LG Köln, Az.: 18 O 67/73
Urteil vom 10.07.1974
Tatbestand
Die Klägerin macht Ansprüche aus Versicherungsvertrag wegen eines Gebäudebrandschadens geltend.
Die Klägerin ist Eigentümerin eines älteren Doppel-Wohnhauses in X., H.-Straße 18 – 20. Das Doppelhaus hat zwei Hauseingänge, je einen auf jeder Giebelseite. Es hat jeweils Keller, ein Wohngeschoß und teilweise ausgebautes Dachgeschoß. Die beiden Haushälften sind durch eine durchgehende Brandmauer getrennt, durch die es nur im Dachgeschoß einen mit einer Tür verschlossenen Durchgang gibt.
Bezüglich dieses Hauses hat die Klägerin mit der Beklagten einen Wohn-Gebäude-Vielschutzversicherungsvertrag zum gleitenden Neuwert, Versicherungssumme 100.000,– DM, Laufzeit des Vertrages vom 16. Oktober 1970 bis 16. Oktober 1975 abgeschlossen. Dem Versicherungsvertrag wurden die „Allgemeinen Bedingungen für die Neuwertversicherung von Wohngebäuden gegen Feuerschäden, Leitungswasserschäden und Sturmschäden (VGB)“ zugrunde gelegt. Zur Zeit des Vertragsabschlusses war das Haus von mehreren Familien bewohnt.
Am 15. Juli 1972 gegen 13.00 Uhr brach in der einen Haushälfte im Dachgeschoß ein Brand aus, der erheblichen Schaden anrichtete, von der Feuerwehr jedoch noch am gleichen Tage gelöscht wurde. Am folgenden Tage, dem 16. Juli 1972, brach ein weiterer Brand in der anderen Haushälfte aus.
Die Klägerin trägt vor:
Der Brandschaden betrage entsprechend einem Neuwert gemäß einer Schätzung eines von der Beklagten selbst beauftragten Sachverständigen 67.300,– DM. Die Beklagte habe zu Unrecht mit ihrem Schreiben vom 7. November 1972 die Leistung abgelehnt und sich zu Unrecht darauf berufen, die Klägerin habe gemäß §§ 23ff VVG keinen Anspruch auf die Versicherungsleistung, weil das Haus nicht mehr ständig bewohnt und in einem verwahrlosten Zustand gewesen sei. Vielmehr sei das Haus im vertragsgemäßen Zustand gewesen und regelmäßig von Angestellten der Klägerin kontrolliert worden, weil dort Arbeiter der Klägerin aus Jugoslawien gewohnt hätten. Insbesondere sei es auch nicht richtig, daß Außentüren vor dem Brand sich teilweise nicht mehr hätten verschließen lassen und Fenster zerbrochen gewesen seien.
Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 67.300,- DM nebst 4% Zinsen seit dem 22. Februar 1973 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen, im Verurteilungsfalle der Beklagten nachzulassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung abzuwenden.
Die Beklagte trägt vor: Die Klägerin habe den Schadensfall durch grobe Nachlässigkeit durch Unterlassung selbstverständlicher Sicherungsmaßnahmen selbst herbeigeführt. Die Klägerin habe die notwendigen Sicherungsmaßnahmen grob fahrlässig unterlassen, obwohl sie gewußt habe, daß Unbefugte bevorzugt in unbewohnte Häuser eindrängen.
Die Klägerin habe überdies eine erhebliche Gefahrenerhöhung gegenüber dem Zeitpunkt des Vertragsschlusses dadurch herbeigeführt, daß das Haus nicht mehr wie früher vollständig und ständig bewohnt gewesen sei, sondern über Monate nur teilweise bewohnt worden sei und bereits seit mehreren Wochen vor dem Schadensereignis ganz leergestanden habe.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.
Die Akten 5 Js 0441/72 StA Kleve waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Die Beklagte hat Kopie des Versicherungsvertrages und der Allgemeinen Bedingungen (VGB) vorgelegt, sowie Bilder des Hauses nach den Bränden zu den Akten gereicht.
Es ist Beweis erhoben worden aufgrund des Beweisbeschlusses vom 20. Juni 1973, ergänzt mit Beschluß vom 30.1.1974, durch Vernehmung von Zeugen. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Niederschriften vom 15. Oktober 1973, 18. Januar 1974, 11. April 1974 und 9. Mai 1974 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, in der Sache aber nicht begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die verlangte Versicherungsleistung, da die Beklagte wegen Verstoßes der Klägerin gegen § 23 VVG gemäß § 25 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei ist.
Die Klägerin als Versicherungsnehmerin hat gegen die ihr gemäß § 23 Abs 1 VVG aus dem Versicherungsvertrag obliegende Verpflichtung verstoßen, ohne Einwilligung des Versicherers, der Beklagten, keine Gefahrenerhöhung vorzunehmen oder diese Vornahme durch einen Dritten zu gestatten.
