LG Lübeck, Az.: 12 O 148/10, Urteil vom 17.11.2011
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger ein über den gezahlten Betrag in Höhe von 3.500,00 € hinausgehendes Schmerzensgeld von weiteren 11.500,00 € zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 22.01.2010.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.788,08 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.03.2010 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 04.10.2009 mit dem Beklagten zu 1. mit dem bei der Beklagten zu 2. versicherten Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … bei Gudow entstanden ist und noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einem Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 1.751,26 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 21.03.2010 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Beklagten zu 97 %, der Kläger zu 3% .
Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Tatbestand
Der Kläger macht gegen den Beklagten zu 1) als Fahrer des Pkw Opel Omega mit dem amtlichen Kennzeichen …, welches bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war, Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, der sich am 04.10.2009 – einem Sonntag – auf der L 204 zwischen Gudow und Hollenbek ereignet hat.
Der Kläger ist Triathlet und befand sich auf einer Trainingsfahrt mit seinem Rennrad. Der Beklagte verfügt über keinen Führerschein.
In der Kurve, in der sich die Abzweigung nach Kehrsen befindet, ereignete sich eine Kollision zwischen dem auf seinem Fahrrad fahrenden Kläger und dem Beklagten zu 1). Der nähere Unfallhergang ist zwischen den Parteien streitig. Bezüglich der Unfallörtlichkeiten wird auf die Unfallskizzen im Sachverständigengutachten vom 07. Juni 2011 Blatt 135 ff. d. A. Bezug genommen.
Der Kläger erlitt bei dem Unfall lebensgefährliche Verletzungen: ein Schädelhirntrauma 2. Grades mit rechts frontalen Kontusionen, ein Thoraxtrauma mit Rippenserienfrakturen, ein Hämatopneumothorax beidseits, eine distale Radiusfraktur links, eine Querfortsatzfraktur an den Brustwirbelkörpern 2, 3, und 6 sowie eine Fraktur des Brustwirbelkörpers 9, eine Schulterblattfraktur und Schürfwunden. Der Kläger wurde durch einen Notarzt erstversorgt und dann per Hubschrauber in das Berufsgenossenschaftliche Unfallkrankenhaus H B geflogen. Nach einem Aufenthalt auf der Intensivstation bis zum 16.10. und auf der peripheren unfallchirurgischen Station bis zum 28.10.2009 konnte der Kläger aus dem Krankenhaus entlassen werden. Wegen der Einzelheiten der Behandlung wird auf den Arztbericht vom 28.10.2009 (Blatt 24 ff. d. A.) verwiesen.
Der Beklagte zu 1) ist durch Urteil des Strafrichters am Amtsgericht Ratzeburg (Az. 13 Ds 44/10) am 6.7.2010 wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis in Tateinheit mit fahrlässiger Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil ist rechtskräftig.
Der Kläger meldete mit Schreiben vom 07.01.2010 unter Fristsetzung von zwei Wochen Ansprüche bei der Beklagten zu 2) an (Bl. 16 d.A.)
Die Parteien korrespondierten über eine Regulierung der dem Kläger entstandenen Schäden, die Beklagte zu 2) regulierte von ihr anerkannte Schadenspositionen in Höhe von 50 % und zahlte 3.500,00 € auf den Schmerzensgeldanspruch des Klägers.
Im Einzelnen wurden vorgerichtlich folgende Positionen reguliert:
…………………..
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe den Pkw mit einer Geschwindigkeit von 70 km/h geführt und gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen. Unstreitig ist, dass der Beklagte einräumt „nicht möglichst weit rechts gefahren zu sein“. Der Kläger behauptet, dass er sich auf der linken Seite der Straße gehalten habe, er kenne diesen Straßenabschnitt gut und schneide grundsätzlich keine Kurven. Er habe zu einem Schneiden der Kurve auch deswegen keine Veranlassung gehabt, weil er nicht auf Schnelligkeit trainiert habe, sondern auf Ausdauer.
Der Kläger macht vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.751,26 €, wegen deren Berechnung auf Bl. 13 d.A. verwiesen wird, sowie die Kosten für die Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung in Höhe von 213,72 €, wegen deren Berechnung auf Bl. 14 d.A. verwiesen wird – geltend.
Die Parteien haben nach Zahlung durch die Beklagte den Rechtsstreit in Höhe von 220,40 € übereinstimmend für erledigt erklärt.
Der Kläger beantragt, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an den Kläger über den gezahlten Betrag in Höhe von 3.500,00 € hinausgehend eine angemessenes Schmerzensgeld für den Zeitraum vom 04.10.2009 bis zum 31.01.2010 zu zahlen, welches einen Betrag von 15.000,00 € insgesamt nicht unterschreiten sollte, nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 22.01.2010.
