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Tritt ein Schuldnerverzug durch eine Mahnung vor dem Ablauf einer Prüfungsfrist bei Dienst- oder Werkleistungen ein?

AG Bremen, Az.: 9 C 131/13

Urteil vom 20.06.2013

Die Beklagte wird auf ihre Säumnis hin verurteilt, an die Klägerin 0,91 € an ausgerechneten Zinsen für den Zeitraum 12.11.2012 bis 10.12.2012 zu zahlen; im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Von der Darstellung des Tatbestands wird gemäß den §§ 313a, b ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

Tritt ein Schuldnerverzug durch eine Mahnung vor dem Ablauf einer Prüfungsfrist bei Dienst- oder Werkleistungen ein?
Symbolfoto: fizkes/Bigstock

Die zulässige Klage ist überwiegend unschlüssig und also unbegründet; bis auf die Zinsen stehen die als Hauptforderung geltend gemachten Nebenforderungen der Klägerin nicht zu. Im Hinblick auf die vorgerichtlichen Inkassokosten in Höhe von 45,00 € und die Mahnkosten in Höhe von 8,00 € besteht kein Erstattungsanspruch gemäß §§ 286, 249 BGB:

Durch die nach Leistungserbringung der Beklagten zugesandte Rechnung mit Zahlungsaufforderung vom 18.10.2012 („sofort zahlbar“) wurde der Vergütungsanspruch in Höhe 214,20 € lediglich fällig gestellt. Gemäß § 286 III BGB hätte der Zugang der Abrechnung den Verzug der Beklagten allenfalls nach Ablauf von 30 Tagen begründen können.

Auch mit Zugang des Mahnschreibens vom 01.11.2012 wurde der Verzug der Beklagten nicht begründet. Zwar schließt die Normierung der 30-Tagefrist nach § 286 III BGB eine Inverzugsetzung durch Mahnung vor Fristablauf nicht aus, da die Norm nicht dem Schutz des Schuldners dient (vgl. BGH NJW 2008, 50). Beziffert der Gläubiger aber erst mit der Abrechnung über die erbrachten Dienst- oder Werkleistungen seine Forderung, so ist dem Schuldner nach Treu und Glauben regelmäßig eine ausreichende Prüfungsfrist zuzubilligen. Denn der Schuldner wird erst durch die Abrechnung vom Bestehen der Forderung – zumindest der Betragshöhe – in Kenntnis gesetzt. Ihm ist insofern ein gewisser Zeitrahmen zuzugestehen, innerhalb dessen er einzelne Rechnungspositionen gegebenenfalls prüfen (lassen) und sodann eine Bankanweisung tätigen kann (vgl. MüKo, 6. A., § 286, Rn. 52: angemessene Frist; Palandt, 71. A., § 286, Rn. 35; Staudinger (2009), § 286, Rn. 44). Hierfür ist die Einräumung einer zweiwöchigen Handlungsfrist regelmäßig ausreichend, aber auch geboten (§§ 242, 286 IV BGB). Vorliegend endete die Prüfungsfrist unter Zugrundelegung einer Postlaufzeit von 2 Tagen (Zugang Sa, 20.10.2012) am 05.11.2012.

Gleichwohl setzte der Verzug der Beklagten infolge des Mahnschreibens vom 01.11.2012 nicht automatisch zum 06.11.2012 ein. Zwar soll nach der Rechtsprechung eine zu kurz bemessene Zahlungsfrist in eine angemessene Frist umgedeutet werden (vgl. Palandt, 71. A., § 281, Rn. 10). Dies kann nach Ansicht des erkennenden Gerichts jedoch nicht entsprechend für eine verfrüht erklärte Mahnung gelten. Wenn die Mahnung zum Zeitpunkt ihres Zugangs (noch) keinen Verzug bewirken kann bzw. nach Treu und Glauben nicht hätte erklärt werden dürfen, so ist der Gläubiger nicht schutzwürdig, da er unschwer eine weitere – den Verzug dann begründende – Mahnung auszusprechen berechtigt ist. Andernfalls könnte sich der Gläubiger veranlasst sehen, seine Mahnung gleichzeitig mit oder unmittelbar nach der Abrechnung zu erklären, um den Schuldner quasi zwangsläufig in Zahlungsverzug zu setzen. Da eine Mahnung, die vor Fälligkeit erklärt wird, auch nach Fälligkeit keine Verzugswirkung entfaltet (MüKo, a.a.O.), kann nichts anderes gelten, wenn die Mahnung zwar nach Fälligkeit, aber zur Unzeit erklärt wird.

Auch die Kosten des zweiten Mahnschreibens vom 10.11.2012 – in Höhe von 2,50 € und nicht wie klägerseits veranschlagt 4,00 € (vgl. Palandt, 71. A., § 286, Rn. 45) – sind nicht erstattungsfähig. Da zum Zeitpunkt der Anfertigung des Schreibens vom 10.11.2012 noch kein Verzug bestand (s.o.), können die Kosten der Erstellung des Schreibens, das den Verzug erst begründete, nicht als Verzugsschaden nach § 286 BGB geltend gemacht werden (Palandt, 71. A., § 286, Rn. 44).

Unter Berücksichtigung einer Postlaufzeit von 2 Tagen bestand daher Verzug vom 12.11.2012 bis zum Zeitpunkt der Erfüllung der Vergütungsforderung am 11.12.2012. Diesbezüglich schuldet die Beklagte Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf die ursprüngliche Hauptforderung (§§ 286, 288 I BGB). Aufgrund der Säumnis der Beklagten ist deren Vortrag, die Rechnung und die Mahnungen vor Einschaltung des Inkassodienstes nicht erhalten zu haben, unbeachtlich; denn der klägerische Vortrag ist als zutreffend zu unterstellen (§ 331 I 1 ZPO).

