Oberlandesgericht Hamburg – Az.: 15 U 15/12 – Beschluss vom 27.02.2012
Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Hamburg vom 21.10.2011, Aktenzeichen 310 O 155/11, durch einstimmigen Beschluss gem. § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.
Die Klägerin kann hierzu binnen 2 Wochen Stellung nehmen.
Gründe
Die Berufung hat offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.
Nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zu Grunde zu legen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Solche Anhaltspunkte können vorliegen, wenn das Gericht des ersten Rechtszuges die Beweislast verkannt hat, beweiswürdige Darlegungen nachvollziehbarer Grundlage entbehren, gegen Denkgesetze oder allgemeine Erfahrungsgrundsätze verstoßen wurde, Verfahrensfehler bei der Tatsachenfeststellung unterlaufen sind oder Fehler bei der Bewertung des Ergebnisses der Beweisaufnahme vorliegen (vgl. Urteil des BGH vom 12.03.2004, Az.: V ZR 257/03). Nach Maßgabe dieser Kriterien ist die Entscheidung des Landgerichts nicht zu beanstanden.
Das Landgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin gegen die Beklagten keinen Schadensersatzanspruch aus § 7 Abs. 1 StVG (i. V. m. § 115 VVG) hat.
Die nach § 17 Abs. 2 und 1 StVG vorzunehmenden Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Unfallbeteiligten führt zu einer Aileinhaftung der Klägerin. Bei Abwägung der Verursachungsanteile können nur solche Umstände berücksichtigt werden, die unstreitig oder bewiesen sind.
![Verkehrsunfall - Unfall im gleichgerichteten Verkehr im Rahmen eines Abbiegevorgangs](https://b359508.smushcdn.com/359508/wp-content/uploads/2020/07/shutterstock_738738490.jpg.webp?lossy=1&strip=1&webp=1)
Der Fahrzeugführer des klägerischen Fahrzeugs hat gegen die ihm nach § 9 Abs. 1 und 5 StVO auferlegten Pflichten verstoßen. Nach § 9 Abs. 1 StVO ist ein Abbiegevorgang rechtzeitig und deutlich anzukündigen, wer nach links abbiegen will, muss sich rechtzeitig möglichst weit links einordnen. Vor dem Einordnen und nochmals vor dem Abbiegen ist auf den nachfolgenden Verkehr zu achten. Gemäß § 9 Abs. 5 StVO muss sich ein Fahrzeugführer beim Abbiegen in ein Grundstück oder beim Wenden darüber hinaus so verhalten, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Der Zeuge … wollte unstreitig nach links in eine Grundstückseinfahrt abbiegen, um dort zu wenden. Die Kollision ereignete sich, als der Zeuge … bereits teilweise nach links abgebogen war. Kommt es im unmittelbaren zeitlichen und örtlichen Zusammenhang mit dem bereits teilweise vollzogenen Abbiegevorgang zu einer Kollision mit dem gleichgerichteten Verkehr, streitet ein Anscheinsbeweis gegen den Abbiegenden, dass er die ihm obliegenden Sorgfaltsanforderungen nicht beachtet hat.
Die Klägerin hat diesen Anscheinsbeweis nicht erschüttert. Das Landgericht hat die Aussagen der Klägerin sowie des Zeugen … widerspruchsfrei, umfassend und nachvollziehbar gewürdigt. Es hat nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungsgrundsätze verstoßen und ist zu dem zutreffenden Ergebnis gelangt, dass Zweifel daran bestehen, dass der Zeuge … ohne den geringsten Zweifel davon ausgehen konnte, der Abbiegevorgang schließe eine Gefährdung des gleichgerichteten bzw. nachfolgenden Verkehrs aus. Dies ergibt sich bereits daraus, dass weder die Klägerin noch der Zeuge … das Fahrzeug der Beklagten zu 1) vor dem Unfallgeschehen wahrgenommen haben. Überdies ist unstreitig, dass der Zeuge … vor Beginn des Abbiegevorgangs keinen Schulterblick vorgenommen hat. Dass die Beklagte zu 1) bei Nutzung der Fahrzeugspiegel und der Durchführung eines Schulterblicks vor Einleitung des Abbiegevorgangs nicht erkennbar gewesen wäre, wie dies im Rahmen der Berufungsbegründung vorgetragen wird, vermag nicht nachvollzogen zu werden. Dies ist auch nicht dadurch erklärbar, dass der Abbiegevorgang ca. 100 Meter hinter einer Kreuzung eingeleitet wurde und die Beklagte zu 1) möglicherweise erst seit der Kreuzung die Fuhlsbüttler Straße befuhr.
