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Rückschnitt von herüberhängenden Zweigen – Schadensersatzanspruch Nachbarn

OLG Karlsruhe – Az.: 12 U 77/18 – Urteil vom 15.03.2019

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Mannheim vom 17.04.2018, Az. 6 O 364/16, wird mit der Maßgabe, dass die Worte „oder nicht wesentlich“ am Ende von Ziff. 1 und 2. des Tenors des landgerichtlichen Urteils gestrichen werden, zurückgewiesen.

2. Die Anschlussberufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt der Kläger zu 7/13, der Beklagte zu 3/13 und die Beklagte zu 3/13. Die Beklagten trägen die außergerichtlichen Kosten des Klägers im Berufungsverfahren zu je 3/13. Der Kläger trägt die außergerichtlichen Kosten beider Beklagter im Berufungsverfahren zu 7/10.

4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Mannheim ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

5. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger verlangt von den beklagten Grundstücksnachbarn Schadensersatz wegen des von diesen vorgenommenen Rückschnitts von Thujenbäumen, die auf dem klägerischen Grundstück an der Grenze zu dem im Besitz der Beklagten befindlichen Grundstück stehen, außerdem die Unterlassung künftiger Rückschnitte ohne vorherige Fristsetzung.

Der Kläger ist mit einem Eigentumsanteil von 15 % neben seiner Ehefrau … (85 %) Miteigentümer des Hausgrundstücks …. . Die beklagten Eheleute bewohnen das Nachbargrundstück … (i. F.: „Grundstück der Beklagten“), dessen Bruchteilseigentümerin die Beklagte ist.

Auf dem Grundstück des Klägers stehen acht Thujenbäume in einer Reihe mit Abständen zur gemeinsamen Grenze beider Grundstücke jedenfalls von ca. 15 cm (so die Beklagten) oder 27 cm (so der Kläger) bis höchsten 65 cm. Die Zweige der Thujenbäume – deren rechtliche Einordnung als Hecke zwischen den Parteien in dem weiteren vor dem Landgericht Mannheim geführten Verfahren 6 O 127/17 streitig ist – ragten 2014 ab einer Höhe von ca. 2 m auf das Grundstück der Beklagten hinein. Bis zu einer Höhe von 1,80 m befindet sich auf der Grundstücksgrenze ein Maschendrahtzaun, der bis zum Abend des 03.04.2017 jedenfalls teilweise mit sichtschützenden Bastmatten versehen war. Sieben der acht Bäume haben in 1 m Höhe einen Stammdurchmesser von mindestens 60 cm und unterfallen daher der Baumschutzsatzung der Stadt … , so dass für ihre Fällung oder wesentliche Beschneidung eine Genehmigung der Stadt erforderlich ist.

Am Samstag, den 08.11.2014 fällte der Kläger eine weitere Thuja auf seinem Grundstück. Dabei fiel die Thuja auf das Grundstück der Beklagten. Im Anschluss hieran begann der Kläger damit, den umgefallenen Baum auf dem Grundstück der Beklagten zu entasten, um ihn entfernen zu können, und die abgeschnittenen Äste über die Grundstücksgrenze auf sein Grundstück hinüber zu werfen. Die Beklagten untersagten dies dem Kläger; die weiteren Inhalte der bei dieser Gelegenheit geführten Gespräche sind streitig.

Am 10.11.2014 schnitt der Beklagte bis in eine Höhe von ca.4-5m alle überhängenden Äste der Thujen auf der Grundstücksgrenze ab. Die Beklagte war dabei zumindest anwesend. Zum Zeitpunkt der landgerichtlichen Entscheidung wiesen die Thujen – beginnend ab der Schnitthöhe aus dem Jahr 2014, zur Baumspitze hin wieder abnehmend – einen Überhang über die Grundstücksgrenze von ca. 50 cm bis ca. 200 cm auf. Außerdem hatten der Kläger und seine Ehefrau im Jahr 2014 Tarnnetze in die Thujen auf der Seite der Beklagten oberhalb des ca. 1,80m hohen Maschendrahtzauns bis auf eine Höhe von ca. 4m gespannt, da sie auf diese Weise verhindern wollten, dass Fußbälle vom Grundstück der Beklagten auf ihr Grundstück fliegen würden. Diese Netze nahm der Beklagte im Jahr 2014 ab und ließ sie am Zaun hängen.

Rückschnitt von herüberhängenden Zweigen - Schadensersatzanspruch Nachbarn
(Symbolfoto: Von Peter Kniez/Shutterstock.com)

Der Kläger beabsichtigte bei Klageerhebung, derartige Netze wieder anzubringen. Er ist der Auffassung, dass deswegen eine Wiederholungsgefahr dahingehend bestehe, dass der Beklagte die wiederangebrachten Netze – aus Sicht des Klägers unberechtigt – wieder abnehmen würde.

Der Kläger hat behauptet, die überhängenden Thujenzweige hätten – auch vor dem Rückschnitt durch den Beklagten im Jahr 2014 – keine negativen Auswirkungen auf die Nutzungsmöglichkeiten des Grundstücks des Beklagten; insbesondere bewirkten sie weder Licht-, Sonnen- noch Regenentzug. Der Rückschnitt sei ohne vorherige Ankündigung seitens der Beklagten und ohne Einwilligung des Klägers oder seiner Ehefrau erfolgt. Auch eine Frist zur Beseitigung durch den Kläger oder seine Ehefrau hätten die Beklagten nicht zuvor gesetzt. Weder der Kläger noch seine Ehefrau hätten ihr Einverständnis mit dem Rückschnitt erklärt. Am Rückschnitt selbst habe auch die Beklagte bewusst mitgewirkt. Durch den Rückschnitt des Beklagten seien die Thujen dauerhaft entstellt; die beschnittenen Äste würden nicht mehr nachwachsen, die Thujen seien quasi „halbiert“ worden. Hierdurch habe die visuelle Durchlässigkeit der Bepflanzung erheblich zugenommen, wodurch das Grundstück des Klägers und seiner Ehefrau an Abgeschiedenheit und damit an Wert verloren habe. Außerdem würden die Thujen infolge des Schnitts weit vor Ablauf ihrer eigentlichen Lebensspanne eingehen; hierdurch sei ihm bereits jetzt ein Schaden von 6.000,00 Euro entstanden, weitere Schäden bei tatsächlich vorzeitigem Absterben bzw. einer erforderlichen vorzeitigen Fällung würden drohen.