Bei Abschluß des Versicherungsvertrages im Jahre 1970 war das gegen Brandschäden versicherte Haus unstreitig ein von mehreren Familien ständig bewohntes Gebäude. Wie die Zeugin W. glaubhaft gemacht hat, ist die letzte Familie etwa 9 Monate vor dem Schadensereignis ausgezogen und das Haus anschließend von ausländischen Arbeitern bewohnt worden. Bereits damit hat die Klägerin eine Erhöhung der Gefahr geschaffen. Denn diese Personen waren, was die Obhut des Hauses anbelangt, offenbar auch nach Auffassung der Klägerin nicht in erforderlichem Maße zuverlässig. Wie nämlich die Zeugen P. und O. glaubhaft bekundet haben, waren sie bereits lange vor dem Brand von der Klägerin beauftragt worden, hin und wieder bei dem Haus „nach dem Rechten zu sehen“, daß die Bewohner „es nicht so arg trieben“. Dieser „Bewachungsauftrag“ läßt nur den Schluß zu, daß auch die Klägerin selbst das Haus bereits zu diesem Zeitpunkt als in erhöhtem Maße gefährdet ansah. Die von der Klägerin angeordnete Aufsicht durch die Zeugen O. und P. war aber von Anfang an nicht geeignet, der eingetretenen Gefahrenerhöhung wirksam zu begegnen, denn die Kontrollen erfolgten jeweils nur während der täglichen Arbeitszeit, also zu Zeitpunkten, an denen sich in der Regel auch die Bewohner am Arbeitsplatz befanden, während das Gebäude nach Feierabend und nachts seitens der Klägerin unbeaufsichtigt blieb.
Es ist unaufgeklärt geblieben, wann und wieviele und welche ausländischen Arbeiter in den letzten 9 Monaten vor den Bränden in dem Hause gewohnt haben. Die Klägerin hat trotz des Vorwurfs der Beklagten nicht unter Vorlage entsprechender Unterlagen die Namen der Hausbewohner und die Zeiträume der Mietzeiten vorgetragen. Dies legt die Vermutung nahe, daß die Klägerin sich nicht in der erforderlichen und sonst üblichen Weise um die Verwaltung dieses Hauses gekümmert hat und deshalb über die Tatsachen entweder selbst keine genaue Kenntnis besitzt oder der Vortrag dieser Tatsachen ihr nachteilig wäre.
Wie nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststeht, hat die Klägerin in der Folgezeit eine weitere Gefahrenerhöhung dadurch vorgenommen, daß sie das Haus teilweise leerstehen ließ. Wie nämlich die Zeugin W. glaubhaft bekundet hat, hat über längere Zeit – die Zeugin formulierte, es könnten Monate gewesen sein – nur noch ein einziger junger Mann in dem Hause gewohnt. Das zumindest die rechte Haushälfte längere Zeit vor dem Brand unbewohnt war, ergibt sich zudem zweifelsfrei aus der glaubhaften Bekundung des Zeugen P., daß er die Eingangstür zu dieser Haushälfte vor dem Brand zugenagelt habe, sie alsdann aufgebrochen vorgefunden und erneut zugenagelt habe. Daß der Zeuge P. den Schildbürgerstreich vollbracht hätte, die einzige Eingangstür zur rechten Haushälfte zuzunageln, während diese Haushälfte noch bewohnt war, kann nicht angenommen werden. Von etwaigen Bewohnern der linken Haushälfte konnte diese rechte Haushälfte kaum wirksam überwacht werden, da sich nur im Dachgeschoß eine Verbindungstür befand.
Wie allgemein bekannt ist, sind leerstehende Wohnhäuser in besonderem Maße der Gefahr mißbräuchlicher Benutzung durch wenig zuverlässige, unbefugte Personen ausgesetzt. Diese Gefahr hatte sich an dem Versicherungsobjekt auch bereits einige Zeit vor den Bränden konkretisiert. Wie sich aus der glaubhaften Bekundung des Zeugen P., er habe die zugenagelte Tür aufgebrochen vorgefunden, ergibt, hatten offenbar Unbefugte sich Zutritt zu dem Haus verschafft. Wie die Zeugin W. weiter glaubhaft bekundet hat, waren bereits vor den Bränden öfters spielende Kinder im verlassenen Obstgarten des Hauses gesehen worden. Welche Abenteuerlust ein verlassener Obstgarten und ein zu großen Teilen überwuchertes altes leerstehendes Haus in Kindern zu wecken vermag, ist ebenso bekannt wie die Tatsache, daß unvorsichtiger Umgang spielender Kinder mit Feuer nicht selten zu unerheblichen Brandschäden führt.
