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Reisevertrag – Rücktritt wegen Corona-Einschränkungen

AG Köln – Az.: 142 C 568/20 – Urteil vom 10.05.2021

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 1.127,00 EUR zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.12.2020 zu zahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger die Verzugspauschale gem. § 288 Abs. 5 BGB in Höhe von 40,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.12.2020 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 11,3% und die Beklagte zu 88,7%.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die jeweils andere Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Der Kläger buchte bei der Beklagten am 19.11.2020 für sich und seine Familie, darunter zwei Kinder im Alter von drei und fünf Jahren, eine Pauschalreise nach Side (Türkei) für einen Reisezeitraum vom 19.09.2021 bis zum 29.09.2020 zu einem Gesamtreisepreis von 3.676,00 EUR. Der Kläger leistete hierauf eine Anzahlung von 752,00 EUR.

Mit Schreiben vom 07.08.2020 erklärte der Kläger den Rücktritt vom Reisevertrag. Zur Begründung verwies er im Wesentlichen darauf, dass im Fall eines positiven Covid-19-Tests bei sich oder einem Familienmitglied er mit der Anordnung einer 14-tägigen Quarantäne rechnen und ggf. ein Familienmitglied allein in der Türkei zurückgelassen werden müsse. Der Kläger forderte die Beklagte zur Rückzahlung der geleiteten Anzahlung bis zum 21.08.2020 auf.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 03.09.2020 forderte der Kläger die Beklagte u.a. zur Bestätigung des Rücktritts auf. Dabei wurde auf ein bereits vorausgegangenes Anwaltsschreiben vom 18.08.2020 Bezug genommen.

Die Beklagte übersandte dem Kläger unter dem 07.09.2020 eine „Stornorechnung“ über 1.127,00 EUR. Die Differenz zur geleisteten Anzahlung, also einen Betrag von 375,00 EUR, zog sie von seinem Konto ein.

Zum Rücktrittszeitpunkt galt eine Reisewarnung für die Türkei. Diese war am 04.08.2020 für vier Urlaubsregionen, unter anderem das Zielgebiet der gegenständlichen Reise, aufgehoben worden. Am 06.08.2020 berichtete die Ärztezeitung darüber, dass der oberste türkische Ärzte-Vertreter massiv die offiziellen Corona-Fallzahlen des Landes angezweifelt habe.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.127,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an ihn die Verzugspauschale gem. § 288 Abs. 5 BGB i.H.v. 40,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

3. die Beklagte zu verurteilen, an einen Betrag in Höhe von 143,84 EUR als außergerichtliche Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit Rechtshängigkeit zu zahlen

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Klage ist der Beklagten am 03.12.2020 zugestellt worden.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist bis auf einen Teil der Nebenforderungen begründet.

Dem Kläger steht gegen die Beklagte nach seinem Rücktritt vom Reisevertrag gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückzahlung der geleisteten Anzahlung auf den Reisepreis in Höhe von 752,00 EUR gem. §§ 346 Abs. 1, 651h Abs. 1 S. 2, 651a BGB zu.

Die Beklagte kann dem keinen Anspruch auf angemessene Entschädigung nach § 651h Abs. 1 S. 3, Abs. 2 BGB entgegenhalten.

Reisevertrag - Rücktritt wegen Corona-Einschränkungen
(Symbolfoto: Maridav/Shutterstock.com)

Der Reiseveranstalter kann abweichend von § 651h Abs. 1 S. 3 BGB keine Entschädigung verlangen, wenn am Bestimmungsort der Reise oder dessen Nähe unvermeidbare außergewöhnliche Umstände auftreten, die die Durchführung der Pauschalreise oder die Beförderung von Personen an den Bestimmungsort erheblich beeinträchtigen. Umstände sind unvermeidbar und außergewöhnlich, wenn sie nicht der Kontrolle der Partei unterliegen, die sich hierauf beruft, und sich ihre Folgen auch dann nicht hätten vermeiden lassen, wenn alle zumutbaren Vorkehrungen getroffen worden wären. Im Regelfall handelt es sich damit um eine Prognoseentscheidung zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung: Erforderlich ist zu diesem Zeitpunkt eine erhebliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass Gefahren für die Person des Reisenden oder sonst erhebliche Beeinträchtigungen für die Durchführung der Reise oder die Personenbeförderung an den Bestimmungsort gegeben sind. Es handelt sich um eine ex-ante Betrachtung, unerheblich ist hier eine nachfolgende Verbesserung oder Verschlechterung der Beurteilungsrundlage. Maßgeblich sind nach Rechtsprechung des BGH (vgl. Urteil vom 15. Oktober 2002 – X ZR 147/01 -, Rn. 11, juris) die Umstände des Einzelfalls unter Berücksichtigung des konkreten Inhalts des Reisevertrages. In dem seiner Entscheidung zugrunde liegenden Fall – einer gewöhnlichen Flugpauschalreise mit Gefahr für Leib und Leben der Reisenden aufgrund eines Hurrikans – hat der Bundesgerichtshof eine Eintrittswahrscheinlichkeit von 25% als hinreichend angesehen.

Eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes stellt grundsätzlich ein hinreichendes Indiz für das Vorliegen unvermeidbarer, außergewöhnlicher Umstände dar (s. nur Führich, NJW 2020, 2137 m.w.N.). Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, dass bei Nichtvorliegen einer Reisewarnung ein Entschädigungsanspruch vorläge. Entscheidend ist vielmehr eine Gesamtschau aller Umstände.

Danach kommt der Reisewarnung hier eine Bedeutung zu, obgleich sie ausdrücklich für das Zielgebiet kurz vor dem Rücktritt aufgehoben wurde. Denn die Reisewarnung als solche bestand aufgrund der weltweiten und sich dynamisch entwickelnden Pandemie. Die Türkei als Zielland war von der Pandemie so stark betroffen, dass für das Land grundsätzlich eine Reisewarnung durch das Auswärtige Amts ausgesprochen wurde. Es wäre lebensfremd anzunehmen, dass das Infektions- und Gesundheitsrisiko demgegenüber lediglich in wenigen kleinen Urlaubsregionen desselben Landes so massiv geringer ausfällt, dass die Gefahr der erheblichen Beeinträchtigung einer Reise, die nicht überwiegend wahrscheinlich sein muss, unter das prognostisch erforderliche Maß absinkt. Hierauf berief sich der Kläger auch mit seinem Rücktrittsschreiben. Soweit er die Folgen einer Beeinträchtigung durch eine Covid-19-Infektion in Gestalt von Quarantänemaßnahmen fürchtet, bringt er damit auch die Infektionsgefahr als solche zum Ausdruck. Darüber hinaus hat der Kläger substantiiert und durch die Beklagte unwidersprochen dargelegt, dass bereits vor der Rücktrittserklärung vom 07.08.2020 medial darüber berichtet worden ist, dass Zweifel an der Verlässlichkeit der aus dem Zielland gemeldeten Infektionszahlen bestehen. Auch dieser Umstand trägt dazu bei, dass der Kläger eine erhebliche Beeinträchtigung der Reise durch unvermeidbare, außergewöhnliche Umstände prognostizieren durfte. Der Rücktritt knapp 1 ½ Monate vor Reisebeginn war nicht verfrüht.

Soweit die Beklagte vortragen lässt, der Kläger sei bereits im Juni 2020 entschlossen gewesen, die Reise nicht anzutreten, ist dieser Einwand unerheblich. Zum einen hat die Beklagte diesen Vortrag trotz Rüge durch die Klägerseite nicht weiter substantiiert. Zum anderen würde dies nichts daran ändern, dass letztlich der Zeitpunkt der rechtsverbindlichen Erklärung entscheidend ist und nicht der Zeitpunkt etwaiger vorher durchgeführter Gedankenspiele.

Der Kläger hat darüber hinaus einen Anspruch auf Rückzahlung der weiteren eingezogen 375,00 EUR aus §§ 280 Abs. 1, 651a BGB. Da der Beklagten wie ausgeführt kein Entschädigungsanspruch zusteht, stellt der Einzug eine schuldhafte Pflichtverletzung dar, die einen entsprechenden Schadensersatzanspruch des Klägers auslöst.

Der Anspruch auf Zahlung einer Verzugspauschale ergibt sich aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 2, 288 Abs. 5 BGB.

Die Zinsansprüche ergeben sich aus den §§ 288, 291 BGB.

Ein Anspruch auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten besteht demgegenüber nicht. Es sind weder die Voraussetzungen eines Anspruches auf Ersatz des Verzugsschadens nach §§ 280 Abs. 1, Abs. 2, 286 BGB noch auf Schadensersatz wegen einer Nebenpflichtverletzung gem. § 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB erfüllt.

Aus dem klägerischen Vortrag ergibt sich, dass die Prozessbevollmächtigten bereits am 18.08.2020 beauftragt gewesen sind, da bereits zu diesem Zeitpunkt ein Schreiben an die Beklagte verfasst worden ist. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Beklagte nicht in Verzug. Der Kläger hatte der Beklagten in seinem Rücktritt eine Zahlungsfrist bis zum 21.08.2020, die (ohne Berücksichtigung einer Postlaufzeit) auch der Höchstfrist des § 651h Abs. 5 BGB entspricht, gesetzt.

Auch eine Pflichtverletzung der Beklagten vor der anwaltlichen Tätigkeit ist weder vorgetragen noch ersichtlich. Insbesondere fand die unberechtigte Abbuchung erst deutlich später statt.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Da die unberechtigte Nebenforderung den Wert der Hauptforderung um mehr als 10% übersteigt, war ein fiktiver Streitwert zu bilden und waren die Kosten entsprechend zu quoteln. Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 S. und S. 2, 709 S. 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 1.127,00 EUR festgesetzt.

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