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Verkehrsunfall mit Rettungswagen mit Geschwindigkeitsüberschreitung

Rettungswagen-Kollision: Rechtliche Folgen für Verkehrsunfall geklärt

In einem Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein wurde entschieden, dass Rettungswagen unter bestimmten Umständen von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) befreit sind und dass die Beweislast für das Vorliegen einer Einsatzfahrt bei demjenigen liegt, der sich darauf beruft. Zudem wurde klargestellt, dass die Ausübung von Sonderrechten der Rettungsfahrzeuge unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung erfolgen muss, wobei eine deutliche Geschwindigkeitsüberschreitung auf einer gut einsehbaren Straße als gerechtfertigt angesehen wurde.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 7 U 141/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Rettungswagen genießen Sonderrechte und können von den StVO-Vorschriften befreit sein, wenn sie auf einer Einsatzfahrt sind, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden.
  • Die Beweislast für das Vorliegen einer solchen Einsatzfahrt trägt derjenige, der sich auf diese Sonderrechte beruft.
  • Sonderrechte müssen jedoch stets unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden.
  • Eine Geschwindigkeitsüberschreitung von mehr als dem Doppelten der erlaubten Höchstgeschwindigkeit kann auf einer gut einsehbaren Straße gerechtfertigt sein, wenn dadurch die Effektivität der Einsatzfahrt gesteigert wird.
  • Andere Verkehrsteilnehmer müssen im Zweifelsfall stehen bleiben, um das Einsatzfahrzeug nicht zu behindern, sofern kein anderer Ausweichraum vorhanden ist.
  • Ansprüche aus Amtshaftung gegen die Fahrerin des Rettungswagens wurden abgewiesen, da die Geschwindigkeitsübertretung und das Überholen im Rahmen der Sonderrechte als gerechtfertigt angesehen wurden.
  • Das Gericht lehnte die Berufung ab und bestätigte die Rechtmäßigkeit der Handlungen des Rettungsfahrzeugs unter Berufung auf die Sonderrechte und die besondere Situation der Einsatzfahrt.

Sonderrechte für Einsatzfahrzeuge

Im Straßenverkehr gelten besondere Regeln für Fahrzeuge mit Sonderrechten wie Rettungswagen oder Feuerwehr. Diese können von bestimmten Verkehrsvorschriften abweichen, um im Notfall schnell vor Ort zu sein und Menschenleben zu retten. Die Sonderrechte ermöglichen es den Einsatzkräften beispielsweise, Geschwindigkeitsbegrenzungen zu überschreiten oder bei Rotlicht die Kreuzung zu überqueren.

Allerdings dürfen Einsatzfahrzeuge ihre Privilegien nicht missbrauchen. Die Sonderrechte müssen stets verhältnismäßig ausgeübt und die Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer so gering wie möglich gehalten werden. Wo liegt also die Grenze zwischen berechtigter Nutzung der Sonderrechte und unzulässigem Fehlverhalten? Diese Frage beschäftigt immer wieder die Gerichte.

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➜ Der Fall im Detail


Verkehrsunfall mit Rettungswagen führt zu rechtlichen Auseinandersetzungen

Bei einem Verkehrsunfall im Kreuzungsbereich G.-Straße/S. in B. kollidierte der Ehemann der Klägerin, der Zeuge S., beim Linksabbiegen mit einem Rettungswagen der Beklagten, der mit überhöhter Geschwindigkeit das klägerische Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn überholte.

Unfall mit Rettungswagen
Geschwindigkeitsüberschreitung im Einsatz: Rettungswagen kollidiert mit PKW – Gericht klärt Rechtslage! (Symbolfoto: FooTToo /Shutterstock.com)

Trotz aktiviertem Martinshorn und Blaulicht, 7,11 Sekunden und 127,7 m vor dem Zusammenstoß, und einer Geschwindigkeit von über 75 km/h, die weit über der erlaubten Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h lag, kam es zum Unfall. Der Ehemann der Klägerin erlitt eine Gehirnerschütterung und ein HWS-Schleudertrauma, woraufhin die Klägerin Schadensersatzansprüche geltend machte. Die Klage fokussierte sich auf die Frage der Rechtmäßigkeit der Geschwindigkeitsübersch

✔ Häufige Fragen – FAQ

Welche Sonderrechte gelten für Rettungswagen im Straßenverkehr?

