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Verkehrssicherungspflicht – Schutz Dritter vor Dachlawinen

AG München – Az.: 275 C 7022/11 – Urteil vom 16.06.2011

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 2.406,90 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche aufgrund der Beschädigung eines PKW infolge des Abgangs einer Dachlawine.

Die beklagte Partei ist Eigentümerin des Anwesens in der … Auf diesem befindet sich ein Geschäftshaus, in dem die … untergebracht ist. Das Grundstück verfügt über 13 Parkplätze im Hof des Anwesens. An der Nordseite befinden sich 8 Parkplätze, an der Ostseite 5 Parkplätze.

Der Kläger ist Eigentümer und Halter des Fahrzeugs Opel Corsa mit dem amtlichen Kennzeichen … . Die Ehefrau des Klägers arbeitete seit längerem bei der Firma … . Sie stellte das Fahrzeug am 12.01.2011 im Hof des Anwesens in der … auf der Ostseite ab. An diesem Tag löste sich eine Dachlawine aus Schnee und Eisbrocken vom Dach des Hauses auf diesem Grundstück und fiel auf das Fahrzeug des Klägers. Durch den Aufprall zersprang die Frontscheibe des PKW, die Scheibenwischer wurden zerstört und das Dach eingedrückt.

In dem Dachbereich, unter dem das Fahrzeug des Klägers stand, befanden sich keine Schneefanggitter. Die Anbringung von Schneefanggittern ist weder in einer Satzung noch in einer Verordnung der Gemeinde … vorgeschrieben. Das Gebäude, welches sich auf dem streitgegenständlichen Grundstück befindet, besteht aus Erdgeschoss, 1. Obergeschoss und Dachgeschoss, seine Höhe beläuft sich auf ca. 6 Meter. Der Neigungswinkel des Daches beträgt 25 Grad.

Verkehrssicherungspflicht - Schutz Dritter vor Dachlawinen
Symbolfoto: Von CorinnaL/Shutterstock.com

Die beklagte Partei brachte keine Warnschilder im Hof an. Im Dezember 2010 wies sie ihrem Bruder und dessen Schwager einmal darauf hin, dass diese wegen der damaligen Schneeverhältnisse nicht am Haus parken sollten. Im Januar 2011 war vor dem Vorfall am 12.01.2011 nur die Nordseite des Parkplatzes im Hof geräumt. Die Ostseite war nicht geräumt. Aufgrund des Tauwetters war es dazu gekommen, dass der Schnee etwas zurückgegangen war. Der Betriebsurlaub der Firma, bei der die Ehefrau des Klägers arbeitet, war am 09.01.2011 zu Ende. Am 10.01.2011 und am 11.01.2011 stellte die Ehefrau des Klägers das streitgegenständliche Fahrzeug auf den Parkplätzen an der Nordseite ab. Am 12.01.2011 stellte sie das Fahrzeug auf der Ostseite ab.

Die Klagepartei trägt vor, zum Zeitpunkt des Vorfalls am 12.01.2011 hätten sich auf dem Dach über dem Fahrzeug des Klägers noch größere Ansammlungen von Schnee und Eisbrocken befunden. Die Ehefrau des Klägers und deren Arbeitskollegin … hätten unmittelbar nach dem Abgang der Dachlawine gesehen, dass auf der Frontscheibe und der Motorhaube des Fahrzeugs noch die abgegangenen Schneemassen gelegen hätten. Besonders hervorgestochen seien mindestens sechs Einzelteile, die eine Größe von ungefähr einem Aktenordner und eine Dicke von mindestens zwei bis drei cm gehabt hätten. Zum Beweis dieser Tatsachen hat die Klagepartei angeboten, die Zeuginnen … und … einzuvernehmen.

Die Beklagte habe zu den Zeuginnen … und … auch nach dem Vorfall am 13.01.2011 gesagt, sie hätte die Zeugin … warnen sollen. Am 12.01.2011 habe sich noch ein weiteres Fahrzeug auf der Ostseite befunden. Die Klagepartei hat zum Beweis dieser Tatsache angeboten, den Zeugen … einzuvernehmen.

Die Klagepartei beantragt

I. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 2.034,43 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

II. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger EUR 372,47 zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die beklagte Partei beantragt, Klageabweisung.

