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VOB-Vertrag –  Vergütungsanspruch bei zusätzlicher Straßenverkehrssicherung

OLG Celle, Az.: 14 U 154/13, Urteil vom 02.09.2015

Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. August 2013 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Klägerin.

Dieses Urteil und das vorgenannte Urteil des Landgerichts Hannover sind ohne Sicherheit vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung jedoch gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwendet, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Die Klägerin macht einen zusätzlichen Vergütungsanspruch gegenüber der Beklagten mit der Begründung geltend, sie habe im Rahmen einer von ihr errichteten Straßenverkehrssicherung wesentlich mehr Kontrollfahrten zum Wiederaufrichten der aufgestellten Baken durchführen müssen als vertraglich vereinbart und vorhersehbar.

Wegen des Sach- und Streitstandes erster Instanz wird zunächst zur Vermeidung von Wiederholungen auf das angefochtene Urteil Bezug genommen.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Anspruch weder aus § 2 Nr. 6 Abs. 1 Satz 1 noch aus § 2 Nr. 3 (2) VOB/B a. F. zu. Bei den zusätzlich berechneten Kontrollfahrten sowie dem Aufstellen und Ausrichten der Baken handele es sich nämlich nicht um eine im Vertrag nicht vorgesehene Leistung.

Es handele sich aber auch um keine vergütungspflichtige Mengenmehrung, denn im Langtext-/Preis-Verzeichnis heiße es bereits, dass zusätzliche Kontrollfahrten bei besonderen Verkehrs- und Witterungsverhältnissen erforderlich werden könnten. Selbst wenn man jedoch von einer Mengenmehrung ausgehe, habe die Klägerin den behaupteten zusätzlichen Aufwand nicht nachvollziehbar dargelegt.

Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Das Landgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass der von ihr geltend gemachte zusätzliche Aufwand für das Neuaufrichten und Ausrichten der Baken bereits vom vertraglich geschuldeten Leistungsumfang umfasst gewesen sei.

Sie vertritt vorrangig die Auffassung, ihr Mehrvergütungsanspruch ergebe sich aus § 2 Nr. 5 VOB/B. Gegenüber dem vertraglich geschuldeten Bausoll habe sie tatsächlich eine geänderte Leistung erbracht. Bei der Auslegung des vertraglichen Bausolls sei neben den allgemeinen Auslegungsregeln auch die Besonderheit des öffentlichen Vergabeverfahrens zu berücksichtigen und insbesondere darauf abzustellen, wie die Empfänger der Angebotsunterlagen nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte die Leistungsanforderungen verstehen durften.

Zu beachten sei auch, dass gemäß § 9 Nr. 2 VOB/A a. F. der Auftraggeber dem Auftragnehmer kein ungewöhnliches Wagnis aufbürden dürfe insbesondere für Umstände und Ereignisse, auf die der Auftragnehmer keinen Einfluss hat und deren Einwirkung auf die Preise und Fristen er nicht im Voraus schätzen könne.

Ihr, der Klägerin, sei zwar nicht im Einzelnen bekannt, worauf der erhöhte Aufwand beruhe – sie vermute Wind und Lkw-Sog -, jedenfalls seien die Gründe hierfür nicht von ihr zu vertreten, insbesondere seien die von ihr verwendeten Baken mangelfrei gewesen und hätten den vorgegebenen Kriterien (Windlastanforderungen, Standsicherheit) entsprochen.

Gegenüber dem von ihr kalkulierten Zeitaufwand von 1,2 Stunden für die beiden Kontrollfahrten sei tatsächlich ein ganz erheblicher Mehraufwand sowohl durch eigene Mitarbeiter als auch durch den Nachunternehmer, die Firma E. GmbH & Co. KG, entstanden.

Die Beklagte habe die geänderte Leistung auch angeordnet. Sie habe nämlich um den gesteigerten Wartungsaufwand gewusst und habe die Wartungsarbeiten ausführen lassen.

Hilfsweise vertritt die Klägerin die Auffassung, der geltend gemachte Mehrvergütungsanspruch stehe ihr aus § 2 Nr. 6 oder 2 Nr. 8 Abs. 3 VOB, weiter hilfsweise nach den Grundsätzen über die Störung der Geschäftsgrundlage gemäß § 313 BGB zu.

Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 69.447,70 Euro nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 6. April 2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angefochtene Entscheidung. Keine der vom Landgericht erörterten oder von der Klägerin zur Begründung ihres Anspruchs herangezogenen Anspruchsgrundlagen sei im vorliegenden Fall erfüllt.

Tatsächlich habe sich die Klägerin bei der Abgabe ihres Angebotes schlicht und ergreifend verkalkuliert.

Die von der Klägerin aufgestellten Baken seien von fehlerhafter Qualität gewesen.

Im Übrigen habe die Klägerin ohnehin alle durchzuführenden Kontrollfahrten nebst dem Wiederauf- und Ausrichten der Baken vertraglich geschuldet.

Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Auf das Gutachten des Sachverständige Dr. Ing. F. vom 13. April 2015 wird verwiesen. Auf Antrag beider Parteien ist der Sachverständige zudem persönlich angehört worden. Wegen des Ergebnisses wird auf die Sitzungsniederschrift vom 11. August 2015 Bezug genommen.

Bezüglich des Inhalts des Vorbringens der Parteien im Einzelnen wird darüber hinaus auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

II.

Die zulässige Berufung der Klägerin hat im Ergebnis keinen Erfolg. Der Klägerin steht kein Mehrvergütungsanspruch für diejenigen Arbeitsstunden zu, die sich aus ihrer Aufstellung in der Anlage K 5 (Anlagenhefter Klägerin) für ihre eigenen Mitarbeiter für den Zeitraum Februar bis Juni 2008 sowie für Fremdleistungen der Firma E. für die Zeit von Juni bis Dezember 2008 ergeben.

1. Nachdem die Klägerin unter Aufrechterhaltung ihres in erster Instanz gestellten Antrages in der Berufungsbegründung zunächst erklärt hatte, sie mache nur die Mehrkosten durch Inanspruchnahme der Firma E. geltend, hat sie auf Nachfrage klargestellt, dass es sich dabei um einen Irrtum gehandelt habe und sie nach wie vor die Kosten aus der Anlage K 5 vollumfänglich geltend mache.

2. Diese Kosten kann sie jedoch nicht ersetzt verlangen.

a) Nachdem die Klägerin zunächst die Auffassung vertreten hatte, sie schulde nach dem Vertrag der Parteien nur die bloßen Kontrollfahrten, hingegen nicht die Wartung, hat sie dies im weiteren Verlauf des Rechtsstreits zum einen nicht weiter aufrechterhalten (so ausdrücklich in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat), zum anderen hat das Landgericht insoweit zutreffend festgestellt, dass die Klägerin vertragsgemäß auch das Auf- und Ausrichten umgefallener bzw. verschobener und verdrehter Leitbaken schuldete.

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Einschlägig für die streitbefangene Leistung der Klägerin ist Position 00.04.0001 des Langtext-/Preis-Verzeichnisses, in der die Klägerin bei einem ursprünglichen Vordersatz von 243 Tagen die Durchführung der Kontrolle der Arbeitsstelleneinrichtung gemäß ZTV-SA anbot. Ferner ist dort aufgeführt, dass täglich, auch am Wochenende und an Feiertagen, zwei Kontroll- und Funktionsprüfungen der gesamten Verkehrseinrichtungen durchzuführen sind.

Die Position enthält ferner folgende Formulierung:

„Zusätzliche Kontrollfahrten können bei besonderen Verkehrs- und Witterungsverhältnissen erforderlich werden.“

Ferner:

„Der Ersatz zerstörter oder abhandener Materialien wird nicht gesondert vergütet.“

Mit dieser Leistungsbeschreibung wurden eindeutig neben der Kontrolle auch das Aus- und Aufrichten nicht mehr dem Zweck der Verkehrssicherung dienender Leitbaken angeboten und vergeben.

Die Klärung der vertraglichen Ansprüche erfordert eine umfassende Auslegung der Leistungsbeschreibung nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter. Dabei kommt dem Wortlaut eine besondere Bedeutung zu. Daneben sind auch die Umstände des Einzelfalls, die Verkehrssitte sowie Treu und Glauben heranzuziehen (BGH BauR 1994, 236).