Der Schaden sei auch unabhängig von den fehlenden Voraussetzungen des § 910 BGB eingetreten, da sieben der acht Bäume nach der Baumschutzsatzung der Stadt … nicht hätten derart weitgehend beschnitten werden dürfen.

Der Kläger hat beantragt,

1.a) den Beklagten Ziff. 1 – als Gesamtschuldner neben der Beklagten Ziff. 2 – zu verurteilen, an den Kläger 6.000,00 Euro (für Baum Nummer 1 aus der vom Beklagten übergebenen Skizze 1.000,00 Euro; Nr. 2 500,00 Euro, Nr. 3 1.000,00 Euro, Nr. 4 1.000,00 Euro, Nr. 5 500,00 Euro, Nr. 6 500,00 Euro, Nr. 7 1.000,00 Euro, Nr. 8 500,00 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

1.b) die Beklagte Ziff. 2 – als Gesamtschuldnerin neben dem Beklagten Ziff. 1 – zu verurteilen, an den Kläger 6.000,00 Euro (für Baum Nummer 1 aus der vom Beklagten übergebenen Skizze 1.000,00 Euro; Nr. 2 500,00 Euro, Nr. 3 1.000,00 Euro, Nr. 4 1.000,00 Euro, Nr. 5 500,00 Euro, Nr. 6 500,00 Euro, Nr. 7 1.000,00 Euro, Nr. 8 500,00 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen;

2.a) den Beklagten Ziff. 1 zu verurteilen, es zu unterlassen, zum Grundstück des Klägers und … , gehörende Bäume und Sträucher zurückzuschneiden. Dies gilt nicht für solche Äste und Zweige, die auf das Grundstück … , herüberragen, wenn eine von dem Beklagen Ziff. 1 gegenüber dem Kläger oder … gesetzte angemessene Frist zur Beseitigung der Äste und Zweige erfolgslos abgelaufen ist, es sei denn, die herüberragenden Äste und Zweige beeinträchtigen die Nutzung des Grundstücks … , nicht oder nicht wesentlich;

2.b) die Beklagte Ziff. 2 zu verurteilen, es zu unterlassen, zum Grundstück des Klägers und … , gehörende Bäume und Sträucher zurückzuschneiden. Dies gilt nicht für solche Äste und Zweige, die auf das Grundstück … , herüberragen, wenn eine von der Beklagen Ziff. 2 gegenüber dem Kläger oder … gesetzte angemessene Frist zur Beseitigung der Äste und Zweige erfolgslos abgelaufen ist, es sei denn, die herüberragenden Äste und Zweige beeinträchtigen die Nutzung des Grundstücks … , nicht oder nicht wesentlich;

3. den Beklagten Ziff. 1 bei Meidung eines für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes bis zu 250.000,00 Euro, und für den Fall, dass dieses nicht beigetrieben werden kann, zu Ordnungshaft oder Ordnungshaft bis zu 6 Monaten, zu verurteilen, es zu unterlassen, Netze, die sich in den acht Thujen, die an der Grenze der Grundstücke … , und … , auf dem Grundstück des Klägers und … gepflanzt sind, befinden, zu entfernen;

4. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 588,22 Euro zu zahlen,

5. festzustellen, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren Schaden zu ersetzen, der aus den Schnitten der Beklagten an den Thujen des Klägers (Thujen 1-8 der beiliegenden Skizze) am 10.11.2014 noch entstehen wird.

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Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben behauptet, der Rückschnitt der überhängenden Thujenzweige sei durch den Beklagten mit ausdrücklicher Zustimmung sowohl des Klägers als auch seiner Ehefrau erfolgt, diese sei mündlich erklärt worden, nachdem die gefällte Thuja auf das Grundstück der Beklagten gefallen war. Die Beklagte hat außerdem bestritten, am Rückschnitt der überhängenden Zweige mitgewirkt zu haben, tatsächlich sei sie lediglich anwesend gewesen, als der Beklagte den Rückschnitt vorgenommen habe. Die überhängenden Zweige der Thujen hätten auch die Nutzung des Grundstücks der Beklagten erheblich beeinträchtigt: Der Überhang habe dem Grundstück der Beklagten massiv Licht entzogen und Regenwasser abgefangen und hierdurch den Boden vertrocknen lassen; hierdurch sei eine gärtnerische Nutzung stark eingeschränkt. Insbesondere sei die Beklagte durch den Überhang gehindert gewesen, ihren Plan umzusetzen, wenigstens auf Hochbeeten an der betreffenden Grundstücksgrenze einen Gemüsegarten anzulegen. Die Beklagten haben die Auffassung vertreten, der Rückschnitt sei nicht rechtswidrig erfolgt, vielmehr seien der Kläger und seine Ehefrau gemäß § 910 Abs. 1 Satz 2 BGB und aufgrund ihrer vorherigen Zustimmung zur Duldung verpflichtet gewesen. Jedenfalls aber sei die Beklagte mangels einer Mitwirkung nicht Störerin i. S. d. § 1004 BGB. Für einen Unterlassungsanspruch mangele es auch deswegen an einer Wiederholungsgefahr, weil seit dem Rückschnitt bis zur Klageerhebung mehr als zwei Jahre vergangen seien.

