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Schadensersatzpflicht eines vom Gericht ernannten Sachverständigen

OLG Hamm – Az.: I-7 U 59/18 – Urteil vom 24.01.2020

Die Berufung der Klägerin gegen das am 20.06.2018 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hagen wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Dieses und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Klägerin wird nachgelassen, die Vollstreckung seitens des Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt vom Beklagten als gerichtlich in einem Vorprozess bestelltem Gutachter Schadensersatz wegen Erstattung eines unrichtigen medizinischen Gutachtens.

Mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen Tatbestand wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes bis zum Abschluss der ersten Instanz einschließlich der gestellten Anträge gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO Bezug genommen wird, hat das Landgericht Hagen die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, ein Anspruch der Klägerin bestehe nicht, weil der behauptete Schadenseintritt nicht auf einer gerichtlichen Entscheidung i. S. d. § 839a BGB beruhe, sondern auf anderweitiger Erledigung des Erstprozesses, nachdem die Klägerin nach ergänzender Beweisaufnahme in der Berufungsinstanz ihre Berufung zurückgenommen habe. Soweit man von einer anderweitigen Erledigung immer dann ausgehe, wenn eine Partei von ihrem bisherigen Rechtsschutzbegehren Abstand nehme und auf eine streitige Entscheidung verzichte, beruhe auch der vorliegende Prozessverlust auf einem Verzicht auf eine streitige Entscheidung in der Berufungsinstanz. Die Gesetzesmaterialien und der Sinn und Zweck der Vorschrift sprächen dagegen, dass eine Berufungsrücknahme nach zweitinstanzlicher Beweisaufnahme in den Anwendungsbereich des § 839a Abs. 1 BGB falle. Der Ausschluss anderweitiger Prozesserledigungen durch autonome Entscheidung der Parteien beruhe darauf, dass der Nachweis der Ursächlichkeit des unrichtigen Gutachtens für die Verfahrensbeendigung, insbesondere dessen Einfluss auf die Motivation der Parteien zur anderweitigen Prozessbeendigung, nur schwer zu erbringen sei. Sofern es im Rechtsmittelverfahren zu einer ergänzenden Beweisaufnahme vor der Rechtsmittelrücknahme gekommen sei, bleibe offen, ob ein in erster Instanz im Gutachten enthaltener Fehler fortgewirkt habe oder ob die Rechtsmittelrücknahme trotz Behebung der Unrichtigkeit oder unabhängig von ihr aus anderweitigen Motiven erklärt worden sei. Inwieweit sich die Motivation zur Rechtsmittelrücknahme noch aufklären lasse, sei unerheblich, da das Erfordernis einer „gerichtlichen Entscheidung“ die Haftung auf solche Fälle begrenzen solle, in denen sich das unrichtige Gutachten in der gerichtlichen Entscheidung selbst niederschlage und dessen Ursächlichkeit dadurch zweifelsfrei belegt werde. Der Charakter des § 839a BGB als abschließende Spezialregelung der Gutachterhaftung lege außerdem eher eine enge als eine weite Auslegung nahe, welche auch eine analoge Anwendung auf Fälle anderweitiger Erledigung verbiete.

Dagegen richtet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr erstinstanzliches Klagebegehren weiterverfolgt. Zur Begründung führt sie aus, die Annahme des Landgerichts, die Berufungsrücknahme nach zweitinstanzlicher Beweisaufnahme sei als anderweitige Erledigung i. S. d. § 839a Abs. 1 BGB anzusehen, sei rechtsfehlerhaft. Die durch das Landgericht zur Untermauerung seiner Rechtsansicht angeführte Gesetzesbegründung beziehe sich lediglich auf den Abschluss eines Vergleichs, bei dem die Motivation der Parteien nur schwer feststellbar sei. Bei der vorliegenden Konstellation der Berufungsrücknahme sei aber eindeutig, dass die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem OLG Hamm nur deshalb die Berufung zurückgenommen habe, weil sie vom Senat mit Blick auf das Gutachten des Beklagten auf den fehlenden Nachweis eines Behandlungsfehlers der damaligen Beklagten sowie die Unbegründetheit ihrer Berufung aus diesem Grunde hingewiesen worden sei. Der Ursachenzusammenhang sei damit klar ersichtlich. Dass der Beklagte im Rahmen der mündlichen Erläuterung des Gutachtens sein unrichtiges Gutachten erneut inhaltlich bestätigt habe, ergebe sich – auch ohne Protokollierung – daraus, dass der Senat im Hinblick auf die Erläuterungen zur Berufungsrücknahme geraten habe.

