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Rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss einer Instanz

Kein Anspruch auf rückwirkende Prozesskostenhilfe

Im Zentrum des Rechtsdiskurses steht die Frage der rückwirkenden Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem Abschluss einer Instanz. Diese Thematik berührt grundlegende Aspekte des Verwaltungs- und Zivilrechts und wirft wichtige Fragen zur Zugänglichkeit von Rechtsmitteln auf. Prozesskostenhilfe ist eine wesentliche Säule im Rechtssystem, die darauf abzielt, Personen unabhängig von ihren finanziellen Möglichkeiten den Zugang zum Gericht zu ermöglichen. Die Herausforderung in solchen Fällen liegt darin, die Balance zwischen der Notwendigkeit, rechtzeitige und effektive Rechtsmittel bereitzustellen, und der ordnungsgemäßen Verwaltung der Justiz zu finden.

Besonders kritisch wird diese Balance, wenn über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach bereits abgeschlossenem Instanzverfahren entschieden werden muss. Hierbei erheben sich Fragen nach dem angemessenen Zeitpunkt für die Einreichung von Anträgen und der Beurteilung der Erfolgsaussichten einer rechtlichen Auseinandersetzung. Diese Aspekte sind entscheidend, um zu verstehen, inwiefern das Rechtssystem effektiven Rechtsschutz für alle Bürger gewährleisten kann.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 14 PA 103/23 >>>

Das Wichtigste in Kürze


Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg lehnte die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach Abschluss einer Instanz ab, wobei es betonte, dass eine solche Bewilligung nur in Ausnahmefällen und unter bestimmten Voraussetzungen möglich ist.

Zentrale Punkte aus dem Urteil:

  1. Rückweisung der Beschwerde: Das OVG Lüneburg wies die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg zurück, welcher die Prozesskostenhilfe versagte.
  2. Keine Erstattung außergerichtlicher Kosten: Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens wurden nicht erstattet, ebenso wurden keine Gerichtskosten erhoben.
  3. Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe: Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist Prozesskostenhilfe nur unter bestimmten Bedingungen zu gewähren.
  4. Rückwirkende Bewilligung als Ausnahme: Eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe ist grundsätzlich nach Abschluss einer Instanz nicht möglich, außer das Gericht hätte sie vorher bewilligen müssen.
  5. Entscheidende Zeitpunkte: Die rückwirkende Bewilligung hängt von der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Bewilligungsreife bzw. der Gerichtsentscheidung ab.
  6. Wichtigkeit rechtzeitiger Anträge: Der Antragsteller ist verpflichtet, den maßgeblichen Sachverhalt in der betreffenden Instanz und nicht erst im Rechtsmittelverfahren vorzubringen.
  7. Unanfechtbarkeit des Beschlusses: Der Beschluss des OVG Lüneburg ist unanfechtbar gemäß § 152 Abs. 1 VwGO.
  8. Bedeutung für die Rechtspraxis: Das Urteil verdeutlicht die Wichtigkeit des Verständnisses der rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Beantragung von Prozesskostenhilfe

Rückblick auf den Rechtsfall: Prozesskostenhilfe und Instanzabschluss

Wann ist eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe möglich?
(Symbolfoto: Zerbor /Shutterstock.com)

Im Zentrum des Rechtsfalles steht die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe nach dem Abschluss einer Instanz. Konkret ging es um einen Fall, in dem das Oberverwaltungsgericht Lüneburg mit dem Aktenzeichen 14 PA 103/23 am 16. November 2023 einen Beschluss fällte. Dieser Beschluss betraf die Beschwerde eines Antragstellers gegen einen vorherigen Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg. Dieses hatte die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein auf vorläufige Gewährung der Eingliederungshilfe – speziell Taxi-Einzelfahrten zum Gymnasium – gerichtetes Begehren abgelehnt.

Die rechtliche Herausforderung: Voraussetzungen für Prozesskostenhilfe

Der Kern des rechtlichen Problems lag in der Frage, unter welchen Bedingungen Prozesskostenhilfe rückwirkend nach Abschluss einer Instanz bewilligt werden kann. Gemäß § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO wird Prozesskostenhilfe unter bestimmten Voraussetzungen gewährt. Diese umfassen, dass eine Partei die Kosten der Prozessführung nicht vollständig selbst tragen kann und die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet. In diesem Fall war die Instanz bereits beendet, was die Angelegenheit komplizierter machte, da eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe normalerweise nicht mehr möglich ist.

Entscheidung des OVG Lüneburg: Keine rückwirkende Bewilligung

Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg wies die Beschwerde des Antragstellers zurück. Die Begründung hierfür lag darin, dass zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Verfahrens keine hinreichenden Erfolgsaussichten für den Eilantrag bestanden. Interessant ist hierbei, dass der Antragsteller erst im Beschwerdeverfahren neue Beweismittel vorlegte, welche die Ausführungen des Antragsgegners infrage stellten. Diese neuen Beweismittel konnten jedoch für die Entscheidung über die Prozesskostenhilfe für das bereits abgeschlossene erstinstanzliche Verfahren nicht mehr berücksichtigt werden.

Auswirkungen der Entscheidung: Prozesskosten und Beschwerdeverfahren

Die Entscheidung des OVG Lüneburg hat zur Folge, dass der Antragsteller die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens selbst tragen muss. Zudem werden keine Gerichtskosten erhoben. Diese Entscheidung ist unanfechtbar und betont die Wichtigkeit, alle relevanten Beweismittel rechtzeitig im Verfahren einzubringen. Sie unterstreicht auch die Bedeutung der genauen Kenntnis der rechtlichen Rahmenbedingungen bei der Beantragung von Prozesskostenhilfe.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Wann ist eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe möglich?

