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Schriftsatzversand per beA – Rechtsanwalt muss Eingangsbestätigung prüfen

OLG Schleswig – Az.: 11 U 61/21 – Beschluss vom 27.10.2021

1. Der Antrag der Klägerin auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand hinsichtlich der Frist zur Begründung ihrer Berufung gegen das Urteil der Einzelrichterin der 10. Zivilkammer des Landgerichts Itzehoe vom 17.05.2021 wird zurückgewiesen.

2. Die Berufung der Klägerin gegen das unter Ziff. 1 genannte Urteil wird verworfen.

3. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 50.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Beeinträchtigungen durch den Betrieb von Windkraftanlagen. Das Landgericht hat die Klage der Klägerin abgewiesen. Wegen des Sachverhalts wird auf die Feststellungen im landgerichtlichen Urteil verwiesen.

Das Urteil des Landgerichts ist der Klägerin am 19.05.2021 zugestellt worden. Eine Berufungsschrift der Klägerin ist am 20.05.2021 eingegangen. Mit Verfügung vom 21.05.2021 hat der Vorsitzende des Senats auf den in der Berufungsschrift gestellten Fristverlängerungsantrag der Klägerin die Berufungsbegründungsfrist bis zum 19.08.2021 verlängert. Mit Verfügung vom 23.08.2021, dem Klägervertreter zugestellt am 24.08.2021, hat der Senat die Klägerin darauf hingewiesen, dass die Verwerfung ihrer Berufung beabsichtigt ist. Mit Schriftsatz vom 30.08.2021, eingegangen am selben Tage, hat die Klägerin die Wiedereinsetzung in den vorherigen Stand beantragt und die Berufung begründet.

Die Klägerin begründet den Wiedereinsetzungsantrag damit, dass sie ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Frist zur Berufungsbegründung einzuhalten. Im Büro des Rechtsanwalts werde ein elektronischer Fristenkalender geführt, der alle Fristen, insbesondere die Notfristen mit einer Vorfrist sowie einer Endfrist erfasse. Die Fristenliste werde ausgedruckt. Der Ausdruck der Fristenliste diene zum Heraussuchen der Verfahrensakten und zur Vorlage an den Rechtsanwalt. Dem Rechtsanwalt werde der elektronische Fristenkalender täglich gemeinsam mit den Verfahrensakten vorgelegt. Eine namentlich benannte langjährige Mitarbeiterin ihres Prozessbevollmächtigten sei mit der Fristüberwachung sowohl der Vorfristen zur Berufungsbegründung als auch der Endfrist beauftragt worden. Die Aufgabenbereiche im Büro des Prozessbevollmächtigten seien aufgrund von unmissverständlichen Anweisungen des Rechtsanwalts klar verteilt. Die Rechtsanwaltsfachangestellte sei seit dem 01.08.2001 im Büro des Anwalts tätig und langjährig in der Handhabung der Fristenüberwachung erfahren. Sie habe die Fristenliste mit Vorfrist und mit Endfrist ausgedruckt. Aus Gründen, die die Angestellte sich bis zum heutigen Tag nicht erklären könne, sei es dann versäumt worden, die Verfahrensakte sowohl nach Ausdruck des Fristenkalenders und der entsprechenden Vorfrist wie auch der Endfrist dem Rechtsanwalt als Sachbearbeiter zur Fertigung der Berufungsbegründung vorzulegen. Zu der irrtümlichen Streichung der Vorfrist und der Endfrist sei es deshalb gekommen, weil zwei Mitarbeiterinnen davon ausgegangen seien, dass mit der Berufungsbegründung der Akte zum Aktenzeichen 7 U 48/21 auch im vorliegenden Verfahren die Berufungsbegründung bereits erfolgt sei. Den Mitarbeiterinnen sei nicht gegenwärtig gewesen, dass es sich um zwei gesonderte Berufungsverfahren handele. Im Büro des Rechtsanwalts würden durchschnittlich pro Jahr 20.000 Anwaltsverfahren bearbeitet. Das Fristaufkommen sei deutlich umfangreicher und die Möglichkeit von Fehlern größer. Aus diesem Grund sei der elektronisch gestützte Fristenkalender eingeführt worden. Fristversäumnisse hätten seitdem fast vollständig vermieden werden können.Die Rechtsanwaltsfachangestellten seien äußerst zuverlässig und geschult. Sie hätten sich in der Vergangenheit stets als gewissenhaft und außerordentlich sorgfältig arbeitend erwiesen. Der Rechtsanwalt unternehme darüber hinaus in regelmäßigen Abständen – zumeist wöchentliche – Stichproben zwecks Überwachung der Fristeinhaltung durch die jeweiligen Mitarbeiter. Es habe bisher keinerlei Beanstandungen der Eignung oder Leistung der Angestellten gegeben. Die Berufungsklägerin habe über ihre Bevollmächtigten erstmals am 24.08.2021 Kenntnis vom Unterlassen der Berufungsbegründung erhalten.

Die Klägerin beantragt, Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist sowie, das Urteil des Landgerichts abzuändern und nach den Schlussanträgen der ersten Instanz zu erkennen.

Die Beklagten behaupten, dass die in der Kanzlei des klägerischen Prozessbevollmächtigten tätigen Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in der Vergangenheit in einer Vielzahl von unterschiedlichen Verfahren Rechtsmittelbegründungsfristen versäumt hätten. Das Büropersonal sei nicht ordnungsgemäß ausgebildet, überwacht und angewiesen.

II.

Die Berufung der Klägerin ist unzulässig.