Die beklagte Partei trägt vor, zum Zeitpunkt des Vorfalles sei das Dach fast schnee- und eisfrei gewesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2011 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die zulässige Klage ist unbegründet.

1. Die Klage ist zulässig. Das Amtsgericht München ist gemäß § 32 ZPO, §§ 23, 71 GVG für die Entscheidung zuständig.

2. Die Klage ist unbegründet. Der Klagepartei steht unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ein Anspruch gegen die Beklagte zu.

a) Ein Anspruch ergibt sich nicht aus § 823 II BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz. Öffentlich-rechtliche Vorschriften, die das Anbringen von Schneefangittern vorsehen, sind hinsichtlich des streitgegenständlichen Grundstücks unstreitig nicht vorhanden.

b) Ein Anspruch der Klagepartei könnte sich allenfalls aus § 823 I BGB wegen Eigentumsverletzung ergeben. Jedoch ist ein derartiger Anspruch nicht gegeben, weil die Beklagte keine Verkehrssicherungspflicht verletzt hat. Ein Hauseigentümer ist grundsätzlich nicht verpflichtet, Dritte durch spezielle Maßnahmen vor Dachlawinen zu schützen, wenn keine solchen Maßnahmen vorgeschrieben sind. Es ist zunächst Aufgabe jedes Einzelnen, sich vor solchen Gefahren zu schützen. Eine Rechtspflicht besteht erst dann, wenn besondere Umstände Sicherungsmaßnahmen zum Schutze Dritter gebieten. Solche können sich nach der allgemeinen Schneelage des Ortes, der Beschaffenheit und Lage des Gebäudes, den konkreten Schneeverhältnissen und der Art und des Umfanges des gefährdeten Verkehrs ergeben (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 23.07.2003, NJW-RR 2003, 1463 ff, LG Ulm Urteil vom 31.05.2006, NJW-RR 2006, 1253 ff.).

Unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles bestand hier keine Pflicht der Klagepartei Schutzmaßnahmen wie das Anbringen von Schneefanggittern oder Aufstellen von Warnschildern vorzunehmen bzw. die Nutzer des Gebäudes persönlich zu warnen.

Das Anbringen von Schneefanggittern war nicht öffentlich-rechtlich vorgeschrieben. Die Dachneigung des Gebäudes betrug unstreitig lediglich 25 Grad und bei dem streitgegenständlichen Gebäude mit einer Höhe von 6 m handelt es ich nicht um ein Gebäude größerer Höhe. Das Gebäude liegt in Oberbayern, also einem eher schneereichen Gebiet. In der Rechtsprechung wird eine Pflicht zur Anbringung von Schneefanggittern selbst in schneereichen Gebieten erst bei einer Dachneigung von 35 Grad bzw. 45 Grad diskutiert (vgl LG Ulm, a.a. O.; OLG Karlsruhe, Urteil vom 03.05.1983, 1 U 305/82).

