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Überlange Gerichts-Verfahrensdauer – Entschädigungsanspruch


OLG Karlsruhe

Az: 23 SchH 2/13 EntV

Urteil vom 19.12.2013


1. Das beklagte Land wird verurteilt, an die Klägerin eine Entschädigung in Höhe von 7.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.02.2013 zu zahlen.

2. Die Kosten des Verfahrens trägt das beklagte Land.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt eine Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer eines Güterrechtsverfahren in erster Instanz.

Mit am 24.1.2000 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz machte die Klägerin – in dem seit 4.11.1999 rechtshängigen Scheidungsverfahren – die Folgesache Güterrecht anhängig und stellte einen Stufenantrag zum Zugewinnausgleich. Am 17.4.2000 erging ein Teilanerkenntnisurteil, mit dem der Ehemann verurteilt wurde, Auskunft über sein Endvermögen am 4.11.1999 durch Vorlage eines vollständigen Bestandsverzeichnisses zu erteilen.

Mit am 24.8.2001 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz begehrte die Klägerin die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns der Ehegatten und bezifferte ihren Anspruch auf 466.395,85 DM. Mit Beschluss vom 22.3.2002 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage auf vorzeitigen Zugewinn bewilligt und die Klage auf vorzeitigen Zugewinn dem Ehemann am 26.3.2002 zugestellt.

Am 6.6.2008 wurde das Verbundurteil verkündet, mit dem die Ehe der Klägerin und ihres Ehegatten geschieden, der Versorgungsausgleich sowie Unterhaltsansprüche geregelt und die Stufenklage der Klägerin in der Folgesache Güterrecht abgetrennt wurden. Daneben wurde ein Hinweisbeschluss im Verfahren auf vorzeitigen Zugewinn verkündet. Die Scheidung der Ehegatten wurde am 21.7.2009 rechtskräftig.

Mit Beschluss des Familiengerichts Villingen-Schwenningen vom 30.10.2009 wurden die Verfahren auf vorzeitigen Zugewinn (3 F) sowie die abgetrennte Folgesache Güterrecht (3 F) verbunden. Am 10.11.2011 wurde das Urteil des Amtsgerichts – Familiengericht – Villingen-Schwenningen verkündet, mit dem der Antrag der Klägerin auf Zugewinnausgleich zurückgewiesen wurde.

Die Klägerin legte mit am 8.12.2011 beim Oberlandesgericht Karlsruhe eingegangenem Schriftsatz Berufung ein mit dem Ziel, das Urteil des Familiengerichts vom 10.11.2011 abzuändern und den Ehemann antragsgemäß zur Zahlung von 238.464,41 € zuzüglich Zinsen zu verurteilen. Am 19.7.2013 wurde – auf die mündliche Verhandlung des Senat vom 12.6.2013 – das Berufungsurteil verkündet, mit dem die Berufung der Klägerin zurückgewiesen und die Revision zugelassen wurde. Das Urteil wurde dem Ehemann am 23.7.2013, der Klägerin am 24.7.2013 zugestellt. Mit am 20.8.2013 beim Bundesgerichtshof eingegangenem Schriftsatz beantragt die Klägerin Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Revision. Der Ausgang des Verfahrens ist offen.

Mit Schriftsatz vom 26.10.2012 – eingegangen am Oberlandesgericht am 29.10.2012 – rügte die Klägerin die unangemessen lange Dauer des Verfahrens nach § 198 Abs. 3 GVG.

Die Klägerin behauptet, dass eine überlange Dauer des erstinstanzlichen Verfahrens vorliege, die eine angemessenen Entschädigung rechtfertige. Die angemessene Verfahrensdauer sei um sechs Jahre und sieben Monate überschritten, namentlich in den Zeiträumen vom 1.1.2003 bis zum 20.4.2004, von November 2004 bis Februar 2008, vom 1.8.2008 bis 21.7.2009 sowie von Juli 2010 bis zum 1.7.2011. Eine Wiedergutmachung auf andere Weise – etwa durch die Feststellung der unangemessenen Verfahrensdauer – sei aufgrund des besonders schwerwiegenden Falls nicht ausreichend.

