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Rotlichtverstoß – Gefährdung des Querverkehrs – Fahrverbot

OLG Zweibrücken, Az.: 1 Ss 202/93, Beschluss vom 13.12.1993

Gründe

Das Amtsgericht Zweibrücken hat die Betroffene am 16. August 1993 wegen vorsätzlichem Überfahren einer Lichtzeichenanlage bei schon 1,6 Sekunden andauerndem Rotlicht (§§ 37 Abs. 2, 49 Abs. 3 Nr. 2 StVO) zu einer Geldbuße von 350,- – DM verurteilt; von der Verhängung eines Fahrverbots hat das Amtsgericht abgesehen, weil durch das Verhalten der Betroffenen keine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer eingetreten sei. Gegen dieses Urteil richtet sich die Rechtsbeschwerde der Staatsanwaltschaft. Mit ihr wird die Verhängung des im Bußgeldkatalog für derartige Fälle vorgesehenen Fahrverbots erstrebt, unter Ermäßigung des Bußgeldes auf den Regelsatz von 250,– DM.

Das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft ist zulässig, ohne daß es der Feststellung der besonderen Voraussetzungen nach § 80 OWiG bedarf (vgl. BGH NJW 1991, 1367). Es führt aus den von Staatsanwaltschaft und Generalstaatsanwaltschaft zutreffend dargelegten Gründen zu dem erstrebten Erfolg.

Die durch das Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft veranlaßte Nachprüfung des Schuldspruches führt nicht zu einer Beanstandung. Das Amtsgericht hat die zugrundeliegenden Feststellungen rechtsfehlerfrei anhand der Angaben der Betroffenen, den Bekundungen des Polizeibeamten …. und der von diesem gefertigten Videoaufzeichnung des beanstandeten Verkehrsvorganges getroffen. Der Amtsrichter hat dabei die Einlassung der Betroffenen, sie sei durch ein zu dicht auffahrendes nachfolgendes Fahrzeug zur Mißachtung des Rotlichtes veranlaßt worden, als durch die Videoaufnahme widerlegt angesehen und festgestellt, die Betroffene habe vorsätzlich und zum Zwecke des eigenen schnelleren Fortkommens gehandelt.

Rotlichtverstoß - Gefährdung des Querverkehrs - Fahrverbot
Symbolfoto: monticello/Bigstock

Hinsichtlich der Rechtsfolgenentscheidung des Amtsgerichts treffen die von der Staatsanwaltschaft erhobenen Beanstandungen zu. Das Amtsgericht hat insoweit ausgeführt, es könne unter Erhöhung der Geldbuße auf das Regelfahrverbot nach dem Bußgeldkatalog verzichtet werden, weil eine konkrete Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch das Verhalten der Betroffenen nicht feststellbar sei. Nach der Videoaufnahme sei der Querverkehr noch nicht angefahren gewesen und es hätten sich auf dem von der Betroffenen überfahrenen Fußgängerüberweg in der Querstraße keine Fußgänger befunden. Die für ein Fahrverbot vorausgesetzte grobe Pflichtverletzung könne also nicht festgestellt werden. Das Fahrverbot sei auch deshalb zur Einwirkung auf die Betroffene nicht erforderlich, weil sie als langjährig bewährte Kraftfahrerin im Verkehrszentralregister nicht vorbelastet sei.