Ein Schadensersatzanspruch der Kläger wegen des Rückschnitts der Thujen bestehe nicht, weil der Rückschnitt nicht rechtswidrig gewesen sei und durch den fachgerechten Rückschnitt weder aktuell ein Schaden an den Thujen entstanden noch eine Ursache für künftige Schäden gesetzt worden sei.

Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung vom 04.04.2017 (I, 79) den Klageantrag Ziff. 3 zurückgenommen; der Klagerücknahme haben die Beklagten jedoch nicht zugestimmt, so dass der Kläger zuletzt auch diesen Antrag wieder gestellt hat (I, 144).

Das Landgericht hat Beweis erhoben durch Einnahme eines Augenscheins (Protokoll des Termins vom 04.04.2017, I, 74 ff.) und ein mündliches Sachverständigengutachten des Sachverständigen … eingeholt. Außerdem wurden die Parteien persönlich angehört und die Zeugin … vernommen.

Das Landgericht hat der Klage nur hinsichtlich der Anträge auf Unterlassung stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Die für einen Unterlassungsanspruch nötige Wiederholungsgefahr gründe sich bereits auf die Mitwirkung beider Beklagter am Rückschnitt im November 2014. Dieser Eingriff in das Eigentum des Klägers sei nicht durch ein Einverständnis des Klägers oder seiner Ehefrau gerechtfertigt. Den Angaben der Beklagten stünden die Angaben der Zeugin … und des Klägers gegenüber, so dass die Beklagten hinsichtlich des behaupteten Einverständnisses beweisfällig geblieben seien. Ein Schadensersatzanspruch stehe dem Kläger jedoch nicht zu. Das Grundstück der Beklagten sei durch den Überhang der dunkelgrünen und besonders lichtschluckenden Äste bis zur tatsächlich erfolgten Schnitthöhe erheblich beeinträchtigt gewesen. Der starke Überhang habe im Hinblick auf den geringen Abstand des Hauses zur Grenze optisch erdrückend gewirkt. Die Beklagten hätten auch Anspruch auf Erteilung einer Genehmigung nach der Bauschutzsatzung der Stadt … gehabt.

Der Kläger habe überdies durch den konkreten Rückschnitt keinen Schaden gehabt. Die Schnitte wiesen auch nach zwei Jahren noch keine Anzeichen von Fäulnis auf. Der Sachverständige habe keine Anhaltspunkte für einen fehlerhaften Schnitt aufgezeigt.

Gegen das dem Kläger am 24.04.2018 zugestellte Urteil hat dieser mit Schriftsatz eingegangen am 22.05.2018 Berufung eingelegt, die nach Verlängerung bis zu diesem Tage am 24.07.2018 begründet wurde. Den Beklagten wurde Frist zur Berufungserwiderung gesetzt, die bis 14.09.2018 verlängert wurde. Mit Schriftsatz eingegangen am 14.09.2018 haben die Beklagten Anschlussberufung eingelegt.

Der Kläger behauptet, er habe Anspruch gegen die Beklagten auf Schadensersatz, da die Voraussetzungen des § 910 BGB nicht vorgelegen hätten. Das Grundstück der Beklagten sei durch den Überhang nicht erheblich beeinträchtigt worden. Ein Lichtentzug finde nicht statt, dies gelte in besonderem Maße für diejenigen Bäume, die nur zwischen 0,5 und 0,9 Meter einen Überhang ausgebildet gehabt hätten. Eine Verschlechterung des Lichts hätte durch einen Sachverständigen geprüft werden müssen. Eine Nutzungsbeeinträchtigung wegen Einschränkung des Ballspiels sei von den Beklagten nie erwähnt worden. Bis zur Höhe von 1,80 Meter seien die Überhänge ohnedies entfernt. Schon aufgrund der Lage der Bäume könnten die Pflanzen dem Grundstück der Beklagten nicht Licht und Sonne entziehen. Auch die Baumschutzsatzung der Stadt … sei verletzt. Ein Anspruch auf Kürzung bestehe auch nicht gemäß § 12 NRG, da die Bäume zu keinem Zeitpunkt eine Hecke dargestellt hätten.

Der Kläger beantragt, das angefochtene Urteil wird teilweise abgeändert und der Beklagte wird als Gesamtschuldner neben der Beklagten verurteilt, an den Kläger 6.000,00 Euro (für Baum Nummer 1 aus der vom Beklagten übergebenen Skizze 1.000,00 Euro; Nr. 2 500,00 Euro; Nr. 3 1.000,00 Euro; Nr. 4 1.000,00 Euro; Nr. 5 500,00 Euro; Nr. 6 500,00 Euro; Nr. 7 1.000,00 Euro; Nr. 8 500,00 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das angefochtene Urteil wird teilweise abgeändert und die Beklagte wird als Gesamtschuldnerin neben dem Beklagten verurteilt, an den Kläger 6.000,00 Euro (für Baum Nummer 1 aus der vom Beklagten übergebenen Skizze 1.000,00 Euro; Nr. 2 500,00 Euro; Nr. 3 1.000,00 Euro; Nr. 4 1.000,00 Euro; Nr. 5 500,00 Euro; Nr. 6 500,00 Euro; Nr. 7 1.000,00 Euro; Nr. 8 500,00 Euro) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das angefochtene Urteil wird teilweise abgeändert und es wird festgestellt, dass die Beklagten verpflichtet sind, dem Kläger jeden weiteren Schaden zu ersetzen, der aus den Schnitten der Beklagten an den Thujen des Klägers (Thujen 1-8 der beiliegenden Skizze) am 10.11.14 noch entstehen wird.

sowie die Anschlussberufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung des Klägers zurückzuweisen sowie im Wege der Anschlussberufung:

Das Urteil des LG Mannheim vom 19.04.2018 — Az. 6 0 364/16 — wird abgeändert und die Klage abgewiesen.