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 2.935,58 € Schadensersatz nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Festzustellen, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der dem Kläger aus dem Verkehrsunfall vom 04.10.2009 mit dem Beklagten zu 1. mit dem bei der Beklagten zu 2. versicherten Kraftfahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen … bei Gudow entstanden ist und noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 1.751,26 € (außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltsgebühren) nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an den Kläger 213,72 € (außergerichtlich entstandene Rechtsanwaltsgebühren) nebst 5 Prozentpunkte Zinsen über dem jeweiligen Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagten behaupten, der Kläger habe seinerseits das Rechtsfahrgebot missachtet und sich jenseits der gedachten Mittellinie der Straße befunden, wodurch es erst zur Kollision gekommen sei.
Die Beklagten meinen, dass der Kläger keine Erstattung der von ihm geleisteten Zuzahlungen an das Krankenhaus erwarten dürfe, da er in zumindest gleicher Höhe Kosten für seine Ernährung erspart habe. Als Leistungssportler ernähre er sich bewusst gesund und ausgewogen, was mit Kosten von mehr als 10,00 € täglich für Nahrungsmittel verbunden sei.
Ein Nutzungsausfall für das Fahrrad sei nicht angemessen, da es sich im Fall des Klägers nicht um ein Fortbewegungsgerät, sondern um ein Sportgerät handele, überdies habe ein Nutzungswille nicht bestanden, da der Kläger infolge der erlittenen Verletzungen das Rennrad nicht hätte benutzen können.
Das Schmerzensgeld sei übersetzt: der Kläger habe trotz seiner schweren Verletzungen im Mai dieses Jahres bereits wieder an einem Rennen, der „Run & Bike“ in … teilnehmen können, wo er den 4.ten Platz belegt habe. Die Tatsache, dass der Kläger aufgrund seiner hervorragenden körperlichen Konstitution von den erlittenen schweren Verletzungen schneller genesen sei, als es einem Durchschnittsbürger gelungen wäre, sei bemessungsrelevant.
Eine Unfallkostenpauschale sei in Höhe von 20-25,00 € angemessen.
Die Kammer hat die Ermittlungsakte 756 Js 51929/09 der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Lübeck beigezogen. Die Kammer hat im Termin vom 20.10.2011 den Kläger persönlich angehört. Es wird wegen des Ergebnisses verwiesen auf die Sitzungsniederschrift Blatt 93 ff. d. A.. Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einholung eines Unfallrekonstruktionsgutachtens. Es wird wegen des schriftlichen Gutachtens des Diplom-Ingenieurs S. S. verwiesen auf Blatt 136 ff. d. A..
Entscheidungsgründe
I. Die Klage ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet.
Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch gegen den Beklagten zu 1) aus § 18 StVG zu, die Beklagte zu 2) haftet dafür nach § 3 PflVG i. V. m. § 115 Abs. 1 Nr. 11 VVG.
Denn der Kläger wurde beim Betrieb des bei der Beklagten zu 2) versicherten und durch den Beklagten zu 1) geführten Kraftfahrzeuges an der Gesundheit verletzt und sein Eigentum beschädigt.
Der Beklagte haftet für die Unfallfolgen voll.
Denn es steht aufgrund seines Geständnisses fest, dass er unter Verletzung des Rechtsfahrgebotes den Unfall mitverursacht hat.
Dem Beklagten ist es nicht gelungen, zu beweisen, dass der Kläger seinerseits das Rechtsfahrgebot verletzte und sich im Kollisionszeitpunkt jenseits der gedachten Mittellinie der Straße befand. Diese für die Beklagten günstige Behauptung haben die Beklagten nicht zu beweisen vermocht. Der Sachverständige Diplom-Ingenieur S. kommt nach sorgfältiger Auswertung aller zu ihm zur Verfügung stehenden Anknüpfungstatsachen nicht zu dem Schluss, dass der Kläger seinerseits das Rechtsfahrgebot verletzt haben muss. Dies sei denkbar, aber nicht zwingend. Vor diesem Hintergrund ist den Beklagten der ihnen obliegende Beweis eines unfallursächlichen Beitrages des Klägers nicht gelungen. Sie haften daher zu 100 % für die dem Kläger entstandenen Folgen.
Der austenorierte materielle Schadensersatz berechnet sich wie folgt:
Von der Klageforderung waren im Hinblick auf materielle Schäden in Abzug zu bringen die geltend gemachte Zuzahlung zu den Krankenhauskosten (62,50 €) sowie die Nutzungsausfallentschädigung (75,00€) für das Fahrrad, sowie die Unfallkostenpauschale, soweit mehr als 25,00 € geltend gemachte wurden. Denn den Zuzahlungen zu den Kosten des Krankenhausaufenthaltes entsprechen regelmäßig ersparte Aufwendungen der Partei für Nahrung, Bettwäsche, Hygiene. Der Kläger war infolge der erlittenen Verletzungen zur Nutzung des Rennrades unmittelbar nach dem Unfall außerstande, und auch die für die Wiederbeschaffung erforderliche Zeit konnte er in der Zeit der Genesung, in welcher er noch nicht wieder Sport treiben konnte aufwenden. Eine Unfallkostenpauschale ist nach der Rechtsprechung der Kammer regelmäßig in Höhe von 25,00 € erstattungsfähig.