Hinsichtlich der Inkassokosten schuldet die Beklagte keinen Schadensersatz (§§ 286, 249 BGB). Zwar befand sich die Beklagte im Zeitpunkt der Beauftragung des Dienstes am 30.11.2012 im Zahlungsverzug (s.o.). Die Einschaltung des Inkassodienstes stellt sich jedoch nicht als erforderliche und zweckdienliche Rechtsverfolgungsmaßnahme dar; die vorgerichtlich getätigten Aufwendungen der Klägerin in Höhe von 45,00 € hat die Beklagte durch ihren Verzug daher nicht als Schadensposition im Sinne des § 249 BGB veranlasst:

Zum Zeitpunkt der Einschaltung des Inkassodienstes befand sich die Beklagte erst 2 Wochen im Zahlungsverzug (s.o.). Die Klägerin wirbt auf Ihrer Homepage damit, einer der weltweit führenden Anbieter für Energieabrechnungen und Energiemanagement mit einem Umsatz im dreistelligen Millionenbereich zu sein. Ein Großkonzern bedarf zur vorgerichtlichen Geltendmachung einer schlichten Entgeltforderung jedoch nicht der Hilfe eines externen Inkassounternehmens; er ist nach Auffassung des Gerichts nicht befugt, seinen Forderungseinzug auf Kosten des Schuldners an Dritte zu delegieren (zutreffend: AG Bochum, JurBüro 2007, 91). Schließlich kann er die Kosten des Personals der eigenen Mahnabteilung gegenüber dem Schuldner nach gefestigter BGH-Rechtsprechung auch nicht als Schadensersatzposition geltend machen (s.u.).

Der vorliegende Sachverhalt ist in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht denkbar einfach gelagert. Der Inkassodienst wird in dem – nicht zur Akte gereichten – Schreiben vom 30.11.2012 nichts anderes getan haben, als an die Bezahlung des Rechnungspostens zu erinnern; der Einzug eigener Forderungen unterfällt – zumindest bei größeren Unternehmen mit entsprechender Arbeitsteilung – zwangsläufig dem originären Aufgabenbereich des Gläubigers (vgl. insofern: BGH NJW 2008, 2651). Denn jedes Unternehmen ist in der Lage eigene Rechnungen zu schreiben und an diese gegebenenfalls zu erinnern; das Mahnwesen ist – lästiger und kostenträchtiger – Bestandteil jedweder kaufmännischer Tätigkeit. Letztendlich wird durch die Zusprechung von Inkassokosten die Rechtsprechung des BGH, wonach der Gläubiger dem Schuldner die Kosten des Mahnwesens nicht als Schadensposition auferlegen darf (BGH NJW 1976, 1256, NJW 1977, 35, NJW 1980, 119), unterlaufen. Denn die Mahntätigkeit wird unter Einsparung eigener Ressourcen an externe Dienstleistungsunternehmen delegiert, um deren Rechnung als Schadensposition beziffern zu können.

Der BGH hat unlängst entschieden, dass es einem Großvermieter zuzumuten sei, die Kündigung eines Mietvertrags vorgerichtlich selbst, und nicht über einen entsprechende Gebühren abrechnenden Rechtsanwalt, zu erklären (BGH, NJW 2011, 296). Nichts anderes kann dann aber für das ungleich einfachere Verfassen einer bloßen Zahlungserinnerung gelten (vgl. Jäckle, NJW 2013, 1393; Woitkewitsch MDR 2012, 500 m.w.N.). Das Argument, dass die Einschaltung eines kostenintensiven Inkassodienstes letztendlich im Interesse des Schuldners liege, weil sich hierdurch kostspielige Gerichtsprozesse vermeiden ließen, überzeugt nicht, zumal das gerichtliche Mahnverfahren dem Gläubiger eine kostengünstige und effektive Rechtsschutzmöglichkeit eröffnet, die unmittelbar auf Erlangung eines Titels gerichtet ist.

Das klägerseits beauftragte Inkassounternehmen berechnete 53,55 € brutto für die „Inkassovorgänge im Zeitraum 30.11.2012-30.11.2012“, mithin für ein einmaliges Tätigwerden. Dass sich das Inkassogeschäft – auf Kosten der Schuldner – zu einem lukrativen Nebengewerbe entwickelt haben dürfte, indiziert der Umstand, dass ein Rechtsanwalt wegen der Verrechnung der Geschäfts- mit der Verfahrensgebühr vorliegend lediglich eine 0,65er Geschäftsgebühr inkl. Auslagen, mithin 19,50 € netto, hätte geltend machen dürfen. Für das Verfassen eines bloßen Mahnschreibens einfacher Art hätte der Rechtsanwalt – trotz seiner besonderen fachlichen Qualifikation – gemäß Anlage 1 VV 2302 zu § 13 RVG lediglich eine 0,3er Gebühr, mithin 9,00 € netto – statt 45 € – verlangen können.

Die Klägerin hat auch insofern gegen ihre Obliegenheit zur Schadensminderung (§ 254 BGB) verstoßen (vgl. hierzu Palandt, 71. A., § 286, Rn. 46).

Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 92 II Nr. 1; 708 Nr. 2, 11; 711; 713 ZPO.

Die Berufung war nicht zuzulassen (§ 511 IV ZPO). Die Klägerin hat zu der Tätigkeit des Inkassodienstes (im Zeitraum 30.11.2012-30.11.2012) nicht substantiiert vorgetragen; die hiesige Entscheidung basiert auf der neueren – restriktiven – Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs.

 

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