Sie verteidigen die erstinstanzliche Entscheidung soweit die Klage abgewiesen wurde. Die Beseitigung der Beeinträchtigung durch den Rückschnitt sei nicht erforderlich. Dem Grundstück der Beklagten sei auch Regen entzogen worden. Die gärtnerische Nutzung sei eingeschränkt gewesen. Schon aufgrund der Höhe des Überhangs habe dieser die Alltagsnutzung gestört. Ein Unterlassungsanspruch des Klägers bestehe nicht, da keine Wiederholungsgefahr vorliege. Gegen eine Wiederholungsgefahr spreche unter anderem der Zeitablauf.

Im Übrigen wird auf die erstinstanzlichen Feststellungen, sofern diese nicht abweichen, sowie die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen. Die Einzelrichterin hat die Parteien in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019 informatorisch angehört. Auf das Protokoll der Sitzung wird verwiesen (II, 65ff).

II.

Die Berufung des Klägers und die unselbständige Anschlussberufung der Beklagten sind zulässig, aber nicht begründet. Die Anschlussberufung wurde fristgemäß (§ 524 Abs. 2 S. 2 ZPO) innerhalb der – durch Verfügung vom 23.08.2018 (II, 40) verlängerten – Berufungserwiderungsfrist eingelegt und begründet.

A

Die Klage ist zulässig, auf die zutreffenden Ausführungen des erstinstanzlichen Urteils wird verwiesen. Die Klage ist allerdings nur in dem bereits erstinstanzlich zugesprochenen Umfang begründet.

1. Der Kläger hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen des Rückschnitts von Ästen von insgesamt acht im Miteigentum des Klägers stehender Thujen im November 2014 aus § 823 Abs. 1 BGB. Der Kläger ist durch diesen Rückschnitt zwar in seinem Miteigentum an dem Bäumen verletzt, im vorliegenden Fall fehlt es jedoch am erforderlichen Pflichtwidrigkeitszusammenhang, da der von den Beklagten vorgenommene Rückschnitt gemäß § 910 Abs. 1 S. 2 BGB nach einer angemessenen Fristsetzung zulässig gewesen wäre.

a)

Gemäß § 910 Abs. 1 S. 2 BGB darf der Eigentümer eines Grundstücks herüberragende Zweige abschneiden, wenn er dem Besitzer des Nachbargrundstücks eine angemessene Frist zu Beseitigung bestimmt hat und die Beseitigung nicht innerhalb der Frist erfolgt. Die Beklagten haben weder dem Kläger noch dessen Ehefrau eine Frist zur Beseitigung der Beeinträchtigung gesetzt. Das erstinstanzlich behauptete Einverständnis konnte von den Beklagten nicht bewiesen werden.

Dem störenden Eigentümer können gegen den die Selbsthilfe ausübenden Nachbarn Schadenersatzansprüche nach § 823 Abs. 1 BGB aus Eigentumsverletzung zustehen, wenn die Voraussetzungen des § 910 BGB nicht vorliegen, sei es, dass unsachgemäß abgeschnitten, sei es, dass zu weit hineingeschnitten wird, oder dass das Selbsthilferecht gänzlich ausgeschlossen war (Staudinger/Roth (2016) BGB § 910, Rn. 30). Der Rückschnitt durch den Beklagten erfolgte nach den landgerichtlichen Feststellungen sachgemäß, allerdings wurde dem Kläger und dessen Ehefrau von den Beklagten entgegen § 910 Abs. 1 S. 2 BGB keine Frist zur Beseitigung des Überhangs gesetzt.

Ist die Frist nach § 910 Abs. 1 S 2 BGB nicht gesetzt oder zu kurz bemessen worden, liegen die Selbsthilfevoraussetzungen aber im Übrigen vor, und hätte der Störer auch bei Einhaltung von Abs. 1 S 2 das Abschneiden und seine Ausführung nicht vermeiden können, so ist dem selbsthilfeberechtigten Eigentümer die Berufung auf rechtmäßiges Alternativverhalten möglich. Die verletzte Pflicht aus Abs. 1 S 2 will die Selbsthilfe nicht ganz ausschließen, sondern nur verschieben. Es fehlt damit an dem erforderlichen Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der verletzten Pflicht zur Fristsetzung und dem Schaden, wenn die Voraussetzungen des § 910 Abs. 1 BGB im Übrigen vorlagen (Staudinger/Roth (2016) BGB § 910, Rn. 30; Grziwotz/Lüke/Sailer-Lüke, Praxishandbuch Nachbarrecht 2. Aufl. 2. Teil Rn 406; LG Gießen, Urteil vom 02.10.1999, 1 S 230/96, NJW-RR 1997, 655).

b)

Die Voraussetzungen des Selbsthilferechtes zum Rückschnitt gemäß § 910 Abs. 1 S. 2 BGB lagen – bis auf die Fristsetzung – am 10.11.2014 vor. Die Zweige der acht grenznah gepflanzten Thujen ragten unstreitig in unterschiedlichem Ausmaß, und zwar zwischen 0,5 und bis zu zwei Meter ab einer Höhe von jedenfalls 2 Metern und über eine Länge von ca. 9 Metern in den Luftraum des Grundstücks der Beklagten.