Ein Warnung von Nutzern des Gebäudes ist dann geboten, wenn diejenigen, die das Gebäude bzw. die Anlage bestimmungsgemäß nutzen, nicht ohne weiteres erkennen können dass sie ihre Rechtsgüter Gefahren aussetzen. Den Verkehrssicherungspflichtigen trifft zwar auch eine Schutzpflicht gegenüber Nutzern, die ein Grundstück nicht bestimmungsgemäß nutzen. Jedoch gilt dies nur, soweit mit dieser Nutzung erfahrungsgemäß zu rechnen ist. Zudem gilt auch hier, dass Warnungen nur geboten sind, wenn die Nutzer einer Anlage die Gefahr für ihre Rechtsgüter nicht ohne weiteres erkennen können. Im vorliegenden Fall ist zu beachten, dass sich der Vorfall in einer allgemein schneereichen Region zugetragen hat. Da in schneereichen Gebieten die Verkehrsbeteiligten ohnehin mit der Gefahr des Abgleitens niedergehender Schneemassen von Dachschrägen vertraut sind, bedarf es grundsätzlich keiner besonderen Warnung (vgl. auch die Zitate in der Entscheidung des LG Ulm, a. a. O.). Zwar hat hier die Klagepartei durch das Anbieten eine Parkplatzes einen Verkehr eröffnet. Jedoch war der Parkplatz auf der Ostseite zum streitgegenständlichen Zeitpunkt im Gegensatz zu dem Parkplatz an der Nordseite unstreitig nicht geräumt. Schon aufgrund dieses Zustandes war dieser Bereich des Hofes zum Zeitpunkt des Vorfalles erkennbar nicht zum Abstellen von PKWs bestimmt. Für Nutzer des Grundstückes war ohne weiteres erkennbar, dass es sich bei dem Parkplatz auf der Ostseite nicht um einen aktuell gewarteten Abstellplatz handelte, da dieser Bereich des Parkplatzes unstreitig nicht geräumt war. Indem die Ehefrau des Klägers ihr Fahrzeug gerade dort abgestellt hat, hat sie das Anwesen nicht bestimmungsgemäß genutzt. Mit dieser Nutzung war auch nicht erfahrungsgemäß zu rechnen. Die Ehefrau des Klägers hatte ihr Fahrzeug unstreitig in den Tagen davor auf der Nordseite abgestellt. Selbst wenn man als wahr unterstellt, dass sich an dem Tag des Vorfalles noch ein weiteres Fahrzeug in diesem Parkplatzbereich befand, ergibt sich keine andere Betrachtung. Der insoweit angebotene Zeuge … war nicht zu hören. Denn selbst wenn man davon ausgeht, dass mit einer Nutzung als Parkplatz erfahrungsgemäß zu rechnen war und sich die Verkehrssicherungspflicht der Beklagten auch auf den nicht gewarteten Bereich des Parkplatzes erstreckt, ist jedenfalls beim Umfang der Sicherungspflicht zu berücksichtigen, dass eine nicht bestimmungsgemäße Nutzung vorliegt. Bei einem nicht geräumten Parkplatz wird der Nutzer bereits durch den Umstand, dass Schnee vorhanden und nicht geräumt ist, darauf aufmerksam, dass Gefahren infolge der Witterung drohen können. Der Schluss, dass in diesem Bereich eines Parkplatzes auch Gefahren durch Schnee und Eis in Form von Dachlawinen drohen können, liegt so nahe, dass gesonderte Warnungen in einem derartigen Parkplatzbereich nicht geboten sind.

Auch ein Einvernahme der Zeuginnen … und … war nicht geboten. Selbst wenn zu dem Zeitpunkt des Angangs der Dachlawine größere Schneemassen auf dem Dach vorhanden waren, war eine Warnung jedenfalls für den Parkplatzbereich, den die Ehefrau des Klägers nutze, nicht geboten. Denn eine Warnung ist nur veranlasst, wenn der Geschädigte die Gefahr für seine Rechtsgüter nicht selbst erkennen kann. Da die Ehefrau des Klägers einen nicht geräumten Parkplatzteil nutzte, war für sie zu erkennen, dass noch Schnee und Eis am Boden vorhanden war. Dass dann auch Schnee und Eis auf dem Dach vorhanden sein können, liegt nahe. Wer in einem derartigen Parkplatzbereich sein Fahrzeug abstellt ist bereits aufgrund des Zustandes des Parkplatzes vor witterungsbedingten Gefahren gewarnt.

Auch die Ausführungen der Klagepartei, wonach die Beklagte am 13.01.0211 erklärt haben soll, sie habe die Ehefrau des Klägers warnen sollen, führen zu keiner anderen Bewertung. Selbst wenn diese Behauptung zutreffend ist, führt dies nur zu der Annahme, dass die Beklagte selbst im Nachhinein die Wertung getroffen hat, sie hätte warnen müssen. Ob eine Warnung geboten war ist im Rahmen ders § 823 BGB aber aus ex ante Sicht zu beurteilen. Maßgeblich ist, ob ein Wissensvorsprung des Verkehrssicherungspflichtigen bestand und eine Gefahr aus ex ante Sicht für den Geschädigten nicht ohne weiteres erkennbar ware. Aus dem klägerischen Sachvortrag ergibt sich nicht, dass die Beklagte von konkreten Vorfällen Kenntnis hatte, bei denen eine Dachlawine abgegangen war. Ein Wissensvorsprung der Beklagten gegenüber der Ehefrau des Klägers ist nicht zu erkennen.

II. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

IV. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach §§ 3 ZPO, 63 GKG.

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