Schließlich sei zu berücksichtigen, dass § 839a Abs. 2 auf § 839 Abs. 3 BGB verweise und diesen für entsprechend anwendbar erkläre. Insoweit werde deutlich, dass sich der Bürger grundsätzlich auf die Richtigkeit eines Sachverständigengutachtens verlassen dürfe ebenso wie auf die Beweiswürdigung des Gerichts.

Schließlich hätte die Rechtsauffassung des Landgerichts zur Folge, dass künftig aus anwaltlicher Vorsorge im Falle des negativen Ausgangs einer Begutachtung für den Mandanten gleichwohl Berufungen in mündlicher Verhandlung nicht mehr zurückgenommen werden sollten, da anderenfalls eine Inanspruchnahme des Sachverständigen nach § 839a BGB ausgeschlossen wäre.

Das Landgericht habe daher die Frage der grob fahrlässig unrichtigen Gutachtenerstattung durch den Beklagten im Erstprozess klären müssen.

Die Klägerin beantragt, unter Abänderung des am 20.06.2018 verkündeten Urteils des Landgerichts Hagen, Az. 2 O 331/17,

1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld, welches einen Betrag i. H. v. 30.000,00 EUR nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 20.05.2017 zu zahlen,

2. festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, welche dieser aus der fehlerhaften Behandlung der Frau X in der Zeit vom 25.01. bis zum 13.02.2013 sowie durch die Erstellung des Gutachtens vom 17.04.2014 und die mündlichen Erläuterungen des Gutachtens vom 03.12.2014 entstanden sind und/oder noch entstehen werden; immaterielle Schäden dabei nur insoweit, als sie derzeit noch nicht vorhersehbar sind; materielle Schäden, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übertragen werden,

sowie hilfsweise das Verfahren gemäß § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO an das Landgericht Hagen zurückzuverweisen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das Urteil. Er ist der Ansicht, das Landgericht sei zutreffend von einer anderweitigen Erledigung des Rechtsstreits durch Berufungsrücknahme der Klägerin ausgegangen, die nicht unter den Anwendungsbereich des § 839a BGB falle. Die Klägerin habe von ihrem Rechtsschutzziel Abstand genommen und auf eine streitige Gerichtsentscheidung bewusst verzichtet. Es sei offen, ob und inwiefern die Entscheidung zur Rücknahme der Berufung auf dem Fortwirken des Gutachtens des Beklagten beruhe. Insofern werde die Motivation der Klägerin zur Berufungsrücknahme mit Nichtwissen bestritten. Es sei davon auszugehen, dass Ansprüche schon an der Kausalität gescheitert wären.

Auch fehle es an der erforderlichen Rechtswegerschöpfung. Die Berufung im Verfahren gegen Frau X sei zurückgenommen worden; im Verfahren gegen das Klinikum M sei keine Berufung eingelegt worden. Die Klägerin hätte die gegen Frau X gerichtete Klage auf die N Kliniken GmbH erweitern und so divergierende Entscheidungen vermeiden können.

Der Beklagte bestreitet eine fehlerhafte Begutachtung; das Gutachten sei fachlich einwandfrei.

Der Senat hat die Klägerin und den Beklagten gemäß § 141 ZPO persönlich angehört. Wegen des Ergebnisses der Anhörungen wird auf den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 19.02.2019 (Bl. 153 d.A.) verwiesen. Zudem hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens gemäß dem Beweisbeschluss vom 19.02.2019 (Bl. 149 d.A.), auf den wegen des Gegenstands der Beweiserhebung verwiesen wird. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das schriftlichen Gutachten des Sachverständigen Y vom 15.07.2019 sowie den Berichterstattervermerk zum Senatstermin vom 24.01.2020 (Anlage zum Protokoll, Bl. 209 d.A.), in dem der Sachverständige sein Gutachten auf klägerischen Antrag erläuterte, Bezug genommen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist zulässig, aber unbegründet.