aa)

Das Selbsthilferecht der Beklagten war nicht gemäß § 910 Abs. 2 BGB ausgeschlossen. Gemäß § 910 Abs. 2 BGB ist das Selbsthilferecht ausgeschlossen, wenn die Zweige die Benutzung des Grundstücks nicht beeinträchtigen. Das Fehlen einer Beeinträchtigung ist eine von dem Eigentümer der Sträucher oder Bäume darzulegende und zu beweisende rechthindernde Einwendung (BGH, Urteil vom 26. November 2004 – V ZR 83/04 –, Rn. 28, juris). Erforderlich ist eine objektive, nicht lediglich subjektiv empfundene Beeinträchtigung (BGH, Urteil vom 14. November 2003 – V ZR 102/03 –, BGHZ 157, 3347, Rn. 20). Eine objektive Beeinträchtigung ist gegeben, wenn die konkrete Nutzung des Grundstücks durch die eingedrungenen Wurzeln oder Zweige erschwert oder verhindert wird; die Nutzung kann wirtschaftlichen Zwecken oder Freizeit und Erholung dienen (MüKoBGB/ Brückner, 7. Aufl. 2017, BGB § 910 Rn. 8). Eine objektive Beeinträchtigung der Nutzung des Grundstücks durch den Überhang in den unstreitigen Ausmaßen ist in den vorgelegten Lichtbildern zweifelsfrei dokumentiert.

Ob § 910 Abs. 2 BGB im Hinblick auf das nachbarliche Gemeinschaftsverhältnis einschränkend dahin auszulegen ist, dass ein Beseitigungsanspruch eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung voraussetzt, ist streitig (bejahend Senat Urteil vom 27. Mai 2014 – 12 U 168/13 –, Rn. 58, juris; OLG Köln, Urteil v. 12.07.2011 – 4 U 18/10, juris, Tz. 17; dagegen u. a. Staudinger/Roth (2016) BGB § 910, Rn. 18). Der Bundesgerichtshof hat diese Frage bislang ausdrücklich offengelassen (BGH, Urteil vom 14. November 2003 – V ZR 102/03 –, BGHZ 157, 33-47, Rn. 20) und einerseits eine Beeinträchtigung eines Nachbargrundstücks durch einen Zweig in fünf Meter Höhe verneint (BGH aaO) andererseits aber das Anheben einer einzelnen Gehwegplatte durch vom Nachbargrundstück herüberwachsende Wurzeln für hinreichend erachtet (BGH, Urteil vom 28. November 2003 – V ZR 99/03 –, Rn. 13, juris).

bb)

Die Frage kann auch hier offenbleiben. Nach den nicht zu beanstandenden Ausführungen des Landgerichts lag hier allein durch das Ausmaß des Überwuchses durch die hinüberragenden Zweige eine nicht nur unerhebliche, objektive Beeinträchtigung in der Nutzung ihres Grundstücks für die Beklagten vor.

(1)

Eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung jeglicher Nutzung durch den etwa auf den Lichtbildern AH I, B 1 Bild 2 und 3 sichtbaren Überhang ergibt sich bereits aus der Tatsache, dass die Zweige bereits ab einer Höhe von 2 Metern und auf der beträchtlichen Länge von 9 Metern bei immerhin vier der acht Bäume 2 Meter auf das Grundstück der Kläger herüberragten. Ein Erwachsener konnte – je nach Körpergröße – also den betroffenen Bereich nicht einmal ohne weiteres aufrecht begehen. Allein durch das Ausmaß des Überhangs in dieser Höhe ergibt sich eine eingeschränkte Nutzbarkeit dieses Grundstücksteils für die Kläger und eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung des in unmittelbarer Nähe zum Wohnhaus und damit naheliegenderweise intensiver genutzten Grundstücksteils. Ein nicht unerheblicher Teil des zum damaligen Zeitpunkt und bis heute als Rasenfläche genutzten Grundstücks der Beklagten war für einen Erwachsenen knapp über Augenhöhe durch dunkle immergrüne Zweige „überdacht“.

Die beeinträchtigende Wirkung für das Nachbargrundstück hängt ganz entscheidend von den Dimensionen des Überhangs und der Höhe der überhängenden Zweige an. Demgemäß wurde in der Vergangenheit etwa vom Bundesgerichtshof ein einzelner in einer Höhe von 5 Metern 40 cm auf das Nachbargrundstück ragender Zweig nicht als erhebliche Beeinträchtigung gewertet (BGH, Urteil vom 14. November 2003 – V ZR 102/03 –, BGHZ 157, 33-47, Rn. 20). Der Senat hat in seiner Entscheidung vom 27.05.2014 (12 U 168/13 BeckRS, 1126) den erst ab einer Höhe von vier Metern über dem Boden beginnenden Überhang einer Fichtenreihe für unerheblich erachtet. Gerade die Höhe aber auch die Breite und Tiefe des Überhangs und die Nutzung der beeinträchtigten Grundstücksfläche durch den Nachbarn ist für die von dem Überhang ausgehenden Nutzungsbeeinträchtigung von entscheidender Bedeutung. Je tiefer der Überhang ansetzt, umso größer ist die Beeinträchtigung für eine ansonsten freie Rasenfläche. Der von den Baumeigentümern zu führende Unerheblichkeitsnachweis dürfte in diesen Fällen allenfalls bei sehr großen Grundstücken und einer weiten Entfernung des Überhangs von dem Wohngebäude in Betracht kommen. Etwas anderes mag auch dann gelten, wenn der vom Überhang betroffenen Grundstücksbereich von dem beeinträchtigten Nachbarn seinerseits mit Bäumen oder Sträuchern bepflanzt ist, so dass der Bereich schon aufgrund der eigenen Nutzung des Nachbarn nicht begangen wird. Darauf, ob und wie häufig die Kläger den Luftraum an dieser Stelle – etwa zum Ballspiel nutzen – kommt es nicht an. Die Beklagte behauptet, auf der insgesamt nur 110 qm umfassenden Rasenfläche ihres Grundstücks finde auch Ballspiel statt und sie lege sich mit dem Liegestuhl an die Grenze (Protokoll der Sitzung vom 19.02.2019 S. 2, II, 66). Grundsätzlich steht es dem Eigentümer frei, sein Grundstück zu nutzen, wie er dies möchte. Dass im betroffenen Bereich des Grundstücks der Beklagten jedenfalls im Jahr 2014 und damit zum entscheidenden Zeitpunkt Ball gespielt wurde, hat der Kläger selbst eingeräumt, indem er vortragen ließ, die von ihm in den Thujen angebrachten Tarnnetze dienten dem Schutz vor herüberfliegenden Fußbällen (Schriftsatz vom 27.12.2016 S. 4, I, 17).