1. Die Entscheidung beruht auf § 522 Abs. 1 ZPO. Die Berufung der Klägerin ist entgegen § 520 Abs. 2 S. 1 ZPO nicht innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils begründet worden. Ebenso ist eine Begründung der Berufung nicht innerhalb der bis zum 19.08.2021 verlängerten Berufungsbegründungsfrist bei dem Berufungsgericht eingegangen.Der Klägerin konnte auf ihren Antrag keine Wiedereinsetzung in die Berufungsbegründungsfrist nach § 233 S. 1 ZPO gewährt werden. Nach dieser Vorschrift ist einer Partei auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn sie ohne ihr Verschulden verhindert war, die Frist zur Begründung der Berufung einzuhalten. Die Wiedereinsetzung setzt voraus, dass die Fristversäumung nicht auf einem Verschulden der Partei oder ihres Vertreters beruht. Dies ist von der Antragstellerin glaubhaft zu machen. Die Klägerin hat weder dargetan noch glaubhaft gemacht, dass ihr Prozessbevollmächtigter durch organisatorische Maßnahmen die wirksame Fristenkontrolle sichergestellt hat. Die schuldhafte Fristversäumung ihres Vertreters ist der Klägerin gemäß § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen.

1.1. Bei einem elektronischen Fristenkalender muss durch geeignete Organisationsmaßnahmen sichergestellt werden, dass dieselbe Überprüfungssicherheit besteht wie bei herkömmlicher Kalenderführung, d.h. es muss sichergestellt werden, dass bei Ablauf einer eingetragenen Frist die Akte dem Rechtsanwalt vorgelegt wird. Die Fristenliste eines Tages muss in der EDV als erledigt gekennzeichnete Fristen enthalten, damit versehentlich gestrichene Fristen erkennbar werden (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 33 Aufl., § 233 ZPO Rn. 23.18). Der Rechtsanwalt muss auch Vorkehrungen dagegen treffen, dass durch versehentliche Erledigungsvermerke im Fristenkalender Fristen versäumt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 10.07.1997 – IX ZB 57/97, Rn. 6). Dazu gehört eine Anordnung, durch die gewährleistet wird, dass am Ende eines jeden Arbeitstages von einer dazu beauftragten Bürokraft geprüft wird, welche fristwahrenden Schriftsätze hergestellt, abgesandt oder zumindest versandfertig gemacht worden sind und ob diese mit den im Fristenkalender vermerkten Sachen übereinstimmen. Nur so kann festgestellt werden, ob möglicherweise in einer bereits als erledigt vermerkten Fristsache die fristwahrende Handlung noch aussteht (vgl. BGH, Beschluss vom 02.03.2000 – V ZB 1/00, Rn. 6).

1.2. Dass eine solche selbstständige und abschließende Ausgangskontrolle in der Kanzlei des Prozessbevollmächtigten der Klägerin organisiert ist, hat diese weder vorgetragen noch glaubhaft gemacht.

Die Klägerin hat einen Ausdruck der Fristenliste des elektronischen Fristenkalenders ihres Prozessbevollmächtigten vorgelegt. Darin ist die – zutreffende – Frist zur Berufungsbegründung mit einem Ablauf am 19.08.2021 notiert. Ebenso ist darin eine Vorfrist mit Fristablauf 12.08.2021 für die Berufungsbegründung erfasst. Die Kalenderspalten „erledigt“ enthalten die Daten 09.08.2021 und 16.08.2021 sowie in einer Spalte „von SB“ (vermutlich für „von Sachbearbeiter“) die Eintragung eines Namenskürzels. Danach hätte bei richtiger Bearbeitung die Akte dem Rechtsanwalt nach Ablauf der Vorfrist und vor Ablauf der Berufungsbegründungsfrist vorgelegt werden können. Die Anweisungen des Rechtsanwalts sind deshalb geeignet, dafür zu sorgen, dass der Rechtsanwalt eine Sache fristgerecht bearbeitet. Zusätzlich bedurfte es aber aus den oben genannten Gründen der für eine ordnungsgemäße Ausgangskontrolle unverzichtbaren Überprüfung am Ende des Arbeitstages, ob sämtliche für den jeweiligen Tag eingetragenen Fristsachen (auch diejenigen, in denen die Fristen als erledigt bezeichnet worden sind) tatsächlich versandt oder jedenfalls für den Versand vorbereitet worden sind. Diese Überprüfung fehlt.

Da der Klägervertreter ausweislich der Akten für den Versand das besondere elektronische Anwaltspostfach (beA) nutzt, kann und muss hierzu überprüft werden, ob die Eingangsbestätigung des Gerichts nach § 130a Abs. 5 S. 2 ZPO vorliegt (vgl. BGH, Beschluss vom 11.05.2021 – VIII ZB 9/20, Rn. 24). Eine dahingehende Kontrolle wird von der Klägerin nicht behauptet. Hätte der Anwalt diese Kontrolle angewiesen, könnte das Büropersonal erkennen, wenn in Verfahren – wie hier – kein Schriftsatz versandt, eine Frist also zu Unrecht als erledigt gekennzeichnet worden ist. Diese Handhabung hätte auch vor der von der Klägerin behaupteten Konstellation geschützt, nämlich, dass in einem ähnlich gelagerten Verfahren ebenfalls eine Berufungsbegründung versandt worden ist, die Verfahren und der Versand der Berufungsbegründung also verwechselt werden. Denn bei einer Ausgangskontrolle wäre festgestellt worden, dass in dieser Verfahrensakte keine Eingangsbestätigung vorliegt, ja gar kein Schriftsatz in der Akte ist, der überhaupt hätte versandt werden können.

2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

3. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wurde in Anwendung der §§ 47, 48 GKG bestimmt.

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