Verkehrsunfall in Haigerloch: Kollision zwischen Leichtkraftrad und PKW
Im idyllischen Haigerloch ereignete sich am 1. Juni 2017 ein Verkehrsunfall, der nun Gegenstand eines Rechtsstreits vor dem Landgericht Hechingen ist. Der Fall dreht sich um Schadensersatzansprüche, die aufgrund einer Kollision zwischen einem Leichtkraftrad und einem PKW entstanden sind. Das Hauptproblem liegt in den unterschiedlichen Darstellungen der Unfallumstände durch die beteiligten Parteien, die zu einer Komplexität führen, die das Gericht zu lösen hatte.
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Übersicht:
Unglückliche Kollision an einer unübersichtlichen Kreuzung
Der Kläger, Fahrer des Leichtkraftrades, und der Beklagte Nr. 2, Fahrer des PKWs, waren in den besagten Unfall verwickelt. Das Ganze ereignete sich an einer Kreuzung in Haigerloch, an der die Vorfahrt nicht durch Verkehrszeichen geregelt ist. Laut Kläger fuhr er langsam an die Kreuzung heran und wollte nach rechts abbiegen, als er den PKW des Beklagten bemerkte, der auf seiner Fahrspur mit überhöhter Geschwindigkeit unterwegs war. Der Kläger behauptet, um die drohende Kollision zu vermeiden, habe er sofort eine Vollbremsung eingeleitet, die jedoch zu einem Sturz führte.
Differierende Darstellungen führen zu einer Kontroverse
Die Darstellung des Unfallhergangs durch den Kläger wird von der Beklagtenseite bestritten, was zu einer Kontroverse führt. Der Kläger gibt an, der PKW-Fahrer sei vollständig auf seiner Fahrbahn gefahren und hätte somit gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Darüber hinaus sei der Beklagte mit unangepasster Geschwindigkeit gefahren.
Konsequenzen des Verkehrsunfalls
Die Kollision führte zu erheblichen Sachschäden am Leichtkraftrad des Klägers und verursachte Verletzungen. Er begehrt daher 80% des entstandenen Schadens als Ersatz, da am Kraftrad ein Totalschaden entstanden ist.
Gerichtsentscheidung: Klage wird abgewiesen
Das Landgericht Hechingen kam jedoch zu einem Urteil, das die Klage abweist und den Kläger dazu verpflichtet, die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Das Urteil ist gegen eine Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Streitwert wurde auf 6.756 € festgesetzt.
Das vorliegende Urteil
LG Hechingen – Az.: 1 O 207/19 – Urteil vom 11.12.2020
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 6.756,00 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten sich um Schadensersatzansprüche anlässlich eines Verkehrsunfalls der sich am 1. Juni 2017 gegen 19:45 Uhr in Haigerloch ereignet hat.
An dem besagten Verkehrsunfall waren der Kläger als Fahrer des Leichtkraftrades mit dem amtlichen Kennzeichen BL-… sowie der Beklagte Ziffer 2 als Fahrer des PKW NSU mit dem amtlichen Kennzeichen HCH-… beteiligt. Bei der Beklagten Ziffer 1 handelt es sich um den Haftpflichtversicherer des Beklagten Ziffer 2. Unmittelbar vor dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall befuhr der Kläger den Verbindungsweg von der Desiderius-Lenz-Straße in Richtung der Krebshalde in Haigerloch und beabsichtigte von diesem kommend nach rechts in die Straße Krebshalde einzubiegen. Zeitgleich befuhr der Beklagte Ziffer 2 mit seinem Fahrzeug die Krebshalde in Richtung der Kreuzung mit dem von der Desiderius-Lenz-Straße kommenden Verbindungsweg. Da am – aus Sicht des Beklagten Ziffer 2 – rechten Fahrbahnrand der Krebshalde jedenfalls bis an den Kreuzungsbereich heran parkende Fahrzeuge abgestellt waren, befuhr der Beklagte Ziffer 2 diese nicht am rechten Fahrbahnrand. Die Sicht sowohl des Klägers in die Krebshalde hinein, als auch die des Beklagten Ziffer 2 von der Krebshalde in den Verbindungsweg aus dem der Kläger fuhr war infolge eines starken Bewuchses des im Kreuzungsbereich liegenden Grundstücks nur äußerst eingeschränkt möglich. Die Vorfahrt wird an der Kreuzung zwischen der Krebshalde und dem Verbindungsweg nicht durch Verkehrszeichen geregelt. Im weiteren Verlauf kam es im Kreuzungsbereich zur Kollision zwischen den beiden genannten Fahrzeugen, wobei deren genauer Verlauf zwischen den Parteien streitig ist. Mit der Klage begehrt der Kläger unter Akzeptanz seiner Betriebsgefahr den Ersatz von 80 % der ihm entstandenen Schäden, wobei am Kraftrad mit einem Wert von 4.150 € unstreitig ein Totalschaden eingetreten ist.