Die rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) in Deutschland ist grundsätzlich möglich, jedoch unterliegt sie bestimmten Bedingungen. Eine rückwirkende Bewilligung kommt in der Regel nur in Betracht, wenn der Antrag auf PKH vor Abschluss der Instanz gestellt wurde.

Ein formgerechter und vollständiger Antrag ist dabei eine wesentliche Voraussetzung. Dieser muss nach § 112c Abs. 1 Satz 1 BRAO in Verbindung mit § 117 ZPO gestellt werden und hätte vor Abschluss der Instanz positiv beschieden werden können. Ein unvollständiger Antrag kann zur Ablehnung der rückwirkenden Bewilligung führen, wie ein Fall des Bundesgerichtshofs zeigt, in dem der Antragsteller die Einkommensinformationen seiner Ehefrau nicht angegeben hatte.

Es ist auch zu berücksichtigen, dass die Kosten, die vor der Antragsstellung entstanden sind, nicht erstattet werden, wenn die PKH nachträglich, aber vor Ende des Verfahrens beantragt wird.

Darüber hinaus muss der Antragsteller die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse zeitgleich mit dem Antrag darlegen, um eine rückwirkende Bewilligung der PKH zu ermöglichen.

Es sollte jedoch beachtet werden, dass eine rückwirkende Bewilligung von PKH grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Daher ist es ratsam, den Antrag auf PKH so früh wie möglich zu stellen, um die Chancen auf eine Bewilligung zu erhöhen.


Das vorliegende Urteil

OVG Lüneburg – Az.: 14 PA 103/23 – Beschluss vom 16.11.2023

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Lüneburg – 4. Kammer – vom 29. August 2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Die Beschwerde gegen den erstinstanzlichen Beschluss, mit dem das Verwaltungsgericht die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das auf vorläufige Gewährung der klageweise geltend gemachten Eingliederungshilfe – Taxi-Einzelfahrten zum Gymnasium in E. – gerichtete Begehren abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.

Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.

Eine für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe erforderliche und Erfolg versprechende beabsichtigte Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung ist allerdings grundsätzlich dann nicht mehr möglich, wenn – wie hier – die Instanz, für die Prozesskostenhilfe begehrt wird, bereits beendet ist. Eine rückwirkende Bewilligung von Prozesskostenhilfe kommt nur dann ausnahmsweise noch nach Abschluss der Instanz in Betracht, wenn das Gericht sie bereits vor Beendigung des Verfahrens hätte bewilligen müssen und der Prozesskostenhilfeantrag zum Zeitpunkt der Erledigung des Verfahrens im Sinne der Bewilligung entscheidungsreif war (vgl. BVerfG, Beschl. v. 14. April 2010 – 1 BvR 362/10 -, juris Rn. 13 f.; BVerwG, Beschl. v. 3.3.1998 – 1 PKH 3.98 -, juris Rn. 2; BGH, Beschl. v. 7.3.2012 – XII ZB 391/10 -, juris Rn. 10; BayVGH, Beschl. v. 24.1.2008 – 11 C 07.2133 -, juris Rn. 7 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 18.2.2003 – 16 E 89/03 -, juris Rn. 2 f.; vgl. auch bereits Senatsbeschl. v. 6.10.2023 – 14 PA 99/23 -, v.n.b. sowie v. 8.5.23 – 14 PA 40/23 -, v.n.b.).

Die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme liegen hier jedoch nicht vor. Das Verwaltungsgericht ist bei seiner Entscheidung unter Berücksichtigung der seinerzeit maßgeblichen Sach- und Rechtslage zutreffend davon ausgegangen, dass der Eilantrag keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bot. Es hat sich dafür auf die Ausführungen des Antragsgegners gestützt, der – wiederum unter Bezugnahme auf Berichte des Gymnasiums E. und Protokolle von Teilhabeprüfungen in den Verwaltungsvorgängen – dargelegt hatte, dass der Antragsteller keine Schwierigkeiten (mehr) mit der Nutzung des ÖPNV habe. Erst mit dem Beschwerdevorbringen hat der Antragsteller eigene Erklärungen, eine Erklärung seines Bruders und eine eidesstattliche Versicherung seiner Mutter sowie einen ausführlicheren fachärztlichen Befundbericht der Praxis F. vorgelegt, die den Ausführungen des Antragsgegners entgegentreten, so dass die Erfolgsaussichten im Beschwerdeverfahren bis zur beiderseitigen Erledigungserklärung als offen zu bewerten waren (vgl. den Einstellungsbeschluss vom heutigen Tage in dem zugehörigen Eilverfahren 14 ME 102/23). Dies kann jedoch für die Frage, ob für das (abgeschlossene) erstinstanzliche Verfahren Prozesskostenhilfe zu bewilligen war, keine Berücksichtigung mehr finden, da es – wie ausgeführt – lediglich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Bewilligungsreife bzw. der Entscheidung des Verwaltungsgerichts ankommt. Ein Antragsteller, der Prozesskostenhilfe, mithin eine Sozialleistung, für eine Instanz begehrt, ist gehalten, den maßgeblichen Sachverhalt auch bereits in dieser Instanz und nicht erst mit dem Rechtsmittel vorzutragen (Rechtsgedanke des § 155 Abs. 4 VwGO; vgl. auch VGH BW, Beschl. v. 16.8.2023 – 11 S 2717/22 -, juris Rn. 5 m.w.N.). Der Antragsteller hatte dazu auch Gelegenheit. Die erstinstanzliche Stellungnahme des Antragsgegners datiert vom 26. Juli 2023, das Verwaltungsgericht hat erst am 29. August 2023 entschieden.

Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i. V. m. § 127 Abs. 4 ZPO werden die außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens nicht erstattet.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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