Auch bei eindeutigem Wortlaut können nach den Umständen des Einzelfalls völlig ungewöhnliche und von keiner Seite zu erwartende Leistungen von der Leistungsbeschreibung ausgenommen sein.

Bei einer öffentlichen Ausschreibung muss sich der Auftraggeber im Rahmen der Auslegung der Leistungsbeschreibung nach Treu und Glauben daran festhalten lassen, dass er den Auftragnehmern kein ungewöhnliches Wagnis auferlegen will (VOB/A § 9 a. F.) Im Zweifelsfalle brauchen die Auftragnehmer ein solches Wagnis nicht ohne weiteres zu erwarten.

Schon aus dem Wortlaut des Leistungstextes für die Position 00.04.0001 selbst, in dem nicht nur die Kontrollfahrten, sondern auch der Ersatz zerstörter oder abhanden gekommenen Materialien, also auch Leitbaken, erwähnt wird, allemal aber im Zusammenhang aus dem Leistungsverzeichnis insgesamt ergibt sich, dass die Klägerin nicht nur die reinen Kontrollfahrten, sondern auch das Wiederaufrichten umgefallener Baken bzw. das Ausrichten verschobener Leitbaken schuldete.

Nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin entspricht es der Üblichkeit, dass mit einem Anteil an leicht verdrehten und daher im Rahmen der Kontrollfahrten neu auszurichtenden Leitbaken von etwa 5 % der aufgestellten Leitbaken zu rechnen sei. Das hat sie nach ihrem eigenen Vorbringen auch mit eingepreist, d. h. sie selbst ist davon ausgegangen, dass sie nicht nur die isolierte Tätigkeit der Durchführung der Kontrollfahrten vorzunehmen hatte, sondern naturgemäß bei diesen Fahrten eben die Arbeiten durchführen sollte, die sich zur Gewährleistung der Verkehrssicherheit ergaben. Dazu gehören der Ersatz beschädigter Baken, das Wiederaufrichten umgestürzter und das Ausrichten verdrehter oder verschobener Baken.

Weder die oben genannte Position noch das Leistungsverzeichnis insgesamt enthalten dementsprechend noch eine weitergehende Position, die etwa neben den eigentlichen Kontrollfahrten diese Arbeit des Ausrichtens oder Aufstellens der Baken beinhaltet. Es erscheint auch lebensfremd, diese beiden Tätigkeiten voneinander zu trennen.

Dem steht auch nicht die Regelung in Ziff. 7 der zwischen den Parteien vereinbarten ZTV-SA entgegen, wonach der Auftraggeber bei länger andauernden Maßnahmen die Wartung als gesonderte Position ausschreiben soll. Dass dies nicht geschehen war, war für jeden Bieter ohne weiteres erkennbar.

b) Ob die Klägerin über die von ihr ihrer Kalkulation zugrundeliegenden 1,2 Stunden tatsächlich erheblich mehr Stunden hat aufwenden müssen, weil wegen ihr nicht bekannter Umstände etwa 95 % der Leitbaken bei jeder Kontrollfahrt hätten ausgerichtet oder wieder aufgerichtet werden müssen, kann offenbleiben, ebenso die Frage, ob und in welchem Umfang sich die Klägerin mit dem Ansatz von lediglich 1,2 Stunden verkalkuliert hat.

Etwaige Mehrkosten stehen der Klägerin nämlich unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu.

3. Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sie keine Ansprüche aus § 2 Abs. 3, Abs. 5 oder Abs. 6 VOB/B herleiten.

Hierauf hat der Senat mit Verfügung vom 11. Juni 2015 bereits hingewiesen.

Ein Anspruch aus § 2 Abs. 3 Nr. 2 VOB/B scheitert bereits daran, dass sich diese Regelung nur auf die Veränderung der Vordersätze bei Einheitspreisverträgen bezieht, dieser Fall aber nicht gegeben ist.

Auch ein Anspruch aus § 2 Abs. 5 VOB/B ist zu verneinen, weil keine Änderung des Bauentwurfs oder eine andere Anordnung seitens der Beklagten vorlag. Das behauptet die Klägerin auch gar nicht.

Schließlich besteht auch kein Anspruch aus § 2 Abs. 6 VOB/B, weil die Klägerin keine Vergütung für eine überhaupt nicht im Vertrag vorgesehene Leistung fordert. Vielmehr waren Kontrollfahrten nebst Wartung bereits Gegenstand des Vertrages (s. o.), die Klägerin behauptet nur eine völlig unvorhergesehene zeitliche Ausweitung einer bereits angebotenen und beauftragten Leistung.

