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Verkehrszentralregister und Aufbauseminar

Oberverwaltungsgericht Sachsen-Anhalt

Az: 3 M 348/11

Beschluss vom 18.08.2011


Gründe

Die Beschwerde ist begründet. Die mit der Beschwerdebegründung vorgebrachten Einwände des Antragstellers, auf deren Überprüfung der Senat gem. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, führen zur Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den gemäß § 4 Abs. 7 Satz 2 StVG kraft Gesetzes sofort vollziehbaren Bescheid des Antragsgegners vom 26. Mai 2011, mit welchem der Antragsgegner die Teilnahme des Antragstellers an einem Aufbauseminar angeordnet hat, gem. § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zu Unrecht abgelehnt.

Der Bescheid des Antragsgegners vom 26. Mai 2011 erweist sich bei der im vorliegenden vorläufigen Rechtsschutzverfahren allein gebotenen überschlägigen Prüfung der Sachlage als rechtswidrig. Rechtsgrundlage für die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar gegenüber dem Antragsteller, für den unter Berücksichtigung der Verurteilung wegen Anstiftung zur vorsätzlichen Trunkenheitsfahrt durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Merseburg vom 06. Oktober 2005 im Verkehrszentralregister 16 Punkte eingetragen sind, ist § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG. Danach hat die Fahrerlaubnisbehörde gegenüber den Inhabern einer Fahrerlaubnis die Teilnahme an einem Aufbauseminar anzuordnen und hierfür eine Frist zu setzen, wenn sich 14, aber nicht mehr als 17 Punkte ergeben.

Zu Recht indes macht der Antragsteller im Beschwerdeverfahren geltend, die Verurteilung wegen der Anstiftung zu einer Trunkenheitsfahrt durch den Strafbefehl des Amtsgerichts Merseburg vom 06. Oktober 2005, für die im Verkehrszentralregister 7 Punkte eingetragen wurden, dürfe nicht verwertet werden, weil die Verurteilung länger als fünf Jahre zurückliegt. Gemäß § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG dürfen die Tat und die Entscheidung einem Betroffenen für die Zwecke der Beurteilung der Eignung und Befähigung von Personen zum Führen von Kraftfahrzeugen (§ 28 Abs. 2 Nr. 1 StVG) nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwendet werden, wenn eine Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister getilgt ist. Unterliegen diese Eintragungen – wie hier (vgl. § 29 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 StVG) – einer zehnjährigen Tilgungsfrist, dürfen sie nach Ablauf eines Zeitraums, der einer fünfjährigen Tilgungsfrist entspricht, gemäß § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG nur noch für ein Verfahren übermittelt und verwendet werden, das die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand hat.

Die Eintragung der Entscheidung durfte danach zum Nachteil des Antragstellers für die Anordnung eines Aufbauseminars nach Maßgabe des § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG nicht mehr verwertet werden, weil seit der für den Beginn der Tilgungsfrist maßgeblichen Unterzeichnung des Strafbefehls (§ 29 Abs. 4 Nr. 1 StVG) mehr als fünf Jahre verstrichen waren, als der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 26. Mai 2011 die Teilnahme an einem Aufbauseminar anordnete.

Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts hält es der Senat nicht für gerechtfertigt, wegen der Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar die fünfjährige Frist mit der Begründung hinauszuschieben, die Anordnung bilde die Vorstufe zu einer Fahrerlaubnisentziehung, weil die Nichtteilnahme an einem Aufbauseminar die Entziehung der Fahrerlaubnis nach Maßgabe des § 4 Abs. 7 Satz 1 StVG nach sich ziehe.

Nach dem Wortlaut des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG ist die Möglichkeit der Verwertung über einen Zeitraum von fünf Jahren hinaus beschränkt auf ein Verfahren, das die Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis „zum Gegenstand hat“. Wollte man mit dem Verwaltungsgericht davon ausgehen, dass die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar eine Vorstufe zur Fahrerlaubnisentziehung ist, so würde die zehnjährige Verwertungsmöglichkeit über den Wortlaut der Regelung hinaus auf die Verfahren erstreckt, die nicht eine Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben, sondern Voraussetzung für ein möglicherweise künftig einzuleitendes Verfahren zur Fahrerlaubnisentziehung sind. Entgegen der Auffassung des Antragsgegners kann aus der Bezugnahme auf „diese Eintragungen“ im Wortlaut der Regelung des § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG nicht geschlossen werden, dass nach § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG nur solche Eintragungen einer besonderen Regelung hinsichtlich der Befugnis zur Übermittlung und Verwertung zugeführt werden, die im Verkehrszentralregister nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG bereits gelöscht sind. Denn ein solches Verständnis verkennt, dass eine im Verkehrszentralregister getilgte Eintragung über eine gerichtliche Entscheidung bereits nach § 29 Abs. 8 Satz 1 StVG nicht mehr vorgehalten und nicht mehr zum Nachteil des Betroffenen verwertet werden darf. Die Verwendung der Worte „diese Eintragung“ in § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG knüpft nicht an im Verkehrszentralregister getilgte Eintragungen an, sondern an eine Eintragung „über eine gerichtliche Entscheidung im Verkehrszentralregister“.

