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Solidaritätszuschlag verfassungsgemäß – Ergänzungsabgabe muss nicht befristet sein

BUNDESFINANZHOF

Az.: VII B 324/05

Beschluss vom 28.06.2006


Leitsätze:

1. Es bestehen keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des SolZG 1995 vom 23. Juni 1993 in der für den Veranlagungszeitraum 2002 geltenden Fassung.

2. Die Frage, ob eine Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nur befristet erhoben werden darf, ist bereits (im verneinenden Sinn) durch die Rechtsprechung des BVerfG geklärt.


Tatbestand:

I.

Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) wurden im Streitjahr 2002 als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Mit Bescheid vom September 2003 über Einkommensteuer, Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer setzte der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt) u.a. Solidaritätszuschlag fest.

Die hiergegen nach erfolglosem Einspruchsverfahren erhobene Klage, mit der die Kläger geltend machten, dass der Solidaritätszuschlag spätestens ab dem Streitjahr eine verfassungswidrige Sondersteuer darstelle, wies das Finanzgericht (FG) aus den in Entscheidungen der Finanzgerichte 2006, 371 veröffentlichten Gründen ab. Der Solidaritätszuschlag sei im Streitfall nach den Vorschriften des Solidaritätszuschlaggesetzes 1995 (SolZG 1995) vom 23. Juni 1993 (BGBl I 1993, 944, 975 f., in der im Streitjahr geltenden Fassung gemäß Art. 6 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000, BGBl I 2000, 1790) zu Recht erhoben und auch in zutreffender Höhe festgesetzt worden. Das Gesetz sei auch verfassungsgemäß, weshalb die Voraussetzungen für einen Vorlagebeschluss nach Art. 100 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) zur Einholung einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) nicht gegeben seien.

Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger, welche sie auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung –FGO–) stützen. Die grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Vorschrift sei insbesondere zu bejahen, wenn verfassungsrechtliche Zweifel an einer entscheidungserheblichen Vorschrift des Steuerrechts bestünden, was vorliegend der Fall sei. Das SolZG 1995 verstoße gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Es sei zwar verfassungsrechtlich nicht geboten, eine Ergänzungsabgabe von vornherein zu befristen, jedoch dürfe eine solche Ergänzungsabgabe gleichwohl nicht zeitlich unbeschränkt erhoben werden. Die Erhebung des Solidaritätszuschlags im 15. Jahr belege, dass er sich zu einer eigenen Steuer neben der Einkommen- und Körperschaftsteuer entwickelt habe und es sich nicht mehr um eine Ergänzungsabgabe handele.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache liegen im Streitfall nicht vor.

Grundsätzliche Bedeutung i.S. des § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO ist einer Rechtsfrage beizumessen, wenn ihre Beantwortung in dem angestrebten Revisionsverfahren aus Gründen der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit und/oder Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei muss es sich um eine Frage handeln, die klärungsbedürftig und im konkreten Streitfall auch klärungsfähig ist (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs –BFH– vom 29. April 2002 IV B 29/01, BFHE 198, 316, BStBl II 2002, 581, m.w.N.). Zwar wird in der Regel die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache zu bejahen sein, wenn verfassungsrechtliche Zweifel an einer entscheidungserheblichen Vorschrift des Steuerrechts bestehen. Diese Voraussetzungen liegen jedoch im Streitfall nicht vor. Die von Seiten der Kläger aufgeworfene Frage, ob der als Ergänzungsabgabe erhobene Solidaritätszuschlag im Streitjahr 2002 noch verfassungsgemäß war, lässt sich nur so beantworten, wie es das FG getan hat. Der Senat kann es daher offen lassen, ob im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde der Beschwerdeführer, der die Verfassungswidrigkeit einer Norm geltend macht, neben den Gründen der vermuteten Verfassungswidrigkeit auch schlüssig darlegen muss (woran es im Streitfall mangelt), dass es bei verfassungskonformer Besteuerung voraussichtlich –z.B. wegen einer im Verfahren nach Art. 100 Abs. 1 GG zu erwartenden rückwirkenden Nichtigerklärung der Norm durch das BVerfG– auch zu einer den Beschwerdeführer weniger belastenden Steuerfestsetzung kommen wird (vgl. BFH-Beschluss vom 11. November 1998 IV B 134/97, BFH/NV 1999, 590).

