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Verkehrssicherungspflicht für Landstraßen – Sturzunfall Motorradfahrer auf Sand-Split-Gemisch

OLG Koblenz – Az.: 12 U 2130/19 – Beschluss vom 13.03.2020

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil er einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts, noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.

2. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 06.04.2020.

Gründe

Das Landgericht hat die Klage, mit der der Kläger das beklagte Land auf Ersatz des ihm anlässlich eines Unfallereignisses vom 08.07.2018 auf der Landstraße …[Z] in Nähe der Gemeinde …[Y] entstandenen materiellen und immateriellen Schäden in Anspruch nimmt, zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Mit dem Erstgericht geht auch der Senat davon aus, dass der Beklagte nicht aus Verletzung der ihm obliegenden Straßenverkehrssicherungspflicht für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens einzustehen hat.

Die Verkehrssicherungspflicht ist eine allgemeine Rechtspflicht, nicht nur der öffentlichen Hand, im Verkehr Rücksicht auf Rechtsgüter anderer zu nehmen und vor allem Gefährdungen und Schädigungen nach Möglichkeit auszuschließen. Sie beruht auf dem allgemeinen rechtlichen Gedanken, dass derjenige, der eine Gefährdungsquelle für die Rechtsgüter anderer schafft, die notwendigen Schutzvorkehrungen zu treffen hat. Verstößt er gegen diese Schutzpflicht, ist er wegen des daraus resultierenden deliktischen Verhaltens schadensersatzpflichtig.

Im Rahmen der Verkehrssicherungspflicht sind hierbei diejenigen Maßnahmen zu treffen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend zur Schadensverhinderung halten darf (grundlegend vgl. BGH MDR 1973, 252 ff.). Die Verkehrssicherungspflicht für den Straßenzustand umfasst die Verpflichtung, den Verkehr auf den Straßen, soweit dies mit zumutbaren Mitteln geschehen kann, möglichst gefahrlos zu gestalten, insbesondere die Verkehrsteilnehmer vor unvermuteten, sich aus der Beschaffenheit der Straße ergebenden und nicht ohne Weiteres erkennbaren Gefahrenquellen zu schützen oder zumindest vor diesen zu warnen

In sachlicher Hinsicht bestimmen sich der Inhalt, der Umfang und die Grenzen der Verkehrssicherungspflicht zum einen nach den berechtigten Sicherungserwartungen des Verkehrs (Vertrauensschutz, legitime Erwartungen des regulären Nutzers) und andererseits nach der wirtschaftlichen, finanziellen, organisatorischen und personellen Zumutbarkeit für den Sicherungsverpflichteten. Die Behörden müssen also mit Rücksicht auf die vielfältigen Aufgaben der öffentlichen Hand nur diejenigen Maßnahmen ergreifen, die objektiv erforderlich und nach objektiven Maßstäben zumutbar sind.

Als weiterer entscheidender Grundsatz im Bereich der Verkehrssicherungspflicht gilt, dass derjenige nicht schutzbedürftig ist, der die konkreten Gefahren erkennen kann (so auch ständige Senatsrechtsprechung, OLG Koblenz 12 U 513/03, Urteil vom 19.04.2004, juris; 12 U 692/14, Urteil vom 16.03.2015, juris).

Die Behörde hat daher regelmäßig keine weiteren Pflichten, wenn die Verkehrsteilnehmer bei zweckgerechter Benutzung der Straße und Anwendung der gebotenen Aufmerksamkeit etwaige Schäden selbst abwenden können. Ausgehend von dem Leitbild des sorgfältigen Verkehrsteilnehmers, der sich vor den erkennbaren Gefahren schützen kann, muss sich der Straßenbenutzer den Straßenverhältnissen anpassen und die Straße so hinnehmen, wie sie sich ihm erkennbar darbietet. Der Verkehrssicherungspflichtige muss nur diejenigen Gefahren ausräumen und erforderlichenfalls vor ihnen warnen, die für den Benutzer, der die erforderliche Sorgfalt walten lässt, nicht oder nicht rechtzeitig erkennbar sind und auf die er sich nicht oder nicht rechtzeitig einzurichten vermag. Festzuhalten ist somit, dass vor erkennbaren Gefahren grundsätzlich nicht gewarnt werden muss, ebensowenig besteht hier eine Beseitigungspflicht (OLG Koblenz 12 U 866/99, Urteil vom 10.07.2000, juris; OLG München 1 U 549/12, Urteil vom 24.05.2012, juris).

Auf der Grundlage dieses Beurteilungsmaßstabs trifft den Beklagten vorliegend keine Haftung aus der Verletzung von verkehrsrechtlichen Sicherungspflichten auf der streitgegenständlichen Straße.

