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Verkehrsunfall in Ungarn – Ersatzfähigkeit von einzelnen Schadenspositionen

LG Düsseldorf – Az.: 9 O 209/10 – Urteil vom 26.09.2011

Lesen Sie auch unseren Artikel zur Schadensregulierung bei Unfällen in Ungarn: www.unfall-ansprueche.de/verkehrsunfall-ungarn

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4382,81 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus einem Betrag von 14.571,78 Euro vom 5. Februar 2010 bis 18. Mai 2010 und aus einem Betrag von 4382,81 Euro seit dem 19. Mai 2010 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 15 % und die Beklagte zu 85 %.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, für den Kläger jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages. Der Kläger darf die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Erstattung von Schäden aus einem Verkehrsunfall.

Der Kläger geriet mit seinem Campingbus Volkswagen California Coach mit dem amtlichen Kennzeichen A, am 28. Oktober 2009 gegen 19:30 Uhr in Ungarn auf der B 68 in der Nähe des Balaton in einen Verkehrsunfall. Der Halter und Fahrer des gegnerischen PKW Alfa Romeo mit bulgarischem Kennzeichen, der bei der Beklagten versichert war, überfuhr ein Stoppschild und prallte in die linke Seite des klägerischen Campingbusses.

Der Kläger ließ sein Fahrzeug am 2. November 2009 durch den Sachverständigen B besichtigen. Dieser erstellte sodann am 3. November 2009 ein Gutachten und veranschlagte die Netto-Reparaturkosten auf 13.433,31 Euro. Die Kosten des Sachverständigengutachtens betrugen 1.138,47 Euro. Des Weiteren macht der Kläger eine allgemeine Kostenpauschale in Höhe von 25 Euro geltend und einen Nutzungsausfall für den Reparaturzeitraum in Höhe von 1.020,00 Euro (15 Arbeitstage á 68,00 Euro).

Am 5. November 2009 richtete der Kläger ein Anspruchsschreiben an die Beklagte. Diese verwies ihn mit Schreiben vom 14.12.2009 an ihr deutsches Regulierungsbüro. Am 5. Januar 2010 überreichte der Kläger einen vom Regulierungsbüro angeforderten Fragebogen für Anspruchssteller, einen Reparaturnachweis und das Sachverständigengutachten, welches bereits am 5. November der Beklagten selbst zur Verfügung gestellt worden war. Am 28. Januar 2010 verlangte das Regulierungsbüro erneut die Vorlage des Reparaturnachweises, welcher ihr auch am 1. Februar 2010 erneut in Kopie zur Verfügung gestellt wurde. Am 26. Februar 2010 teilte das Regulierungsbüro mit, dass man die Unterlagen immer noch prüfe und bat um Geduld.

Die Beklagte zahlte am 18. Mai 2010 einen Betrag in Höhe von 10.188,97 Euro.

Der Kläger behauptet, dass er sich im Unfallzeitpunkt auf der Heimreise befunden habe. Ihm sei eine Begutachtung und Reparatur in Ungarn nicht zumutbar gewesen.

Der Kläger beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 15.616,78 Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 20.11.2009 zu zahlen, abzüglich von 10.188,97 Euro, für die Klagerücknahme erklärt wurde.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass lediglich Reparaturkosten und Sachverständigengebühren auf ungarischem Preisniveau ersatzfähig seien. Dies habe sie zu einem pauschalen Abzug von 30 % berechtigt. Des Weiteren ist sie der Ansicht, dass im vorliegenden Verfahren nicht nur materiell ungarisches Recht anwendbar sei, sondern auch prozessual und die Klagerücknahme somit unwirksam sei.

Die Klage wurde am 4. Mai 2010 bei Gericht eingereicht. Beginn der Rechtshängigkeit kann für den 4. November 2010, dem Tag der Erstellung der Verteidigungsanzeige der Beklagten, nachgewiesen werden. Bezüglich des am 18. Mai 2010 durch die Beklagte gezahlten Betrages nahm der Kläger die Klage am 4. Juni 2010 zurück.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig. Die örtliche Zuständigkeit des Landgerichts Düsseldorf ergibt sich aus Artikel 11 Abs. 2, 9 Abs. 1 b) VO (EG) 44/2001 Anerkennungs- und Vollstreckungszuständigkeitsverordnung. Danach kann ein Haftpflichtversicherer in einem anderen Mitgliedstaat vor dem Gericht des Ortes, an dem der Kläger als Begünstigter seinen Wohnsitz hat, verklagt werden. Der Wohnsitz des Klägers ist Dormagen.

II.