Nach Art. 105 Abs. 2 GG hat der Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit über die übrigen Steuern (außer Zölle und Finanzmonopole), wenn (u.a.) ihm das Aufkommen dieser Steuern ganz zusteht. Nach Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG steht dem Bund das Aufkommen der Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer zu. Da –wie das FG zutreffend ausgeführt hat– es sich bei dem nach dem SolZG 1995 erhobenen Solidaritätszuschlag um eine Steuer handelt, die als Ergänzungsabgabe zur Einkommensteuer und zur Körperschaftsteuer erhoben wird, stand dem Bundesgesetzgeber die Kompetenz zum Erlass des SolZG 1995 gemäß Art. 105 Abs. 2, Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG zu. Dies stellt die Beschwerde nicht in Abrede. Sie legt auch im Übrigen keine Zweifel bezüglich des verfassungsgemäßen Zustandekommens des SolZG 1995 dar.

Die Beschwerde hält das SolZG 1995 für materiell verfassungswidrig und macht geltend, dass mit dem Gesetz gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen werde, legt jedoch nicht schlüssig dar, worin dieser Verstoß zu erblicken sei. Der Solidaritätszuschlag ist eine selbständige Steuer, die allerdings an die Einkommen- und die Körperschaftsteuer anknüpft und damit im Ergebnis zu einer Tariferhöhung dieser Steuern führt. Der Solidaritätszuschlag beträgt nach § 4 SolZG 1995  5,5 % der Bemessungsgrundlage gemäß § 3 SolZG 1995. Dass die dadurch entstehende zusätzliche Steuerbelastung des Einkommens so schwerwiegend ist, dass sie als unverhältnismäßiger Eingriff in die durch die Verfassung geschützten Rechte des Steuerpflichtigen angesehen werden könnte, weil diesem wegen der Erhebung des Solidaritätszuschlags ein Kernbestand des Erfolgs eigener wirtschaftlicher Betätigung nicht mehr verbleibt, ist seitens der Beschwerde weder dargelegt noch sonst ersichtlich (vgl. zum SolZG 1991: BVerfG-Beschluss vom 19. November 1999  2 BvR 1167/96, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung –HFR– 2000, 134; BFH-Urteil vom 28. Februar 1996 XI R 83, 84/94, BFH/NV 1996, 712; zum Stabilitätszuschlag: BVerfG-Beschluss vom 2. Oktober 1973  1 BvR 345/73, BVerfGE 36, 66, BStBl II 1973, 878).

Die Kläger machen sinngemäß geltend, dass die verfassungsrechtliche Grundlage zum Erlass des SolZG 1995 jedenfalls für das Streitjahr 2002 entfallen sei, da eine Ergänzungsabgabe nur befristet erhoben werden dürfe, die insoweit in Betracht kommende längstens mögliche Befristung aber das Streitjahr nicht mehr erfasse. Dieser Ansicht ist –wie das FG zutreffend ausgeführt hat– nicht zu folgen. Durch eine Revisionsentscheidung zu klärende Rechtsfragen ergeben sich insoweit nicht, weil die Frage, ob eine Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG nur befristet erhoben werden darf, bereits höchstrichterlich geklärt ist.

