OLG Frankfurt, Az.: 20 W 7/98
Beschluss vom 09.04.1998
Auf die Beschwerde der Antragsteller wird der angefochtene Beschluß abgeändert.
Das Urteil des Landgerichts Straßburg (Tribunal des Grande Instance) vom 10.03.1992, Az.: RG 90-1112 DGB/NR ist mit der Vollstreckungsklausel mit der Maßgabe zu versehen, daß eine Zahlungspflicht der Antragsgegner als Gesamtschuldner noch bezüglich folgender Zinsbeträge besteht:
gegenüber dem Antragsteller zu 1) in Höhe von 422.045,59 FF,
gegenüber der Antragstellerin zu 2) in Höhe von 158.806,59 FF,
gegenüber der Antragstellerin zu 3) in Höhe von 25.488,80 FF.
Die Kosten des gesamten Verfahrens haben die Antragsgegner zu tragen.
Streitwert und Beschwer: 181.902,- DM.
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Gründe
Der Antragsteller zu 1) ist bei einem durch den Antragsgegner zu 1) verursachten Verkehrsunfall äußerst schwer geschädigt worden. Er hat am 10.03.1992 bei der ersten Zivilkammer des Tribunal de Grande Instance in Straßburg ein kontradiktorisches Urteil erwirkt, wonach die Antragsgegner zu 1) – 3) gemeinsam für den Schaden, der vom Regreß der Kassen ausgenommen ist, also für den ideellen Schaden, den Schmerz, den Verunstaltungs- und den Sachschaden nach Abzug einer Anzahlung noch einen Betrag von 1.207.215,- FF an ihn zu zahlen haben. Die Antragstellerin zu 2) ist die Ehefrau des Antragsteller zu 1). Sie erhielt in dem nämlichen Urteil zum Ausgleich des ihr durch den Unfall ihres Ehemannes entstandenen materiellen und seelischen Schadens einen Betrag von 560.000 FF zugesprochen. Für die Tochter, die Antragstellerin zu 3), wurde zum Ausgleich des seelischen Schadens ein Betrag von 50.000 FF ausgeurteilt. Daneben ging es in dem Urteil noch um Ersatzansprüche der Caisse Primaire d’Assurance de Maladie de Strasbourg und des Departements du Bas-Rhin. Wegen der Einzelheiten wird auf das genannte Urteil (Bl. 13 ff und Bl. 23 ff d.A.) Bezug genommen. Das Urteil ist am 02.04.1992 zugestellt worden. Gegen das Urteil ist kein Rechtsmittel eingelegt worden, soweit es um die Verurteilung zu Zahlungen an die jetzigen Antragsteller geht.
Die Antragsteller haben inzwischen die ausgeurteilten Beträge und zwar in folgenden Raten erhalten:
Der Antragsteller zu 1):
400.000 FF am 28.04.1992 (Restbetrag: 807.215 FF)
707.215 FF am 13.10.1994 (Restbetrag: 100.000 FF)
100.000 FF am 18.02.1995
Die Antragstellerin zu 2):
260.000 FF am 28.04.1992 (Restbetrag: 300.000 FF)
260.000 FF am 13.10.1994 (Restbetrag: 40.000 FF)
40.000 FF am 18.02.1995
Die Antragstellerin zu 3):
50.000 FF am 13.10.1994
Die Antragsteller begehren die Vollstreckbarerklärung des französischen Urteils deswegen nur noch wegen der Zinsen und zwar ab dem 10.03.1992, dem Datum des Urteils, jeweils bis zur vollständigen Bezahlung. Unter Berufung auf Art. 1153-1 CC und Art. L211-18 Code des Assurances, den sie jeweils im Originaltext und in deutscher Übersetzung vorgelegt haben (Bl. 55, 81 und Bl. 60, 61 d.A.), beantragen die Antragsteller die Konkretisierung des französischen Urteils. Art. L211-18 Code des Assurances sieht vor, daß sich der gesetzliche Zinssatz nach Ablauf von zwei Monaten ab dem Tage der gerichtlichen Entscheidung um 50 % erhöht und nach 4 Monaten verdoppelt. Die von den Antragstellern weiter nachgewiesenen (Bl. 59 d.A.) und von den Antragsgegnern nicht bestrittenen Zinssätze betragen in den hier maßgeblichen Zeiträumen:
………………………..