Die Klage ist im tenorierten Umfang begründet.

1. Die Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach ist zwischen den Parteien unstreitig.

2. Die Ersatzfähigkeit der geltend gemachten Schäden und die Höhe des Schadensersatzes richten sich nach ungarischem Recht. Der Verkehrsunfall ereignete sich in Ungarn. Da Ungarn jedoch bisher dem Haager Übereinkommen über das auf Straßenverkehrsunfälle anzuwendende Recht vom 4. Mai 1971 bisher nicht beigetreten ist, kommt es auf die allgemeinen Vorschriften des Internationalen Privatrechts an. Der Unfall geschah nach dem 20. August 2007, so dass die „Verordnung (EG) Nr. 864/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 über das auf außervertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht“ („Rom II“), zu beachten ist, die insoweit die Vorschriften des EGBGB verdrängt. Gemäß Art. 4 Abs. 1 Rom II gilt das Tatortprinzip („lex loci damni“). Die Voraussetzungen der Ausnahmetatbestände der Abs. 2 und 3 liegen nicht vor. Die Unfallbeteiligten stammen aus unterschiedlichen Staaten. Auch ist nicht ersichtlich, dass der Fall einen engeren Bezug zu einem anderen Mitgliedstaat hätte.

3. Gemäß § 355 Ptk sind Reparaturkosten auf Gutachtenbasis ersatzfähig, wobei die Mehrwertsteuer nicht zu berücksichtigen ist. Auch Gutachterkosten sind grundsätzlich zu erstatten. Nicht ersatzfähig sind die Kosten für den Nutzungsausfall. (vgl. Feyock/Jacobsen/Lemor, Kraftfahrtversicherung, 3. Aufl., Kapitel XXXV, Rn. 2) Auch die allgemeine Unfallkostenpauschale ist nach ungarischem Recht nicht zu erstatten (vgl. Merkblatt für Auslandsunfälle, Mitteilungen der Juristischen Zentrale des ADAC, Stand 12/2008; Rechtstipps zum Verkehrsunfall, Hinweise für den Autofahrer, hrsgg. v. Ministerium der Justiz des Landes Rheinland Pfalz).

4. Die Reparaturkosten sind in voller Höhe zu ersetzen. Ausländische Belege sind zum Nachweis der Reparaturkosten grds. geeignet und anzuerkennen. Dies ist nicht der Fall, wenn die geltend gemachten Reparaturkosten im Ausland vom Preisniveau ungarischer Werkstätten erheblich abweichen und dem Geschädigten eine Reparatur in Ungarn zuzumuten ist. (vgl. Feyock/Jacobsen/Lemor aaO.) Sowohl für die Abweichung der Reparaturkosten vom ungarischen Preisniveau als auch für das Vorliegen der Zumutbarkeit der Reparatur in Ungarn war die Beklagte beweisbelastet.

Den Kläger traf hier bezüglich der Frage der Zumutbarkeit jedoch eine sekundäre Darlegungslast. Eine solche besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während der Bestreitende alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihm zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Dies ist insbesondere anzunehmen, wenn die beweisbelastete Partei außerhalb des von ihr vorzutragenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Gegner zumutbar nähere Angaben machen kann (BGH NJW 2005, 2395, 2397). Dieser sekundären Darlegungslast hat der Kläger genügt. Er hat dargelegt, dass er sich auf der Heimfahrt befand. Der Unfall ereignete sich an einem Donnerstagabend am Balaton. Bereits am folgenden Montag hat er das Fahrzeug unstreitig einem Gutachter in Neuss vorgestellt. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger nicht an diesem Wochenende nach Deutschland zurückfahren wollte. Eine Reparatur in Ungarn war dem Kläger daher nicht zumutbar. Die Beklagte konnte nicht erwarten, dass er seinen Aufenthalt dort ungeplant verlängert, sich eine neue Unterkunft sucht und in Deutschland all seine Termine absagt, nur um das Fahrzeug in Ungarn reparieren zu lassen. Ein einfaches Bestreiten der Beklagten mit Nichtwissen genügt in diesem Fall nicht.

5. Auch die Gutachterkosten sind in voller Höhe zu ersetzen. Eine Begutachtung war dem Kläger in Ungarn nicht zumutbar. Auch hier wäre die Beklagte für das Gegenteil beweisbelastet gewesen. Der Kläger befand sich, wie oben dargelegt, auf der Heimreise. Der Kläger hätte sich somit noch am Donnerstagabend bzw. evtl. am nächsten Morgen an diesem ihm unbekannten Ort eine offene Werkstatt suchen müssen und darauf hoffen müssen, dass die Begutachtung noch an diesem Tag vor Beginn des Wochenendes durchgeführt wird.

