maße ausgebreitet hat, ist nicht bekannt und wird vom Kläger auch nicht vorgetragen. Das von dem norwegischen Gesundheitsminister befürchtete neue Aufflammen der Pandemie in Norwegen hat offensichtlich auch nicht stattgefunden. Eine Verschlimmerung der Lage in Norwegen hat sich auch nicht ereignet.

Mangels eines weitergehenden Rückzahlungsanspruches besteht auch kein Anspruch auf Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten.

Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger als unterlegene Partei zu tragen (§ 91 Abs. 1 ZPO).

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 11, 711 ZPO, weil der Kostenerstattungsanspruch der Beklagte 1.500 € nicht übersteigt.

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