Der Kläger behauptet, er sei mit langsamer Geschwindigkeit mit dem in seinem Eigentum stehenden Leichtkraftrad an den Einmündungsbereich herangefahren, habe sich vergewissert, dass von links kein Querverkehr komme und sei sodann nach rechts in die Krebshalde eingebogen. Hierbei habe er den vollständig auf seiner Fahrspur befindlichen Pkw des Beklagten Ziffer 2 bemerkt, der dort mit nicht angepasster Geschwindigkeit auf ihn zugefahren sei. Um die drohende Kollision zu vermeiden habe er unverzüglich eine Vollbremsung eingeleitet, welche zu einem Sturz von ihm geführt habe. Als Folge hiervon sei er mit seinem Leichtkraftrad mit dem Pkw des Beklagten Ziffer 2 kollidiert. Die Kollision habe zu einem erheblichen Sachschaden an seinem Leichtkraftrad geführt und er sei auch verletzt worden. Der Kläger ist der Auffassung, der Beklagte Ziffer 2 habe unfallursächlich in erheblicher Art und Weise gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen, da dieser vollständig auf der linken Fahrbahn auf den Kläger zugefahren sei. Ferner sei der Beklagte Ziffer 2 auch mit nicht angepasster Geschwindigkeit gefahren. Denn der Beklagte Ziffer 2 sei aufgrund der zum Unfallzeitpunkt vorherrschenden örtlichen Verhältnisse dazu verpflichtet gewesen, sich an den Einmündungsbereich allenfalls mit Schrittgeschwindigkeit heranzutasten und sich notfalls sogar einweisen zu lassen. Der Kläger selbst habe sich demgegenüber in jeder Hinsicht korrekt verhalten, insbesondere habe er darauf vertrauen dürfen, dass ihm kein Fahrzeug auf seiner Fahrspur entgegenkomme. An Schäden habe der Kläger Anspruch auf Ersatz des Totalschadens an seinem Kraftrad mit 3.320 € auf Basis eines Restwertes in Höhe von 4.150 €. Ferner habe er Anspruch auf Nutzungsausfall vom 13. Juni 2017 – 31. Oktober 2017 in Höhe von 2.576 €, da er wegen ausbleibender Regulierung der Beklagten zunächst nicht im Stande dazu gewesen sei, sich mit eigenen finanziellen Mitteln bereits zuvor ein Ersatzfahrzeug anzuschaffen. Darüber hinaus stünden ihm 60 € für die An- und Abmeldung seiner Fahrzeuge und eine Unkostenpauschale zu. Letztlich habe er noch Anspruch auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes da er unfallbedingt eine Quetschung einer Zehe, ein HWS-Schleudertrauma und eine LWS erlitten habe und zumindest 2 Wochen unter erheblichen Schmerzen gelitten habe. Hierfür sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 800 € angemessen.