Die Klägerin beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an die Klägerin 7.900,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.02.2013 zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land ist der Auffassung, dass die Dauer des Verfahrens nicht auf die Untätigkeit des Familiengerichts, sondern auf die Komplexität des Verfahrens sowie die Handhabung der gerichtlichen Auseinandersetzung durch die Parteien, namentlich den vielfältigen Vortrag und die zahlreichen von den Parteien wechselseitig anhängig gemachten Verfahren, zurückzuführen sei. In Hinblick darauf, dass die Klägerin kein ausgeprägtes Interesse am Verfahrensfortgang gezeigt habe, sei eine Feststellung, dass die Verfahrensdauer unangemessen gewesen sei, jedenfalls ausreichend.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen. Die Akten des Ausgangsverfahren … waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage hat in der Sache Erfolg. Die Klägerin hat gegen das beklagte Land einen Anspruch auf immaterielle Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer des erstinstanzlichen Güterrechtsverfahrens in Höhe von 7.900,00 € aus § 198 Abs. 1 und Abs. 2 GVG.

A.

Die Klage ist zulässig.

Das Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gilt gemäß Art. 23 Satz 1 ÜGRG auch für Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten – am 3.12.2011 – bereits anhängig waren. Die Klägerin kann somit die Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK in Bezug auf das am 3.12.2011 noch anhängige Güterrechtsverfahren stützen.

B.

Die Klage ist vollumfänglich begründet.

Die Verfahrensdauer des Amtsgerichts – Familiengericht – Villingen-Schwenningen entspricht nicht dem verfassungsrechtlich gewährten Justizgewährungsanspruch.

1. Für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Amtsgericht Villingen-Schwenningen ist eine – an sich nach § 198 Abs. 3 Satz 1 GVG erforderliche – Verzögerungsrüge entbehrlich. Gemäß Art. 23 Satz 4 ÜGRG bedarf es keiner Verzögerungsrüge, wenn die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt ist. In diesen Fällen kann die Rüge für die nunmehr befasste Instanz keine Präventivfunktion mehr erfüllen und würde das befasste Gericht unnötig belasten (BT-Ds. 17/3802 S. 31 r. Sp.).

2. Die Gesamtverfahrensdauer des Güterrechtsverfahrens von zwölf Jahre und sechs Monate rechtfertigt die Annahme einer überlangen Verfahrensdauer gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK. Die angemessene Verfahrensdauer ist um sechs Jahre und sieben Monate überschritten.

Die Angemessenheit der Verfahrensdauer richtet sich gemäß § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens sowie nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Allgemein gültige Zeitvorgaben für die Erledigung von gerichtlichen Verfahren gibt es nicht (BVerfG NJW-RR 2010, 207 Tz. 20; BVerfG NJW 1997, 2811 Tz. 35). Maßgeblich sind stets die besonderen Umstände des Einzelfalls, so dass zur Beurteilung der Angemessenheit der Verfahrensdauer nicht auf eine durchschnittliche Verfahrensdauer in Güterrechtssachen abgestellt werden kann. Eine lediglich pauschalisierte zeitliche Würdigung der Dauer des Gesamtverfahrens kommt somit nicht in Betracht. Vielmehr müssen die einzelnen Verfahrensabschnitte konkret betrachtet werden (OLG Karlsruhe, Urteil vom 11.1.2013 – 23 SchH 4/12 EntV – juris Tz. 73; OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 25.7.2012, 7 KE 1/11 – juris Tz. 58 ff.).

Für die Beurteilung der Verfahrensdauer ist – unter dem Gesichtspunkt einer möglichen Mitverursachung – zunächst maßgeblich, wie sich der Entschädigungskläger selbst im Ausgangsverfahren verhalten hat (BT-Ds. 17/3802 S. 18 r. Sp.). Des Weiteren sind Schwierigkeit, Umfang und Komplexität des Falls sowie die Bedeutung des Rechtsstreits zu berücksichtigen (BT-Ds. a.a.O.).

a) Die Klägerin kann sich in Bezug auf das am 24.8.2001 eingeleitete und bis zur Verbindung mit dem Güterrechtsverfahren 3 F am 30.10.2009 geführte isolierte Verfahren auf vorzeitigen Zugewinnausgleich auf eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK berufen. Im Umfang von fünf Jahren und acht Monaten liegt insoweit eine unangemessene Verfahrensverzögerung vor.

aa) Die Klägerin leitete mit ihrem am 24.8.2001 beim Familiengericht eingegangenem Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage das Verfahren auf vorzeitigen Zugewinnausgleich ein und bezifferte ihren Anspruch auf 466.395,85 DM. Die Gestaltungsklage auf vorzeitigen Zugewinn kann auch während des Scheidungsverfahrens – allerdings nicht im Verbund – anhängig gemacht werden (OLG Karlsruhe FamRZ 2004, 466; OLG Düsseldorf FamRZ 2002, 1572; Bamberger/Roth, BGB, 2. Auflage 2008, § 1386 Rz. 5; Schröder/Bergschneider, a.a.O., Rz. 4.489 f.). Beide Verfahren werden nebeneinander geführt.

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Mit Beschluss des Familiengerichts vom 22.3.2002 wurde der Klägerin Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Klage auf vorzeitigen Zugewinnausgleich bewilligt. Es wurde zugleich früher erster Termin auf den 29.4.2002 bestimmt. Die Klage auf vorzeitigen Zugewinn wurde dem Ehemann am 26.3.2002 zugestellt. Auf begründeten Antrag des Ehemanns wurde der Termin vom 29.4.2002 auf den 17.6.2002 verlegt. In diesem Termin wurde über die einzelnen Positionen im Anfangs- und Endvermögen des Ehemanns verhandelt und den Parteien schließlich ein Schriftsatzrecht bis 15.7.2002 eingeräumt. Der auf 26.7.2002 bestimmte Verkündungstermin wurde aus dienstlichen Gründen auf den 2.8.2002 verlegt und ein Hinweis- und Beweisbeschluss verkündet verbunden mit einer erneuten Fristsetzung für die Parteien für weiteren Sachvortrag binnen drei Wochen ab Zustellung des Beschlusses. Der Ehemann nahm sodann mit am 15.8.2002, 7.10.2002, 22.10.2002, 24.10.2002, 29.11.2002, 30.12.2002 und 26.3.2003 beim Amtsgericht eingegangen Schriftsätzen Stellung, die Klägerin mit am 12.9.2002 und am 13.11.2002 eingegangen Schriftsätzen.

bb) Im anschließenden Zeitraum vom 1.1.2003 bis zur Terminierung am 20.4.2004, mithin 16 Monate, liegt eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens. Denn es ist nicht erkennbar, weshalb in dieser Zeit eine Bearbeitung durch das Familiengericht nicht erfolgte. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund der am 2.6.2003, 14.7.2003, 22.12.2003 und 16.3.2004 eingegangenen (unbeantworteten) Sachstandsanfragen der Klägerin. Insbesondere machen – entgegen der Auffassung des beklagten Landes – umfangreiche, mit Anlagen und Musterberechnungen versehene Schriftsätze der Parteien eine alsbaldige Befassung des Gerichts und eine im angemessenen zeitlichen Rahmen folgende Terminsbestimmung nicht entbehrlich. Für die Verzögerung ist des Weiteren unerheblich, dass beim Familiengericht zwei güterrechtliche Verfahren, namentlich die Güterrechtssache als Folgesache sowie die isolierte Gestaltungsklage auf vorzeitigen Zugewinnausgleich, anhängig waren. Dieses prozessuale Vorgehen ist nach den gesetzlichen Vorschriften ausdrücklich vorgesehen und der Klägerin keinesfalls vorwerfbar.