Diese Erwägungen können es nicht rechtfertigen, vom Fahrverbot abzusehen. Die Rechtsfolgenbemessung im Bußgeldverfahren liegt zwar grundsätzlich im Ermessen des Tatrichters, der sich aufgrund der Hauptverhandlung ein umfassendes Bild von dem Gewicht der Tat und dem den Täter treffenden Vorwurf bilden kann. Die Überprüfung dieser Entscheidung durch das Rechtsbeschwerdegericht hat sich deshalb darauf zu beschränken, ob der Tatrichter von rechtlich zutreffenden Erwägungen ausgegangen ist und von seinem Ermessen rechtsfehlerfrei Gebrauch gemacht hat (vgl. nur OLG Düsseldorf DAR 1993, 273). Das tatrichterliche Ermessen wird aber gebunden durch im Bußgeldkatalog zum Ausdruck kommende Vorbewertung des Verordnungsgebers. Die Erfüllung eines ein Regelfahrverbot vorsehenden Tatbestandes der BKatV indiziert grundsätzlich das Vorliegen eines groben Verstoßes im Sinne von § 25 Abs. 1 Satz l StVG, für den es regelmäßig der Denkzettel- und Besinnungsmaßnahme eines Fahrverbots bedarf (vgl. BGHSt 38, 125 und 235). Diese Bindung der Sanktionspraxis dient nicht zuletzt auch der Gleichbehandlung der Verkehrsteilnehmer und der Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit der durch bestimmte Verkehrsverstöße ausgelösten Rechtsfolgen, also letztlich dem Gebot der Gerechtigkeit (BGH aaO, S. 236). Von der Verhängung eines nach dem Bußgeldkatalog an sich verwirkten Regelfahrverbotes kann deshalb nur dann abgesehen werden, wenn wesentliche Besonderheiten in der Tat oder in der Persönlichkeit des Täters anzunehmen sind und deshalb nicht der vom Bußgeldkatalog erfaßte Normalfall vorliegt (BGHSt 38, 237; OLG Düsseldorf VRS 85, 236 und VRS 83, 451).

Der Amtsrichter hat im vorliegenden Fall zwar nicht verkannt, daß der Regelfall eines Fahrverbotes gemäß Nr. 34.2 des Bußgeldkataloges erfüllt war: Die Betroffene hatte eine Ampel nicht beachtet, die schon länger als eine Sekunde Rotlicht zeigte. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ergeben sich aber aus den getroffenen Feststellungen keine besonderen Umstände, die nach der oben angeführten obergerichtlichen Rechtsprechung ein Absehen von dem Fahrverbot rechtfertigen könnten. Für die Anwendung der Nr. 34.2 des Bußgeldkataloges kommt es nicht auf das Eintreten einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer durch den Rotlichtverstoß an. Dies folgt unmittelbar aus dem Wortlaut der Bestimmung und aus der Gegenüberstellung mit Nr. 34.1, die das Fahrverbot auch bei noch kürzerer Rotphase androht, wenn durch den Verstoß eine – konkrete – Gefährdung oder Sachbeschädigung eingetreten ist. Die amtliche Begründung des Verordnungsgebers zu Nr. 34.2 betont, bei Mißachtung des bereits länger als eine Sekunde andauernden Rotlichtes sei eine abstrakte Gefährdung des Querverkehrs zu unterstellen, weil dieser – insbesondere auch Fußgänger – sich nach dieser Zeit bereits im Bereich der durch Rotlicht gesperrten Fahrbahn befinden kann (VkBl. 1991, 704).

Nichts anderes ergibt auch die seit Erlaß von Nr. 34.2 BKatV durch die 12. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 15. Oktober 1991 (BGBl I S. 1992) ergangene obergerichtliche Rechtsprechung. Die vom Amtsgericht angeführte Entscheidung des Oberlandesgericht Düsseldorf (NZV 1992, 414) betrifft den Fall einer noch nicht eine Sekunde andauernden Rotphase und besagt daher nichts zu der Frage, unter welchen Voraussetzungen von der Verhängung eines im Bußgeldkatalog vorgesehenen Fahrverbotes abgesehen werden kann. Auch zwei weitere inzwischen bekanntgewordene Entscheidungen des Oberlandesgerichts Düsseldorf (DAR 1993, 271 und 273) betreffen einen nicht auf vorliegenden Sachverhalt übertragbaren Fall, nämlich den Linksabbieger, für den die Ampel noch rot zeigt und der sich versehentlich nach der auf grün umschaltenden Ampel für den Geradeausverkehr richtet. Im übrigen wird auch in diesen beiden Entscheidungen – trotz einzelner mißverständlicher Formulierungen – nicht das Erfordernis einer konkreten Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer für die Anwendung von Nr. 34.2 BKatV aufgestellt. Zuletzt hat auch das Oberlandesgericht Oldenburg (DAR 1993, 440), das die Anwendbarkeit von Nr. 34.2 Bußgeldkatalog auf „Frühstarter“ kurz vor Ende der Rotphase eingeschränkt hat, ausdrücklich auf das Kriterium der abstrakten Gefährdung des durch die Ampelregelung geschützten Verkehrs abgestellt. Für den vorliegenden Fall hätte im übrigen bei Feststellung einer konkreten Gefährdung viel eher die Verurteilung wegen einer Straftat nach § 315 c Abs. 1 Nr. 2 a, Abs. 3 Nr. 2 StGB nahegelegen, nachdem das Amtsgericht geradezu feststellt, daß die Betroffene auch rücksichtslos gehandelt habe.

