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Verkehrskontrolle wegen besonderer Attraktivität der Kontrollierten ist Nötigung

Oberlandesgericht Oldenburg

Az.: Ss 218/07

Urteil vom 24.09.2007

Vorinstanz: Landgericht Aurich, Az.: 12 Ns 213/06


Leitsatz:

Ein uniformierter Polizist, der aus privatem Kontaktbedürfnis eine Personenkontrolle einer Frau vornimmt und dabei zudringlich wird, macht sich der Nötigung schuldig, wenn das Opfer das Angehaltenwerden und die Übergriffe wegen des durch die Polizeikontrolle ausgeübten Zwangs erduldet und der Polizist dies erkennt.


In der Strafsache wegen Nötigung hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg in der Sitzung vom 24. September 2007 auf die Revision des Angeklagten gegen das Urteil der 1. kleinen Strafkammer des Landgerichts Aurich vom 29. März 2007 für Recht erkannt:

Die Revision des Angeklagten wird zum Schuldspruch als unbegründet verworfen.

Im Rechtsfolgenausspruch wird das angefochtene Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben. Die Sache wird insoweit zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich zurückverwiesen, die auch über die Kosten der Revision zu entscheiden hat.

Gründe:

Der Angeklagte sowie der frühere Mitangeklagte W… waren vom Amtsgericht Leer vom Vorwurf einer tätlichen Beleidigung in Tateinheit mit Nötigung freigesprochen worden. Über die hiergegen eingelegte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Aurich mit Urteil vom 29. März 1979 entschieden. Es hat die Berufung hinsichtlich des Mitangeklagten W… verworfen und den Angeklagten wegen Nötigung zu einer Freiheitsstrafe von 6 Monaten mit Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt.

Die hiergegen eingelegte – zulässige – Revision des Angeklagten, mit der er die Verletzung des sachlichen Rechts rügt, ist unbegründet, soweit sie sich gegen den Schuldspruch richtet. Hinsichtlich des Rechtsfolgenausspruchs hat sie hingegen Erfolg und führt insoweit zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich.

Der Verurteilung des Angeklagten liegt folgender festgestellter Sachverhalt zugrunde: Der Angeklagte und der frühere Mitangeklagte W… taten am 20. September 2005 als uniformierte Polizeibeamte am AutobahnGrenzübergang zu den Niederlanden in B… Dienst. Dabei beobachteten sie die vorbeifahrenden Fahrzeuge. Als die Zeuginnen A… und B…, zwei junge blonde Frauen, an dem Polizeiwagen vorbeifuhren, entschlossen sich die Polizisten, diese zu kontrollieren. Dabei wollte der Angeklagte allerdings nicht seinen dienstlichen Obliegenheiten gerecht werden. Er wollte vielmehr seinen privaten Interessen nachgehen, nämlich private Kontakte zu der Zeugin B… herstellen, die nach den Urteilsfeststellungen von „optisch angenehmer Erscheinung“ ist und „dem Angeklagten offensichtlich gefiel“. Die Polizisten fuhren mit ihrem Streifenwagen hinter den Zeuginnen her und veranlassten sie durch Leuchtschriftzeichen und Lautsprecheranweisungen zum Anhalten in einer Parkbucht der nächsten Autobahnabfahrt, wo die Zeuginnen aus ihrem PKW ausstiegen. Die Polizisten forderten die Zeuginnen, die in der Kontrollsituation unsicher waren und nicht wussten wie sie sich verhalten sollten, zur Vorlage ihrer Ausweispapiere auf, die sie nach Aushändigung flüchtig ansahen und zurückgaben. Unvermittelt und für die Zeuginnen überraschend fragte der Angeklagte sie sodann, ob sie Freunde hätten. Die Zeuginnen bejahten dies. Der Angeklagte erklärte dann, sie sollten ihre Freunde sausen lassen und mit ihnen kommen, weil sie – die Polizisten – doch auch ansehnliche Personen seien. Die Zeuginnen wurden darauf noch viel unsicherer und wussten nicht, wie sie sich aus der Kontrollsituation lösen sollten. Der Angeklagte schlug dann vor, ein Foto von sich und der Zeugin B… zu machen. Aufgrund ihrer Verunsicherung und weil sie hoffte, mit dem Foto schnell aus der Kontrollsituation herauszukommen, erklärte sich die Zeugin dazu bereit. Der Angeklagte gab dem früheren Mitangeklagten W… sein Handy und bat darum, ihn und die Zeugin B… zu fotografieren. Der Angeklagte und die Zeugin B… stellten sich vor der Front des Streifenwagens auf. Dabei umfasste der Angeklagte für das Foto die Zeugin B… in Schulterhöhe. Die Zeugin A… empfand die Situation, wie sie durch das Verhalten der beiden Angeklagten ausgelöst worden ist, als derart merkwürdig, dass sie auf die Idee kam, mit dem Handy der Zeugin B… ebenfalls ein Foto zu machen, um später die Situation belegen zu können, falls ihnen irgendjemand dieses Erlebnis nicht glauben würde. Sie fertigte dann ein Foto mit dem Handy der Zeugin B…. Für dieses Foto hatte der Angeklagte die Zeugin B… im Taillenbereich mit beiden Armen umfasst. Die Zeugin B… hatte ihren Arm auf die Schulter des Angeklagten gelegt und lächelte auf dem Foto. Anschließend öffnete der Angeklagte die Umarmung um die Taille der Zeugin B…, küsste diese auf die Wange im Bereich des Mundes und kniff ihr einmal in das Gesäß. Diese drehte sich weg und sagte: „Hey“. Im Anschluss daran fragte der Angeklagte die Zeugin B… nach ihrer Telefonnummer, weil er zu der Zeugin persönliche Kontakte aufnehmen wollte. Der Zeugin gefiel dieses Ansinnen des Angeklagten in keiner Weise. Sie erklärte ihm, dass sie zur Herausgabe ihrer Telefonnummer nicht bereit sei, weil sie zu dem Angeklagten keine persönlichen Kontakte wünschte. Der Angeklagte fragte sie daraufhin nach ihrer EMailAdresse. Da die Zeugin Angst hatte, dass die Kontrolle noch länger dauern sollte, erklärte sie sich bereit, dem Angeklagten ihre MailAnschrift aufzuschreiben. Der Angeklagte gab der Zeugin B… dann sein BGSTaschenbuch und einen Stift. Die Zeugin B… beugte sich über das Heck des PKW und schrieb in das BGSTaschenbuch des Angeklagten ihre EMailAdresse. Währenddessen stellte sich der Angeklagte eng hinter die Zeugin, umfasste ihre Hüften mit lockerem Griff und machte ein oder zwei kopulierende Bewegungen. Dabei berührte er auch das Gesäß der Zeugin B…. Diese bemerkte das und drehte sich sofort weg. Der Angeklagte versuchte in diesem Moment erneut, die Zeugin B… im Bereich des Mundes zu küssen. Wegen des Wegdrehens der Zeugin, die beim Wegdrehen erneut „Hey“ sagte, gelang es dem Angeklagten lediglich, die Zeugin B… auf die Wange zu küssen. Anschließend erklärte der Angeklagte die Polizeikontrolle für beendet und ließ die Zeuginnen ihre Fahrt fortsetzen. Diese hatten sich – vom Angeklagten erkannt – während des Vorgangs in Angst vor einer Ausweitung der Kontrollsituation und davor, was mit ihnen geschehen würde, befunden und nicht gewusst, wie sie sich hätten wehren können.