Für Rettungswagen gelten im Straßenverkehr unter bestimmten Voraussetzungen Sonderrechte, die es ihnen erlauben, von den regulären Verkehrsregeln abzuweichen:

Voraussetzungen für Sonderrechte

  • Es muss sich um einen dringenden Notfall handeln, bei dem höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Eine Katze auf dem Baum rechtfertigt z.B. nicht die Inanspruchnahme von Sonderrechten.
  • Die Inanspruchnahme der Sonderrechte muss zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend erforderlich sein.

Inhalt der Sonderrechte

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dürfen Rettungswagen:

  • Geschwindigkeitsbegrenzungen überschreiten
  • Einbahnstraßen entgegen der Fahrtrichtung befahren
  • Rote Ampeln überfahren
  • Auf der Gegenspur oder linken Fahrbahnseite fahren
  • Verbotswidrig rechts überholen

Sorgfaltspflicht trotz Sonderrechten

Auch bei Inanspruchnahme der Sonderrechte müssen Rettungswagenfahrer weiterhin mit größtmöglicher Sorgfalt fahren und dürfen andere nicht gefährden. Sie müssen z.B. an Kreuzungen so langsam fahren, dass sie bei Querverkehr rechtzeitig anhalten können.

Wegerecht mit Blaulicht und Martinshorn

Zusätzlich zu den Sonderrechten haben Rettungswagen ein Wegerecht, wenn sie Blaulicht zusammen mit dem Martinshorn einsetzen. Dann müssen alle anderen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn schaffen.

Fazit: Sonderrechte ermöglichen es Rettungswagen, Verkehrsregeln zu missachten, wenn dies für einen dringenden Notfalleinsatz erforderlich ist. Trotzdem müssen die Fahrer weiterhin umsichtig fahren. Mit Blaulicht und Martinshorn kommt zusätzlich ein Wegerecht hinzu.

Was bedeutet die Beweislast bei Verkehrsunfällen mit Einsatzfahrzeugen?

Bei Verkehrsunfällen mit Einsatzfahrzeugen wie Rettungswagen, Polizei oder Feuerwehr spielt die Frage der Beweislast eine wichtige Rolle. Grundsätzlich gilt:

Beweislast liegt beim Fahrer des Einsatzfahrzeugs

Wegen des Ausnahmecharakters der Sonderrechte für Einsatzfahrzeuge nach § 35 StVO trifft den Halter bzw. Fahrer des Einsatzfahrzeugs die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Sonderrechte vorlagen.

Das bedeutet, der Fahrer des Einsatzfahrzeugs muss im Streitfall beweisen, dass

  • ein dringender Einsatz höchster Eilbedürftigkeit vorlag, bei dem es um Menschenleben ging
  • sowohl Blaulicht als auch Martinshorn eingeschaltet waren, um das Wegerecht nach § 38 StVO in Anspruch zu nehmen

Beweislast des Unfallgegners

Demgegenüber muss der Unfallgegner, also der Fahrer des zivilen Fahrzeugs, in der Regel nachweisen, dass ihn keine Schuld am Unfall trifft. Das gilt insbesondere, wenn beim Ausweichen vor dem Einsatzfahrzeug ein Schaden am eigenen Fahrzeug entsteht. Dann wird geprüft, ob der Unfall durch ein anderes Verhalten hätte vermieden werden können.

Haftungsverteilung im Einzelfall

Kommt es zu einem Unfall mit einem Einsatzfahrzeug, ist nicht automatisch der Unfallgegner schuld. Die Haftung wird immer im Einzelfall entschieden. Dabei sind folgende Aspekte relevant:

  • Lagen die Voraussetzungen für Sonderrechte vor und wurden Sorgfaltspflichten beachtet?
  • Trifft den Fahrer des Einsatzfahrzeugs ein Verschulden, z.B. durch unvorsichtiges Fahren?
  • Hätte der Unfall durch den Unfallgegner vermieden werden können?