Das Amtsgericht hat also bei der Auslegung von Nr. 34.2 BKatV rechtlich unzutreffende Erwägungen angestellt, so daß die auf dieser Grundlage getroffene Rechtsfolgenentscheidung keinen Bestand haben kann.

Die erforderliche neue Entscheidung kann der Senat aufgrund der rechtsfehlerfrei und ersichtlich abschließend getroffenen Feststellungen des Amtsgerichts selbst treffen (§ 79 Abs. 6 OWiG). § 46 Abs. 1 OWiG, § 265 StPO stehen offensichtlich nicht entgegen, nachdem auch im Bußgeldbescheid ein Fahrverbot angeordnet war. Eine Milderung der Regelfolgen muß dabei nicht allein deshalb eintreten, weil die Betroffene bei langjähriger Teilnahme als Kraftfahrerin im Straßenverkehr keine Voreintragungen im Verkehrszentralregister aufweist. Das Gesetz (§ 25 Abs. 1 Satz 1 StVG) und die BKatV (§ 2 Abs. 1 und 2) stellen einerseits den groben und andererseits den beharrlichen Verkehrsverstoß als Voraussetzung eines Fahrverbotes gegenüber; daraus ergibt sich, daß das Fahrverbot wegen groben Pflichtenverstoß eine Vorbelastung nicht voraussetzt. Nach der nunmehrigen Rechtslage und angesichts erheblich zugenommener Verkehrsdichte kann das Fahrverbot nicht mehr lediglich als „ultima ratio“ angesehen werden, die in aller Regel erst dann angewendet werden dürfte, wenn auch durch sich verschärfende Geldbußen nicht hat auf den Betroffenen eingewirkt werden können; die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 16. Juli 1969 (BVerfGE 27, 36, 42) ist auf anderer Grundlage ergangen und steht einer solchen Auslegung nicht entgegen (vgl. BGHSt 38, 125).

Der vorliegende Fall läßt außer der fehlenden Vorbelastung keine Gründe für eine Milderung der Regelsanktion erkennen, sondern eher Schärfungsgründe: Die Betroffene hat vorsätzlich und zum Zwecke eigenen schnelleren Fortkommens das Rotlicht mißachtet und dabei den vom Verordnungsgeber gesetzten Grenzwert einer erhöhten abstrakten Gefährdung (schon länger als eine Sekunde andauernde Rotphase) mit 1,6 Sekunden deutlich überschritten. Die Verhängung der im Bußgeldkatalog für ein derartiges Verhalten vorgesehenen Regelfolgen erscheint daher in der Gesamtabwägung angemessen. Der Senat ordnet daher das Fahrverbot an, ermäßigt aber das Bußgeld auf den Regelsatz von 250,– DM. Gemäß § 46 Abs. 1 OWiG, § 465 Abs. 1 StPO trägt die Betroffene auch die Kosten des erfolgreichen Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO 41. Aufl. § 473 Rdn. 15).

Belehrung über das Fahrverbot: Das hiermit angeordnete Fahrverbot wird mit Erlaß dieser Entscheidung wirksam. Die Betroffene muß daher ihren Führerschein unverzüglich in amtliche Verwahrung geben. Die Verbotsfrist von einem Monat wird erst von dem Tag an angerechnet, an dem dies geschieht. Vorsätzliche oder fahrlässige Zuwiderhandlungen gegen das Fahrverbot sind strafbar

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