Der Kläger beantragt, die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger € 3.320.- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 19.02.2019 zu bezahlen, die Beklagten weiterhin zu verurteilen, an den Kläger € 2.576.- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen, die Beklagten weiterhin zu verurteilen, an den Kläger € 60.- nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen,
die Beklagten des Weiteren zu verurteilen, an den Kläger für die aus dem Verkehrsunfall vom 01.06.2018 resultierenden Verletzungen ein angemessenes Schmerzensgeld nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 19.02.2019 zu bezahlen und
die Beklagten ferner zu verurteilen, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltsgebühren aus einem Gegenstandswert von € 6.756,00 in Höhe von € 650,34 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit der Klage zu bezahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Ihren Klagabweisungsantrag begründen die Beklagte damit, dass dem Kläger bereits dem Grunde nach keine Ansprüche zustehen, da er den Verkehrsunfall allein verschuldet habe. So habe der Beklagte Ziffer 2 die Krebshalde nur mit mäßiger Geschwindigkeit befahren und sein Fahrzeug nur deswegen nicht äußerst rechts am Fahrbahnrand gesteuert, da dort Fahrzeuge abgestellt gewesen seien. Um an diesen vorbeizufahren habe er sein Fahrzeug zum Teil auf die linke Straßenseite gesteuert und sei langsam an den geparkten Fahrzeugen vorbeigefahren. Nachdem er diese passiert gehabt habe, habe er sein Fahrzeug wieder an den rechten Fahrbahnrand herangesteuert. In dieser Situation habe er den Kläger erkannt, der angesichts der örtlichen Straßenverhältnisse zu schnell unterwegs gewesen sei, beim Erkennen des Fahrzeugs des Beklagten Ziffer 2 gebremst habe, hierbei weggerutscht und schließlich mit der linken vorderen Fahrzeugfront des Fahrzeugs des Beklagten Ziffer 2 kollidiert sei. Dieser Sachverhalt ziehe es rechtlich betrachtet nach sich, dass dem Beklagten Ziffer 2 kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot vorgeworfen werden könne und dem Kläger daher kein Schadensersatzanspruch zustehe. Nur hilfsweise wenden die Beklagten hinsichtlich der Schadenshöhe ein, dass dem Kläger der geltend gemachte Nutzungsersatz nicht zustehe, da er auf sein Fahrzeug nicht angewiesen gewesen sei und das geltend gemachte Schmerzensgeld für die allein unfallursächliche Quetschung und HWS überhöht sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des jeweiligen Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze und den Inhalt des Protokolls verwiesen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist nicht begründet, da der Kläger zwar sein Eigentum am beschädigten Leichtkraftrad nachgewiesen hat, jedoch für den Unfall allein verantwortlich ist.
Durch Vorlage des auf ihn lautenden Kaufvertrags als Anlage zum Schriftsatz vom 20. November 2019 (Bl. 173 d. A.) hat der Kläger substantiiert dargelegt, dass er zum Unfallzeitpunkt Eigentümer und Halter des von ihm geführten Leichtkraftrads war.
Gemäß §§ 7 Abs. 1, 18 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 StVG hängt damit die Ersatzpflicht des Fahrzeughalters und Fahrzeugführers gegenüber dem anderen unfallbeteiligten Fahrzeughalter davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht wurde. Hierzu müssen in einem ersten Schritt zunächst die jeweiligen Verursachungsbeiträge festgestellt werden. Als Verursachungsbeitrag ist für den Halter und Fahrer eines Kraftfahrzeugs wechselseitig zumindest die Betriebsgefahr zu berücksichtigen, wobei diese durch die Eigenart des jeweiligen Fahrzeugs (Fahrzeugart, Größe, Gewicht etc.) erhöht oder ermäßigt sein kann (BeckOGK/Walter, StVG § 17 Rn. 31). Anschließend müssen die festgestellten – also unstreitigen, zugestandenen oder bewiesenen (BGH, Urteil vom 26. April 2005 – VI ZR 228/03 = NJW 2005, 1940) – Verursachungsbeiträge unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls gegeneinander abgewogen werden.
1.)
