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Verkehrsunfall – Schmerzensgeld bei Schädelhirntrauma – Lockerung eines künstlichen Hüftgelenks

LG Görlitz –  Az.: 6 O 382/11 –  Urteil vom 17.12.2013

1. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 4.540,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.02.2011 zu zahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten als Gesamtschuldner verpflichtet sind, dem Kläger 2/3 seiner materiellen und unter Berücksichtigung einer Mithaftungsquote von 1/3 seine immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihm aus dem Verkehrsunfall vom 21.07.2010 noch entstehen werden, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.

3. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

4. Von den Kosten des Rechtsstreits haben der Kläger 2/3 und die Beklagten als Gesamtschuldner 1/3 zu tragen.

5. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Parteien streiten wegen der Folgen eines Verkehrsunfalls, der sich am 21.07.2010 gegen 11:15 Uhr auf dem Gehweg in Höhe des Grundstücks … ereignete.

Der Kläger befuhr mit seinem Fahrrad den als Radweg freigegebenen Gehweg aus Richtung … kommend in Richtung … . Der Beklagte zu 2, der als Angestellter der Beklagten zu 1 zu diesem Zeitpunkt mit einer Postzustellung auf dem Grundstück … in … beschäftigt war, kam aus der Toreinfahrt und ging Richtung Postfahrzeug, welches in Höhe des Grundstücks abgestellt war. Dabei stieß er mit dem Kläger zusammen. Aufgrund des Sturzes zog sich der Kläger ein Schädel-Hirn-Trauma 1. Grades sowie eine Hüftgelenkskontusion rechts mit Hämatom zu. Streitig zwischen den Parteien ist, ob sich der Kläger darüber hinaus eine Lockerung seines künstlichen Hüftgelenkes rechts bzw. eine Fraktur des Trochanter major rechts zugezogen hat.

Der Kläger trägt vor, dass der Beklagte zu 2 sich nicht vergewissert habe, dass er keinen Querverkehr behindere, als er vom Grundstück zum Postauto zurückgegangen sei. Er habe ihn förmlich umgerannt. Aufgrund des Unfalls leide er bis zum heutigen Tag unter sehr starken Schmerzen im Bereich der rechten Hüfte. Weiterhin leide er unter erheblichen Kopfschmerzen, da er auf den Kopf und die rechte Körperseite gefallen sei. Aufgrund des Unfalls könne er auch nur noch kleinere Strecken zu Fuß zurücklegen. Im Hinblick auf die lang andauernde Behandlung sowie die erlittenen Verletzungen sei auch unter Berücksichtigung des von den Beklagten gezahlten Betrages von 2.500,- EUR noch ein Schmerzensgeld von 13.500,- EUR gerechtfertigt. Darüber hinaus seien ihm die Beklagten aufgrund der Beschädigung seines Fahrrades und seiner Fahrradbekleidung, Kosten für die in Anspruch genommene Reiserücktrittskostenversicherung, Kosten für einen Befundbericht sowie aufgrund einer Strafzahlung für seinen Anglerverein zum Schadensersatz von insgesamt 529,- EUR verpflichtet. Auch sei noch nicht absehbar, wann er vollständig genesen sein werde bzw. ob dies überhaupt jemals der Fall sein werde.

Der Kläger beantragt,

1. die Beklagten zahlen gesamtschuldnerisch an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von mindestens weiteren 13.500,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 22.07.2010;

2. die Beklagten zahlen gesamtschuldnerisch an den Kläger einen weiteren Schaden in Höhe von mindestens 529,- EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der EZB seit 22.07.2010;

3. festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch sämtlichen weiteren Schaden des Klägers aus dem Verkehrsunfall zu tragen haben;

4. die Beklagten zahlen gesamtschuldnerisch an den Kläger weitere 899,40 EUR vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz der EZB seit Rechtshängigkeit.

Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.