Nach § 3 StVO war der Kläger grundsätzlich verpflichtet, seine Geschwindigkeit den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Witterungsverhältnissen anzupassen. Er durfte nur so schnell fahren, dass er innerhalb der übersehbaren Strecke auch bei auftretenden Gefahrenstellen jederzeit situationsangemessen reagieren konnte, ohne die Kontrolle über sein Fahrzeug zu verlieren und/oder andere Verkehrsteilnehmer zu gefährden. Hierbei darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass es sich bei dem Straßenabschnitt, auf dem der Kläger mit seinem Motorrad zu Fall gekommen ist, unstreitig um eine enge Landstraße mit einer äußerst kurvenreichen Streckenführung und einer nur schmalen Fahrbahnbreite handelte, auf die die Sicht wegen des wechselnden „Licht- und Schattenspiels“, das wegen des einfallenden Sonnenlichts auf der von hohem Baumbewuchs umgebenen Straße stattfand, in hohem Maße eingeschränkt war. Der Kläger war daher zu einer von besonderer Aufmerksamkeit geprägten, besonnenen, den Straßen- und Verkehrsverhältnissen angepassten Fahrweise verpflichtet. Er war insbesondere gehalten, mit seinem Motorrad nur so schnell zu fahren, dass er auf mögliche Hindernisse – auch dann, wenn sie hinter einer Kurve und/oder, wie im vorliegenden Fall, im Schatten eines Baumes auftauchten – situationsangemessen reagieren konnte. Soweit der Kläger bei seiner Anhörung vor dem Landgericht ausgeführt hat, eine solche Fahrweise sei „theoretisch“ möglich gewesen, allerdings sei man dann irgendwann so langsam, dass man nicht mehr wirklich fahren könne, konnte ihn dies nicht von der Verpflichtung entbinden, seine Geschwindigkeit dennoch an den äußeren Verkehrsbedingungen zu orientieren, auch wenn dies unter Umständen mit einem Verlust an „Fahrgenuss“ einhergegangen und ein „Mitschwingen“ in den Kurven, wie von dem Kläger beschrieben, nicht mehr möglich gewesen wäre. In jedem Fall musste der Kläger seine Fahrweise so einrichten, dass es ihm möglich gewesen wäre, die Gefahrenstelle rechtzeitig zu erkennen und zu umfahren oder diese sicher zu passieren, ohne die Kontrolle über sein Motorrad zu verlieren.

Auch handelte es sich bei dem auf der Fahrbahn befindlichen Sand-Split-Gemisch nicht um ein Hindernis ungewöhnlicher Art und besonderen Ausmaßes, mit dem auf einer solchen Landstraße unter keinen Umständen zu rechnen gewesen wäre. Ungeachtet der Art des tatsächlich aufgetretenen Hindernisses war die Fahrweise des Klägers jedenfalls nicht so angelegt, dass er den Zustand der Fahrbahn in der von ihm im Zeitpunkt des Unfalls durchfahrenen Rechtskurve hinreichend wahrnehmen und überblicken konnte, um auf mögliche Gefahren rechtzeitig zu reagieren.

Nach allem scheidet eine Haftung des Beklagten aus dem Gesichtspunkt der Verletzung von Verkehrssicherungspflichten – unabhängig von der Frage des Bestehens einer Handlungspflicht auf Seiten des Beklagten dem Grunde nach – jedenfalls mit Blick auf die hinreichende Erkennbarkeit des Gefahrenpotenzials für den Kläger aus.

Unabhängig hiervon kann dem Beklagten jedoch auch nicht mit Erfolg entgegengehalten werden, er sei seiner verkehrsrechtlichen Sicherungspflicht nicht in hinreichendem Maße nachgekommen. Soweit der Kläger die Berufung im Wesentlichen darauf stützt, der Beklagte habe die notwendigen Kontrollen nicht durchgeführt und insoweit pflichtwidrig die Verschmutzungen auf der Straße nicht erkannt, vermag der Senat dieser Argumentation nicht zu folgen.

Zwar hat der verkehrssicherungspflichtige Straßenbaulastträger eine Kontrollpflicht, die es gebietet, die Straße regelmäßig zu beobachten und in angemessenen Zeitabständen zu begehen oder zu befahren, um etwa entstandene (sichtbare) Schäden und Gefahren zu erkennen und zu beseitigen. Die Häufigkeit der Überwachung richtet sich dabei auch nach der Verkehrsbedeutung der Straße. Angesichts der relativ geringen verkehrsmäßigen Wichtigkeit der Landstraße … [Z] hält auch der Senat hier einen ein- bis eineinhalbwöchigen Kontrollrhythmus für sachangemessen, um der bestehenden Straßenverkehrssicherungspflicht hinreichend Rechnung zu tragen. Auch hat die in erster Instanz durchgeführte Beweisaufnahme nicht zu der Feststellung geführt, dass im Vorfeld des Unfallgeschehens, wie von den Zeugen …[A] und …[B] vermutet, Mäharbeiten an den Seitenbanketten stattgefunden haben und so die Möglichkeit bestanden hat, dass in deren Verlauf das Sandgemisch auf die Straße gelangt sein könnte, so dass der Beklagte mit seinen durchgeführten, vom Zeugen …[C] bestätigten regelmäßigen Kontrollfahrten seiner Verkehrssicherungspflicht hinreichend nachgekommen ist. Ein konkreter Anlass, die Kontrolldichte zu erhöhen, um die jederzeitige Verkehrssicherheit auf der streitgegenständlichen Landstraße zu gewährleisten, bestand für den Beklagten somit nicht.

Nach § 529 Abs. 1 HS 2 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die von dem erstinstanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Vollständigkeit und Richtigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Die Beweiswürdigung durch den Vorderrichter ist umfassend, nachvollziehbar und in sich widerspruchsfrei. Sie verstößt nicht gegen Denk,- Natur- oder Erfahrungssätze und ist insgesamt auch nach der eigenen Würdigung des Senats in der Sache zutreffend.

Der Beklagte ist daher den an die Erfüllung seiner straßenrechtlichen Verkehrssicherungspflicht gestellten Anforderungen in mehrfacher Hinsicht hinreichend nachgekommen.

Da die Berufung somit keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme des Rechtsmittels nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).

Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für die Berufungsinstanz auf 34.629,05 € festzusetzen.

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