Das Schadensbild an den Fahrzeugen lässt den gegen die Klägerin streitenden Anscheinsbeweis auch nicht deshalb entfallen, weil sich die Beklagte zu 1) an dem von dem Zeugen …geführten Fahrzeug vermutlich hätte „vorbeidrängeln“ wollen. Soweit die Ausführungen in der Berufungsbegründung dahingehend auszulegen sein sollten, dass die Beklagte zu 1) das von dem Zeugen … geführte Fahrzeug habe überholen wollen – exakt dies ist ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 21.09,2011 die von der Klägerin geäußerte Vermutung würde dies den gegen die Klägerin streitenden Anscheinsbeweis, gegen die Pflichten aus § 9 StVO verstoßen zu haben, nicht beseitigen, da die Rückschaupflicht genau diesem Zweck dient, überholende Fahrzeuge wahrzunehmen, um sodann unfallvermeidend von dem Abbiegevorgang abzusehen.
Die Beklagte zu 1) trifft auch keine Mithaftung.
Ein Anschein für ein irgendwie geartetes Auffahrverschulden im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 StVO besteht nicht, weil sich die Fahrzeuge im Unfallzeitpunkt nicht achsparallel im gleichgerichteten Verkehr fortbewegt haben, was die Schadensbilder an den Fahrzeugen belegen. Hiernach hat ein seitlicher Anstoß beider Fahrzeuge stattgefunden.
Die Klägerin hat auch nicht bewiesen, dass die Beklagte zu 1) mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren ist und sich diese überhöhte Geschwindigkeit unfallkausal ausgewirkt hätte. Der insoweit allein als Beweismittel angebotene Zeuge … war nicht in der Lage, Angaben über das Fahrverhalten der Beklagten zu 1) zu machen, weil er die Beklagte zu 1) vor dem Unfallgeschehen nicht wahrgenommen hat.
Einen Überholvorgang der Beklagten zu 1) unterstellend, hat die Klägerin auch keinen unfallursächlichen Verstoß der Beklagten zu 1) gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO oder § 5 Abs. 7 StVO bewiesen. Sowohl das Vorliegen einer unklaren Verkehrslage im Sinne des § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO als auch ein Verstoß gegen das Gebot, rechts zu überholen, wenn ein Fahrzeugführer seine Absicht, nach links abzubiegen, angekündigt und sich eingeordnet hat (§ 5 Abs. 7 Satz 1 StVO), würden das Vorliegen gesicherter Anknüpfungstatsachen voraussetzen, aufgrund derer sich die Beklagte zu 1) rechtzeitig, d. h. unfallvermeidend, auf das Fahrverhalten des Zeugen … hätte einstellen müssen. An solchen gesicherten Anknüpfungstatsachen fehlt es jedoch, da weder die Klägerin noch der Zeuge … die Beklagte zu 1) vor dem Unfallgeschehen wahrgenommen haben, es mithin an feststehenden Tatsachen fehlt, in welchem Abstand sich die Beklagte zu 1) zu dem von dem Zeugen … geführten Fahrzeug befunden hat als der Abbiegevorgang erstmals für die Beklagte zu 1) erkennbar war und sie adäquat hierauf hätte reagieren können.
Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 1) tritt zurück, da ein unfallursächliches Verschulden der Beklagten zu 1) nicht festgestellt werden kann. Demgegenüber hat der Zeuge … gegen die besonderen Sorgfaltspflichten des § 9 StVO verstoßen. Diesen Verstoß muss sich die Klägerin zurechnen lassen.
Die Haftung der Beklagten entfällt mithin aufgrund des gegen die Klägerin streitenden Anscheinsbeweises hinsichtlich des Verstoßes gegen die Sorgfaltspflichten aus § 9 StVO und aufgrund des Umstands, dass die Klägerin einen unfallursächlichen Verkehrsverstoß der Beklagten zu 1) nicht hat beweisen können. Somit ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, inwieweit der von der Beklagten zu 1) geschilderte Unfallhergang glaubhaft ist, entbehrlich und auch durch das Landgericht nicht erfolgt. Davon abgesehen spricht das Schadensbild an beiden Fahrzeugen nicht von vornherein gegen den von der Beklagten zu 1) geschilderten Unfallhergang. Da die Mittellinie ab dem Kreuzungsbereich unstreitig zunächst durchgezogen ist, sprechen die Angaben der Beklagten zu 1), die Mittellinie sei auch am Kollisionsort ebenfalls noch durchgezogen, nicht entscheidend gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Aussage sowie gegen ihre Glaubwürdigkeit, auch wenn die Mittellinie am Unfallort tatsächlich unterbrochen gewesen sein sollte. Überdies würde der Umstand, dass die Aussage der Beklagten zu 1) unglaubhaft sei, nicht die Konsequenz nach sich ziehen, dass der von der Klägerin geschilderte Geschehensablauf als bewiesen anzusehen wäre.
Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Auch erscheint eine Entscheidung des Berufungsgerichts zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich. Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten.