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Verkehrsunfall – Schadensersatz für eine beschädigte beförderte Sache

Oberlandesgericht Jena – Az.: 4 U 208/19 – Urteil vom 19.09.2019

(abgekürzt nach § 313a Abs. 1 ZPO)

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Erfurt vom 31.01.2019, Az.<. 10 O 857/18, wird zurückgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Urteil des Landgerichts Erfurts vom 31.01.2019, Az. 10 O 857/18, ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

Die Klägerin begehrt von der beklagten Versicherung Schadensersatz für einen elektrisch betriebenen Rollstuhl des Herstellers C. mit elektrischem Zusatzantrieb Typ „Z“, der bei einem Verkehrsunfall des Versicherungsnehmers der Beklagten in dessen Wohnwagen beschädigt worden war.

I.

Von der Darstellung des Tatbestands wird abgesehen (§ 540 Abs. 2, § 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO).

II.

Der Klägerin steht kein Anspruch aus § 7 Abs. 1, § 8 Nr. 3 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG auf Ersatz des geltend gemachten Schadens zu, da es sich bei dem Rollstuhl um eine Sache handelt, für die eine Versicherungsleistung durch die Klausel A 1.5.5 der Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Versicherung (AKB 2008), die im Versicherungsvertragsverhältnis zwischen der Beklagten und ihrem Versicherungsnehmer Anwendung findet, ausgeschlossen wurde.

1. Die Ausschlussklausel in A 1.5.5 AKB 2008 lautet:

„Kein Versicherungsschutz besteht bei Schadensersatzansprüchen wegen Beschädigung, Zerstörung oder Abhandenkommen von Sachen, die mit dem versicherten Fahrzeug befördert werden.

Verkehrsunfall - Schadensersatz für eine beschädigte beförderte Sache
(Symbolfoto: Von Sorapop Udomsri/Shutterstock.com)

Versicherungsschutz besteht jedoch für Sachen, die Insassen eines Kraftfahrzeugs üblicherweise mit sich führen (z.B. Kleidung, Brille, Brieftasche). Bei Fahrten, die überwiegend der Personenbeförderung dienen, besteht außerdem Versicherungsschutz für Sachen, die Insassen eines Kraftfahrzeugs zum Zwecke des persönlichen Gebrauchs üblicherweise mit sich führen (z.B. Reisegepäck, Reiseproviant). Kein Versicherungsschutz besteht für Sachen unberechtigter Insassen.“

Diese Klausel ist als Bestandteil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Beklagten aus Sicht und mit dem Horizont eines verständigen Versicherungsnehmers auszulegen (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 – IV ZR 229/93 –, Rn. 9, juris; Klimke, in: Prölss/Martin, VVG, 30. Auf. 2019, Vorbemerkungen zu den AKB 2008 Rn. 1). Ein solcher Versicherungsnehmer wird diese Klausel ohne Weiteres so verstehen, dass grundsätzlich alle Schäden an Sachen, die in dem verunfallten Fahrzeug „befördert“, also mitgenommen, werden, von dem Versicherungsschutz ausgeschlossen sind, sofern keine Ausnahme aus A 1.5.5 Satz 2 und Satz 3 AKB 2008 eingreift.

2. Zwar stellt nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes eine „beförderte Sache“ keinen in der Rechtssprache fest umrissenen Begriff dar, jedoch verstehe ein Versicherungsnehmer unter dem Befördern einer Sache, dass diese mit Hilfe eines hierfür eingesetzten Transportmittels von einem Ort zum anderen gebracht wird (vgl. BGH, Urteil vom 29. Juni 1994 – IV ZR 229/93 – Rn. 9 f., juris). Der Vorgang der Beförderung besteht also in einer Handlung, die – objektiv – eine Ortsveränderung der Sache bewirkt, und die – subjektiv – mindestens in dem Bewusstsein vorgenommen wird, dass die Bewegung des Transportmittels zu einer Ortsveränderung der Sache führt (vgl. BGH, a.a.O.). Der Risikoausschluss erfasst daher nur Transportschäden, die durch den zweckgerichteten Einsatz eines Fahrzeugs als Transportmittel entstanden sind. Unter „Befördern“ ist dabei nicht nur der Transport zu unternehmerischen Zwecken zu verstehen, sondern auch, wenn das Fahrzeug im privaten Bereich als Transportmittel verwendet wird (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 31. August 2000 – 2 U 553/00 – Rn. 7, juris). Daher genügt für die Anwendung des Ausschlusstatbestands zunächst, wenn das Fahrzeug auch zum Transport bzw. zur Mitnahme von Sachen, etwa von Gepäckstücken, genutzt wird. In diesem Sinne wurde der in dem Wohnwagen befindliche Rollstuhl, der am Urlaubsziel des Versicherungsnehmers zum Einsatz gelangen sollte, befördert und unterfällt daher grundsätzlich der Ausschlussklausel.