cc) Seit der Terminierung am 20.4.2004 bis Oktober 2004 wurde das Verfahren ordnungsgemäß betrieben. Im Termin vom 10.5.2004 wurde zur Sache verhandelt und Termin zur Fortsetzung auf den 14.6.2004 bestimmt. Zur Vorbereitung dieses Fortsetzungstermins erging ein Hinweisbeschluss des Gerichts vom 4.6.2004. Im Termin wurde dem Ehemann eine Frist zur Vorlage diverser Kontoauszüge bis 31.7.2004 gesetzt, diese Frist wurde auf Antrag des Ehemanns bis Ende August 2004 verlängert. Mit am 25.8.2004 eingegangenem Schriftsatz des Ehemanns wurden die Unterlagen vorgelegt und ergänzend vorgetragen. Die Klägerin erwiderte – nach zweifach von ihr beantragten Fristverlängerung vom 23.9.2004 und vom 8.10.2004 – mit am 18.10.2004 eingegangenem Schriftsatz.

dd) Eine weitere unangemessene Verfahrensverzögerung ist im Zeitraum von November 2004 bis Februar 2008 festzustellen. Das Verfahren wurde in diesem Zeitraum, namentlich drei Jahre und vier Monate, nicht bearbeitet. Erst nach – am 14.7.2005, 10.1.2006, 30.6.2006, 3.11.2006, 9.1.2007, 16.5.2007 und 12.11.2007 beim Amtsgericht eingegangenen – Sachstandsanfragen des Ehemanns sowie einer am 2.11.2007 eingegangenen Bitte der Klägerin um Entscheidung der Zugewinnangelegenheit wurde mit Verfügung vom 20.2.2008 Termin bestimmt. Soweit das beklagte Land einwendet, das Gericht habe am 23.9.2005 verfügt, dass beabsichtigt sei, nach Ablauf der Erwiderungsfrist im Unterhaltsabänderungsverfahren im Scheidungs- und Güterrechtsverfahren zu terminieren, wird übersehen, dass dieser Hinweis ausschließlich das Verbundverfahren 3 F 285/99 betraf. In Hinblick darauf, dass die isolierte Gestaltungsklage auf vorzeitigen Zugewinn weder prozessual noch materiell-rechtlich von einer Entscheidung im Unterhaltsverfahren abhängt, kann die Untätigkeit des Gerichts nicht mit laufenden Erwiderungsfristen in der Unterhaltssache gerechtfertigt werden. Vielmehr werden die Gestaltungsklage auf vorzeitigen Zugewinn und die Verbundsache unabhängig voneinander, parallel geführt.

ee) Nach der Terminierung am 20.2.2008 nahm das Verfahren bis Juli 2008 Fortgang. Am 3.3.2008 und 7.4.2008 wurde mündlich zur isolierten Klage auf vorzeitigen Zugewinn verhandelt. Mit am Ende der Sitzung am 7.4.2008 verkündetem Beschluss wurde dem Ehemann ein Schriftsatzrecht bis 21.4.2008 und der Klägerin zur Erwiderung bis 7.5.2008 eingeräumt und Verkündungstermin auf 23.5.2008 bestimmt. Der Verkündungstermin wurde aus dienstlichen Gründen auf 6.6.2008 verlegt. Es wurde sodann ein Hinweisbeschluss im Verfahren auf vorzeitigen Zugewinn verkündet, die mündliche Verhandlung wiedereröffnet und Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung (auch für das abgetrennte Verfahren zum Zugewinnausgleich) auf 7.7.2008 bestimmt. Am Ende dieser mündlichen Verhandlung wurde verkündet, dass Termin zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung bestimmt werde, wenn das Referat nach erfolgter Pensionierung des Referatsrichters zum 31.7.2008 wieder besetzt sei.