Fazit: Die Beweislast bei Unfällen mit Einsatzfahrzeugen ist klar verteilt. Der Sonderrechtsfahrer muss die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme der Sonderrechte beweisen, während der Unfallgegner nachweisen muss, dass ihn keine Schuld trifft. Die Haftung wird stets im Einzelfall entschieden.

Wie wird die Schuldfrage bei Verkehrsunfällen mit Sonderrechtsfahrzeugen geklärt?

Bei Verkehrsunfällen mit Sonderrechtsfahrzeugen wie Polizei, Feuerwehr oder Rettungswagen ist die Schuldfrage oft nicht eindeutig zu klären. Verschiedene Faktoren spielen bei der Beurteilung eine wichtige Rolle:

Sonderrechte der Einsatzfahrzeuge

Einsatzfahrzeuge genießen nach § 35 StVO gewisse Sonderrechte. Sie dürfen z.B. rote Ampeln überfahren, Geschwindigkeitsbegrenzungen überschreiten oder auf der Gegenspur fahren, wenn dies zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben dringend geboten ist.

Zusätzlich haben sie nach § 38 StVO ein Wegerecht, wenn Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet sind. Dann müssen alle anderen sofort freie Bahn schaffen.

Sorgfaltspflicht trotz Sonderrechten

Aber auch bei Inanspruchnahme der Sonderrechte müssen die Fahrer weiterhin mit äußerster Sorgfalt fahren und dürfen andere nicht gefährden. Sie müssen sich vergewissern, dass ihr Vorrecht beachtet wird und defensiv fahren.

Beweislast beim Einsatzfahrzeug

Wegen des Ausnahmecharakters der Sonderrechte trägt der Fahrer des Einsatzfahrzeugs die Beweislast dafür, dass die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme vorlagen. Er muss nachweisen, dass ein dringender Einsatz höchster Eilbedürftigkeit vorlag und Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet waren.

Verschulden und Betriebsgefahr

Bei der Abwägung der Haftungsanteile nach § 17 StVG werden neben den Verursachungsbeiträgen auch die Betriebsgefahren der beteiligten Fahrzeuge berücksichtigt. Ein schuldhafter Fahrfehler des Einsatzfahrers, z.B. zu schnelles Einfahren in eine Kreuzung, erhöht dessen Haftungsanteil.

Einzelfallbetrachtung erforderlich

Letztlich kann die Schuldfrage nie pauschal beantwortet werden, sondern nur unter Berücksichtigung aller Umstände des konkreten Einzelfalls. Maßgeblich sind insbesondere:

  • Lagen die Voraussetzungen für Sonderrechte vor?
  • Wurden die gebotenen Sorgfaltspflichten beachtet?
  • Wer hat den Unfall in welchem Umfang verursacht?
  • Wie sind die Betriebsgefahren der Fahrzeuge zu bewerten?

Fazit: Bei Unfällen mit Sonderrechtsfahrzeugen ist die Schuldfrage komplex. Trotz der Sonderrechte müssen die Einsatzfahrer umsichtig fahren. Sie tragen die Beweislast für die Inanspruchnahme der Sonderrechte. Die Haftung wird unter Abwägung aller Umstände des Einzelfalls verteilt.

Können Rettungswagen im Einsatz beliebig schnell fahren?

Rettungswagen im Einsatz genießen zwar gewisse Sonderrechte, dürfen aber nicht beliebig schnell fahren. Es gelten folgende Regeln und Grenzen:

Sonderrechte nach § 35 StVO

Fahrzeuge des Rettungsdienstes sind im Einsatz von den Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Sie dürfen dann z.B.:

  • Geschwindigkeitsbegrenzungen überschreiten
  • rote Ampeln überfahren
  • auf der Gegenspur oder linken Fahrbahnseite fahren

Wegerecht mit Blaulicht und Martinshorn

Zusätzlich haben Rettungswagen ein Wegerecht, wenn sie Blaulicht zusammen mit dem Martinshorn einsetzen. Dann müssen alle anderen Verkehrsteilnehmer sofort freie Bahn schaffen.