Auf der Basis der jeweils noch offenen Zahlungsbeträge haben die Antragsteller unter Berücksichtigung der gestaffelten Zinsen für den Antragsteller zu 1) eine Zinsforderung von 422.045,59 FF, für die Antragstellerin zu 2) von 158.806,59 FF und für die Antragstellerin zu 3) von 25.488,80 FF errechnet. Wegen der Einzelheiten der Berechnung wird auf die insoweit von den Antragsgegnern nicht angegriffene Berechnung der Antragsteller (Bl. 62 – 65 d.A.) Bezug genommen.
Das Landgericht hat den entsprechenden Vollstreckungsantrag der Antragsteller durch Beschluß vom 15.12.1997 zurückgewiesen (Bl. 67 ff d.A.). Es hat ausgeführt, die von den Antragstellern gewünschte Konkretisierung des französischen Urteils könne nicht erfolgen, da das französische Urteil nur einen Zinsausspruch zugunsten der Caisse Primaire d’Assurance de Maladie de Strasbourg und des Departements du Bas-Rhin enthalte.
Dieser Beschluß ist den Antragstellern am 05.01.1998 (Bl. 72 d.A.) zugestellt worden.
Mit ihrer am 08.01.1998 eingegangenen Beschwerde verfolgen sie ihr erstinstanzliches Begehren weiter.
Sie bringen insoweit ebenfalls unwidersprochen vor, daß sie nicht die Möglichkeit hätten, in Frankreich ein neues Urteil über die Zinsen zu erhalten, da über die Zinsen kraft der gesetzlichen Regelung des Art. 1153-1 Code Civil bereits entschieden worden sei.
Eine Bestimmung bezüglich der Caisse Primaire d’Assurance de Maladie de Strasbourg und dem Departement du Bas-Rhin sei nur deshalb erfolgt, weil die Antragsgegner insoweit eine Zinszahlungsverpflichtung verneint hätten.
Die Antragsgegner hatten im Beschwerdeverfahren Gelegenheit zur Äußerung. Die Antragsgegner zu 1) und 2) haben auf die ihnen nebst den erstinstanzlichen Unterlagen zugestellte Beschwerdeschrift eine eigene Äußerung nicht abgegeben. Die Antragsgegnerin zu 3) verteidigt den angefochtenen Beschluß. Sie hält eine Konkretisierung des Urteils nicht für möglich. Der Umstand, daß der Caisse Primaire d’Assurance de Maladie de Strasbourg und dem Departement du Bas-Rhin Zinsen zugesprochen worden seien, lasse den Umkehrschluß zu, daß den Antragstellern kein Zinsanspruch mangels Zinsgrundentscheidung habe zugebilligt werden sollen. Hilfsweise macht sie geltend, daß der geltend gemachte erhöhte Zinsanspruch gegen den ordre public verstoße. Die Zahlung der Hauptsumme sei unverzüglich nach Rechtskraft des Urteils erfolgt.
Die Beschwerde hat in vollem Umfang Erfolg. Für die Vollstreckungszulassung ist das Übereinkommen über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vom 27.09.1968 (EuGVÜ; BGBl. 72 II 774, in der Fassung des Beitritts-Übk v. 26.05.1989, BGBl. 94 II 519) maßgeblich. Danach ist die Beschwerde der Antragsteller zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt (Art. 36 ff EuGVÜ in Verbindung mit §§ 11 und 12 des Gesetzes zur Ausführung zwischenstaatlicher Anerkennungs- und Vollstreckungsverträge in Zivil- und Handelssachen (Anerkennungs- und Vollstreckungsausführungsgesetz – AVAG) vom 30.05.1988, BGBl. I 662, in der geänderten Fassung vom 30.09.1994, BGBl. II 2658).