(2)

Eine nicht nur unerhebliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten durch den Überhang bestand auch in dem Entzug von Licht durch die herüberwachsenden Zweige. Das Landgericht hat bei dem von ihm eigenommen Augenschein festgestellt, dass mit Bezug auf die Lichtverhältnisse ein Abschneiden der überhängenden, wegen ihrer immergrünen Farbe besonders lichtschluckenden Äste bis zur tatsächlich erfolgten Schnitthöhe erforderlich war (LGU S. 10, I, 195).

Im Falle der Einnahme eines Augenscheins durch das Erstgericht sind im Berufungsverfahren grundsätzlich die hierbei getroffenen und im Protokoll oder aber im erstinstanzlichen Urteil enthaltenen Feststellungen zugrunde zu legen. Eine Wiederholung des Augenscheins durch das Berufungsgericht ist nur dann veranlasst, wenn die erstinstanzlichen Feststellungen lückenhaft oder widersprüchlich sind oder, wenn schlüssig – etwa durch Vorlage von Lichtbildern -, andere tatsächliche Verhältnisse dargelegt werden (Senat Urteil vom 25. Juli 2014 – 12 U 162/13 –, Rn. 33, juris; Zöller – Gummer/Heßler, ZPO 30. Aufl. 2014, § 529, Rn. 6). Solches ist vorliegend aber weder dargetan noch sonst ersichtlich. Der vom Landgericht festgestellte Lichtentzug durch die bis zu zwei Meter über die Grenze ragenden dunklen Äste ist bereits im Hinblick auf die Lage des Wohnhauses der Kläger im Verhältnis zu den Bäumen nicht ganz unerheblich. Diese Beeinträchtigung konnte durch das Landgericht vor Ort bei dem Augenscheinstermin und aufgrund der vorgelegten Lichtbilder (AH I, B 1 Lichtbild 2, 3) festgestellt werden. Zwar waren die überhängenden Zweige bei dem Augenscheinstermin bereits entfernt. Ausweislich der dort gefertigten Lichtbilder und im Zusammenhang mit den vorgelegten Lichtbildern zum früheren Zustand konnte das Landgericht auf den Zustand vor dem Rückschnitt – gerade was die Auswirkungen der Zweige für die Lichtverhältnisse im Wohnhaus der Beklagten angeht – schließen. Das Landgericht hat festgestellt, dass die überragenden Zweige im Bereich der Hausecke nah an die Fenster des Wohnhauses der Beklagten ragen, so dass eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung der Lichtverhältnisse für die Fenster im Erdgeschoss, wie von der Beklagten berichtet, nachvollziehbar ist. Dies gilt umso mehr, als die Beeinträchtigung nicht von den Zweigen eines einzelnen Baums sondern von einer Baumreihe mit acht Bäumen, und zwar über eine Länge von mehr als 9 Metern, ausging.

Soweit der Kläger meint, eine Beeinträchtigung der der Lichtverhältnisse hätte durch einen Sachverständigen festgestellt werden müssen, so ist dieses Beweismittel hier ungeeignet. Die für eine Sachverständige Feststellung der Lichtverhältnisse erforderlichen Anknüpfungstatsachen liegen nicht vor, da eine Messung der Lichtverhältnisse vor dem Rückschnitt nicht mehr möglich ist.

Da eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung bereits aus den genannten Gründen bestand, ist irrelevant, dass eine Beeinträchtigung durch Schattenfall bei den streitgegenständlichen Thujen bereits aufgrund der Lage der Baumreihe weitgehend ausscheidet. Auch die Frage, ob die Beklagten eine gärtnerische Nutzung dieses Grundstücksteils in naher Zukunft beabsichtigen, wie in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019 behauptet, kann dahinstehen.

(3)

Die Beeinträchtigungen der Nutzung des Grundstücks der Beklagten wurde durch den bei dem Augenscheinstermin des Landgerichts dokumentierten Rückschnitt bis zu einer Höhe von ca. 4 bis 5 Metern beseitigt. Das Selbsthilferecht gemäß § 910 BGB scheidet aus, wenn trotz Beseitigung des Überhangs die Beeinträchtigung in gleicher Weise – etwa durch die Pflanzen selbst – fortbesteht (Senat, Urteil vom 27. Mai 2014 – 12 U 168/13 -, Rn. 58, juris m. w. N.).