Grenzen der Sonderrechte

Trotz der Befreiung von den Verkehrsregeln müssen die Fahrer von Rettungswagen weiterhin mit äußerster Sorgfalt fahren und dürfen andere nicht gefährden. Konkret bedeutet das:

  • Die Geschwindigkeit muss stets an Straßen-, Sicht- und Wetterverhältnisse angepasst werden.
  • An Kreuzungen darf nur so schnell gefahren werden, dass notfalls angehalten werden kann.
  • Eine Überschreitung des Tempolimits um mehr als 20% gilt als grob fahrlässig.

Als Richtwert werden in Publikationen oft 10-20% über dem normalen Limit genannt. In der Stadt sind aufgrund des Verkehrs ohnehin oft keine höheren Geschwindigkeiten möglich.

Haftung im Schadensfall

Im Falle eines Unfalls muss der Fahrer des Rettungswagens nachweisen, dass er mit Blaulicht und Martinshorn gefahren ist und die Sonderrechte verhältnismäßig in Anspruch genommen hat. Andernfalls drohen zivil- und strafrechtliche Konsequenzen.

Fazit: Rettungswagen dürfen im Einsatz schneller fahren als erlaubt, aber nicht unbegrenzt. Die Fahrer müssen weiterhin umsichtig und angepasst an die Verhältnisse fahren. Bei Unfällen müssen sie die Rechtmäßigkeit der Sonderrechte beweisen können.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 35 Abs. 5a StVO (Sonderrechte für Fahrzeuge des Rettungsdienstes): Erläutert, unter welchen Umständen Rettungsfahrzeuge von den Regelungen der Straßenverkehrs-Ordnung befreit sind, speziell wenn höchste Eile zur Rettung von Menschenleben oder zur Verhinderung schwerer gesundheitlicher Schäden geboten ist. Dies ist zentral für das Verständnis der Rechtslage bei dem beschriebenen Unfall.
  • § 38 StVO (Blaulicht und Martinshorn): Erklärt die Bedeutung und die Auswirkungen des Einsatzes von Blaulicht und Martinshorn auf die Verpflichtungen anderer Verkehrsteilnehmer, insbesondere die Pflicht, freie Bahn zu schaffen. Wichtig für das Verständnis, warum der Kläger möglicherweise eine besondere Rücksichtnahme hätte walten lassen müssen.
  • § 7 StVG (Haftung des Fahrzeughalters): Thematisiert die grundsätzliche Haftung des Fahrzeughalters für Schäden, die durch den Betrieb eines Fahrzeugs entstehen. Relevant für die Erörterung der Haftungsfrage im vorliegenden Fall.
  • § 839 BGB in Verbindung mit Art. 34 GG (Amtshaftung): Bezieht sich auf Schadensersatzansprüche gegen den Staat oder dessen Bedienstete wegen pflichtwidrigen Verhaltens im Amt. Dieser rechtliche Rahmen ist entscheidend, um die Ansprüche der Klägerin gegenüber dem Rettungsdienst zu verstehen.
  • § 17 StVG (Abwägung der Verursachungsbeiträge bei Schäden): Betrifft die Abwägung der Verursachungsbeiträge der Unfallbeteiligten zur Bestimmung der Schadensersatzleistungen. Dieser Paragraph ist wesentlich, um die Argumentation hinsichtlich der Haftungsquote zu nachvollziehen.
  • § 522 Abs. 2 ZPO (Zurückweisung der Berufung ohne mündliche Verhandlung): Erklärt die Möglichkeit eines Gerichts, eine Berufung ohne mündliche Verhandlung zurückzuweisen, wenn diese offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Wichtig für das Verständnis des Verfahrensverlaufs in diesem spezifischen Fall.


Das vorliegende Urteil

Oberlandesgericht Schleswig-Holstein – Az.: 7 U 141/23 – Beschluss vom 04.01.2024

Leitsatz

1. Rettungswagen sind von den Vorschriften der StVO befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Die Beweislast für das Vorliegen einer Einsatzfahrt trägt derjenige, der sich auf das Vorliegen einer Einsatzfahrt beruft.

