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Vorgetäuschte Eigenbedarfskündigung – vorsätzliche sittenwidrige Schädigung

LG Mönchengladbach, Az.: 2 S 49/93

Urteil vom 18.06.1993

Gründe

……….

Die zulässige Berufung der Kläger hat in der Sache Erfolg.

Die Kläger können von dem Beklagten gemäß § 826 BGB die Unterlassung der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des AG Grevenbroich v. 1.7.1991 verlangen, weil die Kammer aufgrund der Beweisaufnahme davon überzeugt ist, daß der Beklagte das vorbenannte Urteil erschlichen hat. Angesichts des hohen Stellenwerts, der unter den heutigen sozialen Bedingungen einer Wohnung zukommt, stellt sich die Zwangsvollstreckung aus einem erschlichenen Räumungsurteil als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar, die den Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet. Dieser Schadensersatz ist vorliegend derart zu leisten, daß der Beklagte die Zwangsvollstreckung zu unterlassen hat.

Nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. BGHZ 26, 391, 396; NJW-RR 1987, 1032), der die Kammer folgt, knüpft ein derartiger Anspruch wegen Urteilsmißbrauchs gemäß § 826 BGB an folgende Voraussetzungen an:

Vorgetäuschte Eigenbedarfskündigung - vorsätzliche sittenwidrige Schädigung
Symbolfoto:Wayhome Studio/Bigstock

Das Urteil muß unrichtig sein und der Obsiegende hiervon Kenntnis haben. Zudem müssen besondere Umstände das Verhalten des Schädigers als sittenwidrig erscheinen lassen, die beispielsweise darin liegen können, daß eine Partei das Urteil durch eine rechtswidrige oder sittenwidrige Handlung im Bewußtsein der Unrichtigkeit herbeigeführt hat oder daß die Ausnutzung des als unrichtig erkannten Urteils in hohem Maße unbillig und geradezu unerträglich ist. Schließlich muß das arglistige Verhalten des Schädigers ursächlich für den Erlaß der unrichtigen Entscheidung gewesen sein.

Die von der Rechtsprechung insoweit entwickelten Grundsätze für einen Anspruch aus § 826 BGB wegen Urteilsmißbrauchs liegen im Entscheidungsfall vor.

Die Kammer ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, daß das Urteil des AG Grevenbroich v. 1.7.1991 unrichtig ist, weil der dort behauptete und zur Entscheidungsgrundlage gemachte Eigenbedarf des Beklagten tatsächlich nicht bestand und auch heute nicht besteht, es vielmehr in dem damaligen Verfahren ausschließlich darum ging, die Kläger als lästige Mieter los zu werden.

Gegen den Beklagten und den von ihm behaupteten Eigenbedarf spricht zunächst, daß er im Vorprozeß verschwiegen hat, daß er Eigentümer von jedenfalls fünf Objekten war und ist, in denen sich auch Mietwohnungen befinden. Durch dieses Verschweigen eines nicht ganz unbeträchtlichen Immobilienbesitzes wurde der angebliche Eigenbedarf des Beklagten in ein falsches Licht gerückt, denn den damaligen Prozeßbeteiligten wurde die umfassende Beurteilung der Verhältnisse des Beklagten verwehrt. Nicht ohne Grund wird allgemein in auf Eigenbedarf gestützten Räumungsverfahren verlangt, daß der Vermieter umfassend Auskunft über derartige persönliche Verhältnisse gibt, weil sich der behauptete Eigenbedarf erst dann abschließend beurteilen läßt, wenn mögliche Alternativen – hier beispielsweise Inanspruchnahme einer anderen Mietwohnung des Beklagten – ausgeschlossen werden können.

Das Gericht ist zudem davon überzeugt, daß an der Darstellung des Beklagten, er benötigte und benötige die von den Klägern angemietete Wohnung für seinen Bruder und dessen Familie, nichts dran ist.

