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Tierbehandlungskosten – Ersatz und Unverhältnismäßigkeit


Schleswig-Holsteinisches Oberlandesgericht

Az: 4 W 19/14

Beschluss vom 19.08.2014


Anmerkung des Bearbeiters

Wann sind Tierbehandlungskosten im Rahmen eines Schadensersatzanspruchs unverhältnismäßig? Welche Kriterien sind für die Beurteilung der Verhältnismäßigkeit von Tierbehandlungskosten heranzuziehen? Lesen Sie in diesem Urteil näheres zur Anwendung des § 251 Absatz 2 Satz 2 BGB.


Tenor

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichts vom 16. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (KV Nr. 1812 der Anlage 1 zum GKG).

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet (§ 127 Abs. 4 ZPO).


Gründe

Der Antragsteller beabsichtigt, die Antragsgegner wegen behaupteter tierärztlicher Fehler bei der Behandlung seiner Hündin „M“ auf Zahlung der nachfolgend entstandenen Behandlungskosten für das Tier einschließlich angefallener Fahrtkosten (nebst vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren) in Anspruch zu nehmen, hierbei auf Zahlung bereits angefallener Kosten in Höhe von 6.862,41 € zuzüglich Zinsen und auf Feststellung der Verpflichtung zur Erstattung weiteren absehbaren Schadens insbesondere aufgrund von Behandlungs-, Medikamenten- und Therapiekosten, bemessen nach einem Wert von 5.000,00 €.

Das Landgericht hat mit der angefochtenen Entscheidung die Gewährung von Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht nach § 114 ZPO verneint. Dabei hat es offengelassen, ob ein Behandlungsfehler vorliegt und auch dessen Ursächlichkeit für die Notwendigkeit der nachfolgenden tierärztlichen Behandlung. Denn jedenfalls bestehe ein Schadensersatzanspruch nicht in Höhe von mehr als 5.000,00 €, der die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts erst begründen würde.

Auf die sofortige Beschwerde des Antragstellers vom 20. Juni 2014 hat das Landgericht dieser mit Beschluss vom 30. Juni 2014 nicht abgeholfen.

Die sofortige Beschwerde des Antragstellers ist nicht begründet. Es liegt keine hinreichende Aussicht auf Erfolg im Sinne von § 114 ZPO für eine in den Zuständigkeitsbereich des Landgerichts fallende Schadensersatzforderung, mithin in Höhe eines Betrages von über 5.000,00 €, vor. Zwar hat der Antragsteller nach seinem Vortrag bereits erhebliche Tierarzt– und Tierklinikkosten für die Gesundung der Hündin „M“ gezahlt, und nach § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB sind Behandlungskosten eines Tieres auch dann ersatzfähig, wenn sie den Vermögenswert des Tieres erheblich übersteigen. Dies gilt aber nicht mehr, wenn die Grenze zur Unverhältnismäßigkeit überschritten ist. Im Gegensatz zu der Verletzung eines Menschen bleibt die Höhe der Behandlungskosten bei Tieren bei der Frage der Erstattungsfähigkeit nicht gänzlich unbeachtlich (Münchener Kommentar/Oetker, BGB, 6. Auflage 2012, § 251 Rn. 58).

Es sind bei der Bemessung der Verhältnismäßigkeit neben der Tierart folgende Gesichtspunkte zu berücksichtigen:

Dem Wert des Hundes kommt hier eine erhebliche Bedeutung zu (OLG München VersR 2011, 1412), dabei z. B., ob der Hund reinrassig ist, Zuchtpapiere besitzt oder eine besondere wertsteigernde Ausbildung durchlaufen hat.

Auch das Alter soll Berücksichtigung finden (OLG München a. a. O.; a. A. LG Traunstein, Urteil vom 22. März 2007, 2 O 719/05, Juris: kein Altersabschlag, da dies dem Staatsziel des Tierschutzes widersprechen würde).