Es verbleibt daher bei einem erstattungsfähigen Gesamtschaden von 5.875,16 €, von welchen Zahlungen der Beklagten in Höhe von 3.087,08 € in Abzug zu bringen sind, was 2.788,08 € entspricht.
Im Übrigen war die Klage wegen materieller Schadenspositionen in der Hauptsache abzuweisen.
Dem Kläger steht weiter ein Schmerzensgeld in Höhe von insgesamt 15.000,00 € zu, so dass dem Klageantrag uneingeschränkt zu entsprechen war.
Der Kläger erlitt beim Verkehrsunfall lebensgefährliche Verletzungen, wie sich aus dem Arztbericht des Unfallkrankenhauses Boberg ergibt. Der Kläger musste intubiert und beatmet werden, die Verletzungen am Brustkorb waren so schwerwiegend, dass es beidseitig zur Ausbildung eines Pneumothorax gekommen war. Der Kläger hatte sich mehrere Brüche an Wirbelkörpern zugezogen, die zum Glück verheilten, wenn auch asymetrisch. Die Verletzungen im Kopfbereich führten zunächst zu einem blanden hirnorganischen Psychosyndrom mit Perseveration und gesteigerter Reizbarkeit und affektiver Verstimmtheit. Die Fraktur des Speichenknochens am linken Unterarm musste offen reponiert und mit einer Plattenosteosynthese versorgt werden. Der Kläger wurde vom 4.10. bis zum 16.10.2009 auf der Intensivstation behandelt, weitere 12 Tage auf der allgemeinen unfallchirurgischen Station schlossen sich an. Die Anhörung des Klägers in der Verhandlung vom 28.10.2010 hat zur Überzeugung der Kammer ergeben, dass der Kläger nach wie vor unter folgenden Beschwerden leidet: Blockaden an der Wirbelsäule, Atemschwierigkeiten, eingeschränkte Kraftentwicklung am linken Unterarm und in der linken Hand, sowie am linken Daumen, Schmerzen in den Narben bei Wetterumschwüngen und eine reduzierte Merkfähigkeit. In Anlehnung an die Entscheidung des KG vom 30.5.1991 (12 U 2228/90, nachgewiesen bei Hacks/Ring/Böhm Nr. 30.1224) erscheint ein Schmerzensgeld von insgesamt 15.000,00 € angemessen. In dem vom KG zu entscheidenden Fall hatte die Verletzte nur ein Schädelhirntrauma ersten Grades erlitten – die Verletzung des Klägers war schwerer – darüber hinaus jedoch Verletzungen am Becken, welche sich in einer Beeinträchtigung des Geh- und Sitzvermögens äußerten, was beim Kläger nicht der Fall ist, der einen Dauerschaden im Bereich des linken Armes davon getragen hat. Es war vor diesem Hintergrund von dem um einen Mitverschuldensanteil der dortigen Klägerin bereinigten und indizierten Betrag von 16.442,00 € ein Abschlag gerechtfertigt.
Der Kläger hat daher Anspruch auf Erstattung der auf den Gesamtgegenstandswert von 15.000 + 5.875,16 € + 6000,00 € Feststellungsantrag = 26.875,16 € entfallenden Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.364,40 € nebst Fotokopierkosten, Auslagen für Akteneinsicht, Post- und Telekommunikationspauschale und Mehrwertsteuer, so dass sich 1.751,26 € ergeben.
Dagegen kann der Kläger keine Kosten für die Einholung der Deckungszusage der Rechtsschutzversicherung verlangen, da der Schutzzweck des § 249 BGB diese Position nicht umfasst. Wie das Oberlandesgericht Karlsruhe in seinem Urteil vom 13.10.2011 (1 U 105/11, zitiert nach juris) zutreffend ausführt, ist die Unterhaltung einer Rechtschutzversicherung (zum Schutz gegen die Kostenlast bei Geltendmachung unbegründeter Forderungen oder bei Inanspruchnahme als Zweitschuldner trotz erfolgreicher Rechtsverfolgung) vom konkreten Verkehrsunfall als haftungsauslösendem Umstand unabhängig. Es ist nicht einzusehen, weshalb der Kläger nicht selbst die Deckungszusage einholen konnte und er sich dazu anwaltlicher Hilfe bedienen musste.
Dem Kläger stehen Prozesszinsen im tenorierten Umfang als Verzugszinsen nach den §§ 288, 286 BGB zu.
Der Feststellungsantrag war antragsgemäß zu bescheiden, da nicht auszuschließen ist, dass sich aus den schweren Verletzungen Folgeschäden entwickeln können, die heute nicht absehbar sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92, 91a ZPO. Im Umfang des übereinstimmend für erledigt erklärten Teiles waren dem Kläger die Kosten aufzuerlegen, weil ein sofortiges Anerkenntnis der Beklagten vorlag und die Inanspruchnahme der Beklagten im Klagewege in Höhe von 220,40 € ohne vorherige vorgerichtliche Inanspruchnahme überflüssig war.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.