Die Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten wurde durch den Rückschnitt jedenfalls spürbar vermindert. Dies ist ausreichend. Zwar besteht nach wie vor ein deutlicher Überhang durch die Thujen. Dieser befindet sich nunmehr aber in einer Höhe von ca. 4 bis 5 Metern und führt damit nicht zu einer direkten Nutzungsbeeinträchtigung beim Begehen des Grundstücks oder zu Freizeitnutzung – etwa beim Ballspiel. Auf die Frage, ob an dieser Stelle heute noch Ball gespielt wird, kommt es nicht an, da die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Rückschnitts maßgeblich sind. Noch in der Klagschrift hatten die Kläger selbst vortragen lassen, sie hätten 2014 (also zum Zeitpunkt des Rückschnitts) in die Thujen Netze gespannt, um auf ihr Grundstück fliegende Fußbälle zu stoppen (Schriftsatz vom 27.12.2016 S. 4, I, 17). Auch die Lichtverhältnisse auf dem Grundstück der Beklagten wurde durch den erfolgten Rückschnitt jedenfalls verbessert. So wurde der Lichteinfall von oben direkt unterhalb des Überhangs durch den Rückschnitt verbessert. Die Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung vom 19.02.2019 auch bestätigt, dass sich die Lichtverhältnisse im im Erdgeschoss gelegenen Zimmer ihres Sohnes jedenfalls verbessert hätten (Protokoll der Sitzung vom 19.02.2019 S. 2, II, 66).

(4)

Das Selbsthilferecht der Beklagten bestand nicht lediglich hinsichtlich derjenigen Bäume, deren Zweige bis zu zwei Meter über das Grundstück der Beklagten überragten. Aus den vorgelegten Lichtbildern (AH I, B 1 Bild 2 und 3) ist eine erhebliche Beeinträchtigung des Grundstücks der Beklagten durch den dichten Überwuchs der aus 8 Bäumen bestehenden Baumreihe ersichtlich. Damit besteht das Selbsthilferecht der Beklagten hinsichtlich des Überhangs insgesamt (nach Fristsetzung). Insbesondere bei dichtem Überwuchs – wie hier – ist eine gewisse Großzügigkeit angebracht (Staudinger/Roth (2016) BGB § 910, Rn. 25). Ist eine nicht unerhebliche Beeinträchtigung festgestellt und geht diese von einer ganzen Baumreihe aus, muss die Beeinträchtigung nicht hinsichtlich jedes einzelnen Baumes oder gar Zweiges gesondert festgestellt werden. Eine solche Auslegung der Bestimmungen des § 910 BGB würde das Selbsthilferecht – gerade bei besonders intensiven Beeinträchtigungen durch dichten Überwuchs – entwerten.

cc)

Der Kläger kann sich zur Begründung seines Schadensersatzanspruchs gegen die Beklagten nicht auf einen Verstoß gegen die Baumschutzsatzung der Stadt … berufen kann. Die Beschränkung des Selbsthilferechts durch die Baumschutzsatzung wirkt nur im Verhältnis zur öffentlichen Gewalt (Staudinger/Roth (2016) BGB § 910, Rn. 22; OLG München, Urteil vom 11. Mai 2016 – 20 U 4831/15 –, Rn. 27, juris; a. A. OLG Düsseldorf, Urteil vom 18. Oktober 1991 – 22 U 220/90 –, Rn. 11, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht in Bremen, Urteil vom 15. Mai 1998 – 4 U 4/98 –, Rn. 10, juris). Die Baumschutzsatzung dient lediglich dem Schutz öffentlicher Interessen (OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Dezember 1987 – 13 U 79/87 –, Rn. 27, juris).

Selbst wenn man mit der Gegenmeinung davon ausgeht, bei einem Verstoß gegen die Baumschutzsatzung entfalle das Selbsthilferecht der Beklagten aus § 910 Abs. 1 BGB, so kann ein solcher Verstoß vorliegend nicht festgestellt werden, da die Beklagten Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis gemäß § 7 der Baumschutzsatzung der Stadt … gehabt hätten.

(1)

Kann naturschutzrechtlich eine Ausnahmegenehmigung erlangt werden, so entfällt bei einem ohne Erlaubnis der Naturschutzbehörde erfolgten Rückschnitt der Pflichtwidrigkeitszusammenhang zwischen der verletzten Norm – Nichteinholung der Erlaubnis und dem behaupteten Schaden – Minderwert des klägerischen Grundstücks durch den Rückschnitt der Bäume. Die naturschutzrechtliche Zulässigkeit ist von den Zivilgerichten selbständig zu prüfen (BGH, Urteil vom 26. November 2004 – V ZR 83/04 – , Rn. 23, juris).

(2)

Unstreitig unterfielen sieben der acht von dem Beklagten zurückgeschnittenen Bäume aufgrund ihres Stammumfangs gemäß § 2 (1) der Baumschutzsatzung der Stadt … . Durch den Rückschnitt wurden diese Bäume im Sinne von § 4 (4) der Baumschutzsatzung verändert, was ohne schriftliche Erlaubnis der unteren Naturschutzbehörde verboten ist. Gemäß § 7 (1) Baumschutzsatzung der Stadt … können nach § 4 verbotene Handlungen auf schriftlichen Antrag im Einzelfall erlaubt werden. Das damit eröffnete Ermessen ist gemäß § 7 (2) Ziff. 1 1. Alt. der Baumschutzsatzung der Stadt … auf Null reduziert, wenn der Eigentümer oder ein sonstiger Berechtigter auf Grund gesetzlicher Vorschriften … verpflichtet oder berechtigt ist, den Baum zu entfernen oder zu verändern;“. Nach der Baumschutzsatzung der Stadt … gehen somit aufgrund gesetzlicher Vorschriften bestehende Rechte oder Pflichten der Baumschutzsatzung vor. Nicht erforderlich ist, dass der Rechteinhaber diese bereits durch ein rechtskräftiges Urteil erstritten hat, denn ein rechtskräftiges Urteil ist als weitere Alternative eines Anspruchs auf Erteilung einer Erlaubnis im § 7 (2) Nr. 1 2. Alt. genannt. Eine gesetzliche Vorschrift in diesem Sinne ist auch § 910 Abs. 1 S. 2 BGB. Hierauf hat bereits das Landgericht hingewiesen (LGU S. 11). Soweit die Berufung anführt, eine Erlaubnis wegen Lichtentzugs sei nur dann zu erteilen, wenn eine erhebliche Verdunkelung mit dem Erfordernis, auch am Tag künstliches Licht zu verwenden eingetreten sei, so beziehen sich entsprechende verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen auf andere Baumschutzsatzungen, die höhere Anforderungen an die Erteilung einer Erlaubnis stellen (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 02. Oktober 1996 – 5 S 831/95 –, Rn. 29, juris für eine Baumschutzsatzung, die für die Erteilung einer Erlaubnis eine „unzumutbare Beeinträchtigung“ erforderte).