Eine Berufung ist begründet, wenn das Urteil des Landgerichts auf Rechtsfehlern beruht oder wenn die gemäß §§ 529, 531 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere – hier für die Klägerin günstigere – Entscheidung rechtfertigen. Hier hat das Landgericht die Klage jedoch im Ergebnis zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Schadensersatz aus § 839a BGB. Gemäß § 839a Abs. 1 BGB ist ein vom Gericht ernannter Sachverständiger zum Schadensersatz insoweit verpflichtet, als er vorsätzlich oder grob fahrlässig ein unrichtiges Gutachten erstattet und eine gerichtliche Entscheidung hierauf beruht. § 839a BGB erfordert einen zweiaktigen Geschehensablauf, nämlich ein unrichtiges Gutachten, das Eingang in eine unrichtige gerichtliche Entscheidung gefunden hat, die ihrerseits den Schaden herbeiführt (BGH, Urteil vom 09. März 2006 – III ZR 143/05 -, Rn. 5, juris).

Zwar ist die Klage entgegen der landgerichtlichen Rechtsansicht nicht bereits wegen des Fehlens einer gerichtlichen Entscheidung im Sinne des § 839a BGB ohne Erfolg, wie die Berufung insoweit zu Recht geltend macht, scheitert aber gleichwohl daran, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme der Beklagte im Erstprozess kein unrichtiges fachärztliches Gutachten erstattet hat. Im Einzelnen:

1.

Eine Haftung des Beklagten scheidet nicht bereits aufgrund des Fehlens einer auf dem Sachverständigengutachten des Beklagten beruhenden gerichtlichen Entscheidung aus.

In der vorliegenden Konstellation, in der das auf dem Gutachten des jetzigen Beklagten beruhende erstinstanzliche Urteil des Landgerichts Hagen im Verfahren 10 O 263/13 nach Rücknahme der Berufung der Klägerin, die auf einem entsprechenden Hinweis des damals zuständigen 3. Senats nach ergänzender Beweisaufnahme beruhte, rechtskräftig geworden ist, liegt eine gerichtliche Entscheidung im Sinne des § 839a ZPO vor.

(a) Das nach der Berufungsrücknahme der Klägerin rechtskräftig gewordene Urteil des Landgerichts Hagen beruhte auf dem Sachverständigengutachten des Beklagten. Ein Beruhen einer Entscheidung auf dem Gutachten ist gegeben, wenn die Entscheidung des Gerichts ohne das (fehlerhafte) Gutachten anders ausgefallen, die Entscheidung also einen anderen Inhalt gefunden hätte (Mayen in: Erman, 15. Aufl. 2017, § 839a BGB, Rn. 5; Zimmerling in: jurisPK-BGB, Stand 05.02.2018, § 839a BGB, Rn. 15). Ein Beruhen fehlt, wenn das Gutachten für die Entscheidung ohne Bedeutung war, also wenn beispielsweise aus Rechtsgründen die Klage abgewiesen worden ist (Zimmerling in: jurisPK, Stand 05.02.2018, § 839a BGB, Rn. 15). Hier hat das Landgericht Hagen seine Entscheidung auf das Gutachten gestützt, nämlich die Klage abgewiesen, weil eine fehlerhafte Behandlung durch die beklagte Ärztin gemäß den Ausführungen des (jetzigen) Beklagten als Sachverständigem nicht vorlag und durch die Klägerin damit nicht bewiesen worden war (Urteil Seite 7 u 8, Bl. 160 f. der Beiakte 10 O 263/13).

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b) Das Vorliegen einer gerichtlichen Entscheidung ist hier nicht deshalb zu verneinen, weil die Klägerin, die gegen das Urteil Berufung eingelegt hatte, diese im Termin beim Oberlandesgericht (3. Zivilsenat) zurückgenommen hat.