2. Sonderrechte für Rettungswagen dürfen nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Je mehr sich der Einsatzfahrer über allgemeine Verkehrsregeln hinwegsetzt und dadurch die Unfallgefahren erhöht, desto größer ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht.

3. Die Einsatzfahrt ist auf einer gut einsehbaren Hauptstraße mit einer Geschwindigkeitsüberschreitung um mehr als das Doppelte (hier 75 km/h statt erlaubter 30 km/h) gerechtfertigt.

4. Auf welche Weise „freie Bahn” zu schaffen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei der Ausschluss einer Behinderung des Einsatzfahrzeugs alleinige Richtschnur für das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer sein muss. Im Zweifel muss der Unfallgeschädigte mit seinem Fahrzeug einfach stehen bleiben, sofern für das Ausweichen nach links oder rechts kein genügender Platz vorhanden ist.


I. Die Klägerin wird gemäß § 522 Abs. 2 ZPO darauf hingewiesen, dass die Berufung gegen das angefochtene Urteil offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg bietet, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat, die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil nicht erfordert und eine mündliche Verhandlung nicht geboten ist. Der Senat beabsichtigt deshalb, die Berufung aus den nachfolgenden Gründen ohne mündliche Verhandlung durch einstimmigen Beschluss zurückzuweisen.

II. Es besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen 3 Wochen, sofern die Berufung nicht aus Kostengründen innerhalb der genannten Frist zurückgenommen werden sollte.

III. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für den zweiten Rechtszug auf 2.500 € festzusetzen.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um Amtshaftungsansprüche nach einem Verkehrsunfall.

Der Ehemann der Klägerin, der Zeuge S., stieß mit ihrem Fahrzeug am 21.10.2022 im Kreuzungsbereich G.-Straße/S. in B. beim Linksabbiegen mit einem Krankenrettungswagen der Beklagten zusammen, der das klägerische Fahrzeug auf der Gegenfahrbahn überholte. Das Martinshorn und das Blaulicht waren 7,11 Sekunden und 127,7 m vor der Kollision eingeschaltet, die Geschwindigkeit des Rettungswagens betrug über 75 km/h. Die Klägerin hat auf der Basis einer Haftungsquote von 75 % eigenen materiellen Unfallschaden und – aus übergegangenem Recht – immateriellen Schadensersatz ihres Ehemann beansprucht, der bei dem Unfall eine Gehirnerschütterung und ein HWS-Schleudertrauma erlitt.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Ansprüche aus Amtshaftung seien nicht begründet, denn den Missbrauch von Sonderrechten habe die Klägerin nicht bewiesen. Aufgrund der mit Martinshorn und Blaulicht zurückgelegten Strecke habe die Fahrerin des Rettungswagens auch darauf vertrauen dürfen, dass sich alle Verkehrsteilnehmer auf den nahenden Rettungswagen einstellen können. Ansprüche aus § 7 StVG seien nicht gegeben, da die Klägerin bereits nicht dargelegt habe, wer Halter des Rettungswagens gewesen sei.

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Hiergegen wendet sich die Klägerin mit der Berufung, mit der sie ihre erstinstanzlichen Klagziele weiter verfolgt. Sie rügt, die vom Landgericht angenommene Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Berechtigung der Nutzung von Sonderrechten. Diese obliege nicht ihr, sondern der Beklagten. Hierzu habe die Beklagte nichts dargelegt. Der Fahrer eines Sonderrechtsfahrzeuges dürfe Sonderrechte nur mit gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausüben, was bei der Überschreitung einer Geschwindigkeit um das 2 ½ fache nicht gegeben sei. Der Fahrer ihres Fahrzeugs sei bemüht gewesen, dadurch freie Bahn zu schaffen, indem er nach links in die dort befindliche Straße abbiegt, wie er es durch Blinksignal und Einordnen zur Fahrbahnmittellinie auch angekündigt habe. Die Haltereigenschaft der Beklagten für das Rettungsfahrzeug sei von ihr, der Klägerin, dargelegt worden, da sie von dem „Rettungsfahrzeug der Beklagten” gesprochen habe.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und