Der Kläger hat zum Verkehrsunfall dadurch beigetragen, dass er gegen das Vorfahrtsrecht des Beklagten Ziffer 2 gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat.
Ist die Vorfahrt an einer Kreuzung – wie vorliegend – nicht besonders geregelt, so stellt sich die Situation für jeden Verkehrsteilnehmer, der sich dieser Kreuzung nähert so dar, dass er zwar gegenüber den von links kommenden vorfahrtsberechtigt, gegenüber den Verkehrsteilnehmern von rechts aber wartepflichtig ist. Um deren Vorfahrt zu beachten können, muss er (wie es § 8 Abs. 2 Satz 1 StVO vorschreibt) mit mäßiger Geschwindigkeit an die Kreuzung heranfahren und sich darauf einstellen, dass er notfalls rechtzeitig anhalten kann. Diese mit „halber Vorfahrt“ bezeichnete Situation (BGH, NJW 1985, 2757) dient grundsätzlich auch dem Schutz des von links kommenden Wartepflichtigen (KG, Beschluss vom23. Juli 2009 – 12 U 212/08) und führt dazu, dass der Kläger nur in die Kreuzung einfahren durfte, wenn er übersehen konnte, dass eine Gefährdung vorfahrtsberechtigter Verkehrsteilnehmer nicht erfolgen bzw. sogar ausgeschlossen sein wird (OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2001 – 10 U 119/00). Zu diesem Zweck hätte sich der Kläger, dessen Sicht in die Krebshalde infolge des starken Bewuchses auf dem rechts von ihm gelegenen Grundstück stark eingeschränkt war, in die Kreuzung gemäß § 8 Abs. 2 Satz 3 StVO hineintasten müssen, um so prüfen zu können, ob sich von rechts ein Fahrzeug – dessen Vorfahrtsrecht sich auf die gesamte Straßenbreite erstreckt – annähert, dem er Vorfahrt zu gewähren hat (zu einer sehr ähnlichen Situation: OLG Oldenburg, Urteil vom 4. November 1981 – 3 U 72/81 = BeckRS 2009, 17687; BGH NJW 1982, 2668). Dies hat der Kläger ersichtlich nicht getan, ist deswegen womöglich vom Erscheinen des Fahrzeugs des Beklagten Ziffer 2 überrascht worden und hat ausweislich des eingeholten unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. … infolge eines Fahrfehlers oder der erforderlichen starken Bremsung die Kontrolle über sein Leichtkraftrad verloren und es kam zur Kollision mit dem Fahrzeug des Beklagten Ziffer 2. Diesen, wie auch den weiteren Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. … schließt sich die Kammer jeweils an, da sie in sich widerspruchsfrei und daher nachvollziehbar sind. Ferner war der Sachverständige Dipl.-Ing. … auch schon in vielen anderen Rechtsstreitigkeiten im Bereich der Unfallanalyse für die Kammer überzeugend tätig, so dass dessen Kompetenz außer Frage steht.
2.)
Dem Beklagten Ziffer 2 ist ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot des § 2 Abs. 2 StVO trotz der Tatsache, dass er die Fahrbahnmitte der Krebshalde ausweislich den Ausführungen des Sachverständigen Dipl.-Ing. … zum Unfallzeitpunkt um etwa 0,9 – 1 m überfahren hat, nicht vorzuwerfen.