Die Beschwerde ist auch begründet. Die Antragstellerin hat die nach Art. 46 Nr. 1, 47 EuGVÜ in Verbindung mit § 3 AVAG für die Zulassung der Zwangsvollstreckung erforderlichen Nachweise, insbesondere die Ausfertigung des Urteils und den Nachweis der Urteilszustellung vorgelegt. Da unstreitig gegen das französische Urteil bezüglich der an die Antragsteller zu zahlenden Beträge kein Rechtsmittel eingelegt worden ist, kommt es vorliegend nur noch darauf an, ob die von den Antragstellern geltend gemachten Zinsen auch im Urteilsstaat vollstreckbar wären und ob die so gewünschte Konkretisierung hinsichtlich der aufgelaufenen Zinsen möglich ist. Der Senat bejaht dieses. Die Konkretisierung liegt im Rahmen der Klarstellungskompetenz der hiesigen Gerichte. Ein Anerkennungshindernis besteht nicht.
Allgemein geht die neuere Rechtsprechung davon aus, daß es der Erteilung einer Vollstreckungsklausel nicht entgegensteht, wenn weder in der Entscheidungsformel noch in den Gründen die Höhe des gesetzlichen Zinssatzes genannt ist (OLG Düsseldorf, RIW 1997, 330; OLG Hamburg, RIW 1994, 424 ff m. Anm. von Sieg, RIW 1994, 973 ff; OLG Hamm, RIW 1994, 243 ff, 245; BGH NJW 1990, 3084; Münch, Ausländische Tenorierungsgewohnheiten kontra inländische Bestimmtheitsanforderungen, RIW 1989, 18 ff; Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Zivilprozeßordnung, 56. Aufl. 1998, Art. 31 EuGVÜ Rn. 1 und 2).
Hier kommt allerdings hinzu, daß das französische Urteil zugunsten der Antragsteller keinen Ausspruch darüber enthält, daß die ausgeworfenen Beträge mit den gesetzlichen Zinsen zu verzinsen seien. Mit den von den Antragstellern vorgelegten und den Antragsgegnern zugänglich gemachten Entscheidungen des OLG Köln (Beschluß vom 10.01.1996, Az.: 16 W 65/95, Bl. 56 ff d.A.) und des 7. Senats des Saarländischen Oberlandesgerichts (Beschluß vom 09.10.1995, Bl. 82 ff d.A.) geht der Senat jedoch davon aus, daß dies wegen Art. 1153-1 Abs. 1 CC der Erteilung der Vollstreckungsklausel bezüglich der Zinsen nicht entgegensteht. Diese Vorschrift lautet in deutscher Übersetzung:
„In jedem Rechtsgebiet hat die Verurteilung zu einer Entschädigungszahlung Zinsen zum gesetzlichen Zinssatz zur Folge, selbst dann, wenn eine solche in der Klage fehlt oder das Urteil hierüber keinen besonderen Ausspruch enthält. Mit Ausnahme einer entgegenstehenden gesetzlichen Bestimmung ist der Zinsbeginn die Urteilsverkündung, es sei denn, daß der Richter anders entscheidet.“
Mithin ist davon auszugehen, daß die gesetzlichen Zinsen, die in Frankreich jährlich durch Dekret bestimmt werden, automatisch – sofern nichts anderes bestimmt ist – bei einer französischen Zahlungsverurteilung geschuldet und von der Entscheidung umfaßt werden. Ein solcher gesetzlicher Zinsautomatismus versperrt die Möglichkeit, allein aus dem Umstand, daß der Urteilsausspruch zugunsten der Caisse Primaire d’Assurance de Maladie de Strasbourg und des Departements du Bas-Rhin die Verurteilung zu den gesetzlichen Zinsen enthält, zu schließen, das französische Gericht habe den Antragstellern die gesetzlichen Zinsen aberkennen wollen. Insoweit fügt sich auch die von den Antragstellern für die Erwähnung der Zinsen vorgebrachte Erklärung, die Verzinsungspflicht sei überhaupt nur bezüglich der Caisse Primaire d’Assurance de Maladie de Strasbourg und des Departements du Bas-Rhin im Streit gewesen, nahtlos ein. Die im französischen Verfahren anwaltlich vertretenen Antragsgegner haben diesen Umstand auch nicht bestritten.