Schmerzensgeld bei Schädelhirntrauma - Lockerung eines künstlichen Hüftgelenks
Symbolfoto: Von RossHelen /Shutterstock.com

Sie sind der Auffassung, dass auch ohne ein Verschulden alleine unter dem Gesichtspunkt der Ursächlichkeit der Kläger sich einen Mithaftungsanteil in Höhe von mindestens 50 % entgegenhalten müsse. Wenn dem gegenüber noch die Verstöße gegen das Rechtsfahrgebot und das Gebot des Fahrens auf Sicht berücksichtigt würden, würde den Kläger die überwiegende Haftung in Höhe von 80 % treffen, wenn nicht sogar von seiner alleinigen Haftung auszugehen sei. Was die vom Kläger behaupteten Verletzungen und das zu Grunde gelegte Schmerzensgeld anbelange, so würde sich aus dem Entlassungsbericht vom 22.07.2010 lediglich ein Schädel-Hirn-Trauma und eine Hüftgelenkskontusion ergeben, die glücklicherweise spätestens innerhalb von 3 Monaten nach dem Unfallereignis abgeklungen seien. Weitergehende Beeinträchtigungen, auf die sich der Kläger berufe, seien entweder gar nicht eingetreten bzw. beruhten nicht auf dem Unfallereignis. Aufgrund des gezahlten Betrages von 2.500,- EUR seien unter Berücksichtigung der erheblichen Mithaftungsquote der Klägerseite alle berechtigten Ersatzansprüche im Wege der Erfüllung erloschen. Zudem sei unfallbedingt nicht mit einer Verschlimmerung des Gesundheitszustandes des Klägers zu rechnen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen. Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen … und … sowie durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 10.04.2012 sowie auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. … vom 09.09.2013 Bezug genommen. Die Akte des Landratsamtes … Az. … wurde beigezogen und war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist nur teilweise begründet.

Der Kläger kann von den Beklagten aufgrund §§ 823Abs. 1, 831 Abs. 1 BGB die Zahlung eines Schmerzensgeldes von weiteren 4.500,- EUR verlangen. Darüber hinaus waren ihm die Beklagten unter Berücksichtigung eines Mitverschuldens von einem Drittel zum Ersatz seines materiellen Schadens in Höhe von 40,- EUR verpflichtet. Auch dem Feststellungsbegehren war für zukünftige Schäden unter Berücksichtigung dieser Mithaftungsquote zu entsprechen.

Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Unfall auf ein fahrlässiges Verhalten des Zweitbeklagten zurückzuführen ist. Denn er hat die im Verkehr erforderliche Sorgfalt außer Acht gelassen, als er vom Grundstück … Straße auf den Gehweg in Richtung Postfahrzeug gegangen ist. Hätte er sich vor Betreten des Gehweges vergewissert, ob von rechts oder links Verkehr naht, hätte er den Kläger mit seinem Fahrrad erkennen und den Unfall vermeiden können.

Aber auch der Kläger hat durch schuldhaftes Verhalten zu dem Unfall beigetragen (§ 254 Abs. 1 BGB). Denn auch er hatte als Benutzer eines Fußgängerweges, der zugleich als Radweg freigegeben war, mit der entsprechenden Sorgfalt darauf zu achten, dass Fußgänger von den angrenzenden Grundstücken nicht unbedacht den Gehweg betreten. Er durfte sich insbesondere nicht bedingungslos darauf verlassen, dass ihm solche Fußgänger den Vorrang einräumen werden. Dies gilt insbesondere wie im vorliegenden Fall bei schlecht einsehbaren Grundstückszugängen. Insoweit oblag es ihm auch, nur so schnell zu fahren, dass er vor einem plötzlich auftauchenden Hindernis anhalten konnte (vgl. KG Berlin, Urteil vom 05.07.2007, Az. 12 U 195/05). Dieser Sorgfaltspflicht ist der Kläger nicht nachgekommen. Denn wie er auch bei seiner polizeilichen Aussage erklärte, hat er sein Fahrrad „rollen lassen“, weil die Unfallstelle in Richtung Radeberg ein Gefälle aufweist. Hinzu kommt, dass in unmittelbarer Nähe zum Grundstückszugang das Postfahrzeug abgestellt war und der Kläger deswegen mit einem Postzusteller rechnen musste, weshalb eine vorsichtige Fahrweise geboten war. Unter Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge erschien es im vorliegenden Fall angemessen, eine Haftungsverteilung im Verhältnis von 1/3 zu 2/3 zu Lasten der Beklagten vorzunehmen. Denn das unbedachte Verhalten des Beklagten zu 2 stellt die wesentliche Ursache des Unfalls dar.