Denn einerseits unterfällt die vorliegende Konstellation bereits nicht dem Schutzzweck des § 2 Abs. 2 StVO. So dient das Rechtsfahrgebot nur dem Schutz des erlaubten Gegen- und Überholverkehrs in Längsrichtung, nicht hingegen dem des einbiegenden und kreuzenden Querverkehrs (BGH, Urteil vom 20. September 2011 – VI ZR 282/10 = NJW-RR 2012, 157; OLG Hamm, Urteil vom 16. August 2019 – 7 U 3/19 = SVR 2020, 269; KG, Beschluss vom 23. Juli 2009 – 12 U 212/08 = NZV 2010, 255; OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2001 – 10 U 119/00; OLG Nürnberg, Endurteil vom 26. November 1997 – 9 U 2572/97). Erst im weiteren Verlauf eines Einbiegevorgangs ist auch derjenige geschützt, der von links kommend in eine Straße nach rechts einbiegt, da er dann Teilnehmer des Gegenverkehrs wird und an dessen Schutz durch das Rechtsfahrgebot teilnimmt (BGH, VersR 1967, 157). Vorliegend kam es jedoch gar nicht dazu, dass der Kläger in die Kreuzhalde eingebogen, sich in die neue Strecke vollständig eingeordnet, eine den dort üblicherweise fahrenden Fahrzeugen entsprechende Geschwindigkeit erreicht hat und infolge dessen Teil des Gegenverkehrs geworden ist, da sich zuvor bereits die Kollision mit dem Beklagten Ziffer 2 ereignet hat.
Unabhängig von der fehlenden Erfassung des streitgegenständlichen Verkehrsunfalls vom Schutzzweck des § 2 Abs. 2 StVO, hat der Beklagte Ziffer 2 jedoch auch inhaltlich nicht gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Gemäß § 2 Abs. 2 StVO ist generell möglichst weit rechts zu fahren. Allerdings ist dieses Gebot nicht starr, sondern es richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls und fordert somit nur, dass den Gegebenheiten angemessen weit rechts gefahren wird. Es ist daher selbstredend gestattet, an stehenden Fahrzeugen mit dem erforderlichen Seitenabstand vorbeizufahren und hierzu auch die linke Fahrbahnhälfte mitzubenutzen. Da zwischen den Parteien unstreitig ist, dass sich im Bereich der Annäherung des Beklagten Ziffer 2 an die Kreuzung zwischen der von ihm befahrenen Krebshalde und dem klägerseits befahrenen Verbindungsweg am rechten Fahrbahnrand abgestellte Fahrzeuge befanden, ist es dem Kläger bereits dem Grunde nach nicht gelungen den Nachweis zu führen, dass der Beklagte Ziffer 2 hätte weiter rechts fahren können. Denn er war für seine Behauptung, wonach sich im eigentlichen Kreuzungsbereich und damit der Unfallstelle keine Fahrzeuge mehr am rechten Fahrbahnrand befunden haben und der Beklagte Ziffer 2 daher weiter rechts hätte fahren können, beweispflichtig.
Gleichfalls folgt aus der sachverständigenseits erhobenen Fahrbahnbreite der Krebshalde von 4,9 m, den links neben dem Fahrzeug des Beklagten Ziffer 2 verbleibenden mindestens 1,45 m, der angenommenen Breite des Fahrzeugs des Beklagten von ca. 1,8 m und den zumindest hälftig auf der Fahrbahn abgestellten parkenden Fahrzeugen keinesfalls zwingend, dass der Beklagte Ziffer 2 unter Einhaltung des erforderlichen Sicherheitsabstands hätte weiter rechts an den parkenden Fahrzeugen vorbeifahren können (zur Illustration wird insoweit Bezug genommen auf Seite 2 des Schriftsatzes des Klägers vom 8. Oktober 2020, Bl. 355 d. A.).
In diesem Zusammenhang muss auch darauf hingewiesen werden, dass der Sachverständige Dipl.-Ing. … die verbleibende Restfahrbahnbreite zwischen dem Fahrzeug des Beklagten Ziffer 2 und dem linken Fahrbahnrand mit 1,45 – 1,55 m veranschlagte. Somit wäre es dem Kläger mit seinem Leichtkraftrad ohne weiteres möglich gewesen, am Fahrzeug des Beklagten Ziffer 2 vorbeizufahren und der Beklagte Ziffer 2 ermöglichte es so auch aus dem klägerseits befahrenen Verbindungsweg in die Krebshalde einbiegenden Fahrzeugen sich Stück für Stück in selbige Hineinzutasten (OLG Nürnberg, Endurteil vom 26. November 1997 – 9 U 2572/97 = BeckRS 1997, 31336879).