Zwar wäre –wie das BVerfG mit Beschluss vom 9. Februar 1972  1 BvL 16/69 (BVerfGE 32, 333, BStBl II 1972, 408) ausgeführt hat– der Bund nicht berechtigt, unter der Bezeichnung „Ergänzungsabgabe“ eine Steuer einzuführen, die den Vorstellungen widerspricht, die der Verfassungsgeber erkennbar mit dem Charakter einer solchen Abgabe verbunden hat. Dass die vom BVerfG insoweit angestellten Erwägungen, wonach der Bund keine Ergänzungsabgabe einführen darf, die insbesondere wegen ihrer Höhe die den Bund und den Ländern gemeinsam zustehende Einkommen- und Körperschaftsteuer aushöhlen würde, bezüglich des SolZG 1995 ernsthaft in Betracht zu ziehen sind, wird von der Beschwerde allein mit der angeblichen „Problematik (…) der Konkurrenz der Ergänzungsabgabe zur Einkommen- und Körperschaftsteuer“ nicht dargelegt und ist in Anbetracht des Zuschlagsatzes gemäß § 4 SolZG 1995 auch nicht ersichtlich. Anders als die Beschwerde meint, gehört jedenfalls die zeitliche Befristung nicht zum Wesen der Ergänzungsabgabe i.S. des Art. 106 Abs. 1 Nr. 6 GG. Der Begriff der Ergänzungsabgabe besagt lediglich, dass diese Abgabe die Einkommen- und Körperschaftsteuer, also auf Dauer angelegte Steuern, ergänzen, d.h. in einer gewissen Akzessorietät zu ihnen stehen soll (BVerfG-Beschlüsse in BVerfGE 32, 333, BStBl II 1972, 408; und in HFR 2000, 134).

Auch ergeben sich aus dem Gesetzgebungsverfahren bezüglich des Finanzverfassungsgesetzes vom 23. Dezember 1955 (BGBl I 1955, 817), mit dem die Norm betreffend die Ertragshoheit über eine Ergänzungsabgabe in das GG eingefügt worden ist, keine Hinweise auf eine vom Gesetzgeber gewollte zeitliche Begrenzung einer Erhebung von Ergänzungsabgaben (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 32, 333, BStBl II 1972, 408). Die der Begründung zum Finanzverfassungsgesetz entnommenen Äußerungen, auf welche die Beschwerde sich stützt, wonach die Ergänzungsabgabe dazu bestimmt ist, „anderweitig nicht auszugleichende Bedarfsspitzen im Haushalt zu decken“ (BTDrucks II/480, S. 72), sind zu unbestimmt, als dass daraus hergeleitet werden könnte, eine Ergänzungsabgabe dürfe nur befristet eingeführt werden (BVerfG-Beschluss in BVerfGE 32, 333, BStBl II 1972, 408). Zum einen ist nicht erkennbar, warum sich „Bedarfsspitzen“ nicht auch über einen Zeitraum von mehreren Jahren ergeben können; bezogen auf das Streitjahr 2002 handelt es sich um einen Zeitraum von acht Jahren, so dass von einem –wie die Beschwerde meint– „Dauerfinanzierungselement“ offensichtlich nicht gesprochen werden kann. Zum anderen können sich während des Laufes einer eingeführten Ergänzungsabgabe für den Bund neue Aufgaben ergeben, für deren Erfüllung die bei der allgemeinen Verteilung des Steueraufkommens zur Verfügung stehenden Einnahmen nicht ausreichen, so dass die erneute Einführung der Ergänzungsabgabe und damit auch die Fortführung einer bereits bestehenden gerechtfertigt wäre (vgl. BVerfG-Beschluss in BVerfGE 32, 333, BStBl II 1972, 408).

Dass zu den genannten Rechtsfragen eine erneute Entscheidung im Interesse der Rechtseinheit oder Rechtsentwicklung erforderlich ist, weil die bereits höchstrichterlich beantworteten Fragen umstritten sind und neue gewichtige, vom BFH bzw. vom BVerfG bislang nicht geprüfte Einwände in der Literatur und/oder in der Rechtsprechung der Instanzgerichte gegen die höchstrichterliche Auffassung erhoben werden (vgl. dazu: BFH-Beschluss vom 3. April 2000 VIII B 99/99, BFH/NV 2000, 985, m.w.N.), legt die Beschwerde nicht dar.

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