Diese Bestimmung des Art. 1153-1 CC wird vorliegend ergänzt durch Art. L211-18 des Codes des Assurances, der in der deutschen Übersetzung folgenden Wortlaut hat:
„Bei Verurteilung, beruhend auf einer vollstreckbaren gerichtlichen Entscheidung, auch bei Sicherheitsleistung, wird der gesetzliche Zinssatz ab Ablauf einer Frist von zwei Monaten um 50 Punkte von Hundert erhöht und ab Ablauf einer Frist von vier Monaten ab dem Tage der gerichtlichen Entscheidung verdoppelt, wenn dieses kontradiktorisch ist und in anderen Fällen ab dem Tage der Zustellung der Entscheidung.“
Da die Antragsgegnerin zu 3) ein Versicherungsunternehmen ist, hat der Senat keine Bedenken, diese Strafzinsvorschrift auf den vorliegenden Fall anzuwenden. Die Konkretisierung auf den gesetzlichen Zinssatz übersteigende Erhöhungsbeträge ist dem Vollstreckbarerklärungsverfahren nicht fremd. So haben das OLG Düsseldorf und das OLG Hamburg (jew. a.a.O.) aufgrund des Art. 3 des französischen Zinsgesetzes den gesetzlichen Zinssatz um fünf Prozentpunkte erhöht.
Einen Verstoß gegen den deutschen ordre public (Art. 27 Nr. 1 EuGVÜ) vermag der Senat in der Verdoppelung des gesetzlichen Zinssatzes nicht zu erkennen. Wird ein deutscher Schädiger wegen einer im Ausland begangenen Verletzungshandlung dort zu einer höheren Schadensersatzleistung verurteilt, als das im Inland möglich wäre, ist allein dadurch die deutsche öffentliche Ordnung nicht berührt (Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, Zivilprozeßordnung, 56. Aufl. 1998, Art. 27 EuGVÜ Rn. 1). Aus den von den Antragsgegnern nicht bestrittenen Zeitpunkten der Teilzahlungen ergibt sich außerdem, daß die ausgeurteilten Beträge nur schleppend gezahlt worden sind. Wenn der französische Gesetzgeber solch schleppenden Zahlungen im Interesse der Geschädigten mit Strafzinsen entgegenzuwirken sucht, ist dies auch mit deutschen Gerechtigkeitsvorstellungen nicht unvereinbar, zumal es bei einem hiesigen Verfahren den Antragstellern grundsätzlich offengestanden hätte, etwaigen Verzugsschaden bzw. höhere als die gesetzlichen Zinsen infolge der Inanspruchnahme von Bankkrediten geltend zu machen.
Die von den Antragstellern angestellten Berechnungen hinsichtlich der Erhöhung der Zinssätze, der einzelnen Zinszeitabschnitte und der auf sie jeweils entfallenden Zinsbeträge einschließlich des jeweiligen Gesamtzinsbetrags sind rechnerisch richtig und im übrigen auch von den Antragsgegnern nicht angegriffen worden. Sie werden daher vom Senat mit der Maßgabe übernommen, daß der auf die Antragstellerin zu 3) entfallende Zinsbetrag im Antrag mit 25.282,10 FF rechnerisch richtig ist, während die in der beigefügten Einzelberechnung auf 25.488,80 FF bezifferte Betrag auf einem offensichtlichen Schreibfehler beruht. Zur Vereinfachung der Vollstreckung hat der Senat die angefallenen Zinsen jeweils nur als Gesamtbetrag angesetzt.
Die Kosten des Verfahrens haben die Antragsgegner zu tragen (§ 91 ZPO).
Die Festsetzung des Beschwerdewerts beruht auf § 546 II ZPO in Verbindung mit Art. 41 EuGVÜ und § 17 AVAG.