Aus der Entstehungsgeschichte lässt sich nach Auffassung des Senats nicht belegen, dass die Ausnahme der zehnjährigen Verwertbarkeit gerichtlicher Entscheidung nach § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG über den Wortlaut der Regelung hinaus auch auf Verfahren erstreckt werden dürfte, die nicht die Entziehung der Fahrerlaubnis, sondern die Teilnahme an einem Aufbauseminar zum Gegenstand haben. Der Wortlaut des Gesetzes geht zurück auf den Gesetzentwurf der Bundesregierung, in dem in den Einzelbegründungen zu der Regelung in § 29 Abs. 8 StVG -E ausgeführt ist (BT-Drs. 13/6914, S. 76):

„Absatz 8 enthält das – bisher noch nicht gesetzlich fixierte – Verwertungsverbot für getilgte und tilgungsreife Entscheidungen, das bisher nur aus Sinn und Zweck des Registers hergeleitet wurde.

Die Verwertungsregelungen des Bundeszentralregistergesetzes bleiben unberührt. Dies gilt auch für das Verwertungsverbot für Entscheidungen, die auch im Bundeszentralregister eingetragen und dort bereits getilgt sind. Um die Einhaltung des Verbots auch in der Praxis sicherzustellen, wird in Satz 2 die Verwertung dieser Entscheidungen auf eine Tilgungsfrist von fünf Jahren begrenzt. Hiervon ausgenommen ist die Verwertung für die Prüfung der Berechtigung zum Führen von Kraftfahrzeugen sowie für Verfahren, die die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben. Insoweit sind die Regelungen für das VZR maßgeblich.

Außerdem wird durch eine Änderung des § 52 BZRG (vgl. Artikel 5) die bisher mögliche unbefristete („ewige“) Verwertung für Verfahren, die die Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben, abgeschafft. Durch die neue Regelung in Absatz 8 des § 29 StVG wird künftig die Verwertung auf die dort vorgesehenen Fristen begrenzt.

Absatz 8 trifft nur eine Regelung für die im VZR erfassten gerichtlichen Entscheidungen, weil solche Entscheidungen – obgleich im VZR getilgt und gelöscht – möglicherweise noch im BZR stehen. Für die nur im VZR enthaltenen Eintragungen (Ordnungswidrigkeiten und Verwaltungsentscheidungen) bedarf es keines ausdrücklichen Verwertungsverbots, wenn diese im VZR getilgt und nach Absatz 7 gelöscht sind“

Zwar geht das Verwaltungsgericht sehr wohl zutreffend davon aus, dass diese Bestimmung zur Lösung von Konflikten bei den Regelungen über Tilgung und Verwertung zwischen dem Bundeszentralregister und dem Verkehrszentralregister dienen soll. Das rechtfertigt indes noch nicht den Schluss, dass die Regelung in § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG für die Verwertung gerichtlicher Entscheidungen im Rahmen eines auf die Entziehung gerichteten Verwaltungsverfahrens über den Wortlaut hinaus auch auf Verfahren anzuwenden sein soll, die auf die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar gerichtet sind. Immerhin soll sich die Ausnahme auch nach der Gesetzesbegründung beschränken auf „… Verfahren, die die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben“.

Die Gesetzessystematik spricht dafür, ein auf die Anordnung der Teilnahme an einem Aufbauseminar nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 StVG gerichtetes Verfahren nicht einem Verfahren zur Entziehung einer Fahrerlaubnis gleichzusetzen. Wenn nämlich der Gesetzgeber in § 28 Abs. 3 StVG wegen der im Verkehrszentralregister zu speichernden Daten zwischen der Entziehung einer Fahrerlaubnis (§ 28 Abs. 3 Nr. 6 StVG) auf der einen Seite und Maßnahmen der Fahrerlaubnisbehörde nach § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 und 2 StVG (§ 28 Abs. 3 Nr. 11 StVG) auf der anderen Seite unterscheidet, so spricht dies dafür, ausgehend von dieser Unterscheidung bei der Aufnahme von Daten in das Verkehrszentralregister auch für die Verwertung an dieser Unterscheidung festzuhalten und die zehnjährige Verwertungsmöglichkeit nach § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG auf die Verfahren zu beschränken, die die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben.

Sinn und Zweck der Regelungen über das Verwertungsverbot ist es, die bis dahin mögliche („ewige“) Verwertung für Verfahren, die die Erteilung oder Entziehung der Fahrerlaubnis zum Gegenstand habe, abzuschaffen und durch § 29 Abs. 8 Satz 2 StVG die Verwertung „auf die dort vorgesehenen Fristen“ (vgl. BT-Drs. 13/6914 S. 76) zu begrenzen. Die dort vorgesehen Fristen unterscheiden indes hinreichend klar zwischen einer zehnjährigen Verwertungsmöglichkeit für ein Verfahren, das auf die Erteilung oder Entziehung einer Fahrerlaubnis gerichtet ist, und der Begrenzung der Verwertung auf eine fünfjährige Frist für weitere verwaltungsbehördliche oder gerichtliche Verfahren.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Wegen der Begründung der Streitwertfestsetzung verweist der Senat auf die Begründung im angefochtenen Beschluss, die er sich zu Eigen macht. Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

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