Das Landgericht hat in diesem Geschehen zu Recht eine Nötigung gemäß § 240 Abs. 1, 2 StGB gesehen. Der Angeklagte hat die Zeuginnen vorsätzlich widerrechtlich mit Gewalt im Sinne dieser Vorschrift dazu genötigt, ihre Fahrt zu unterbrechen und anzuhalten und sich der angeblichen polizeilichen Kontrolle zu unterziehen, ferner die Zeugin B… zu der Handlung, ihre EMailAnschrift aufzuschreiben, sowie zur Duldung zahlreicher Handlungen des Angeklagten, nämlich dazu, sich mit ihm von dem Mitangeklagten fotografieren zu lassen, von ihm zweimal ins Gesicht geküsst und einmal in das Gesäß gekniffen und zum Opfer kopulationsartiger Berührungen des Angeklagten zu werden.

Die Gewalt in Form einer – für den Nötigungstatbestand ausreichenden (vgl. Schönke/Schröder/Eser, StGB, 27. Aufl., § 240 Rdn. 4 m. w. Nachweisen) – den Willen des Opfers beugenden Gewaltanwendung (vis compulsiva) lag im Herstellen und Aufrechterhalten einer dem äußeren Anschein nach polizeilichen Kontrolle. Diese hielt nach den Urteilsfeststellungen auch während des gesamten Vorfalls an, bis die Polizisten die Zeuginnen schließlich weiterfahren ließen.

Eine Personenkontrolle durch Polizeibeamte ist ein staatlicher Hoheitsakt, dem sich die überprüfte Person zu unterwerfen hat und der für sie demgemäss eine physische Zwangssituation begründet. Diese Zwangslage veranlasst die überprüfte Person, den Anweisungen der Polizeibeamten Folge zu leisten. Sie hat auch wenn sie dies nicht will – die Polizeikontrolle zu dulden, darf sich ihr nicht entziehen und sich ihr nicht widersetzen, andernfalls sie mit einer vorläufigen Festnahme und ggfls. mit einer Strafverfolgung wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) zu rechnen hat. Der konkrete Ablauf der Kontrollmaßnahme steht im Ermessen des Polizeibeamten. Die überprüfte Person muss deshalb stets eine Intensivierung und Verlängerung der Kontrolle sowie ggfls. eine Überprüfung und eingehende Durchsuchung ihres Fahrzeugs gewärtigen. Auch kann sie nicht ausschließen, unter Umständen zur Durchführung weiterer Maßnahmen zur Polizeiwache verbracht zu werden. Eine noch stärkere Erzwingung des Duldens einer polizeilichen Kontrolle besteht, wenn diese – wie hier – nach einem Grenzübertritt durch ausländische uniformierte Polizisten erfolgt. Denn die Ungewissheit über die dort geltenden polizeilichen Befugnisse sowie die Verständigungsschwierigkeiten, wie sie hier festgestellt worden sind, erhöhen das Unsicherheitsgefühl und das Empfinden, den Entscheidungen von Hoheitsträgern weitgehend wehrlos ausgeliefert zu sein.

Nach den Urteilsfeststellungen ist eine solche Zwangslage von dem Angeklagten geschaffen, aufrechterhalten und ausgenutzt worden. Ebenso festgestellt ist, dass sich die Zeuginnen nur aufgrund der Zwangssituation der Polizeikontrolle den Wünschen des Angeklagten fügten und seine Tätlichkeiten erduldeten.

Da der Angeklagte nach den Urteilsfeststellungen die Kontrollsituation und die damit einhergehende Zwangslage ausschließlich herbeiführte, um einen privaten Kontakt zu den Zeuginnen herzustellen, handelte es sich dabei nicht um eine rechtmäßige polizeiliche, sondern um eine durch nichts gerechtfertigte und damit rechtswidrige private Maßnahme, die der Angeklagte allerdings gegenüber den Zeuginnen unter dem Vorwand und Anschein einer amtlichen Polizeikontrolle durchführte.

Dass er dabei und bei dem nachfolgenden Ausnutzen der hierdurch begründeten Zwangssituation für die Zeuginnen vorsätzlich handelte, insbesondere erkannte, dass die Zeuginnen nur aufgrund der durch die „Polizeikontrolle“ geschaffenen Zwangslage nach seinen Wünschen handelten und seine Übergriffe erduldeten, ist rechtsfehlerfrei festgestellt. An der Verwerflichkeit des Handelns des Angeklagten im Sinne von § 240 Abs. 2 StGB bestehen ebenfalls keine Zweifel.

Der Schuldspruch wegen Nötigung war mithin aufrechtzuerhalten, wobei klarstellend darauf hingewiesen wird, dass der – ohnehin nicht in die Urteilsformel gehörende, vgl. BGH BGHSt 27, 287 (289); NStZRR 2003, 290 – Zusatz im landgerichtlichen Urteilstenor „in einem besonders schweren Fall“ keine Rechtskraft erlangt (siehe unten). Dass kein Schuldspruch wegen tateinheitlich begangener Beleidigung erfolgt ist, beschwert den Angeklagten nicht.

Der Rechtsfolgenausspruch kann hingegen keinen Bestand haben. Die Bejahung eines – mit einer Freiheitsstrafe von mindestens 6 Monaten zu ahndenden – besonders schweren Falles der Nötigung durch das Landgericht begegnet durchgreifenden Bedenken. Das Landgericht hat hierzu allein darauf abgestellt, dass der Angeklagte unter Missbrauch seiner Befugnisse und seiner Stellung als Amtsträger handelte und sein Verhalten deshalb das Regelbeispiel eines besonders schweren Falles nach § 240 Abs. 4 Nr. 3 StGB erfüllte. Ein gesetzliches Regelbeispiel wie dieses führt aber nicht zwingend zur Annahme eines besonders schweren Falls, sondern indiziert nur einen solchen. Von der Abwägung aller maßgeblicher Umstände, die im Einzelfall letztlich eine andere Gewichtung des Falles gebieten können, darf deshalb auch dann nicht abgesehen werden, wenn die Merkmale des Regelbeispiels gegeben sind, vgl. Schönke/Schröder/Eser, a.a.O., § 240 Rdn. 38; vor § 38 Rdn. 44 ff m. w. Nachweisen. Das Landgericht hat ausweislich der Urteilsgründe eine solche Abwägung nicht vorgenommen. Ein den Angeklagten belastender Rechtsfehler bei der Strafzumessung kann deshalb nicht ausgeschlossen werden. Dies gilt um so mehr, als die vom Angeklagten abgenötigten Beeinträchtigungen der Zeuginnen zwar einerseits alles andere als unerheblich, andererseits aber nicht von langer Dauer waren und jedenfalls keine besonders starke Intensität aufwiesen, was deutlich gegen die Annahme eines besonders schweren Falls spricht.

Das Urteil war nach alledem – unter Verwerfung der weitergehenden Revision – im Rechtsfolgenausspruch aufzuheben. Eine andere kleine Strafkammer des Landgerichts Aurich hat nunmehr über die Rechtsfolgen der Straftat des Angeklagten zu entscheiden und dabei auch über die Kosten der Revision zu befinden.

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