4. Zutreffend verweist die Beklagte darauf, dass der Anspruch der Klägerin letztlich auch nicht aus § 2 Abs. 8 Nr. 1 und 2 VOB/B gerechtfertigt ist, denn die Klägerin hat – unabhängig vom Vorliegen der weiteren Voraussetzungen – der Beklagten die Durchführung der Arbeiten nicht unverzüglich angezeigt. Dabei handelt es sich aber um eine echte Anspruchsvoraussetzung (BGH NJW 1991, 1812). Insoweit enthält § 2 Abs. 8 VOB/B eine Sonderbestimmung gegenüber den in Abs. 3 im Übrigen für anwendbar erklärten Bestimmungen der Geschäftsführung ohne Auftrag gemäß § 677 ff. BGB (insoweit abweichend vom Hinweis des Senates vom 11. Juni 2015).

Eine solche Anzeige war auch nicht deshalb entbehrlich, weil der behauptete wesentlich höhere Zeitaufwand für die Beklagte ohne weiteres ersichtlich war und deshalb die mit der Anzeige bezweckte Schutzfunktion zugunsten des Auftragsgebers entfallen wäre. Es ist nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht vorgetragen, dass die Beklagte Kenntnis vom Umfang der auf- und auszurichtenden Baken und/oder vom tatsächlichen Zeitaufwand der Klägerin bzw. der Firma E. hatte.

5. In Betracht kommen konnte nach alledem nur möglicherweise ein Anspruch auf Grund des Wegfalls der Geschäftsgrundlage nach § 313 Abs. 1 BGB. Danach steht einem Vertragspartner ein Anspruch auf Anpassung des Vertrages zu, wenn sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben und die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen hätten, wenn sie diese Veränderung vorhergesehen hätten und einem Vertragsteil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen und gesetzlichen Risikoverteilung das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

Die Beweislast dafür, dass aus Gründen, die nicht in ihrem Risiko- bzw. Einflussbereich lagen, ein wesentlich höherer Zeitaufwand als die von dem Sachverständigen Dr. Ing. F. als angemessen erachteten Stunden für die Kontrollfahrten erforderlich geworden sind, trägt indes entgegen ihrer Auffassung die Klägerin.

Entgegen der Auffassung der Beklagten fällt die von der Klägerin behauptete Leistungserschwerung nicht schon ohne weiteres deshalb in ihren Risikobereich, weil nach der Begründung des Schuldverhältnisses auftretende Erschwernisse grundsätzlich zu Lasten des Schuldners (hier: der Klägerin) gehen, er also das sog. Aufwandsrisiko trägt. Hierunter fallen nämlich lediglich Umstände wie unerwartete Finanzierungsschwierigkeiten oder bei einem vereinbarten Festpreis steigende Selbstkosten oder Einkaufspreise usw. (Palandt-Grüneberg, BGB, 74. Aufl., § 313 Rn. 30), nicht aber äußere z. B. Wettereinflüsse, die den erwarteten Umfang einer Leistung um das Vielfache erhöhen.

Auch wenn die Klägerin nach den Berechnungen des Sachverständigen Dr. Ing. F. den ihrem Angebot zugrunde gelegten Zeitaufwand zu gering bemessen hat (wofür auch die von der Beklagten vorgelegte Zusammenstellung der Angebote der Mitbewerber sprechen, Bl. 153 d. A.), überstiege der von der Klägerin behauptete Zeitaufwand eklatant den vertragsgemäß geschuldeten, üblichen Aufwand (statt in etwa angemessener ca. 2,4 St. über 10 St.).

Dabei muss einer Partei, die die Gründe der behaupteten schwerwiegenden Veränderung nicht positiv kennt, grundsätzlich die Möglichkeit eingeräumt werden, quasi im Wege des Negativbeweises alle bei vernünftiger Sicht in Betracht kommenden Umstände aus ihrem eigenen Risiko- und Einflussbereich auszuschließen.

Dieser Beweis ist der Klägerin jedoch nicht gelungen.