Obwohl sich damit die erhöhte Gefährdung des Hauses und das Ungenügen der Sicherungsmaßnahmen bereits eindeutig gezeigt hatten, ist die Klägerin auch in der Folgezeit der Gefährdung nur mit den gleichen und für die Klägerin ersichtlich unzulänglichen Sicherungsmaßnahmen begegnet, denn weder wurde die Haushälfte wieder bezogen, noch wurde nach den Bekundungen der Zeugen O. und P. eine wirksamere Beaufsichtigung anderweitig sichergestellt, noch wurden die Öffnungen des Hauses generell besser gesichert. Die aufgebrochene Tür wurde lediglich wie zuvor wieder zugenagelt und lediglich die Kellerfenster mit Baustoffmatten gesichert, deren Scheiben bereits damals zerbrochen waren, wie der Zeuge P. glaubhaft bekundet hat. Diese Sicherungen waren ungenügend. Mögen Glasscheiben in Kellerfenstern in einem vollständig bewohnten Hause unter Umständen zur Sicherung gegen Eindringlinge ausreichen, so gilt dies keinesfalls für ein leerstehendes Haus, in dem sich der Eindringling im ganzen Hause, hier zumindest in einer ganzen Haushälfte bewegen konnte, ohne Gefahr zu laufen, von Bewohnern entdeckt zu werden.
Der Verstoß der Klägerin gegen ihre Verpflichtung, keine Gefahrenerhöhung ohne Einwilligung der Beklagten vorzunehmen oder zuzulassen, erfolgte seitens der Klägerin auch schuldhaft. Die erhöhte Gefährdung, der leerstehende oder zumindest nur sehr teilweise bewohnte Wohngebäude durch unzuverlässige Personen ausgesetzt sind, war auch bereits im Jahre 1972 so allgemein bekannt, daß sie der Klägerin bei Anwendung der gehörigen Sorgfalt nicht unbekannt geblieben sein kann. Überdies beweist aber auch die von den Zeugen P. und O. glaubhaft bekundete Tatsache, daß die Klägerin sie beauftragt hat, bei dem Versicherungsobjekt „nach dem Rechten zu sehen“ eindeutig, daß der Klägerin diese erhöhte Gefährdung des Versicherungsobjektes bewußt war. Da sich die Klägerin bei der Sicherung des Versicherungsobjektes der Zeugen P. und O. als Erfüllungsgehilfen bediente, muß sich die Klägerin schließlich überdies die Kenntnis dieser Hilfspersonen von der bereits vorausgegangenen Konkretisierung dieser Gefährdung zurechnen lassen. Wenn die Klägerin es, wie sich aus den glaubhaften Bekundungen des Zeugen P. ergibt, dennoch unterließ, weitere und wirksamere Sicherungsmaßnahmen bezüglich des Versicherungsobjektes einzuleiten, so kann unter diesen Umständen an einer Fahrlässigkeit der Klägerin hinsichtlich der Erfüllung der ihr in Bezug auf dieses Versicherungsobjekt obliegenden Verpflichtungen aus dem Vertrag mit der Beklagten nicht mehr gezweifelt werden.
Selbst wenn man aber ein Verschulden der Klägerin hinsichtlich der Gefahrenerhöhung nicht bejahen wollte, wäre die Beklagte dennoch gemäß § 25 Abs 2 Satz 2 VVG von der Verpflichtung zur Leistung frei. Denn die Klägerin hat es unstreitig unterlassen, die Beklagte von der bereits 9 Monate vor dem Versicherungsfall eingetretenen Gefahrenerhöhung unverzüglich zu benachrichtigen. Dafür, daß der Beklagten etwa die Gefahrerhöhung auf andere Weise bereits vor dem Schadensereignis bekannt geworden wäre, § 25 Abs 2 Satz 2, 2. Halbsatz VVG, hat die Klägerin Tatsachen nicht vorgetragen.
Daß die Beklagte auch nicht etwa deshalb zur Leistung verpflichtet wäre, weil die Kündigungsfrist gemäß § 24 VVG bereits im Schadenszeitpunkt abgelaufen gewesen wäre, steht außer Zweifel, denn die Kündigungsfrist gemäß § 24 VVG beginnt erst mit Kenntnis des Versicherers von der Gefahrerhöhung zu laufen. Die Beklagte hatte vor dem Schadensereignis nach dem eigenen Vortrag der Klägerin keine Kenntnis von der Gefahrerhöhung.
Die Beklagte ist auch nicht dadurch an der Verweigerung der Versicherungsleistung für diesen Schadensfall gehindert, daß sie sich bereit erklärt hat, den Versicherungsvertrag unter der Voraussetzung, daß die Klägerin besondere Sicherungsmaßnahmen für das Objekt träfe, fortzusetzen. Denn das Angebot der Beklagten, den Versicherungsvertrag unter Vereinbarung besonderer bisher nicht vereinbarter Sicherungsmaßnahmen fortzusetzen, stellt rechtlich eine Änderungskündigung des Versicherungsvertrages dar.
Schließlich hat die Klägerin auch keine Tatsachen dafür vorgetragen und bewiesen, daß etwa die Gefahrerhöhung keinen Einfluß auf den Eintritt oder die Höhe des Schadens gehabt hätte. Da sich andere Ursachen nach den polizeilichen Ermittlungen nicht gefunden haben und auch die Klägerin selbst keine entgegenstehenden Tatsachen vorträgt, kann nicht angenommen werden, daß die Brände nicht durch fahrlässige oder vorsätzliche Brandstiftung unbefugt in das Gebäude gelangter Personen verursacht worden sind.
Andere Rechtsgründe, aus denen sich eine Leistungspflicht der Beklagten ergeben könnte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.