2. Die Kläger haben auch keinen Anspruch auf Schadensersatz gegen die Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. der Baumschutzsatzung der Stadt …

Bei der Baumschutzsatzung der Stadt … handelt es sich um kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB. Gemäß § 3 der Baumschutzsatzung der Stadt … bezweckt diese die Bestandserhaltung der Bäume zur Verbesserung des Stadtklimas und zur Sicherung der Lebensstätten für die Tier- und Pflanzenwelt sowie zur Belebung, Gliederung und Pflege des Orts- und Landschaftsbildes und zur Sicherung der Naherholung. Die Baumschutzsatzung dient damit dem Schutz von Interessen des Gemeinwohls und nicht dem Schutz subjektiver Rechte (OLG München, Urteil vom 11. Mai 2016 – 20 U 4831/15 –, Rn. 26, juris; OLG Hamm, Urteil vom 30. November 1992 – 5 U 163/92 –, Rn. 13, juris; OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Dezember 1987 – 13 U 79/87 –, Rn. 27, juris).

3. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf die begehrte Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftige aus dem Rückschnitt resultierende Schäden. Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 1 und 2 BGB scheitert bereits dem Grunde nach (s.o. 1. und 2.).

B

Die Anschlussberufung der Beklagten ist nicht begründet. Der Kläger hat einen Anspruch gegen beide Beklagte auf Unterlassen des Rückschnitts von ihnen gehörenden Bäumen und Sträuchern aus § 1004 Abs. 1 S. 2 BGB, sofern dieser nicht durch § 910 BGB gerechtfertigt ist. Im Hinblick auf die Formulierung von § 910 Abs. 2 BGB war der Tenor des landgerichtlichen Urteils wie geschehen zu korrigieren. Die Frage, ob das Selbsthilferecht nur bei wesentlichen Beeinträchtigungen besteht, ist streitig, aus dem Gesetzestext ergibt sich eine solche Beschränkung nicht.

Dass die Beklagten acht Thujen ohne Einholung einer Erlaubnis und ohne die erforderliche Fristsetzung zurückgeschnitten haben und damit im Sinne von § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB das Miteigentum des Klägers an den Bäumen als Störer beeinträchtigt haben, steht fest.

Angesichts des bereits erfolgten rechtswidrigen Eingriffs spricht eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen der erforderlichen Wiederholungsgefahr (BGH, Urteil vom 12. Dezember 2003 – V ZR 98/03 –, Rn. 9, juris). Diese Wiederholungsgefahr wurde weder durch Zeitablauf noch durch die von den Beklagten im Laufe des Verfahrens abgegebenen Erklärungen ausgeräumt.

Wenn der Kläger die Wiederholungs- bzw. Erstbegehungsgefahr nachgewiesen hat, dann trägt der Beklagte die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass diese Gefahr inzwischen beseitigt ist (vgl. BGH, Urteil vom 06. Juli 1954 – I ZR 38/53 –, BGHZ 14, 163-179, Rn. 16). So wird, wenn der Antrag auf Klageabweisung mit der Begründung aufrechterhalten wird, die als verletzend beanstandete Handlung sei berechtigt, die Wiederholungsgefahr selbst dann nicht ausgeräumt, wenn der Beklagte im Verlauf des Rechtsstreits das Versprechen ablegt, sich der beanstandeten Handlung in Zukunft zu enthalten (BGH aaO).

Eine strafbewehrte Unterlassungserklärung haben die Beklagten nicht abgegeben. Allein aufgrund des – im Übrigen relativ überschaubaren – Zeitablaufs ist eine Wiederholungsgefahr nicht ausgeschlossen. Dies gilt umso mehr als der Beklagte, wie er selbst einräumt, die Thujen des Klägers bereits im Jahr 2003 bereits einmal ohne Einholung einer Erlaubnis zurückgeschnitten hat (Protokoll der Sitzung des Landgerichts Mannheim vom 23.03.2017 S. 2, I, 65). Auch ist eine Wiederholung nicht aus tatsächlichen Gründen ausgeschlossen. So können die Thujen oder andere Bäume oder Sträucher des Klägers wieder in Richtung des Grundstücks der Beklagten überwachsen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 97 Abs. 1, 92 Abs. 1, 100 Abs. 1 ZPO. Die Streichung der Worte „oder nicht wesentlich“, dient lediglich der Klarstellung. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Ziff. 10, 713 ZPO. Anlass zur Zulassung der Revision bestand nicht. Soweit Rechtsfragen im Bereich des § 910 BGB noch nicht höchstrichterlich entschieden sind, so können diese Fragen für die hiesige Entscheidung offenbleiben.

 

 

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