Bei der Bemessung des Schmerzensgeldes waren einerseits die Schwere der Verletzungen, die Dauer der Behandlung sowie die Folgen des Unfalls für den Kläger zu berücksichtigen. Insoweit geht das Gericht davon aus, dass die Lockerung der Prothese durch das Unfallereignis entstanden ist. Zwar führte der Sachverständige in seinem Gutachten aus, dass diese Frage von ihm nicht eindeutig beantwortet werden könne. Aufgrund der nachgewiesenen Fraktur am Trochanter major könne man jedoch davon ausgehen, dass hier eine relevante Krafteinwirkung auf das Hüftgelenk und auch die Prothese eingewirkt habe. Wenngleich der Sachverständige auch ausgeführt hat, dass die Lockerung einer Hüftprothese ein Prozess sei, der sehr langsam ablaufe, ist das Gericht zu der Überzeugung gelangt, dass das Unfallereignis für die Lockerung der Hüftprothese ursächlich war, weil auch nach den Darlegungen des Sachverständigen keine konkurrierende Ursachen für eine Lockerung den Krankheitsunterlagen des Klägers entnommen werden können (§ 287 ZPO). Darüber hinaus war auch aufgrund der weiteren Ausführungen des Sachverständigen, denen sich das Gericht ebenfalls aufgrund eigener Überzeugungsbildung angeschlossen hat, zu berücksichtigen, dass zwar vor dem Unfall Schmerzen im rechten Hüftgelenk beim Kläger vorgelegen haben, diese jedoch aufgrund des Unfalls zugenommen haben.  Ebenso hat der Sachverständige dargetan,   dass es aufgrund des Unfalls zu einer Verschlechterung beim Fahrradfahren sowie bei der Gehstrecke, die der Kläger zurücklegen kann, gekommen sei. Eine Einschränkung der Lebensqualität ist aufgrund des Unfalls gegeben. Andererseits konnte das nicht unerhebliche Mitverschulden des Klägers am Unfall nicht unberücksichtigt bleiben. Das Gericht ist daher der Auffassung, dass – auch unter Berücksichtigung gleichartig gelagerter Fälle – ein Schmerzensgeld von 7.000,- EUR der Ausgleichs- und Sühnefunktion des Schmerzensgeldes angemessen gerecht wird.

Was den darüber hinaus geltend gemachten Schadensersatzanspruch anbelangt, so hielt das Gericht unter Berücksichtigung des Mitverschuldens des Klägers von 1/3 für die Beschädigung am Fahrrad, für die zerrissene Fahrradbekleidung sowie für die Erstellung eines Befundberichtes den Betrag von 40,- EUR für angemessen (§ 287 ZPO). Einen weitergehenden Schadensersatzanspruch hat der Kläger nicht dargetan. Dass sein Fahrrad leicht beschädigt wurde, ergibt sich aus den Lichtbildern der beigezogenen Akte. Diesbezüglich geht das Gericht davon aus, dass seine Kleidung aufgrund des Sturzes auch in Mitleidenschaft gezogen wurde. Was die Prämie für die Reiserücktrittskostenversicherung anbelangt, so handelt es sich hierbei um Sowieso-Kosten. Auch die Strafzahlung für den Anglerverein ist nicht nachvollziehbar. Zum einen erscheint eine solche Zahlung angesichts des Unfalls des Klägers unangemessen. Zum anderen hätte der Kläger auch unter Berücksichtigung seiner Schadensminderungspflicht bereits vor dem Unfall die Arbeitsstunden ableisten können.

Von dem hiernach dem Kläger zustehenden Betrag von 7.040,- EUR war der von den Beklagten an ihn bereits gezahlte Betrag von 2.500,- EUR in Abzug zu bringen. Der insoweit zuerkannte Zinsanspruch beruht auf §§ 286Abs. 1, 288 BGB, wobei die Beklagten erst aufgrund des Schriftsatzes vom 31.01.2011 mit Fristsetzung bis 10.02.2011 in Verzug geraten sind.

Darüber hinaus war auch dem Feststellungbegehren in dem zuerkannten Umfange für zukünftige Schäden zu entsprechen. Für die Feststellung der Ersatzpflicht für künftige immaterielle Schäden genügt die nicht eben entfernt liegende Möglichkeit, dass künftig weitere, bisher noch nicht erkenn- und voraussehbare Leiden auftreten können (BGH NJW-RR 1989, 1367). Dies ist angesichts der Verletzungen, die sich der Kläger zugezogen hat, hier der Fall.

Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten konnten dem Kläger nicht zuerkannt werden. Denn er hat nicht dargetan, dass ihm sein Prozessbevollmächtigter eine Berechnung gestellt hat, die gemäß § 10 Abs. 1 RVG Fälligkeitsvoraussetzung ist, und die er beglichen hat.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.

 

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