In diesem Zusammenhang gewinnt die Eigenbedarfskündigung gemäß Schreiben v. 27.7.1990 Bedeutung, in der der Beklagte erstmals den Eigenbedarf mit dem Wunsch seines Bruders begründete, in die Wohnung der Kläger einzuziehen. Denn die Zeugin Z., die Ehefrau des Bruders des Beklagten, des Zeugen Z., hat in ihrer Vernehmung nachdrücklich betont, über die Wohnung sei erst und ausschließlich in dem Jahr gesprochen worden, in dem das gemeinsame Kind geboren sei. Dies war jedoch das Jahr 1991. Als ihr das Kündigungsschreiben v. 27.7.1990 vorgehalten wurde, erklärte sie sinngemäß, daß die Gründe der Kündigung offensichtlich andere gewesen seien, als die in dem Schreiben genannten. Im Jahr 1990 sei die Grillstube auch nur einmal ganz kurz „als Idee“ angesprochen worden.

Nachdem die Sitzung sodann für 20 Minuten unterbrochen worden war, änderte die Zeugin Z. ihre Aussagen dahingehend ab, die Gesamtvorgänge hätten sich doch im Jahre 1990 abgespielt, denn sie habe sich in diesem Jahr schon Gesundheitszeugnis und polizeiliches Führungszeugnis für die Grillstube besorgt. Wörtlich sagte die Zeugin: „Ich bin von meinem Mann aufgeklärt worden. Ich habe dann nicht mehr daran gedacht. Das ist schon so lange her. Mein Mann wußte das“.

Die Kammer ist jedoch davon überzeugt, daß die Zeugin sich nicht irrte, als sie die wesentlichen Vorgänge in das Jahr 1991 einordnete. Denn die Zeugin hat sich insoweit nicht an einer Jahreszahl orientiert, sodann anhand der Geburt des Kindes im Herbst 1991 die Vorgänge eingeordnet. Sie hat zudem offen zu erkennen gegeben, daß an den Kündigungsgründen gemäß dem Kündigungsschreiben v. 27.7.1990 nichts dran war. Insbesondere hinsichtlich der Grillstube kommt hinzu, daß diese dann tatsächlich nicht von der Zeugin, sondern von einem Dritten übernommen wurde. Warum sie die Grillstube nicht übernommen hat, hat die Zeugin der Kammer nicht nachvollziehbar erklären können. Hätte es – wie in der Beweisaufnahme angesprochen wurde – ausschließlich an der zwischenzeitlich erloschenen Konzession für diese Räumlichkeiten gelegen, dann hätte die Grillstube nicht schon Anfang Februar 1991 von einem Nachfolgepächter eröffnet werden können.

Die Schilderung der Zeugen Z., wie sie mit ihrer Familie die Wohnung des Beklagten ohne dessen Willen bezogen und damit gleichsam „besetzt“ haben, hat das Gericht nicht überzeugt. Die Kammer hält die Schilderung der Zeugen für falsch. Es liegt fernab jeder Lebenserfahrung, daß die Zeugen ohne Wissen und gegen den auch ihnen erkennbaren Willen des Beklagten dessen Wohnung bezogen haben. Denn wie sich im Verlauf der Beweisaufnahme herausgestellt hat, bestand zwischen den Zeugen und dem Beklagten kein so enger Kontakt, daß ein derartiges distanzloses Verhalten erklärlich wäre. Auch der Umstand, daß der Beklagte diesen Vorgang widerspruchslos hingenommen haben soll, paßt nicht zu dem Bild, das die Kammer von der Person des Beklagten im Beweisaufnahmetermin gewonnen hat. Denn nach dem in diesem Termin gezeigten Verhalten ist der Beklagte, ein wirtschaftlich erfolgreicher Handwerksmeister, durchaus in der Lage, seine Interessen zu artikulieren und durchzusetzen. Die Kammer ist aufgrund dieser Umstände vielmehr davon überzeugt, daß die Zeugen Z. die Wohnung in Absprache mit dem Beklagten zu einem Zeitpunkt bezogen haben, als sich der Erwerb des Einfamilienhauses in X.-Stadt Ende 1991 abzeichnete, in das der Beklagte – und zwar auf Dauer – einziehen wollte. Der schriftsätzliche Vortrag des Beklagten, er habe dieses Haus ausschließlich als Kapitalanlage erworben, hat sich in der Beweisaufnahme als unrichtig herausgestellt. Denn der Beklagte hat eingeräumt, daß er in nicht ganz ferner Zukunft selbst in dieses Haus, das in seinem Heimatort liegt, einziehen will.