3. Die Ausnahmeregelung in Satz 2 der Klausel A 1.1.5 AKB 2008 greift nicht ein, weil es sich bei dem mitgeführten Rollstuhl nicht um eine Sache handelt, die „Insassen eines Fahrzeugs üblicherweise mit sich führen“.

(1) Die Formulierung „üblicherweise mit sich führen“ ist ebenfalls aus Sicht eines verständigen Versicherungsnehmers auszulegen. Sie könnte zunächst als deutliche Erweiterung des versicherten Risikos verstanden werden, auch weil die Aufzählung in dem Klammerzusatz („z.B. Kleidung, Brille, Brieftasche“) nicht abschließend ist. Jedoch wird gerade durch diesen Klammerzusatz verdeutlicht, dass nur solche Sachen versichert sein sollen, die Fahrzeuginsassen typischerweise am Körper tragen oder zu denen zumindest eine engere Beziehung als zu gewöhnlichem Reisegepäck besteht (vgl. OLG Nürnberg, Urteil vom 31. August 2000 – 2 U 553/00 – Rn. 8, juris). Dies ergibt sich vor allem aus dem Rückschluss aus Satz 3 der Klausel A 1.5.5 AKB 2008, denn durch diese Regelung wird die Leistungspflicht des Versicherers nochmals zusätzlich erweitert für Schäden an Gegenständen, die üblicherweise dem persönlichen Gebrauch von beförderten Personen dienen. Für den Versicherungsnehmer ist dieser abgestufte Versicherungsumfang auch verständlich. Der Grund für diese Differenzierung liegt erkennbar darin, dass die Kraftfahrzeughaftpflichtversicherer regelmäßig keine allgemeine Sachversicherung für alle von Fahrzeuginsassen mitgeführten Gegenstände anbieten wollen und hierzu nach § 4 KfzPflVV auch nicht verpflichtet sind. Die Geschädigten sind in diesen Fällen auch nicht schutzlos gestellt, da ihnen einerseits Ansprüche aus Delikt gegenüber dem Schädiger zustehen können und andererseits mitgeführte Sachen anderweitig versichert werden können, z.B. in einer Hausratversicherung, Transportversicherung oder Reiseversicherung.

Die Abgrenzung des versicherten Risikos ist ferner objektiv („üblicherweise“) und nicht subjektiv aus Sicht des Geschädigten zu treffen (vgl. Maier, in: Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung, 19. Aufl. 2017, AKB A. 1 Rn. 254; Klimke, a.a.O.). Daher kommt es auf die Frage, ob der Versicherungsnehmer aus medizinischen Gründen auf den mitgeführten Rollstuhl angewiesen war, nicht an.

In der versicherungsrechtlichen Rechtsprechung und Literatur wird wegen des nicht eindeutigen Wortlauts der Klausel eine differenzierte, aber nicht einheitliche Auslegung der Ausnahmeregelung in A 1.5.5 Satz 2 AKB 2008 vorgenommen (vgl. Klimke, a.a.O. AKB A 1.5 Rn. 20; Maier, a.a.O. ; ders., in: Langheid/Wandt, Münchener Kommentar zum VVG, Bd. 2, 2011, Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung Rn. 74; Kreuter-Lange, in: Halm/Kreuter/Schwab, AKB-Kommentar, 2015, A.1.5.5: Rn. 3; ders., in: Himmelreich/Halm/Staab, Handbuch der Kfz-Schadesregulierung, 4. Aufl. 2018, Kapitel 22 Rn. 214; Heß/Höke, in: Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechtshandbuch, 3. Aufl. 2015, § 29 Rn.: 61; Breideneichen, r+s 2013, S. 417; LG Erfurt, NZV 2013, S. 400, im Anschluss daran: Verweise auf weitere Rechtsprechung).