3.)
Auch ist es dem Kläger nicht gelungen, dem Beklagten Ziffer 2 einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO in Form einer überhöhten Geschwindigkeit nachzuweisen. Die vorgenannte Vorschrift fordert vom Verkehrsteilnehmer die Einhaltung einer Geschwindigkeit bei der er das Fahrzeug ständig beherrscht und die den Gegebenheiten angepasst ist. Unstreitig war die zugelassene Höchstgeschwindigkeit vorliegend auf 30 km/h begrenzt. Ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen Dipl.-Ing. … lag die Kollisionsgeschwindigkeit des Fahrzeugs des Beklagten Ziffer 2 im Bereich von ca. 15 – 25 km/h, ohne dass auf die ursprünglich (also ggf. vor Einleitung eines Bremsmanövers im Interesse der Kollisionsvermeidung) gefahrene Geschwindigkeit zurückgeschlossen werden kann. Damit ist es dem Kläger zunächst einmal nicht gelungen, dem Beklagten Ziffer 2 eine Überschreitung der zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nachzuweisen. Unabhängig davon kann jedoch auch nicht konstatiert werden, dass die nachgewiesene Geschwindigkeit von zumindest 15 km/h den örtlichen Verhältnissen unangepasst gewesen wäre. Zwar fuhr der Beklagte Ziffer 2 unmittelbar vor der Kollision auf eine ihm bekannte Kreuzung zu, die infolge des aus seiner Sicht auf der linken Seite befindlichen Bewuchses nur sehr eingeschränkt einsehbar war. Er musste damit rechnen und seine Fahrweise entsprechend darauf einrichten, dass sich andere Verkehrsteilnehmer womöglich von links annähern und sich langsam in die Kreuzung hineintasten werden. Dies war in Anbetracht des zum linken Fahrbahnrand verbleibenden Abstands von ca. 1,45 m und der Geschwindigkeit von nur 15 km/h problemlos möglich (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2001 – 10 U 119/00). Wird des Weiteren bedacht, dass der Beklagte Ziffer 2 gegenüber keinem der potentiell im Kreuzungsbereich auftauchenden Verkehrsteilnehmern ein Vorfahrtsrecht zu gewähren hatte, so ginge es zu weit, von ihm – in Erwartung einer möglichen Vorfahrtsverletzung durch Dritte – zu verlangen, seine Geschwindigkeit wegen der Herannäherung an eine unübersichtliche Kreuzung (auf unter nachweisbare 15 km/h) zu reduzieren (LG Ellwangen, Urteil vom 18. Dezember 1986 – 3 O 500/86).
4.)
Letztlich beruft sich der Kläger auch ohne Erfolg darauf, dass der Beklagte Ziffer 2 sich der Hilfe eines Einweisers hätte bedienen müssen, wenn er im unübersichtlichen Kreuzungsbereich unter Inanspruchnahme der linken Fahrbahnhälfte an rechts parkenden Fahrzeugen hätte vorbeifahren wollen. Die Figur des Einweisers ist lediglich in §§ 9 Abs. 5, 10 StVO im Zusammenhang mit dem Anfahren vom Fahrbahnrand, dem Einfahren aus einer Fußgängerzone bzw. einem verkehrsberuhigten Bereich und dem Rückwärtsfahren gesetzlich vorschrieben und daher vom vorfahrtsberechtigten Beklagten Ziffer 2 in der konkreten Situation nicht – auch nicht unter dem Gesichtspunkt der allgemeinen Rücksichtnahmepflicht des § 1 Abs. 2 StVO – zu fordern gewesen.
5.)
Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass der Kläger gegen das Vorfahrtsrecht des Beklagten Ziffer 2 gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 StVO verstoßen hat, wohingegen dem Beklagten Ziffer 2 selbst kein Sorgfaltspflichtverstoß vorzuwerfen ist, er sich mithin im Rahmen des nach der Straßenverkehrsordnung erlaubten Tuns bewegt hat. Eine grundsätzlich mögliche Mithaftung des Beklagten Ziffer 2 aus einer gegebenenfalls wegen der (erlaubten) Mitbenutzung der linken Fahrbahn sogar erhöhten Betriebsgefahr (OLG Hamm, Urteil vom 16. August 2019 – 7 U 3/19; KG, Beschluss vom 23. Juli 2009 – 12 U 212/08) tritt gegenüber dem groben Verschulden des Klägers und der erhöhten Betriebsgefahr des von ihm in der Schräglage der Kurvenfahrt gesteuerten und in dieser Situation besonders instabilen Motorrads (OLG Stuttgart, Urteil vom 5. Dezember 2018 – 9 U 76/18) bei der nach § 17 Abs. 1 StVG gebotenen Abwägung jedoch gänzlich zurück (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 9. Februar 2001 – 10 U 119/00; OLG Oldenburg, Urteil vom 28. März 1973 – 2 U 162/72; LG Ellwangen, Urteil vom 18. Dezember 1986 – 3 O 500/86; LG Hamburg, Beschluss vom 22. Februar 2018 – 306 S 10/18 = NZV 2018, 333; zu einer Haftungsverteilung von 25 % zu 75 % zu Lasten des unter eines Vorfahrtsverstoßes nach rechts abbiegenden Fahrzeugführers (hier also des Klägers): OLG Oldenburg, Urteil vom 4. November 1981 – 3 U 72/81 = BeckRS 2009, 17687, wobei sich die Abweichung von der vollen Haftung des Abbiegenden aus dem Umstand ergab, dass der andere Verkehrsteilnehmer keinen Grund für den „Verstoß“ gegen das Rechtsfahrgebot hatte).
II.
Die Nebenentscheidungen folgen hinsichtlich der Kostenentscheidung aus § 91 Abs. 1 ZPO und bezüglich der vorläufigen Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.
Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant:
- Straßenverkehrsordnung (StVO): Die StVO ist maßgeblich in Unfallsituationen und regelt die Verhaltensweisen im Straßenverkehr. In diesem Fall ist insbesondere das Rechtsfahrgebot (§ 2 Abs. 2 StVO) relevant. Der Kläger behauptet, der Beklagte hätte gegen dieses Gebot verstoßen, indem er sich vollständig auf der linken Fahrbahn befand. Zudem wird die Frage der angepassten Geschwindigkeit (§ 3 StVO) und die Vorfahrtsregelung (§ 8 StVO) diskutiert, da der Unfall an einer Kreuzung ohne Vorfahrtsschilder passiert ist.
- Schadensersatzrecht (Bürgerliches Gesetzbuch, §§ 249 ff. BGB): Dies ist relevant, da der Kläger Schadensersatz für die Beschädigung seines Leichtkraftrades sowie Nutzungsausfall und Schmerzensgeld beansprucht. Die Höhe des Schadensersatzes richtet sich nach dem verursachten Schaden und der Schuldfrage.
- Haftpflichtversicherungsgesetz (PflVG): Bei Unfällen im Straßenverkehr tritt häufig der Haftpflichtversicherer des Schädigers in die Pflicht. In diesem Fall ist die Beklagte Ziffer 1 der Haftpflichtversicherer des Beklagten Ziffer 2.
- Zivilprozessrecht (Zivilprozessordnung, ZPO): Dies ist relevant für die Durchführung des Gerichtsverfahrens, insbesondere für die Festsetzung des Streitwerts (§ 3 ZPO) und die Regelung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit (§ 708 Nr. 11 ZPO).
- Verkehrsrecht: Insgesamt wird der Fall unter dem rechtlichen Bereich des Verkehrsrechts subsumiert, welches alle Regeln und Normen zur Regulierung des Straßenverkehrs beinhaltet, darunter fallen die bereits erwähnten Gesetze und Normen aus StVO, BGB und PflVG.