Nach den Gesetzesmaterialien (BT-Drucks. 14/7752 S. 28) sind von der Ersatzpflicht gemäß § 839a BGB Fälle anderweitiger Erledigung ausgeschlossen, namentlich, wenn sich die Parteien unter dem Eindruck des unrichtigen Gutachtens vergleichen. Im Schrifttum wird erwogen, diesen Grundsatz auch auf sonstige Fälle der nichtstreitigen Erledigung des Verfahrens, etwa Klage- oder Rechtsmittelrücknahme, Anerkenntnis, Verzicht, Flucht in die Säumnis, zu übertragen (BGH, Urteil vom 09. März 2006 – III ZR 143/05 -, Rn. 12, juris; vgl. hierzu bspw. Meyen in: Erman, 15. Aufl. 2017, § 839a BGB, Rn. 9; Zimmerling in: jurisPK-BGB, Stand 05.02.2018, § 839a BGB Rn 17-19; Wagner in: MüKo, 7. Aufl. 2017, § 839a BGB, Rn. 26; Wöstmann in: Staudinger, 2013, § 839a BGB Rn. 17-20). Die Gemeinsamkeit dieser Fallgestaltungen liegt darin, dass die betroffenen Parteien von ihrem bisherigen Rechtsschutzbegehren Abstand nehmen und auf eine streitige Gerichtsentscheidung verzichten (BGH, Urteil vom 09. März 2006 – III ZR 143/05 -, Rn. 12, juris).

So ist das Verhalten der Klägerin hier jedoch nicht zu bewerten. Zwar führte die Nichtweiterverfolgung der Berufung aufgrund des gerichtlichen Hinweises des 3. Senats zu einer nicht streitigen Erledigung des Berufungsverfahrens. Auch hat die Klägerin jedenfalls formal von ihrem bisherigen Rechtschutzbegehren Abstand genommen und auf eine streitige Entscheidung verzichtet. Jedoch ist sie mit der im Senatstermin erklärten Berufungsrücknahme lediglich einer (sicheren) Zurückweisung ihres Rechtsmittels zuvorgekommen. Die Berufungsrücknahme der Klägerin beruhte hier offensichtlich auf dem Hinweis des 3. Senats im Termin auf die voraussichtliche Erfolglosigkeit der Berufung, nachdem ergänzend Beweis durch Vernehmung zweier Zeugen und Anhörung des Sachverständigen (jetzigen Beklagten) erhoben worden war. Zwar sind sowohl die Zeugenvernehmung als auch die Gutachtenerstattung nicht protokolliert worden, sondern es sollte hierüber nach entsprechender Einverständniserklärung der Parteien ein Berichterstattervermerk gefertigt werden, welcher aber infolge der Berufungsrücknahme nicht zur Akte gelangt ist. Jedoch ergibt sich aus dem Sitzungsprotokoll, dass die Klägerin „nach Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch den Vorsitzenden“ ihre Berufung im Termin zurückgenommen hat. Angesichts dieser Protokollierung („Darstellung des Ergebnisses der Beweisaufnahme“) liegt auf der Hand, dass aus Sicht des 3. Senats die weitere Beweisaufnahme das bisherige Ergebnis bestätigt hatte, worauf – wie beim OLG Hamm üblich – hingewiesen wurde.

In dieser Situation hat die Klägerin ersichtlich nicht aus eigenem „freiwilligen“ Entschluss oder – wie häufig bei einem Vergleich – wegen eines unsicheren Verfahrensausgangs auf die weitere Durchführung der Berufung verzichtet. Vielmehr musste sie aufgrund der mitgeteilten Einschätzung des Senats zum Ergebnis der ergänzenden Beweisaufnahme davon ausgehen, dass ihre Berufung auch bei streitigem Fortgang des Verfahrens zurückgewiesen worden wäre. Insofern entspricht der vorliegende Ablauf der gängigen Praxis in Berufungsverfahren, dass bei Hinweisen des Berufungsgerichts, insbesondere nach ergänzender Beweisaufnahme, zu fehlenden Erfolgsaussichten des Rechtsmittels dieses – auch aus Kostenaspekten – zurückgenommen wird.

In dieser Situation, in dem der Senat das voraussichtliche Ergebnis des Berufungsverfahrens praktisch bereits bekannt gegeben hat, wäre ein Berufungsurteil aus Sicht der Klägerin letztlich eine reine, unnötig weitere Kosten verursachende „Förmelei“ gewesen.

2.

Ein Anspruch der Klägerin ist auch nicht wegen fehlender Rechtswegerschöpfung gemäß § 839a Abs. 2 BGB i.V.m. § 839 Abs. 3 BGB ausgeschlossen. Die Klägerin hat es nicht vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen, den Schaden durch den Gebrauch eines Rechtsmittels abzuwenden.