Der im hiesigen Verfahren zu beurteilende Rollstuhl ist auch unter Berücksichtigung dieser teilweise unterschiedlich nuancierten Abgrenzungen eindeutig nicht von dem Versicherungsschutz umfasst. Denn nach den von der Berufung nicht angegriffenen und damit für den Senat bindenden Feststellungen des Landgerichts auf Seite 4 des Urteils (vgl. Bl. 71) wiegt der Rollstuhl im zusammengebauten und betriebsfähigen Zustand etwas über 40 Kilogramm. Im zerlegten und zusammengefalteten Zustand kommt der Rollstuhl noch auf 15 bis 20 Kilogramm, die Antriebselemente mit Antrieb dementsprechend mindestens auf ca. 20 bis 25 Kilogramm. Mit diesem Gewicht und mit seinen Ausmaßen stellt der Rollstuhl keine Sache mehr dar, die von Fahrzeuginsassen üblicherweise und ohne Weiteres in der Fahrzeugkabine oder im Kofferraum – anders als ein herkömmlicher klappbarer Standard-Rollstuhl oder ein Rollator – mitgenommen wird. Dies gilt auch dann, wenn der Rollstuhl in einem Anhänger oder in einem Wohnwagen verstaut wird.

(2) Auch die bei der Auslegung der Ausschlussklausel zu berücksichtigende Gesetzesentwicklung, insbesondere die Reform des Straßenverkehrsgesetzes im Jahr 2002, ändert an diesem Ergebnis nichts. Ausgangspunkt der Haftung für beförderte Personen und Sachen war eine Gesetzesänderung im Jahr 1957 (BGBl I 1957, 710), bei der § 8a StVG a.F. in das Straßenverkehrsgesetz eingefügt wurde. Diese Norm sah die Haftung für eine im Kraftfahrzeug beförderte und verletzte Person vor, wenn diese entgeltlich und geschäftsmäßig befördert worden war. Mit dem Kraftfahrzeug beförderte Sachen unterlagen der Haftung des § 7 StVG nur dann, wenn eine entgeltlich und geschäftsmäßig beförderte Person die Sache an sich getragen oder mit sich geführt hatte. Durch die Gesetzesreform im Jahr 2002 wurde die Haftung des Fahrers auf die Verletzung und Tötung von Fahrzeuginsassen, die nicht entgeltlich und geschäftsmäßig befördert werden, ausgedehnt (vgl. §§ 7, 8a StVG, § 4 KfzPflVV, BT-Drs. 14/7752 S. 31). Hinsichtlich beförderter Sachen sollte die Neufassung des § 8 Nr. 3 StVG vor dem Hintergrund der erweiterten Insassenhaftung vorsehen, dass diese grundsätzlich nicht der Gefährdungshaftung nach § 7 StVG unterliegen, es sei denn, sie unterfallen der in § 8 Nr. 3 StVG mitgeregelten Ausnahme („an sich tragen oder mit sich führen“, vgl. BT-Drs. 14/7752 S. 31, § 4 KfzPflVV). Aus den Gesetzesmaterialien geht auch hervor, dass der Gesetzgeber davon ausging, dass statt der Gefährdungshaftung bei beförderten Sachen der Beförderungsvertrag und bei sonstigen Sachen das allgemeine Deliktsrecht die Grundlage der Haftung sein soll (vgl. BT-Drs. 14/7752 S. 31). Mit der Neuregelung soll nach dem Willen des Gesetzgebers zudem ein Haftungsgleichklang mit dem Bahnbetriebsunternehmer nach § 1 Abs. 3 Satz 2 HPflG hergestellt werden (vgl. BT-Drs. 14/7752, S. 31).

Diese Genese bedeutet für die Auslegung der Klausel A 1.5.5 AKB (2008), dass sie in Anlehnung an § 1 Abs. 3 Satz 2 HPflG (dazu: Filthaus, Haftpflichtgesetz, 9. Aufl. 2015, Rn. 188: Handgepäck, z.B.: Koffer, Stöcke, Fahrräder, Skier, Kinderwagen) weiter auszulegen sein dürfte, als dies bisher in der Rechtsprechung und Literatur angenommen wurde. Gleichwohl ist der hier zu beurteilende Rollstuhl auch bei einer derart erweiterten Auslegung nicht von der Ausnahmeregelung des Satzes 2 der Klausel 1.5.5 AKB 2008 umfasst, weil er wegen seiner Ausmaße und seines Gewichts gerade kein typisches Handgepäck oder einen damit vergleichbaren Gegenstand darstellt.

3. Die weitere Ausnahmeregelung in Satz 3 der Klausel 1.5.5 AKB 2008 führt ebenfalls nicht zu einem Anspruch der Klägerin. Der Versicherungsnehmer, der den Rollstuhl für seine eigenen Zwecke mitführte, war als Fahrer des verunglückten Kraftfahrzeugs keine beförderte Person im Sinne dieser Regelung.

Damit kann die Berufung insgesamt keinen Erfolg haben.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10, § 713 ZPO, § 26 Nr. 8 EGZPO. Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen.

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