Hinsichtlich des Zeugen R., eines Mitarbeiters des Beklagten, ist die Kammer davon überzeugt, daß dieser das Mietverhältnis mit dem Beklagten über dessen Einfamilienhaus in X.Stadt nur zum Schein abgeschlossen hat. Der Zeuge R. hat nach reiflicher Überlegung und nachdem er sich Gewißheit über Zeiträume verschafft hatte, bekundet, bereits im August/September 1991 sei klar gewesen, daß er in den Bungalow einziehen werde. Er habe im September/Oktober 1991 seinem damaligen Vermieter mitgeteilt, daß er ausziehen werde. Diese Zeitangaben lassen sich auch nicht ansatzweise mit den Angaben des Beklagten in Übereinstimmung bringen, der auf Befragen mitgeteilt hat, der notarielle Kaufvertrag über das Haus sei am 16.11.1991 abgeschlossen worden; gewußt habe er von der Möglichkeit des Erwerbs ab Anfang Oktober 1991. Mit R. habe er im Oktober/November 1991 über die Frage gesprochen, ob dieser in das Haus einziehen wolle.

Bei einer Gesamtbetrachtung der vorstehend dargestellten Widersprüchlichkeiten und Unklarheiten wird deutlich, daß der Eigenbedarf, der Grundlage des Urteils des AG Grevenbroich v. 1.7.1991 war, vorgetäuscht war und ist. Dieses Urteil ist damit inhaltlich falsch, wobei dies auf einem Verhalten des Beklagten und der von ihm benannten Zeugen beruht. Dies läßt das Verhalten des Beklagten als sittenwidrig erscheinen. Denn er hat das Urteil durch eine rechtswidrige Handlung im Bewußtsein der Unrichtigkeit herbeigeführt. Hätte der Beklagte im Vorprozeß offengelegt, daß der mit Kündigungsschreiben v. 17.7.1990 geltend gemachte Eigenbedarf nur vorgetäuscht war – so wie dies vor der Kammer von der Zeugin Z. praktisch eingeräumt wurde – dann hätte das AG Grevenbroich die Räumungsklage des Beklagten abgewiesen.

Die Zwangsvollstreckung aus einem derart erschlichenen Urteil stellt sich als vorsätzliche sittenwidrige Schädigung dar. Denn es widerspricht dem Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, daß der Beklagte aus einem verbotenen Tun Vorteile ziehen soll. Dabei gewinnt besondere Bedeutung der Umstand, daß Vollstreckungsgegenstand die von den Klägern angemietete Wohnung ist und damit ein Rechtsgut, das besonderen Schutz genießt.

Insoweit ist zu beachten, daß § 564b Abs. 1 und 2 BGB dem Vermieter nur dann die Möglichkeit zur Beendigung des Mietvertrages geben will, wenn er ein berechtigtes Interesse hat. Die Vorschrift verfolgt den Zweck, den Mieter umfassend vor einem objektiv ungerechtfertigten Verlust der Wohnung zu schützen. Dieses Schutzbedürfnis besteht beispielsweise auch dann, wenn der vorübergehend vorhanden gewesene Eigenbedarf – wovon hier jedoch nicht ausgegangen wird – noch vor der kündigungsbedingten Räumung der Wohnung wieder entfällt; denn es fehlt dann an einem Grund, dem Mieter den Wohnungswechsel zuzumuten. In diesen Fällen ist der Vermieter wegen der ihm allgemein obliegenden Pflicht, den berechtigten sozialen Interessen des Mieters in zumutbarem Maße Rechnung zu tragen, und weil es Sinn und Zweck des zugunsten des Mieters geltenden Kündigungsschutzes erfordern, verpflichtet, den Mieter nach dem Grundsatz des § 242 BGB auf die Veränderung der Sachlage hinzuweisen und sich zur Fortsetzung des Mietverhältnisses bereit zu erklären. Wenn aber schon in Fällen des nach Rechtskraft des Räumungsurteils erfolgten Wegfalls des Eigenbedarfs dem Mieter die Wohnung belassen werden muß, dann gilt dies um so mehr, wenn feststeht, daß der Räumungsanspruch von Anfang an nicht begründet war. In einem derartigen Fall kann sich der Vermieter nicht auf die formelle Rechtskraft des Räumungsurteils berufen. Er handelt vielmehr sittenwidrig, wenn er unter Berufung auf diese formale Position den Mieter aus der Wohnung setzen will.

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