Der vor der Pflichtverletzung vorliegende Gesundheitszustand des Tieres ist von Belang (AG Frankfurt/Main NJW-RR 2001, 17; OLG München a. a. O.: Vorerkrankungen mindern den Wert).

Entscheidende Bedeutung – und zwar mehr noch als der Wert des Tieres – hat das immaterielle Interesse des Hundehalters. Es ist also der besonderen Qualität der Beziehung zwischen Mensch (Familie) und Haustier Rechnung zu tragen (Erman/Ebert, BGB, 12. Auflage 2008, § 251 Rn. 26; a.A. allerdings LG Traunstein a. a. O. und Münchener Kommentar/Oetker a. a. O. Rn. 64). Maßgebend ist die möglicherweise sehr enge Bindung zwischen Mensch und Tier, etwa weil der Halter in der Vergangenheit eine besondere Fürsorge für seinen Hund hat entfalten müssen (LG Baden-Baden NJW-RR 1999, 609), weil der Hund ein wichtiger Bezugspunkt und der eigentliche Gefährte des Menschen ist, seine Existenz für den Halter von therapeutischem Wert ist oder gar Kindersatz. Hierbei spielt auch eine Rolle, wie lange der Hund bereits in der Familie lebt (AG Schöneberg NJW-RR 1987, 1316).

Ebenfalls ist von Belang, was der Eigentümer im Sinne eines verständigen Tierhalters in der konkreten Lage ohne die Fremdschädigung für sein Tier aufgewendet hätte (siehe Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearbeitung 2005, § 251 Rn. 28; AG Idar-Oberstein NJW RR 1999, 1629: Es ist heute keine Seltenheit mehr, dass Tierhalter hohe Beträge für eine Heilbehandlung aufbringen, so dass dies bei der Bemessung der Verhältnismäßigkeit Berücksichtigung zu finden hat).

Als weiterer Gesichtspunkt spielt die Erfolgsaussicht der tierärztlichen Behandlung eine Rolle (vgl. LG Essen NJW 2004, 527, 528 a. E.). Je unwahrscheinlicher der Erfolg ist, umso eher wird die Behandlung unvernünftig und unverhältnismäßig sein (Staudinger/Schiemann a. a. O. Rn. 29; Münchener Kommentar/Oetker a. a. O. Rn. 59 f.; LG Baden-Baden a. a. O.; AG Idar-Oberstein a. a. O. unter Hinweis auf die Gesetzesbegründung). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verhältnismäßigkeit noch eher angenommen werden kann, wenn erhebliche Kosten erst im Laufe einer längeren Behandlung anfallen, also – quasi unerwartet – nach und nach entstehen (LG Bielefeld NJW 1997, 3320). Der Tierhalter hat u.U. darauf vertrauen dürfen, mit nur einem Eingriff alles Erforderliche getan zu haben. Erweist sich dies dann als nicht ausreichend, sind also weitere Eingriffe geboten, bedeutet es nicht zwingend, nun den kostengünstigeren Weg der Einschläferung des Tieres zu wählen (AG Idar-Oberstein a. a. O.). Allerdings ist der Tierhalter nicht verpflichtet, das Tier lebensverlängernd behandeln zu lassen (siehe Münchener Kommentar/Oetker, a. a. O. Rn. 54).

Keine Berücksichtigung sollen demgegenüber die Vermögensverhältnisse des Tierhalters finden (Münchener Kommentar/Oetker a. a. O. Rn. 65; so auch AG Idar-Oberstein a. a. O.), ob der Schädiger haftpflichtversichert ist (Münchener Kommentar/Oetker a. a. O.) und das Maß des Verschuldens des Schädigers (Münchener Kommentar/Oetker a. a. O.; a. A. jedoch LG Traunstein NJW 1984 1244 und AG Idar-Oberstein a. a. O.).