Ihr Verhalten ist angesichts der vorgenannten Erwägungen zu den Umständen der Rücknahme der Berufung nicht als schuldhaft zu bewerten. In der vorliegenden Konstellation, in der im Berufungsverfahren auch keine Anhaltspunkte für eine (grob fahrlässige) Unrichtigkeit des Gutachtens des jetzigen Beklagten gegeben waren, kann es der Klägerin nicht zum Nachteil gereichen, wenn sie auf den eindeutigen Hinweis des Berufungsgerichts ihr Rechtsmittel zurücknimmt, anstatt die nach dem Hinweis aussichtslose Berufung weiter durchzuführen.

Auch fehlt der erforderliche Kausalzusammenhang zwischen der Nichteinlegung (hier: Nichtweiterverfolgung) des Rechtsmittels und dem Eintritt des Schadens, weil nach den vorgenannten Umständen davon auszugehen ist, dass der Senat die Berufung der Klägerin seinem Hinweis entsprechend zurückgewiesen und damit die Rücknahme der Berufung im Vergleich zur ihrer Durchführung zu keinem anderen Ergebnis geführt hätte.

3.

Der Beklagte hat im Erstprozess (LG Hagen 10 O 263/13) jedoch kein unrichtiges Gutachten erstattet. Darüber hinaus liegt erst recht kein Fall vor, in dem der Beklagte die zumutbare Sorgfalt bei der Erstellung des Gutachtens in ungewöhnlichem Maße und in nicht entschuldbarer Weise verletzt hätte, ihm also Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen wäre.

Die objektive Unrichtigkeit des Gutachtens kann auf einer unzureichenden Tatsachenfeststellung, falschen Schlussfolgerungen oder der Nichtberücksichtigung herrschender Lehrmeinungen beruhen (Reinert in: BeckOK BGB, 47. Edition Stand 01.08.2018, § 839a Rn. 8). Ein gerichtlich bestellter Gutachter haftet nicht für jedes vorwerfbar unrichtig erstattete Gutachten, sondern nur dann, wenn eine sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht besonders schwer wiegende Pflichtverletzung vorliegt. Maßgebend ist, dass der Fehler aus Sicht eines Experten der entsprechenden Fachrichtung als schwerwiegend zu qualifizieren ist (BGH, Beschl. v. 24.07.2014, Az. III ZR 412/13, Rn. 3, juris), was regelmäßig seinerseits erst nach sachverständiger Beratung des Gerichts festgestellt werden kann (Wagner in: MüKo BGB, 7. Aufl. 2017, § 839a BGB Rn. 21). Ein Verschulden fehlt in der Regel, wenn die Schlüsse wissenschaftlich vertretbar sind (Palandt – Sprau, 78. Aufl. 2019, § 839a BGB, Rn. 3).

Der „Verdacht“ eines unrichtigen Gutachtens ergab sich hier daraus, dass im Rechtsstreit der Klägerin gegen die Krankenhausträgerin der dortige Gutachter, Herr K, teilweise eine andere Einschätzung geäußert hat als der Beklagte im gegen die Gynäkologin X gerichteten Erstprozess. Dies betraf insbesondere die Frage, ob und ab wann ein dringender Grund zu einer stationären Einweisung der Klägerin bestanden hat und eine Laparoskopie indiziert gewesen ist.

Nach dem Ergebnis des nunmehr vom Senat eingeholten schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Y sowie dessen mündlicher Erläuterung im Senatstermin am 24.01.2020 hat der Beklagte im Vorprozess aber ein korrektes frauenfachärztliches Gutachten erstattet.

Der Sachverständige hat in seinem schriftlichen Gutachten ausgeführt, der Beklagte habe die Behandlung der Frauenärztin X zutreffend als nicht fehlerhaft eingestuft. Das Abwarten bei regelmäßiger Kontrolle des β-HCG-Wertes sei gut vertretbar gewesen, eine Indikation zur Bauchspiegelung sei nicht gegeben gewesen. Im Verlauf sei der β-HCG-Wert gesunken und die Klägerin habe keine klinischen Beschwerden gehabt. Das Gutachten des Sachverständigen K sei nicht geeignet, das Gutachten des Beklagten zu erschüttern.