Der Beweismaßstab, der für den von der Klägerin zu erbringenden Nachweis anzulegen ist, richtet sich nach § 286 ZPO. Nach dieser Vorschrift hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist. Diese Würdigung ist grundsätzlich Sache des Tatrichters, der sich allerdings umfassend und widerspruchsfrei mit den Beweisergebnissen auseinandersetzen muss. Seine Würdigung muss also vollständig und rechtlich möglich sein und darf nicht gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstoßen. Nach § 286 ZPO hat der Tatrichter ohne Bindung an die Beweisregeln und nur seinem Gewissen unterworfen die Entscheidung zu treffen, ob er an sich mögliche Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt als wahr überzeugen kann. Dabei setzt das Gesetz allerdings keine von allen Zweifeln freie Überzeugung voraus. Das Gericht darf keine unerfüllbaren Beweisanforderungen stellen und keine unumstößliche Gewissheit bei der Prüfung verlangen, ob eine Behauptung wahr oder erwiesen ist. Vielmehr darf und muss sich der Richter in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der vernünftigen Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (ständige Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, vgl. nur NJW 2013, 790 – m. w. N.).

a) Einem Anspruch der Klägerin steht nicht entgegen, dass sie den behaupteten Mehraufwand durch Verwendung ungeeigneter Baken oder Fußplatten selbst verursacht hat. Der Sachverständige Dr. Ing. F. hat bestätigt, dass die von der Klägerin zum Einsatz gebrachten Baken nebst Fußplatten ein gültiges Prüfzeugnis besitzen und für die vertraglich geschuldete Verkehrssicherung grundsätzlich geeignet waren.

b) Auch wenn die Baustelle entgegen der Ausschreibung der Beklagten zum Teil in der Windlastzone 4 lag, sind sich die Parteien darüber einig, dass während des hier interessierenden Zeitraums vom Februar bis Dezember 2008 tatsächlich keine Windlasten aufgetreten sind, die die bei der ausgeschriebenen Windlastzone 3 zu erwartenden Geschwindigkeiten überschritten haben. Das ist mit den Bevollmächtigten beider Parteien im Rahmen der Anhörung des Sachverständigen erörtert und ausdrücklich vom Klägervertreter bestätigt worden.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen und den vorliegenden Auskünften des Deutschen Wetterdienstes lagen die Windgeschwindigkeiten tatsächlich zu keinem Zeitpunkt über 27,5 m/s (Seite 6/7 seines schriftlichen Gutachtens vom 13. April 2015).

Die insoweit teilweise fehlerhafte Ausschreibung der Beklagten hat mithin für den von der Klägerin behaupteten erheblichen zeitlichen Mehraufwand keine Relevanz, denn mit Windspitzen bis zu 27,5 m/s musste die Klägerin bei Abgabe ihres Angebotes ohnehin rechnen.

Die Klägerin verweist zudem diesbezüglich selbst völlig zutreffend, dass vereinzelt auftretende höhere Windspitzen nicht für einen täglich anzutreffenden Anteil von 95 % verdrehter, verschobener oder umgefallener Leitbaken ursächlich sein können gegenüber einem nach ihrem Vorbringen üblichen Anteil von nur 5 %.

c) Auch die Sogwirkung mit der erlaubten Geschwindigkeit von 80 km/h vorbeifahrender LKW ist nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ing. F. für die Frage, ob und inwieweit Leitbaken sich über den üblichen Umfang hinaus verschieben, verdrehen oder umfallen, zu vernachlässigen.

Auch das entspricht im Übrigen der eigenen Auffassung der Klägerin, die zwar in erster Instanz noch vermeintlich besondere ungewöhnliche Windverhältnisse und die Sogwirkung der LKW als möglichen Grund für den behaupteten erhöhten Arbeitsaufwand genannt hat, dies aber im Berufungsverfahren isoliert nicht mehr geltend macht.