ff) Im Zeitraum vom 1.8.2008 bis zum 21.7.2009, dem Datum der Rechtskraft der Scheidung, liegt erneut eine unangemessene Verzögerung des Verfahrens vor. Verfahrensfördernde Maßnahmen sind für die Dauer von 12 Monaten nicht erkennbar. Dem steht nicht entgegen, dass die Klägerin gegen das Verbundurteil des Familiengerichts Villingen-Schwenningen vom 6.6.2008 (3 F), mit dem unter anderem die Stufenklage auf Zugewinnausgleich abgetrennt wurde, Berufung eingelegt hatte. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes war weder die (abgetrennte) güterrechtliche Angelegenheit als Folgesache noch der ohnehin unabhängig zu führende Prozess betreffend isolierten Zugewinnausgleich Gegenstand des Berufungsverfahrens. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts wäre – dies hätte ein Zuwarten des Familiengerichts möglicherweise rechtfertigen können – auch nicht vorgreiflich gewesen. Vielmehr stand für die noch immer in erster Instanz anhängigen Verfahren eine Entscheidung an.

gg) Mit Rechtskraft der Ehescheidung am 21.7.2009 hatte sich das Verfahren auf vorzeitigen Zugewinn in der Hauptsache erledigt, denn mit der Beendigung des Güterstandes geht die Gestaltungswirkung des Urteils auf vorzeitigen Zugewinnausgleich ins Leere (OLG Düsseldorf FamRZ 2002, 1572; Bamberger/Roth, a.a.O., § 1386 Rz. 5; Büte, Zugewinnausgleich bei Ehescheidung, 4. Auflage 2012, Rz. 358; Haußleiter/Schulz, Vermögensauseinandersetzung bei Trennung und Scheidung, 5. Auflage 2011, Rz. 600; NK/Fischinger, BGB, 2. Auflage 2010, § 1386 Rz. 36). Eine sachgerechte Antragsstellung durch die Klägerin erfolgte mit am 29.10.2009 am Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz. Mit Beschluss des Familiengerichts vom 30.10.2009 wurden die bis dahin getrennt geführten Verfahren auf vorzeitigen Zugewinnausgleich (3 F 275/01) einerseits und die (zwischenzeitlich abgetrennte) Folgesache Zugewinnausgleich (3 F GÜ) miteinander verbunden. Diese Verbindung bewirkt, dass die verbundenen Prozesse ihre Selbständigkeit verlieren und zu einem einzigen Verfahren zusammengefasst werden (s. MünchKomm/Wagner, ZPO, 4. Auflage 2013, § 147 Rz. 9).

Gleichwohl kann die Klägerin für Verzögerungen in dem (hinzuverbundenen) Verfahren auf vorzeitigen Zugewinn eine Entschädigung beanspruchen. Zwar hat die Klägerin ihren Antrag auf Feststellung der Erledigung des Verfahrens betreffend den vorzeitigen Ausgleich des Zugewinns nach Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens nicht mehr weiterverfolgt. Sie hat jedoch ihr Begehren in Bezug auf den Zugewinnausgleich weiterhin – nach Verkündung der erstinstanzlichen Entscheidung in der Berufungsinstanz – geltend gemacht. Ihr Rechtschutzbegehren hat die Klägerin somit nicht aufgegeben. Darauf kommt es jedoch im vorliegenden Entschädigungsverfahren entscheidend an (anders bei Antragsrücknahme s. dazu OLG Köln, Beschluss vom 15.03.2013 – 7 SchH 6/12 – juris).

b) Im Zeitraum vom 30.10.2009 bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens mit Urteil vom 10.11.2011 liegt eine weitere unangemessene Verfahrensverzögerung für einen Zeitraum von elf Monaten.

Der Zahlungsantrag der Klägerin vom 27.10.2009 wurde dem Ehemann am 10.11.2009 zugestellt. Mit am gleichen Tag eingegangenem Schriftsatz beantragte er Klageabweisung für beide – nunmehr verbundenen – Verfahren. Mit Verfügung vom 26.2.2010 wurde Termin zur mündlichen Verhandlung über das güterrechtliche Verfahren bestimmt auf 20.4.2010. In diesem Termin wurde streitig verhandelt. Beide Parteien erhielten antragsgemäß ein Schriftsatzrecht bis 30.6.2010 zur Stellungnahme zum gerichtlichen Vergleichsvorschlag sowie zum ergänzenden Vortrag. Weitere Entscheidungen sollten von Amts wegen ergehen. Mit am 13.7.2010 beim Amtsgericht eingegangenem Schriftsatz lehnte der Ehemann eine gütliche Einigung ab.

Obwohl das Verfahren im Juli 2010 ausgeschrieben war, erfolgten verfahrensleitende Verfügungen erst am 1.7.2011 mit der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung auf den 1.9.2011. Der Zeitraum zwischen Juli 2010 und 1.7.2011 – elf Monate – kann durchaus als lang bezeichnet werden. Es ist auch nicht erkennbar, was einer früheren Terminierung oder überhaupt einer Sachbehandlung entgegenstand. In Hinblick darauf, dass das Verfahren schließlich ohne persönliche Anhörung des – seit Frühjahr 2010 schwer erkrankten – Ehemanns der Klägerin abgeschlossen werden konnte, ist aus den Verfahrensakten nicht nachvollziehbar, dass der Gesundheitszustand des Ehemanns der Klägerin einer früheren Terminierung entgegengestanden haben soll.

Soweit das beklagte Land vorträgt, der Ehemann der Klägerin habe einen Verhandlungstermin aus gesundheitlichen Gründen nicht wahrnehmen können, das Gericht habe aber die Notwendigkeit gesehen, ihn persönlich anzuhören, und davon erst Abstand genommen, nachdem dessen Prozessbevollmächtigter mitgeteilt habe, dass mit einer Besserung nicht zu rechnen sei, steht dies in Widerspruch zum Inhalt der Verfahrensakten. Nachdem der Ehemann eine gütliche Einigung mit Schriftsatz vom 13.07.2010 abgelehnt hatte, ist ein weiterer Schriftsatz seines Prozessbevollmächtigten vor der Terminsbestimmung am 01.07.2011 nicht zu den Akten gelangt, sondern lediglich der eine Verzögerungsrüge enthaltende Schriftsatz der Klägerin vom 17.06.2011. Auch die Terminsbestimmung selbst belegt die Unrichtigkeit des Verteidigungsvorbringens, denn dort wird gerade auch das persönliche Erscheinen des Ehemanns angeordnet.

3. Der Klägerin ist für die unangemessene Dauer des Gerichtsverfahrens eine angemessene Entschädigung in Höhe von 7.900,00 € gemäß § 198 Abs. 1 und Abs. 2 GVG zuzusprechen.

§ 198 Abs. 1 Satz 1 GVG normiert eine – widerlegbare – Vermutung, dass im Fall einer unangemessenen Verfahrensdauer von einem Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, ausgegangen werden muss. § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG sieht eine Pauschalierung vor. Für jedes Jahr der Verfahrensverzögerung kommt eine Entschädigung von 1.200,00 € vor, bei Zeiträumen unter einem Jahr hat eine zeitanteilige Berechnung zu erfolgen (BT-Ds. 17/3802, S. 20 r. Sp.). Nach § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG kann eine höhere oder geringere Entschädigung zugesprochen werden, wenn der Pauschalbetrag nach den Umständen des Einzelfalls unbillig ist. Die Darlegungs- und Beweislast für eine Herabsetzung trifft das beklagte Land.

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist vorliegend eine Abweichung vom Pauschalbetrag nicht geboten. Relevante Umstände, die eine Abweichung vom Regelfall der Pauschalierung rechtfertigen könnten, hat das beklagte Land nicht vorgetragen. Insbesondere kann der Klägerin nicht vorgeworfen werden, dass sie am Verfahrensfortgang kein ausgeprägtes Interesse gezeigt habe. Die zahlreichen Sachstandsanfragen und Schriftsätze sprechen für sich.

4. Die Kostentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. § 201 Abs. 4 GVG findet vorliegend keine Anwendung, nachdem ein Ausspruch nach § 198 Abs. 4 GVG nicht erfolgt ist.

Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 709, 713 ZPO analog.

Die Zulassung der Revision ist nicht veranlasst.

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