6. Der Kläger ist berechtigt Verzugszinsen ab dem 5. Februar 2010 zu fordern. Der Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 5. November 2009 erstmals zur Zahlung auf. Der Kläger konnte nicht erwarten, dass die Beklagte hier unverzüglich zahlt. Es handelt sich hier um ein Gutachten in deutscher Sprache. Der Beklagten muss es möglich sein, dieses übersetzen zu lassen. Des Weiteren muss ihr eine angemessene Zeit für die Korrespondenz mit ihrem deutschen Regulierungsbüro zugestanden werden. Auch der Umstand, dass hier eine bulgarische Versicherung deutsche Rechnungen und Gutachten nach ungarischem Recht prüfen musste, rechtfertigt ein längeres Zuwarten. Eine Frist von zwei Wochen war daher im vorliegenden Fall keinesfalls ausreichend. Eine angemessene Frist wären gemäß Art. 4 Abs. 6 der 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie 2000/26/EG 3 Monate gewesen. (vgl. auch Geigel, Haftpflichtprozess, 43. Kap. Rn. 90). Spätestens nach dieser Zeit konnte der Kläger eine begründete Antwort auf seine Schadensanmeldung erwarten. Allein der formelhafte Verweis auf eine weitere Prüfung der Ansprüche genügte nicht. Die weiteren Verzögerungen dürften auf dem Umstand beruhen, dass die Beklagte nicht alle Unterlagen an ihr Regulierungsbüro weitergeleitet hat und dieses verschiedene Unterlagen mehrfach angefordert hat.

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7. Die Höhe der Verzugszinsen richtet sich ebenfalls nach ungarischem Recht. Grds. sind nach ungarischem Recht Verzugszinsen in Höhe von 20 % zu zahlen. Dies gilt jedoch nur für Forintschulden. Bei Verzug mit Geldzahlungen in ausländischer Währung ist ein Zinssatz anzuwenden, der den an den internationalen Geldmärkten üblichen Zinssätzen entspricht. (vgl. Oberstes Gericht Budapest, Az.: Pfv. IV. 23.083/1994, zit. n. juris). Das Gericht hat zur Beurteilung dieser Frage den FMH-IndeX für dreijährige Kredite (Kreditsumme 10.000 Euro) herangezogen. Der durchschnittliche Zins lag im Februar 2009 bei 7,63 %. Der niedrigste Stand während des Zeitraums bis zur Urteilserstellung wurde im August 2011 mit 7,04 % erreicht. Damit hat der Zinssatz während der gesamten Zeit immer deutlich über dem beantragten Zinssatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gelegen, der sich im streitgegenständlichen Zeitraum zwischen 0,12 % und 0,37 % bewegte. Das Gericht ist gemäß § 308 Abs. 1 an den Parteiantrag gebunden und kann nicht mehr zusprechen als beantragt, so dass ein Zinssatz in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins zuzusprechen war. Es erscheint hier angemessen den variablen Basiszins zu wählen, da es auch trotz dieser Variabilität sehr unwahrscheinlich erscheint, dass dieser über das allgemeine Zinsniveau steigen wird, da der Basiszins gewöhnlich erst nach einer allgemeinen Steigerung des Zinsniveaus nach oben angepasst wird.

8. Die Beklagte hat auch die Kosten bezüglich des zurückgenommenen Teils zu tragen. Die Klagerücknahme noch vor Rechtshängigkeit ist gemäß § 269 Abs. 3 ZPO wirksam. Nach dem dem Internationalen Zivilverfahrensrecht zugrunde liegenden Prinzip des „forum regit processum“ ist die „lex fori“, d.h. deutsches Prozessrecht, anwendbar. Dementsprechend hat das Gericht gemäß § 269 Abs. 3 Satz 3 ZPO über den für den zurückgenommenen Teil gestellten Kostenantrag des Klägers nach billigem Ermessen zu entscheiden. Der zurückgenommene Betrag stand dem Kläger unstreitig zu. Die Beklagte befand sich im Zeitpunkt der Klageerhebung bereits in Verzug und wurde mehrfach vergeblich zur Zahlung aufgefordert, so dass Anlass zur Klage bestand.

Im Übrigen beruht die Kostenentscheidung auf § 92 Abs. 1 ZPO.

9. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11, 711; 709 ZPO.

10. Streitwert bis 4. Juni 2010: 15.616,78 Euro

Streitwert ab 5. Juni 2010: 5.427,81 Euro

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