Zur Ermittlung der verhältnismäßigen Kosten kann wie bei der Bemessung eines angemessenen Schmerzensgeldes auch die hierzu ergangene Rechtsprechung vergleichend herangezogen werden. Danach ist zumeist die Verhältnismäßigkeitsgrenze dann – einzelfallabhängig (je nach Vorliegen der o.g. Kriterien) – als erreicht angesehen worden, wenn die Behandlungskosten das 6- bis 10-fache des Wertes des Tieres erreicht haben (LG Traunstein NJW 1984, 1244, AG Frankfurt/Main a. a. O.; LG Essen a. a. O.; OLG München a. a. O.; siehe aber auch AG Schöneberg a. a. O.: keine Berücksichtigung des Wertes bei vorsätzlicher Verletzung des Tieres; LG Bielefeld a. a. O.: bei 3.000,00 DM Behandlungskosten einer Katze ohne Marktwert ist die Grenze noch nicht überschritten; AG Idar-Oberstein a. a. O.: 4.600,00 DM bei verkehrswertlosen Mischlingshund sind noch zu ersetzen; a. A. LG Traunstein, Urteil vom 22. März 2007, 2 O 719/05, Juris: Die Grenze ist bei einem reinrassigen Schäferhund mit einem Wert von 1.000,00 € bei Behandlungskosten in Höhe von 2.000,00 € erreicht).

Unter Berücksichtigung der genannten Bemessungskriterien liegt hier jedenfalls ein die sachliche Zuständigkeit des Landgerichts erreichender Behandlungsaufwand von über 5.000,00 € – wenn auch knapp – außerhalb des Rahmens des Verhältnismäßigen im Sinne von § 251 Abs. 2 Satz 2 BGB. So handelt es sich bei der Hündin „M“ um einen 6-jährigen Mischlingshund, dessen Wert das Landgericht unwidersprochen auf 200,00 € geschätzt hat. Das Tier war auch vorgeschädigt in Form eines operierten Kreuzbandrisses im rechten Hinterbein, der zu Folge eine bloße Amputation des verletzten linken Hinterbeins zur Erreichung eines Behandlungserfolges voraussichtlich nicht ausreichen würde, sondern eine kostenintensive Prothesenversorgung gewählt werden soll. Als weitere Vorschädigung darf auch nicht die erhebliche Verletzung des linken Hinterbeines außer Acht bleiben, die die beanstandete tierärztliche Behandlung erst ausgelöst hatte.

Andererseits soll die tierärztliche Behandlung der Hündin „M“ dem Antragsteller angeraten sein worden. Seine Familie hat nach den Ausführungen des Antragstellers mit einem (im Behandlungszeitraum allerdings erst ¾ Jahr alten) Kind zu dem Hund auch eine enge emotionale Beziehung, für deren Vorliegen spricht, dass der Antragsteller trotz beengter wirtschaftlicher Verhältnisse bereits jetzt hohe Behandlungskosten nicht gescheut hat, obwohl (auch schon wegen der Frage, ob letztlich ein Haftungsgrund vorliegt) offen ist, ob und gegebenenfalls in welcher Höhe ihm diese Kosten überhaupt ersetzt werden. Schließlich berücksichtigt der Senat auch, dass die Behandlung des Tieres zunächst kostengünstig begonnen hatte, das Ausmaß dieser Kosten also nicht von vorneherein absehbar war. Allerdings ergaben sich dann weitere Behandlungsschritte, die mit einem Mal (wegen der Amputation und der beabsichtigten Prothesenversorgung) erkennbar deutlich teurer ausfielen; der Antragsteller war hierzu von der Tierklinik mit Bericht vom 30.08.2013 zuvor ausführlich aufgeklärt worden.

Nach alledem ergibt bei Abwägung der genannten Gesichtspunkte, dass das Landgericht den Prozesskostenhilfeantrag zu Recht abgewiesen hat.


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