1. die Beklagte zu verurteilen, an die sie 1.651,46 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.05.2023 zu zahlen,

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes, in der Höhe in das Ermessen des Gerichts gestelltes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens 400,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 08.05.2023 zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der ihr 75 % des Schadens zu ersetzen, der ihr dadurch entsteht, dass sie aufgrund des Verkehrsunfalls vom 21.10.2022 ihre Vollkaskoversicherung in Anspruch genommen hat,

4. die Beklagte zu verurteilen, an sie außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagerhebung zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Wegen der Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Parteien wird auf die im Berufungsrechtszug gewechselten Schriftsätze verwiesen.

II.

Gemäß § 513 ZPO kann die Berufung nur auf eine Rechtsverletzung oder darauf gestützt werden, dass die gemäß § 529 ZPO zu berücksichtigenden Feststellungen ein anderes als das landgerichtliche Ergebnis rechtfertigen. Beides liegt nicht vor. Denn das Landgericht hat in der angefochtenen Entscheidung die auf Zahlung von Schadensersatz gerichtete Klage zu Recht abgewiesen.

Die Klägerin kann weder aus § 839 BGB, Art. 34 GG noch aus § 7 StVG Ansprüche gegen die Beklagte herleiten.

Eine Amtspflichtverletzung der Beklagten liegt nicht vor. Die ihr zur Last gelegten Verstöße der Fahrerin des Rettungswagens, nämlich die Geschwindigkeitsübertretung und das Überholen trotz angekündigter Absicht des Zeugen nach links abzubiegen, sind nach § 35 Abs. 5a StVO gerechtfertigt. Hiernach sind von den Vorschriften der StVO die Fahrzeuge des Rettungsdienstes befreit, wenn höchste Eile geboten ist, um Menschenleben zu retten oder schwere gesundheitliche Schäden abzuwenden. Zwar ist der Berufung zuzubilligen, dass die Beweislast für das Vorliegen einer Einsatzfahrt im Sinne des § 35 Abs. 5a StVO derjenige trägt, der sich auf das Vorliegen der Einsatzfahrt beruft (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 4.5.2018 – 7 U 37/17, NJW-RR 2018, 989, 991), hier also die Beklagte.

Allerdings hat die Beklagte diesen Beweis durch die Vorlage des Einsatzprotokolls und Angabe des Einsatzgrundes geführt. Die Beklagte hat hierzu mit Schriftsatz vom 24.07.2023 ausgeführt:

„Am Freitag, den 21.10.2022, erhielten die Insassen des vorgenannten RTW von der Rettungsleitstelle N. gegen 10:17 Uhr den Auftrag zu einem Notfalleinsatz in die L.- Straße in W. südwestlich von B.”.

Ergänzend hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 15.09.2023 ausgeführt:

„Um der Klägerin insoweit die Ungewissheit zu nehmen, weist die Beklagte ergänzend darauf hin, dass die Kreisrettungsleitstelle einen RTW und ein Notarzteinsatzfahrzeug (NEF) am 21.10.2022, 10:12 Uhr, mit dem Einsatzziel L.-Straße in W. unter Inanspruchnahme der Sondersignalanlage bei der Leitstelle der Beklagten angefordert hat. Das Einsatzziel war dabei der Schockraum im F-Krankenhaus in N.. Dabei ist es ein übliches Verfahren im Rettungsdienst, dass aus unterschiedlichsten Gründen bei einer anderen Leitstelle Rettungsmittel angefordert werden. Im vorliegenden Fall hat der RTW der Beklagten einen Patienten im Rahmen einer Krankenbeförderung in den Bereich der KRLS transportiert und war auf dem Rückweg nach N.. Als die KRLS das vorgenannte Hilfeersuchen aus der L.- Straße in W. erhalten hatte, hat die KRLS ermittelt, dass der streitgegenständliche RTW das nächstgelegene Rettungsmittel zum Einsatzort gewesen ist und entsprechend ein Hilfeersuchen an die Leitstelle der Beklagten gestellt, woraufhin der RTW der Beklagten nach W. disponiert worden ist.”