Im Senatstermin hat der Sachverständige dieses Ergebnis nochmals bestätigt und näher erläutert. Bezüglich des Gutachtens des Sachverständigen K und der teilweise abweichenden Angaben sei zu beachten, dass der Auftrag des Beklagten die Bewertung der Tätigkeit der behandelnden Gynäkologin umfasst habe, hingegen der Sachverständige K den Sachverhalt betreffend das Klinikum M begutachtet habe. Es handle sich also um unterschiedliche Sachverhalte. K habe praktisch in einem Nebensatz, ungefragt, gesagt, „na ja, man hätte schon bei einem 5000-β-HCG-Wert aufnehmen müssen“. Er habe sich aber nicht inhaltlich mit dem Gutachten des Beklagten auseinandergesetzt und auch nicht auseinandersetzen müssen. Insofern sei es kein Gutachterstreit um denselben Sachverhalt gewesen.

Die Frage, ob man die Patientin sofort, also im Zeitraum vor dem 18.02.2015 hätte stationär aufnehmen bzw. eine entsprechende Einweisung veranlassen müssen, sei hier mit „nein“ zu beantworten. Maßgeblich sei insbesondere, dass die Klägerin beschwerdefrei und ohne Schmerzen gewesen sei.

Die Gynäkologin habe eine Ultraschalluntersuchung durchgeführt, wobei – was nachvollziehbar sei – keine Eileiterschwangerschaft zu sehen gewesen sei, und habe nachfolgend die β-HCG-Werte kontrolliert. Damit habe sie alle nötigen Untersuchungen durchgeführt. Die Klägerin sei durchgehend, im Verlauf sogar lange (vom 25.01. bis zur stationären Aufnahme am 18.02.2015) bei abfallendem β-HCG-Wert ohne Beschwerden gewesen. Bei dieser Sachlage sei eine stationäre Aufnahme nicht erforderlich.

Auch im Falle einer stationären Aufnahme, die bei einer entsprechenden fachärztlichen Einweisung nicht verweigert worden wäre, wäre die Klägerin bei dem vorliegenden Verlauf beobachtet und alle 48 Stunden der β-HCG-Wert kontrolliert worden.

Eine Bauchspiegelung müsse man erst dann durchführen, wenn eine Patientin symptomatisch sei oder wenn man im Ultraschall eine Eileiterschwangerschaft sehe. Beides sei hier nicht der Fall gewesen, im Verlauf habe es bei der Klägerin keine Indikation für eine Laparoskopie gegeben. Bei bestehender Beschwerdefreiheit sei auch nicht ersichtlich, zu welchem Zeitpunkt man eine Bauchspiegelung hätte durchführen sollen. Bei einem β-HCG-Wert von 115 (wie zuletzt im Klinikum M gemessen) sei eine Eileiterschwangerschaft extrem selten. Nach dem klinischen Verlauf habe eine Fehlgeburt näher gelegen, weil der β-HCG-Wert gefallen sei und zuvor Blutungen abgegangen seien.

Er, der Sachverständige, sei mit Herrn K sofort einig, dass eine Einweisung angezeigt gewesen wäre, wenn die Klägerin Schmerzen gehabt hätte. Hier sei aber eine frühere Einweisung der Klägerin nicht angezeigt gewesen.

Das Gutachten des Beklagten sei nach seiner Überzeugung richtig. Erst recht seien, selbst wenn man unterschiedliche Möglichkeiten der Behandlung unterstelle, aus sachverständiger Sicht keinerlei Umstände festzustellen, die eine in besonders grober Weise fehlerhafte Begutachtung durch Herr P begründen würden.

Der Senat folgt den in sich schlüssigen, gut verständlichen und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Y, an dessen Sachkunde keinerlei Zweifel bestehen und auch von den Parteien nicht geltend gemacht worden sind.

3.

Ein Anspruch der Klägerin ergibt sich auch nicht aus anderen Anspruchsgrundlagen. Zum einen ist die Regelung des § 839a BGB für die Haftung gerichtlicher Sachverständiger abschließend, zum anderen sind – wie ausgeführt – die Erstattung eines unrichtigen Gutachtens oder eine sonstige Pflichtverletzung des Beklagten nicht gegeben.

4.

Der Hilfsantrag auf Zurückweisung des Rechtsstreits ist, nachdem der Senat die Beweisaufnahme selbst durchgeführt hat, gegenstandslos.

III.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Ziff. 10, 711 ZPO.

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