Unabhängig davon mussten die von der Klägerin aufgestellten Leitbaken diesen Verkehrseinflüssen gerade genügen, da von Anfang an geplant war, dem fließenden Verkehr eine Geschwindigkeit von 80 km/h zu gestatten. Dieser Umstand lag mithin im Risikobereich der Klägerin.

d) Soweit die Klägerin selbst als Ursache des von ihr behaupteten erhöhten Anteils verdrehter, verschobener und/oder umgefallener Baken die Sogwirkung vorbeifahrender LKW in Verbindung mit der Fahrbahnoberfläche sowie der Fahrbahngeometrie vermutet, verhilft ihr auch dies nicht zum Erfolg. Dabei handelt es sich nämlich um Umstände, die in ihren Risikobereich fallen, denn sowohl die Sogwirkung der LKW war für sie vorhersehbar und musste in ihre Kalkulation einbezogen werden als auch übliche Verunreinigungen der Fahrbahn (z. B. durch Sand) oder die Wölbung der Fahrbahn. Die Klägerin hat schon nicht vorgetragen, welche konkrete nicht erkennbare Oberflächenbeschaffenheit der Fahrbahn für ein erhöhtes Verschieben, verdrehen oder Umfallen der Leitbaken verantwortlich gewesen sein soll, ebenso wie sie nicht näher dargelegt hat, welche ungewöhnliche Besonderheit in der Fahrbahngeometrie hierfür ursächlich geworden sein soll. Vielmehr hätte es sich dabei einzeln und in Kombination miteinander um Umstände gehandelt, die für die Klägerin bei Angebotsabgabe vorhersehbar waren.

e) Auch wenn der Sachverständige Dr. Ing. F. im Rahmen seiner Anhörung vor dem Senat keine Erklärung für die von der Klägerin behauptete außergewöhnlich hohe Anzahl und Häufigkeit ständig wieder aus – bzw. aufzurichtender Baken geben konnte, ist damit jedenfalls nicht bewiesen, dass der oder die Umstände, die hierfür ggf. verantwortlich waren, nicht im Risikobereich der Klägerin lagen.

Es gibt nämlich durchaus nicht fernliegende Ursachen dieses von der Klägerin behaupteten Phänomens, die bei der gebotenen Risikoabwägung zu ihren Lasten gingen. Insoweit kommt zum einen eine Kombination verschiedener Umstände in Betracht, die zwar allein nicht die vollständige Anzahl der aus- und aufzurichtenden Baken und die Häufigkeit der Notwendigkeit dieser Tätigkeiten erklären, jedoch schon geeignet sind, einen deutlich höheren Prozentsatz als von Sachverständigen als üblich ermittelten zu rechtfertigen.

Als weitere Mitursache kommt nach den Ausführungen des Sachverständigen z. B. auch ein zu großes Spiel der Befestigung der Bake in der Fußplatte in Betracht.

Hinzu kann als weitere Ursache getreten sein, dass die Mitarbeiter der Klägerin bzw. der Firma E. nicht in ausreichendem Maß die Ursachen hinterfragt und sodann abgestellt haben. Zwar hat der Sachverständige Dr. Ing. F. bei seiner ergänzenden Befragung vor dem Senat ausgeführt, es wäre nach seiner Auffassung schon merkwürdig gewesen, wenn die von der Klägerin bzw. der Firma E. eingesetzten Personen trotz Bemerken einer Ursache die Leitbaken immer wieder in der gleichen Weise aufgestellt hätten. Das würde aber vorausgesetzt haben, dass diese Mitarbeiter sich die Frage nach der Ursache gestellt und nicht nur ihre Arbeit verrichtet hätten.

Nach alledem verbleiben vernünftige Zweifel daran, dass die Ursachen für den von der Klägerin behaupteten Mehraufwand nicht aus dem Risikobereich der Klägerin stammen.

Der Schriftsatz der Klägerin vom 27. August 2015 gibt dem Senat keine Veranlassung, die mündliche Verhandlung wiederzueröffnen und den Zeugen H. zu vernehmen oder ein (weiteres) Sachverständigengutachten einzuholen. Die Klägerin legt nicht dar, inwieweit die Ausführungen des Sachverständigen Dr. Ing. F. fehlerhaft oder ergänzungsbedürftig sind. Ein Zeuge kann nur zu einer konkreten Tatsachenbehauptung benannt und angehört werden, nicht aber zu der von der Klägerin vorgenommenen rechtlichen Bewertung, sie habe ihre Arbeiten „ordnungsgemäß und sachgerecht erbracht“ und „nicht durch eigenes Fehlverhalten … verursacht“.

6. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 97 ZPO. Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 708Nr. 10, 711,543 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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