Diesem substantiierten Vortrag ist die Klägerin nicht in ausreichender Weise entgegen getreten. Vielmehr ist die Berechtigung des Vorliegens einer Einsatzfahrt durch die Vorlage des Einsatzprotokolls in Verbindung mit dem Beklagtenvortrag erwiesen.

Ein Verstoß der Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs gegen § 35 Abs. 8 StVO liegt nicht vor. Danach dürfen Sonderrechte nur unter gebührender Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Die Wahrnehmung der Sonderrechte aus § 35 StVO darf jeweils nur unter größtmöglicher Sorgfalt erfolgen. Je mehr sich der Einsatzfahrer über allgemeine Verkehrsregeln hinwegsetzt und dadurch die Unfallgefahren erhöht, desto größer ist die ihm obliegende Sorgfaltspflicht (vgl. KG, Urteil vom 25. 4. 2005 – 12 U 123/04, NZV 2005, 636).

Nach diesen Grundsätzen liegt hier kein Verstoß gegen § 35 Abs. 8 StVO vor. Die im Vergleich zur angeordneten Geschwindigkeit von 30 km/h überhöhte Geschwindigkeit von 75 km/h begründet keinen Verstoß, denn es handelte sich, wie der Zeuge ausgeführt hat, an der Unfallstelle um eine gut einsehbare Hauptstraße. Zu berücksichtigen ist insoweit bei der Beurteilung des § 35 Abs. 8 StVO auch, dass der Zeuge S. als Linksabbieger ohnehin aufgrund der doppelten Rückschaupflicht beim Linksabbiegen (§ 9 Abs. 1 Satz 4 StVO) sich vor dem Abbiegen des rückwärtigen Verkehrs hätte versichern müssen. Selbst wenn er Martinshorn und Blaulicht nicht wahrgenommen hätte, durfte die Fahrerin des Beklagtenfahrzeugs darauf vertrauen, dass der Überholvorgang auf der Gegenspur jedenfalls bei Beachtung des § 9 Abs. 1 Satz 4 StVO nicht gefährdet ist. Denn Gegenverkehr war unstreitig nicht vorhanden.

Auch eine Haftung aus § 7 StVG ist nicht gegeben. Im Rahmen der bei einem Verkehrsunfall zweier Kraftfahrzeuge erforderlichen Abwägung gemäß § 17 Absatz 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Absatz 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (vgl. BGH, NZV 1996, S. 231).

Während hier der Beklagten aufgrund der Inanspruchnahme von Sonderrechten aus § 35 Abs. 5a StVO (vgl. vorstehende Ausführungen) kein die Betriebsgefahr steigernder Verkehrsverstoß zur Last zu legen ist, hat der Fahrer des klägerischen Fahrzeugs, der Zeuge S., gegen § 38 Abs. 1 StVO verstoßen, indem er nicht „freie Bahn” gemacht hat. Auf welche Weise dem Wegerechtsfahrzeug freie Bahn zu schaffen ist, hängt von den Umständen des Einzelfalles ab, wobei der Ausschluss einer Behinderung des Wegerechtsfahrzeugs alleinige Richtschnur für das Verhalten der übrigen Verkehrsteilnehmer sein muss (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 11.11.1991 – 1 U 129/90, NZV 1992, 489). Dem Ansatz der Klägerin, der Fahrer ihres Fahrzeugs habe durch das Linksabbiegen „freie Bahn” schaffen wollen, folgt der Senat nicht. Denn die Gegenspur, die vom Rettungsfahrzeug genutzt wurde, war unstreitig frei, das Linksabbiegen zur Schaffung der freien Bahn also nicht erforderlich. Im Zweifel hätte der Zeuge, sofern für das Ausweichen nach rechts kein genügender Platz vorhanden war, mit dem Fahrzeug einfach stehen bleiben müssen (vgl. Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke/Heß, 27. Aufl. 2022, StVO § 38 Rn. 4 unter Hinweis auf KG, VM 1981, 108).

Nach alledem ist die Berufung offensichtlich unbegründet.

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